Referenzintervalle in Afrika: Nicht übertragbar
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2025.03.08Die von westlichen Herstellern angegebenen Referenzintervalle lassen sich nur selten auf Länder der Dritten Welt übertragen. Mit statistischen Standardverfahren gelingt die Anpassung in aller Regel, aber bei hoher Prävalenz pathologischer Werte müssen maschinelle Lernverfahren eingesetzt werden, um die gesunde Subpopulation zu identifizieren.
Schlüsselwörter: indirekte Verfahren, reflimR, refineR, mclust
Referenzintervalle werden meist von Geräte- und Testherstellern festgelegt. Sie werden anhand der Population der Hersteller bestimmt und von ihren Kunden oft unkritisch übernommen. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt bedürfen Referenzintervalle, die an europäischen oder nordamerikanischen Populationen erhoben wurden, einer sorgfältigen Überprüfung und Anpassung. Dies liegt darin begründet, dass die Bevölkerung in der Dritten Welt in Bezug auf Genetik, Ernährung und Umweltfaktoren erhebliche Besonderheiten aufweist.
Zahlreiche Studien belegen, dass die Standardangaben aus den Beipackzetteln westlicher Hersteller ein falsches Bild vom Gesundheitszustand der Bevölkerung zeichnen. Häufig liegen bis zu 50 % der scheinbar gesunden Proband:innen außerhalb der „Norm“ nach westlichem Maß [1].
In einer kürzlich veröffentlichten Pilotstudie [2] haben wir gemeinsam mit Prof. Georg Hoffmann, Trillium Medizinischer Fachverlag GmbH, geprüft, inwieweit indirekte Standardverfahren zur Bestimmung von Referenzintervallen helfen könnten, diese Wissenslücke zu schließen. Wir führten die Untersuchung mit den Statistikpaketen reflimR und refineR auf der Basis von Routinewerten aus dem Laborinformationssystem von Synlab Nigeria durch und vermieden auf diese Weise die Rekrutierung gesunder Referenzpersonen.
Für Thrombozyten fanden wir eine gute Übereinstimmung mit den Herstellerangaben, für Leukozyten erhielten wir mit beiden Verfahren eine niedrigere Untergrenze (2,6 statt 4,0 Zellen/nL), und für Hämoglobin ergab sich insbesondere bei Frauen ein deutlich zu niedriges Referenzintervall (Abb. 1) – mit diskrepanten Resultaten der beiden statistischen Verfahren.

Abb. 1: Referenzintervalle für Hämoglobin bei nigerianischen Frauen. Links: Das Standardverfahren (reflimR) liefert offensichtlich zu niedrige Grenzen. Rechts: Mit einem maschinellen Lernverfahren (mclust) lässt sich die Verteilungskurve in drei Subpopulationen auftrennen, von denen die rechte die vermutlich gesunde Bevölkerungsgruppe repräsentiert. (Quelle: [2].)
Eine Faustregel besagt, dass solche Abweichungen eine Korrektur der Herstellervorgabe verlangen, wenn die Ergebnisse von reflimR und refineR übereinstimmen. Hingegen ist bei Diskrepanzen zwischen den Methoden davon auszugehen, dass die Studienpopulation für den Einsatz von Standardverfahren zu komplex ist.
Abb. 1 zeigt auf der rechten Seite, dass sich in unserem Krankengut aufgrund der hohen Prävalenz von Anämien in Afrika tatsächlich nur 30 % gesunde Frauen befinden. Zudem liegt das mit maschinellem Lernen ermittelte Referenzintervall von 10,4 bis 14,1 g/dL – vermutlich genetisch bedingt – unterhalb der „westlichen Norm“.