Ein umfassendes Bild der Hämostase

Thrombinbildungs-Assays

Die heute üblichen Gerinnungs-Globaltests stoppen bereits, wenn nur wenige Prozent des verfügbaren Thrombins gebildet wurden; alle nachfolgenden Prozesse bleiben unerkannt. Thrombinbildungs-Assays liefern hier ein weit umfassenderes Bild der Hämostase. Aus dem Kurvenverlauf kann man sowohl eine Blutungs- oder Thromboseneigung ablesen als auch Medikamentenwirkungen erkennen, die den herkömmlichen Gerinnungstests unzugänglich sind.

Schlüsselwörter: Globaltests, Thrombingenerierung, Aktivatoren, Inhibitoren, Antikoagulanzien

Bereits in den 1950er-Jahren wurde der gesamte zeitliche Verlauf der Gerinnsel­bildung nach Stimulation des Gerinnungs­systems als mögliches Testprinzip untersucht. Allerdings geriet dieser Gedanke aufgrund des hohen technischen Aufwandes für die Quantifizierung des Fibrino­genumsatzes wieder in Vergessenheit. Einfachere Methoden, insbesondere PTZ und aPTT, bei denen lediglich die Zeit bis zum Eintritt der Fibrinbildung bestimmt wird, standen für lange Zeit als Routinemethoden im Vordergrund. Hierbei kamen unphysiologisch hohe Aktivator­konzentrationen zum Einsatz, die kurze Messzeiten und hohe Reproduzierbarkeit ermöglichten.

Mit zunehmendem Verständnis der Abläufe im Gerinnungssystem von der ini­tialen Aktivierung bis zur Clotstabilisierung und Fibrinolyse stieg ab den 1990er-Jahren der Bedarf an Methoden, die jeden einzelnen Prozess zuverlässig abbilden. Verstärkt wurde dieser Wunsch durch die Entdeckung genetischer Varianten, etwa der APC-Resistenz und der Prothrombin­variante 20210GA sowie der moderierenden Wirkung von prothrombotischen Muta­tionen auf die Blutungsneigung von Hämophiliepatienten. Auch die Wirkung neuerer Antikoagulanzien wie etwa der Penta­saccharide und Hirudine konnte mit den klassischen Assays nur unzureichend abgebildet werden. Deshalb entwickelte die niederländische Arbeitsgruppe um Coenraad Hemker den Thrombinbildungstest[1, 2], der den gesamten Gerinnungsprozess mit einem Fokus auf die Balance zwischen pro- und anti­koagulatorischen Entitäten vollumfänglich abbildete.

Physiologische Aktivierung

Die Aktivierung erfolgt bei diesem Assay mit rekombinantem Tissue Factor in Konzentrationen von 0,5 bis 5 pmol/l; für die PTZ werden ca. 500 pmol/l verwendet. Bei sehr geringen Aktivatorkonzentrationen ist die Thrombinbildung auf die Feedback-Mechanismen über FVIII, FIX und FXI angewiesen, die nun im Test miterfasst werden können. Zu einem bestimmten Grad gehen auch die physio­logischen Inhibitoren (Anti­thrombin, Protein S, Pro­tein C und TFPI) in das Testergebnis mit ein, wenn man eine deutlich verlängerte Messdauer von 40 bis 120 Minuten akzeptiert. Um die physiologische Aktivierung möglichst naturgetreu zu imitieren, wird der Tissue Factor an Lipidvesikel gebunden zum Testansatz hinzugefügt. Das verhindert seine Denaturierung und Aggregation und verbessert die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse.

„Ineffizientes" Substrat

Durch die stark verlängerte Messdauer werden herkömmliche Thrombinsubstrate während der Messung vorzeitig und vollständig verbraucht. Eine adäquate Erhöhung der Konzentrationen kommt nicht infrage; sie würde selbst modernste optische Messsysteme überfordern.

Bei der Suche nach synthetischen Ersatzstoffen schieden hochaffine Substrate ebenfalls aus, weil sie als kompetitive Inhibitoren gegenüber den physiologischen Substraten wirkten. Die Anwendung eines vergleichsweise ineffizienten (sprich langsam reagierenden und niedrig affinen) Substrats wie zum Beispiel des fluoreszenzmarkierten Tripeptids Gly-Gly-Arg-X löste die genannten Probleme auf elegante Weise.

Nachweisverfahren

Licht wird in einer Plasmaprobe von zwei Mechanismen attenuiert: Streuung durch Fibrin, Plättchen und Lipide sowie Absorption durch die Eigenfärbung des Plasmas. Basiert die Bestimmung der Thrombinbildung auf einer Durchlichtmessung, so überlagert die Bildung von Fibrin durch Thrombin das Mess­signal. Aufgrund der starken Trübung kann außerdem kein plättchenreiches Plasma eingesetzt werden.

