Diagnostik und Therapie der Tuberkulose: Von Rückschlägen und Fortschritten
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2025.03.02Die international vereinbarten Ziele zur Beendigung der globalen Tuberkulose-Epidemie wurden durch die COVID-19 Pandemie um sieben Jahre zurückgeworfen. Zuletzt ist die Tuberkulose wieder auf Platz 1 der weltweit tödlichsten Infektionskrankheiten zurückgekehrt. Die Entwicklung neuer verkürzter Therapieregime sowie schnellere, automatisierte Tests zur raschen Diagnostik und Resistenztestung geben dennoch Hoffnung für eine tuberkulosefreie Zukunft.
Schlüsselwörter: Antibiotika, Resistenzen, BPaLM, BDLLfxC, Mikroskopie, Kultur, NAT, WGS, tNGS
Weltweit erkranken nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr mehr als zehn Millionen Menschen an Tuberkulose (TB) – davon etwa 10 % Kinder (Tab. 1) [1].
Tab. 1: Eckdaten der globalen TB-Epidemiologie für 2023 [1].
10,8 Millionen | geschätzte Anzahl neuer TB-Fälle |
56 % | der 10,8 Mio. TB-Fälle fallen auf fünf Länder: Indien, Indonesien, China, Philippinen und Pakistan |
1,25 Millionen | Tote durch TB |
8,1 Millionen | der geschätzten 10,8 Mio. TB-Fälle wurden diagnostiziert und gemeldet, das heißt, die weltweite Lücke unentdeckter TB-Fälle beträgt 2,7 Mio. |
400.000 | geschätzte Anzahl an RR-/MDR-TB |
176.000 | der geschätzten 400.000 RR-/MDR-TB-Fälle wurden diagnostiziert und therapiert |
88 % bzw. 68 % | der medikamentensensiblen bzw. der RR-/MDR-TB wurden erfolgreich behandelt |
Mit 1,25 Millionen Toten hat die Tuberkulose im Jahr 2023 wieder den traurigen Platz der weltweit häufigsten Todesursache durch einen einzelnen Infektionserreger eingenommen. Die Beendigung der globalen TB-Epidemie – wie von der WHO in der End-TB-Strategie als Ziel gesetzt – liegt in ferner Zukunft. Eine besondere Herausforderung stellen resistente TB-Formen dar. Schätzungsweise 400.000 Menschen sind 2023 an einer multiresistenten TB (MDR-TB) mit Resistenz gegenüber Rifampicin (RIF) und Isoniazid (INH) oder einer RIF-resistenten TB (RR-TB) erkrankt [1].
Im globalen Vergleich gehört Deutschland mit einer Inzidenz von 5,2 Fällen pro 100.000 Einwohnern zu den Niedriginzidenzländern – auch wenn zuletzt sowohl ein Anstieg der absoluten Zahlen als auch ein deutlicher Anstieg der RR-/MDR-TB auf 6,8 % verzeichnet wurde [2]. Letzteres ist unter anderem bedingt durch eine hohe Resistenzrate unter ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland. Dies zeigt, dass die epidemiologische Situation hierzulande durch internationale Migration und Mobilität aus Krisengebieten mitbestimmt wird. Die TB bleibt somit auch in Deutschland eine Herausforderung.
Erfolge bei neuen Therapieschemata
Die TB ist eine überwiegend gut behandelbare Erkrankung. Dies trifft vor allem auf die medikamentensensible TB zu, die standardmäßig mit INH, RIF, Ethambutol (EMB) und Pyrazinamid (PZA) für zwei Monate, gefolgt von INH und RIF für vier Monate, therapiert wird [3]. Die Behandlung einer RR-/MDR-TB bzw. einer präextensiven/extensiven TB (prä-XDR/XDR-TB) ist dagegen deutlich komplexer und langwieriger und auch mit mehr Nebenwirkungen behaftet. In Deutschland wurde bis vor zwei Jahren eine individualisierte, an das Resistenzprofil angepasste Therapie über mindestens 18 Monate empfohlen [3]. In den vergangenen zehn Jahren hat die verstärkte Forschung nach neuen Medikamenten und Kombinationen den Weg für die Entwicklung mehrerer innovativer, verkürzter Therapieregime geebnet. Basierend auf verschiedenen klinischen Studien (u. a. Nix-TB, ZeNix und TB-PRACTECAL) wird für die Therapie der RR-/MDR-TB von der WHO seit 2022 nun vorrangig die fixe Medikamentenkombination BPaLM (Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin) über sechs Monate empfohlen (außer bei Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren, Schwangeren sowie komplizierten extrapulmonalen oder disseminierten TB-Formen) [4]. Seit 2023 empfehlen auch die deutschen Leitlinien die BPaLM-Therapie, sofern bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind und keine weiteren Resistenzen gegen Medikamente dieser Kombination vorliegen [5]. Die Vorteile der verkürzten, rein oralen Therapie bei RR-/MDR-TB sind eine bessere Verträglichkeit und weniger Therapieabbrüche bei mindestens gleicher Wirksamkeit gegenüber langen Therapieschemata. Es ist zu erwarten, dass auch weitere alternative Regime – wie das seit 2024 von der WHO auch für Kinder, Jugendliche und Schwangere empfohlene Sechs-Monats-Therapieregime BDLLfxC, bestehend aus Bedaquilin, Delamanid, Linezolid, Levofloxacin und Clofazimin [6] – in Deutschland zügig auf Anwendbarkeit geprüft wird.
