Grenzgänger
Grenzen sind uns Menschen allgegenwärtig. Sie bieten Orientierung, sind aber meist nicht starr, sondern müssen oder dürfen von Zeit zu Zeit verschoben werden. Es ist unsere Aufgabe, sie immer wieder neu zu denken und kritisch zu hinterfragen. Die aktuelle Ausgabe von Trillium Diagnostik führt uns auf eine Reise durch unterschiedliche Facetten solcher Grenzen im Kontext der Labormedizin.
Bereits die ersten drei Fachartikel zeigen, wie vielfältig „Grenzen“ in unserer Disziplin in Erscheinung treten. So ermöglichen genetische Analysen von Single Nucleotide Polymorphisms bei Thrombophilie eine immer feinere Abgrenzung individueller Risikoprofile – und eröffnen dadurch Chancen für eine personalisierte Prävention und Therapie. Im Falle der Tuberkulose wiederum wird deutlich, dass das plötzliche Auftreten einer Pandemie globale Gesundheitsstrategien an ihre Grenzen bringen kann. Gleichzeitig stößt ihre Behandlung durch Weiterentwicklung von Diagnostik und Therapie weniger schnell an ihre Grenzen. Ähnliches gilt auch für die Behandlung von Brustkrebs, die durch den Einsatz der Massenspektrometrie im Rahmen des Therapeutic Drug Monitoring von CDK4/6-Inhibitoren eine individuell an die Betroffenen angepasste Therapie gewährleistet.
Auch die Produktübersichten dieses Hefts beschäftigen sich mit Grenzen und Übergängen. Die Massenspektrometrie überschreitet langsam, aber sicher die Schwelle vom Forschungsinstrument hin zum Routineverfahren. Konzepte für Point of Care Testing verlagern die Grenze des Labors unmittelbar an den Ort der Patientenversorgung (mit tabellarischer Übersicht). Die Produktübersicht zur Nachhaltigkeit im medizinischen Labor erinnert uns daran, dass die ökologischen Grenzen unseres Handelns ebenso verbindlich sind wie diagnostische oder therapeutische Grenzwerte. Green-Lab-Initiativen und internationale Zertifizierungen zeigen, dass sich Innovation und Ressourcenschonung nicht ausschließen, sondern neue Standards für eine verantwortungsvolle Labormedizin setzen können.
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe widmet sich den Referenz- und Entscheidungsgrenzen, die die Interpretation von Laborwerten in geordnete Bahnen lenken. Die Beiträge zeigen, wie unverzichtbar die fachkundige Arbeit an und mit diesen Grenzen ist: von internationalen Projekten zur Harmonisierung von Referenzintervallen über benutzerfreundliche Tools zur Verifizierung im Laboralltag bis hin zur Evaluation der diagnostischen Leistungsfähigkeit von Entscheidungsgrenzen mittels ROC-Analysen. Auch die Beiträge zur Eisenmangeldiagnostik und zu Referenzintervallen in afrikanischen Populationen machen deutlich, dass Grenzwerte nie absolut sind, sondern immer im Kontext von Methodik, Population und Fragestellung verstanden werden müssen. Schließlich erinnert die Diskussion um die Umstellung von Serum- auf Heparinplasma daran, dass auch organisatorische Vorgaben neue Grenzen ziehen können – und uns zugleich die Chance geben, Prozesse zu überdenken und zu verbessern.
So zeigt dieses Heft: Grenzen sind nicht statisch. Sie entstehen im Spannungsfeld von Evidenz, Praxis und Innovation. Sie können uns leiten – aber auch herausfordern, sie neu zu definieren. Mitarbeitende im Labor agieren hier als Grenzgänger, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse in die praktische Versorgung übertragen