Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) ist eine potenziell lebensbedrohliche unerwünschte Arzneimittelwirkung, die mit Hyperkoagulabilität und einem hohen Thromboserisiko einhergeht. HIT ist jedoch eine seltene Erkrankung, und das Risiko, eine HIT zu entwickeln, variiert je nach Dauer und Art der Heparin-Exposition (3–5 % bei unfraktioniertem Heparin vs. 0,2 % bei niedermolekularem Heparin) sowie der Indikation für die Behandlung. Chirurgische (insbesondere kardiologische und orthopädische) oder unfallchirurgische Patient:innen haben ein deutlich höheres Risiko (1–5 %), eine HIT zu entwickeln, als medizinische oder intensivmedizinische Patient:innen (< 1 %) [1]. Die Erkrankung ist mit einer hohen Morbidität und Mortalität von bis zu 30 % assoziiert. Das typische klinische Bild der HIT ist eine moderate Thrombozytopenie, die sich fünf bis zehn Tage nach Beginn der Heparintherapie mit einem Nadir von 50 bis 80 × 109/l manifestiert [2]. Das Thromboserisiko kann jedoch schon vorher bestehen, da etwa die Hälfte der Betroffenen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung thrombotische Komplikationen mit einer täglichen Inzidenzrate von etwa 6,1 % entwickelt [3]. Diese thrombotischen Ereignisse können sowohl arterieller (z. B. Extremitätenarterienverschluss, Myokardinfarkt und Schlaganfall) als auch venöser Natur (z. B. tiefe Venenthrombose und Lungenembolie) sein [4]. Das Thromboserisiko bleibt auch nach Absetzen der Heparintherapie für mehrere Tage bestehen, kann aber durch die Verwendung alternativer Antikoagulanzien in therapeutischer Dosierung auf 0,6 % gesenkt werden [5].
Pathophysiologie
HIT ist eine Immunreaktion, die sich meist fünf bis zehn Tage nach der Exposition gegenüber Heparin durch die Bildung von Antikörpern gegen den PF4-Heparin-Komplex entwickelt. Thrombozytenfaktor 4 (PF4) ist ein positiv geladenes Protein, das in den Alpha-Granula der Thrombozyten gespeichert ist und während der Thrombozytenaktivierung freigesetzt wird. PF4 bindet und neutralisiert negativ geladene Heparinmoleküle, kann aber interessanterweise auch an andere negativ geladene Moleküle wie Nukleinsäuren oder Polysaccharide auf Bakterien binden. Dieses Phänomen könnte Fälle von spontaner oder autoimmuner HIT ohne Heparintherapie erklären [4]. IgG-Antikörper erkennen Neoepitope auf dem PF4-Heparin-Komplex und aktivieren Thrombozyten über deren zelluläre FcγRIIa-Rezeptoren. Diese Aktivierung führt zur Freisetzung von zusätzlichem PF4 und anderen prothrombotischen Mediatoren wie Gewebefaktor und prokoagulierenden Mikropartikeln und damit zu einer übermäßigen Thrombinbildung. In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass HIT-Antikörper nicht nur Thrombozyten, sondern auch Monozyten, Neutrophile und Endothelzellen aktivieren (Abb. 1) [6].