Verwendet man dagegen ein fluoreszenzbasiertes Substrat, so entfallen diese Einschränkungen. Das Fluoreszenzsignal wird durch die Lichtstreuung nicht beeinflusst; die Absorption wirkt sich dann zwar immer noch auf das einfallende und abgestrahlte Licht aus, doch dieser „Inner Filter Effect" kann mithilfe eines Kalibrators korrigiert werden.

Zu beachten ist auch der Einfluss des Thrombininhibitors α2-Makro­globulin auf den Test. Während dieses Protein die Spaltung natürlicher, hochmolekularer Substrate wie Fibrinogen hemmt, beeinflusst es die Spaltung des synthetischen Substrats nicht, sodass die Thrombinaktivität zu hoch gemessen wird. Dieser Anteil muss aus dem Ergebnis herausgerechnet werden; für kommerzielle Assays wird dafür eine Softwarelösung angeboten, die aber gelegentlich zu nicht auswertbaren Messungen führt.

Das neue Hämostasemodell

Mit der Jahrtausendwende änderte sich das Verständnis der Gerinnungsprozesse grundlegend. Das klassische Wasserfall-Modell, bestehend aus intrinsischem und extrinsischem System sowie gemeinsamer Endstrecke, wurde in ein zellbasiertes Modell überführt[3]; wegen der Phospholipid­abhängigkeit vieler Gerinnungsprozesse finden die genannten Prozesse nicht wie im Reagenzglas in der wässrigen Phase, sondern nahezu ausschließlich auf der Oberfläche aktivierter Zellen, insbesondere der Blutplättchen, statt.

Das neue Hämostasemodell gliedert sich ebenfalls in drei Phasen, die jedoch anders definiert sind: Die Initiationsphase beschreibt den Weg von der Aktivierung an der Wundoberfläche bis zu den ersten Spuren von Thrombin; sie wird initiiert durch Tissue Factor und FIXa (Josso-Schleife). Es folgt die Amplifikationsphase, in der Thrombin die „Brandbeschleuniger" FV und FVIII aktiviert, sodass die Thrombinbildung durch positive Rückkopplung stark ansteigt. In der dritten, der Propagationsphase, wird über FXI und FIX die maximale Thrombinbildungsgeschwindigkeit (Thrombin Peak) erreicht. In manchen Publikationen folgt noch eine vierte Phase, in der die Thrombinbildung durch Verbrauch und Inhibition wieder abklingt.

Diese Abläufe spiegeln sich im Thrombinbildungstest nahezu exakt wider (vgl. Abb. 1). Bei der Auswertung erfasst man unterschiedliche Parameter der Messkurve. Die Verzögerungszeit (Lag Time) bis zum Eintritt erster Thrombinspuren entspricht der Initiationsphase und wird durch FVII und insbesondere FVIIa sowie ihre Gegenspieler TFPI und Protein S maßgeblich bestimmt. Zeit und Anstieg bis zum Peak (Time to Peak und Slope) korrelieren insbesondere mit FV, FVIII und FIX. Anschließend wirken sich FVIII, FIX und FXI auf den Thrombinpeak aus. Seine Höhe sowie die Fläche unter der Messkurve (AUC, Endogenes Thrombinpotenzial) korrelieren positiv mit der Prothrombinkonzentration und negativ mit dem Antithrombinspiegel.

Auch Menge und Funktion der Blutplättchen gehen in das Ergebnis ein: Sie beschleunigen die Lag Time und erhöhen die Thrombinbildungsgeschwindigkeit. Die Wirkung von Protein C und insbesondere die Resistenz gegen dessen aktivierte Form (APC) kann erst durch Zugabe von Thrombomodulin oder APC zum Testansatz dargestellt werden.

Hämophilie und Thrombophilie

Mit Thrombinbildungstests möchte man im Vergleich zu klassischen Gerinnungstests eine bessere Korrelation zwischen dem Laborbefund und dem tatsächlichen Risiko einer Blutung oder Thrombose erreichen. Auch wenn sich die Hoffnung, dies mit einem einzigen, standardisierten Testansatz zu erreichen, nicht ganz erfüllt hat, kommt man dem Ziel mit geeigneten Testadaptierungen doch recht nahe. Um beispielsweise eine hohe Sensitivität für einen Mangel an FVIII oder FIX bei der Hämophilie A bzw. B zu erreichen, eignen sich niedrig aktivierte Thrombinbildungstests (ca. 0,5 pmol/l Tissue Factor)[4]. Bei verzögerter Thrombinbildung korreliert der Thrombinpeak intraindividuell gut mit den genannten Faktorspiegeln, zeigt jedoch eine hohe interindividuelle Variabilität.

