Umstellung von Serum- auf Lithium-Heparin-Röhrchen: Exodus aus dem Serumland
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2025.03.09Laut der aktuellen Version der Rili-BÄK ist die Kaliummessung aus Serum nicht mehr zulässig. Die Frist für die Umsetzung läuft im April 2026 aus. Nach unseren eigenen Erfahrungen verlief die Umstellung auf Heparinplasma problemlos und löste sogar das eine oder andere organisatorische Problem. Besonderheiten gilt es bei der Serumelektrophorese und beim Gesamteiweiß zu beachten.
Schlüsselwörter: Lithium-Heparin-Plasma, Kalium, Thrombozytenzahl, Gesamteiweiß, Infektionsserologie
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging ... von der Bundesärztekammer, dass alles Kalium nur noch aus Plasma gemessen würde. Denn in das Evangelium der Qualitätssicherung für Laboruntersuchungen – die Rili-BÄK – wurde mit der Aktualisierung vom April 2023 eine unscheinbare, aber inhaltsschwere Tabelle B 1-1 neu aufgenommen. Dort steht für die Messgröße Kalium: „Die Verwendung von Serum ist ungeeignet.“ Als Untersuchungsmaterialien werden nur noch Heparinplasma und Vollblut (ggf. mit geeigneten Antikoagulanzien) genannt [1]. Die Rationale dahinter ist, dass beim Gerinnungsvorgang Kalium aus Thrombozyten freigesetzt wird. Dies kann insbesondere bei Patient:innen mit Thrombozytose zu falsch hohen Kaliumwerten führen.
Das wird ja wohl kein großer Aufwand sein, und die Frist für die Umstellung geht noch bis Frühjahr 2026. Da gibt man einfach in sein Laborinformationssystem bei Kalium als Probenmaterial „Li-Hep“ ein, und schon erhöht sich die Anzahl der Probenröhrchen für klinisch-chemische Messgrößen um 70 %! Im Setting unseres Krankenhauslabors ist das die Anzahl der Aufträge, in denen neben anderen Laborwerten auch Kalium aus Serum angefordert wurde. Ganz nebenbei bedeutet das zusätzliche Röhrchen eine etwa zehnfache Preissteigerung für eine Kaliumbestimmung, die normalerweise im Bereich von einem Cent eingekauft wird. Und es konterkariert die Bemühungen, im Rahmen des Patient Blood Management Anzahl und Volumen von Blutproben zu verringern.
Neues Referenzintervall
Zu Ende gedacht ist die schlüssige Vorgehensweise, bei allen Messgrößen, für die nicht ausdrücklich Serum erforderlich ist, Lithium-Heparin-Plasma zu verwenden. Somit wird Plasma statt Serum zum Standardmaterial erhoben – ein Schritt, den wir im St. Franziskus-Hospital Münster vor gut einem Jahr gegangen sind. Lithium-Heparin-Röhrchen sind nur unwesentlich teurer als Serumröhrchen, sodass sich die mit der Umstellung verbundene Kostensteigerung in Grenzen hielt.
Erwartungsgemäß sollten die Kaliumwerte bei der Messung aus Plasma niedriger sein als bei der vorher üblichen Messung aus Serum. Zur Überprüfung wurden die Messergebnisse je zwei Monate vor und nach der Umstellung ausgewertet – jeweils circa 18.000 Werte. Hierzu verwendeten wir die aktuelle Version 1.1.0 des Softwarepakets reflimR, das kostenlos aus dem Internet geladen werden kann [2].
Die Kaliumwerte aus Plasma lagen im Mittel um etwa 0,2 mmol/L niedriger als diejenigen aus Serum (Abb. 1).
Die aus den eigenen Routinewerten ermittelten Referenzintervalle lagen für Serum bei 3,4 bis 5,1 mmol/L und für Heparinplasma bei 3,2 bis 4,9 mmol/L. Wie die Ampelfarben in Abb. 2 signalisieren, liegt der Unterschied von 0,2 mmol/L an der Grenze der medizinisch erlaubten Unsicherheit (Permissible Uncertainty).
Um diese Differenz sauber abzubilden, wurde in den Stammdaten ein neuer Parameter „Kalium (Li-Hep)“ mit angepassten Referenzintervallen angelegt. Diese Doppelung des Untersuchungsverfahrens erlaubte vor allem in der Umstellungsphase die Darstellung beider Ergebnisvarianten auf Kumulativbefunden mit korrekten Referenzbereichen.