Alte und neue Methoden in der Mykobakteriendiagnostik
Nur wenn eine TB diagnostiziert wird, kann sie auch therapiert werden. Ziel einer modernen TB-Diagnostik sind daher der rasche Direktnachweis des Erregers sowie eine schnelle Aussage zum Resistenzprofil (Abb. 1). Nukleinsäureamplifikationstests (NAT) sind unverzichtbarer Teil einer schnellen TB-Diagnostik. Komplettiert werden sie durch die konventionellen Methoden Mikroskopie und Kultur. Eher neu im diagnostischen Algorithmus sind Next Generation Sequencing (NGS)-Technologien.
Altbewährte Methoden: Mikroskopie und Kultur
Viele globale TB-Programme und auch aktuelle Standards zur TB in Deutschland vertrauen noch der Mikroskopie als erstem schnellen Test [3]. Die Mikroskopie hat allerdings Limitationen – insbesondere eine niedrige Sensitivität von knapp 50 %, die nur ab einer Keimlast von ca. 104/mL Sputum überhaupt den Nachweis säurefester Stäbchen zulässt. Zudem erlaubt sie keine Unterscheidung zwischen TB-Bakterien und nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM), was angesichts hoher NTM-Inzidenzen in deutschen Laboren (ca. fünf pro 100.000) [7] problematisch ist. Einer erstmalig positiven Mikroskopie sollte daher immer eine direkte molekularbiologische Abklärung folgen. Insgesamt spielt die Mikroskopie für die Erstdiagnostik einer TB eine untergeordnete Rolle; sie ist jedoch hilfreich bei der Verlaufskontrolle unter Therapie und bietet eine Orientierung zur Einschätzung der Infektiosität [3]. Wichtig: Auch mikroskopisch negative Patient:innen sind infektiös und für knapp 20 % aller Transmissionen verantwortlich [8].
Die kulturelle Untersuchung ist weiterhin Goldstandard der TB-/Mykobakteriendiagnostik (Abb. 1) [3].

Abb. 1: Flussdiagramm der TB-Diagnostik mit mikroskopischen, kulturellen und molekulargenetischen Untersuchungsverfahren. Abkürzungen:
FQ = Fluorchinolone; INH = Isoniazid; MTBK = Mycobacterium tuberculosis-Komplex; NAT = Nukleinsäureamplifikationstest; NTM = nichttuberkulöse Mykobakterien; RIF = Rifampicin; TB = Tuberkulose; tNGS = Targeted Next Generation Sequencing; WGS = Whole Genome Sequencing.
Sie ist zwar langsam (bis zum kulturellen Wachstum von TB-Erregern dauert es durchschnittlich zwei bis drei Wochen), vereint allerdings mehrere Vorteile:
- Semiautomatisierte Flüssigkultursysteme zeigen mit einer Nachweisgrenze von ein bis fünf Bakterien/mL Probe die höchste technische Sensitivität.
- Der Nachweis vermehrungsfähiger TB-Bakterien beweist das Vorliegen einer aktiven TB.
- Die Gewinnung eines Kulturisolats ermöglicht die weitere Differenzierung innerhalb des Mycobacterium tuberculosis-Komplexes (MTBK), zum Beispiel M. tuberculosis, M. africanum, M. bovis und M. caprae beziehungsweise die Differenzierung einer NTM-Spezies.
- Aus einer positiven Kultur kann eine phänotypische Empfindlichkeitstestung aller zur Therapie verfügbaren Medikamente durchgeführt werden.