Thrombinbildung eignet sich sowohl für die Überwachung der Therapie als auch zur Dosisfindung, und auch der Einsatz sogenannter Bypassing Agents (aktivierter Prothrombinkomplex oder FVIIa) bei Hemmkörperentwicklung lässt sich gut überwachen. Schließlich konnte auch die Bedeutung der Blutplättchen bei Hämophilie mithilfe von Thrombinbildungstests gezeigt werden[4].

Die Thrombinbildung ist der einzige Globaltest, der auch die Mehrheit der thrombophilen Veränderungen anzeigen kann[5]. Hierfür sind höher aktivierte Assays im Einsatz (5 bis 10 pmol/l Tissue Factor). Eine Zugabe von Thrombomodulin oder APC erhöht die Sensitivität für Störungen im Protein-C-System. Es wurde gezeigt, dass eine verstärkte Thrombinbildung mit einem höheren Rethrombosierungsrisiko einhergeht. Plättchenreiches Plasma ist für diese Anwendung nicht zwingend nötig.

Assay, HerstellerTestspezifikationen

CAT (Calibrated

Automated Thrombogram)

Stago

fluorogen, verschiedene Aktivatoren

kalibriert für Inner Filter Effekt

manuell (Automatisierung ab 2018)

Technothrombin TGA

Technoclone

fluorogen, verschiedene Aktivatoren

manuell und vollautomatisiert

INNOVANCE ETP

Siemens Healthineers

chromogen

vollautomatisiert

Tab. 1: Kommerziell verfügbare Thrombingenerierungstests.

Antikoagulation

Eine suffiziente Antikoagulation sollte die Thrombinbildung signifikant reduzieren bzw. verzögern, ohne dass es zu Blutungen kommt. Mit steigender Zahl verfügbarer Antikoagulanzien nahm in den letzten Jahren der Bedarf und die Anzahl an Labortests zur Überwachung zu. Allerdings besteht zwischen Dosis, Spiegel und Wirksamkeit oftmals nur eine geringe Korrelation. Hier bieten sich Thrombinbildungstests für die Überwachung indirekter und direkter Antikoagulanzien[6, 7] als Globaltests an, da sie die Balance zwischen pro- und antikoagulatorischen Entitäten wiedergeben. Auf der Basis intraindividueller Veränderungen der Thrombinbildung werden Dosierung und Wirkung vergleichbar und öffnen damit den Weg zur individualisierten Therapie. Die Wirkung eines Medikaments auf die Thrombinbildung wird stark von Blutplättchen beeinflusst; deshalb wird hier die Verwendung von plättchenreichem Plasma empfohlen.

Vor- und Nachteile

Die Vorteile der Thrombinbildungstests ergeben sich aus der nahezu identischen Abbildung der in vivo stattfindenden Prozesse durch den Testverlauf. Eine Erhöhung und Beschleunigung der Thrombinbildung spricht für einen thrombophilen Zustand, Verminderung und Verzögerung gehen mit einer Blutungsneigung einher. Dank der geringen intra-individuellen Varianz eignet sich die Methode zur Therapie­überwachung, wobei insbesondere die Bio­äquivalenz verschiedener Therapieansätze gezeigt werden kann. Mit der Entwicklung neuer Therapeutika, deren Wirkmechanismen auch mit modifizierten klassischen Gerinnungsmethoden kaum zugänglich sind, gewinnt die Thrombinbildung als Globaltest des Gerinnungssystems weiter an Bedeutung.

Dem steht die hohe interindividuelle Varianz der Ergebnisse als Nachteil gegen­über; als Folge ist der prädiktive Wert der Methode über ein größeres Patienten­kollektiv hinweg eingeschränkt. Hier spielt die hohe Sensitivität der Methode für physiologische und unphysiologische Einflüsse eine wichtige Rolle. Deshalb stehen standardisierte Probengewinnung und eine rasche Verarbeitung – vor allem für die Herstellung von plättchenreichem Plasma – im Vordergrund der Bemühungen um bessere Vergleichbarkeit.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass Thrombinbildungstests lediglich eine zeitliche Auflösung des Gerinnungsprozesses bieten, während in vivo durch die zusätzliche Strömung sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Auflösung des Gerinnungsprozesses erreicht wird.

Die Standardisierung der Thrombinbildung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Zurzeit stehen drei kommerzielle Testsysteme zur Verfügung (Tab. 1). Der technische Aufwand sowie die relativ lange Messzeit stellten für viele Jahre ein Hindernis für die Verbreitung des Tests außerhalb wissenschaftlicher Fragestellungen dar, doch mit der Einführung automatisierbarer Verfahren dürfte sich diese Einschränkung relativieren.

Autor
Dr. Annelie und Thomas Siegemund
MVZ Limbach Magdeburg
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