Grund für die unterschiedliche Wertelage ist wie erwähnt die Freisetzung von intrazellulärem Kalium aus Thrombozyten während des Gerinnungsvorgangs. Als Daumenregel gilt, dass pro 100 G/L Thrombozyten 0,1 mmol/L Kalium ins Serum ausgeschüttet werden (Abb. 3).
Somit erklärt sich die in Abb. 1 gezeigte Erhöhung um 0,2 mmol/L im Serum aus einem mittleren Thrombozytengehalt von 200 G/L.
Bei Gesunden lässt sich dieser Unterschied überschlägig durch die Anpassung des Referenzintervalls kompensieren; bei Kranken können jedoch durchaus Thrombozytenzahlen von mehreren hundert G/L vorkommen (z. B. bei Infektions- und Krebserkrankungen), die den Kaliumwert stark verfälschen und eine Hyperkaliämie vortäuschen oder – was noch schwerer wiegt – eine Hypokaliämie kaschieren können.
Umstellung auf Heparinplasma
Die erste Maßnahme zur Vorbereitung der Umstellung bestand darin zu ermitteln, welche Analyten überhaupt aus Heparinplasma gemessen werden dürfen. Dies ist den Testvorschriften der Hersteller zu entnehmen. In unserem Fall waren das praktisch alle Tests der Klinischen Chemie und Immunometrie bis auf Anti-TSHR (TRAK). Nachfragen beim Hersteller, ob die Messung nicht doch aus Plasma möglich sei und die Zulassung des Assays entsprechend aktualisiert werden könne, verliefen im Sande. Also werden bei der Untersuchung auf Anti-TPO und Anti-TSHR zwei Probenröhrchen fällig. Das führt immer wieder zu Rückfragen, vor allem aus der Kinderklinik, lässt sich aber im Zeitalter der IVDR nicht anders lösen.
Alle anderen von uns bisher aus Serum gemessenen Analyten dürfen regelkonform auch aus Plasma gemessen werden – das Problem war nicht so groß wie erwartet. Die zugelassenen Probenmaterialien können von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sein. Bei der Einführung neuer Messgrößen kann die Frage, ob sie aus Plasma gemessen werden dürfen, in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen.
Für die Serumeiweißelektrophorese muss – wie der Name nahelegt – ggf. eine zusätzliche Serumprobe abgenommen werden: Der Fibrinogen-Peak im Bereich zwischen der Beta- und Gammaregion stört bei der Interpretation der Kurve, wenn die Fragestellung der Ausschluss einer monoklonalen Gammopathie ist.
Bei der Zusammenarbeit mit einem Partnerlabor ist zu erfragen, welches Probenmaterial dort verlangt wird. Das kann dazu führen, dass für den Versand weiterhin eine Serumprobe abgenommen werden muss. Denn viele Einsendelabore arbeiten noch immer mit Serum als Probenmaterial.
Intensivstation und Notaufnahme
Nebenbei löste die Umstellung ein altes Problem. Die Intensivstation und die Notaufnahme verwendeten bisher schon Heparinplasma als Probenmaterial: Zum einen verkürzt sich dadurch die Laborantwortzeit, weil die Gerinnung des Probenmaterials nicht abgewartet werden muss, und zum anderen ist Serum bei hoch antikoagulierten Patient:innen oftmals problematisch, weil die Gerinnungshemmung nur geliertes, aber nicht durchgeronnenes Material erzeugt. Dieser Zwiespalt ist im Krankenhauslabor eher die Regel als die Ausnahme, erledigt sich aber bei durchgehender Verwendung von Lithium-
Heparin-Plasma von selbst.
Gesamteiweißbestimmung
Mit dem Thema Fibrinogen eng verbunden ist der Einfluss des Probenmaterials auf die Gesamteiweißbestimmung. Bei der Messung aus Plasma ist das Fibrinogen mit enthalten, das im Serum nach abgelaufener Gerinnung im Koagel steckt und fehlt. Eine Messung von Gesamteiweiß aus Lithium-Heparin-Plasma ist laut Herstellerangabe zulässig, alle angegebenen Referenzwerte beziehen sich aber auf Serum. Daher wurden auch hier aus unseren Routinedaten – jeweils zwei Monate vor und zwei Monate nach der Umstellung – neue Referenzgrenzen ermittelt.
