Multiplexdiagnostik: Wollen wir ein Recht auf Nichtwissen?

Ein Credo in der Forschung war lange Zeit, dass am Anfang aller Experimente eine Hypothese stehen muss, die es zu beweisen gilt. Auch beim Einsatz der verschiedenen Omics-Ansätze wird am Anfang eine spezifische Fragestellung vorhanden sein. Aber selbst wenn diese gelöst werden kann, hat man am Ende viele Daten, aus denen neue gezielte Fragen abgeleitet werden können. Es bleiben oft zahlreiche Assoziationen, die man nicht erwartet hätte und bei denen man erst mal nicht so recht weiß, wie man damit umgehen soll.

 

Das Recht auf Nichtwissen

Bei Laboruntersuchungen wird der Umgang mit einem Zufallsbefund juristisch thematisiert und ein Recht auf Nichtwissen postuliert. Zum Teil werden sogar aktiv Ergebnisse von Geräten und Software unterdrückt, die nicht angefordert waren. Was aber, wenn man in der Hausarztpraxis bei der klinischen Untersuchung einer Person mit einer Aphthe im Mund ein Melanom am Rücken entdeckt? Würden Mediziner:innen dies auch als Zufallsbefund für sich behalten oder den Betroffenen möglicherweise doch das Leben retten, indem das Recht auf Nichtwissen ignoriert und zur Operation geraten wird?

Zugegeben ist dies sehr spitz und wohl auch übertrieben formuliert. Ich denke aber, der Umgang mit möglichen Zufallsbefunden in der Labordiagnostik sollte ethisch zum Wohle der zu Behandelnden nochmal überdacht werden. Bei den in den folgenden Artikeln des Schwerpunktes „Multiplexdiagnostik“ dargestellten Methoden werden hunderte bis tausende – potenziell lebens­bedrohliche – Zufallsbefunde generiert. Insbesondere genetische Multiplexanalysen wie Next Generation Sequencing führen zu unzähligen, oft nützlichen Zufallsbefunden. Wir sollten keine Angst haben vor den riesigen Datenmengen, die durch Multi­plexing generiert werden, und vor allem keine Ängste schüren. Für Genomics sieht es aktuell so aus: Findet man alle bekannten Risikomutationen für kardiovaskuläre Erkrankungen bei einer Patientin, so ist das Risiko kaum höher, an einem Herzinfarkt zu sterben, als wenn ein klassischer Risikofaktor vorhanden ist, also z. B. wenn sie bei der Frage beim Hausarzt „Rauchen Sie?“ mit „Ja“ antworten muss.

 

Multiplexdiagnostik auf dem Vormarsch

Die Zukunft der Labormedizin wird in vielen Bereichen anders aussehen als jetzt. Die Multiplexdiagnostik, bei der man mit wenigen Millilitern oder sogar nur Mikro­litern Blut hunderte oder tausende von Ergebnissen generieren kann, wird hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Jetzt schon allgegenwärtig im Routinelabor sind Multiplex-PCRs in der Infektionsdiagnostik, wie im Artikel von Franziska Arnold und Hartmut Campe dargestellt. Insbesondere seit der Coronavirus-Pandemie wurden Tests und Geräte weiterentwickelt und sind schnell, automatisiert und günstig.

Die Multiplexdiagnostik für Immunoassays steht für den Nachweis der spezifischen IgE-Antikörper in der Allergiediagnostik und mit einer geringeren Anzahl von Parametern auch für den Nachweis von Autoantikörpern in der Routine zur Verfügung.

Die Massenspektrometrie besitzt viele Voraussetzungen für den Einsatz in der Routinediagostik. Sie ist quasi eine Vorzeigemethode dafür, wie aus minimalsten Blutmengen mit hoher Selektivität, Sensitivität und Reproduzierbarkeit Biomarker bestimmt werden können. Julian Gebauer und Peter Findeisen beschreiben neben den vielen Möglichkeiten zur Multiplexdiagnostik auch die Einschränkungen der Methode.

Der Einsatz der Matrix-assisted laser desorption time-of-flight-Massenspektrometrie (MALDI-TOF-MS) ist im mikrobiologischen Labor für die Identifizierung von Infektionserregern nicht mehr wegzudenken. Sie eignet sich auch sehr gut für andere Anwendungen wie den sensitiven Nachweis von einzelnen Nukleotidveränderungen im Multiplexansatz, beschrieben im Artikel von Thomas Alef, Jens Verheyen und Bernhard Thiele.

Am weitesten entfernt von der Routinediagnostik in der Labormedizin ist derzeit noch die NMR (Nuclear magnetic resonance – Kernspinresonanzspektro­skopie), die in der Radiologie mit der Kernspintomographie schon lange in der Routine etabliert ist. Prinzipiell kann man über Kernspinresonanzspektren von humanem Serum und Plasma viele Daten aus kleinsten Probenmengen in einem Testansatz gewinnen. Astrid Petersmann gibt in ihrem Artikel einen Überblick über das Potenzial der Methode und die Herausforderungen, die es zur festen Etablierung in der Labormedizin noch zu bewältigen gilt.