NAT zum Direktnachweis von TB-Bakterien inklusive Resistenz
Eine Untersuchung mittels NAT sollte bei jedem Verdacht einer TB zur Erstdiagnostik angefordert werden [9]. NAT sind schnell, hochspezifisch und sensitiv. Mittlerweile sind zahlreiche Testsysteme kommerziell verfügbar; sie reichen von manuellen NAT über automatisierte Testsysteme von mittlerer Komplexität bis hin zu vollintegrierten kartuschenbasierten Systemen. Die Sensitivität solcher NAT beträgt bei mikroskopisch positiven Proben nahezu 100 %; ein negatives NAT-Ergebnis bei gleichzeitig positiver Mikroskopie weist also auf NTM hin (Abb. 1). Bei mikroskopisch negativen, keimarmen Proben beträgt die Sensitivität ca. 60 bis 80 % [10, 11], das heißt, ein negatives NAT-Ergebnis schließt eine TB nicht aus. NAT sind insbesondere wichtig bei allen invasiv gewonnenen und pauzibazillären Proben wie Biopsien, Punktaten oder Liquor, um das ganze Potenzial der Diagnostik auszuschöpfen.
Viele NAT ermöglichen mittlerweile – entweder parallel zum oder im direkten Anschluss an den Nachweis von MTBK-DNA – eine Testung auf genetische Resistenzmarker für RIF oder für RIF plus INH. Die zusätzliche Testung auf INH-Resistenz hat den Vorteil, dass auch INH-monoresistente Stämme detektiert werden, die weltweit etwa 8 % aller TB-Fälle ausmachen [12]. Beim Nachweis jeglicher Resistenz gegen RIF und/oder INH sollte vor Beginn einer Therapie zusätzlich auf Resistenz gegen Fluorchinolone (FQs) getestet werden; auch dies ist mittels CE-markierter NAT möglich. Zur Resistenztestung von Medikamenten der verkürzten RR-/MDR-TB-Therapie wie Bedaquilin, Linezolid oder Pretomanid sind keine NAT verfügbar.
Das Fehlen einer RIF-, INH- oder FQ-Resistenz-assoziierten Mutation mittels NAT schließt eine Resistenz nicht aus – ganz einfach deshalb, weil NAT nur eingegrenzte Sequenzbereiche bzw. die häufigsten Mutationen abdecken. Das Restrisiko für Resistenz ist bei einem sensiblen NAT-Ergebnis für RIF niedrig (< 5 %), für INH und FQ etwas höher (< 10 %) [9, 13].
Umfangreiche Resistenzprofile mit phänotypischer Testung oder NGS
Für eine umfassende Empfindlichkeitstestung werden in Deutschland üblicherweise phänotypische, kulturbasierte Empfindlichkeitstestungen durchgeführt. Sie basieren auf regelmäßig aktualisierten WHO-Empfehlungen über zu testende Medikamente und zu verwendende Grenzwerte – wie zuletzt bei der Einführung der Pretomanid-Testung [14]. Diese Methoden sind umfangreich validiert, gut standardisiert und insgesamt – bis auf einige Einschränkungen bei EMB und PZA – als sehr verlässlich anzusehen. Allerdings ist selbst mit den schnelleren Flüssigkulturverfahren frühestens sieben bis zehn Tage nach Testansatz mit einem Ergebnis zu rechnen.
Hier kommen moderne NGS-Technologien ins Spiel. Die Gesamtgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing; WGS) bietet die größten Möglichkeiten für eine umfassende Bestimmung des „Resistoms“, d. h. aller in einem Bakterienstamm vorliegenden Resistenzen gegen Antituberkulotika. Die Interpretation der gefundenen Mutationen folgt dabei einem einheitlich validierten Katalog der WHO, der 2021 erstmals veröffentlicht wurde und seither regelmäßig aktualisiert wird [15]. Nachteil des WGS ist, dass die Technologie noch auf eine Kultur als Primärprobe angewiesen ist. Dagegen kann das targeted NGS (tNGS) direkt aus klinischen Proben durchgeführt werden, da hierbei parallel eine Vielzahl resistenzassoziierter Regionen des Erregergenoms zunächst in einer Multiplex-PCR amplifiziert und dann erst auf der NGS-Plattform sequenziert werden. Mittlerweile gibt es schon kommerziell verfügbare tNGS-Produktlösungen, die sich insbesondere bei mikroskopisch positiven Proben als robust erwiesen haben [16].
Fazit
Seit der Einführung der sechsmonatigen, antituberkulösen Therapieregime ist eine ultraschnelle TB-Diagnostik von größter Bedeutung. Während der Mikroskopie kaum noch eine diagnostische Wertigkeit zukommt, werden die NAT immer mehr an Bedeutung gewinnen, insbesondere als Entscheidungshilfe bei der Frage, ob das relativ aufwendige und teure tNGS im individuellen diagnostischen Algorithmus eingesetzt werden soll oder nicht.