Für Serum lag das Referenzintervall bei 5,1 bis 8,3 g/dL, für Plasma bei 5,2 bis 8,5 g/dL. Der Bereich verschiebt sich also um ca. 0,2 g/dL oder 200 mg/dL nach oben – also in einer Größenordnung, die man bei der Fibrinogenkonzentration erwartet. Allerdings kann Fibrinogen als Akute-Phase-Protein und im Rahmen von Gerinnungsentgleisungen stark schwanken. Im Routinebetrieb hat dies bisher nicht zu Auffälligkeiten geführt.
Da die Gesamteiweißkonzentration üblicherweise benutzt wird, um die prozentualen Ergebnisse der Proteinfraktionen aus der Serumeiweißelektrophorese in Absolutzahlen umzurechnen, sollte zu diesem Zweck eine zweite Gesamteiweißmethode für die Messung aus Serum eingerichtet werden.
Infektionsserologie
Es empfiehlt sich, für infektionsserologische Untersuchungen, die häufig auf integrierten Analysesystemen im Immunchemiemodul gemessen werden, weiterhin ein separates Probenröhrchen vorzusehen. Um eine mögliche Verschleppung bei hochpositiven Proben auszuschließen, werden diese Tests im Rahmen der Workflow-Optimierung auf unserem Gerät zuerst gemessen. Wenn nun Routineanalysen wie die Troponinbestimmung aus demselben Röhrchen angefordert werden, verzögert sich die Abarbeitung entsprechend. Zumindest im Krankenhauslabor, wo es auf Geschwindigkeit ankommt, ist das ungünstig.
Wenn Plasma das Serum als Standardprobenmaterial ersetzt, ergibt sich eine nomenklatorische Herausforderung: Der Begriff Serum wird häufig als Synonym für Blutuntersuchungen im Allgemeinen verwendet, was bis vor Kurzem auch korrekt war. Bei Arzneimitteln ist zum Beispiel häufig von Serumkonzentrationen die Rede, obwohl in vivo natürlich nur Plasmakonzentrationen vorliegen können.
Das Serum ist tief in Bezeichnungen wie „Neurofilament-Leichtketten im Serum (sNfL)“ oder „sonstige immunologische Serumbefunde“ (ICD-Code R76.8) eingewoben. Diese Begriffe dürften bei Messungen aus Plasma korrekterweise nicht verwendet werden.
Wie sich dies in Zukunft anpasst, bleibt abzuwarten. In der Immunhämatologie lebt die „Serumgegenprobe“ weiter, obwohl dort schon vor Jahren auf EDTA-Plasma als Probenmaterial umgestellt wurde. Das kann man auch als liebgewonnene Folklore betrachten. Die Kreuzprobe heißt außerhalb von immunhämatologischen Laboratorien immer noch Kreuzprobe, obwohl schon seit Jahrzehnten nicht mehr „gekreuzt“ untersucht wird.
Fazit
Immerhin scheint sich der Aufwand zu lohnen. Eine Mitarbeiterin der Onkologie stellte kürzlich fest: „Seit der Umstellung sind die Kaliumwerte viel besser geworden.“ Kein Wunder, haben doch Krebspatient:innen häufig stark erhöhte Thrombozytenzahlen, die den Kaliumwert um bis zu 1 mmol/L erhöhen können. Und unsere Apotheke beobachtete, dass nach der Umstellung kaliumhaltige Brausetabletten messbar häufiger eingesetzt wurden. Das ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass durch Wegfall der Thrombozytenstörung mehr Hypokaliämien entdeckt wurden.
Nun bleibt gespannt abzuwarten, wann die Bundesärztekammer nach dem kleineren Problem der Kaliummessung aus Serum das Riesenproblem falsch-hoher Kaliumwerte durch zu lange Probentransportzeiten in Angriff nimmt. Um das richtig zu gewichten, muss man in der Bibel wohl nicht in der Weihnachtsgeschichte, sondern im Matthäusevangelium nachlesen. Denn das könnte womöglich zu „Heulen und Zähneknirschen“ führen.