Von der grundsätzlichen Anwendungsmöglichkeit einer Methode als laboratoriumsmedizinische Untersuchung bis zur Etablierung in der medizinischen Versorgung ist es ein weiter Weg. Die Technologie Kernspinresonanzspektroskopie (Nuclear Magnetic Resonance, NMR) wird bereits seit Jahrzehnten erfolgreich u. a. für die Strukturaufklärung chemischer Verbindungen eingesetzt, jedoch ohne direkte Verbindung in die medizinische Versorgung von Patient:innen. Als Magnetresonanztechnologie (MRT) ist die Technologie jedoch in der medizinischen Bildgebung fest etabliert. Hier werden i. d. R. einstellige Feldstärken eingesetzt. Wenn man höhere Feldstärken mit bis zu ca. 14 Tesla verwendet, ist inzwischen eine zuverlässige und standardisierte Quantifizierung von Metaboliten möglich und eröffnet damit den Einsatz bei laboratoriumsmedizinischen Fragestellungen. Dieser Einsatz erfolgt jedoch bisher vorwiegend im Forschungskontext, z. B. in epidemiologischen Kohorten.
Das Besondere einer NMR-spektroskopischen Untersuchung besteht in der zeitgleichen und standardisierten Erfassung hunderter Messgrößen. Darunter sind in der Medizin seit Langem etablierte Metabolite wie Glukose und Kreatinin, aber auch Messgrößen, die bisher nur schwer oder gar nicht im Rahmen etablierter laboratoriumsmedizinischer Hochdurchsatzverfahren erfassbar sind. Neben kleinen Metaboliten können beispielsweise auch Aminosäuren, Proteine und Lipoproteinsubfraktionen erfasst und quantifiziert werden. Eine Untersuchung dauert je nach Protokoll zwischen 15 und 30 Minuten, das eingesetzte Probenvolumen beträgt ca. 300 µl und hängt u. a. vom verwendeten Durchmesser der eingesetzten Kapillaren ab. Der großen Informationsdichte einer einzelnen Messung stehen die hohen Gerätekosten sowie der bisher relativ geringe Automatisierungsgrad gegenüber.
Große Anzahl an erfassten Messgrößen
Das Potenzial, aber auch die Herausforderungen der NMR-Spektroskopie als laboratoriumsmedizinische Untersuchung, leiten sich aus der großen Anzahl der erfassten Messgrößen sowie der damit verbundenen Komplexität der Aussagekraft ab. Klassische laboratoriumsmedizinische Messgrößen werden einzeln betrachtet und für den medizinischen Einsatz evaluiert und qualitätsgesichert nach etablierten Regeln berichtet. Für jede Messgröße gibt es Reagenz, einen Kalibrator sowie davon unabhängige Qualitätskontrollen. Darüber hinaus unterliegen diese Messgrößen in vielen Fällen der externen Qualitätssicherung. Den Anwender:innen, also dem behandelnden ärztlichen Personal, werden Messgrößen-spezifisch Referenzbereiche oder medizinische Bewertungsgrenzen zur Verfügung gestellt. Diese Konzepte sind grundsätzlich auch in der NMR-Spektroskopie auf einzelne Messgrößen anwendbar – mit dem Vorteil, dass in einer Messung zahlreiche Messgrößen erfasst werden können.