Der Von-Willebrand-Faktor (VWF) ist ein großes, multimeres Glykoprotein, dessen elementare Rolle im Blutgerinnungssystem als Träger und Stabilisator für den Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) sowie als entscheidender Faktor für die Thrombozytenadhäsion bei Gefäßverletzungen seit Langem bekannt ist. Seine Relevanz für die Blutstillung wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass ein Mangel oder eine Anomalie dieses Proteins das Von-Willebrand-Syndrom (VWS), die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung, verursacht [1].
Erst in neuerer Zeit erkannte man zunehmend, wie viel komplexer die Funktionen des VWF sind. So konnte inzwischen gezeigt werden, dass dieser Faktor neben FVIII diverse weitere Proteine binden kann. Zudem ist er für die Bildung der als Weibel-Palade-Körperchen bezeichneten Zellorganellen und für die Regulation der Blutgefäßbildung, der Angiogenese, entscheidend [2].
VWF und Angiogenese
Der Begriff Angiogenese beschreibt die Entstehung neuer aus bereits existierenden Gefäßen. Der Prozess wird in der Regel durch eine Sauerstoffunterversorgung des umliegenden Gewebes ausgelöst und spielt sich meist im Rahmen einer Entzündung, der Wundheilung, der Tumorgenese oder bei physiologischen Auf- und Umbauprozessen, beispielsweise im weiblichen Reproduktionstrakt, ab [3].
Besteht im Gewebe ein fokaler Sauerstoffmangel, sezernieren Zellen in diesem Bereich Gefäßwachstumsfaktoren wie den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor A (VEGFA). Diese erreichen die nächstgelegenen Gefäße und bewirken dort die Auflösung der Basalmembran und gleichzeitig die Aktivierung der Endothelzellen. Es entwickelt sich eine sogenannte Tipzelle, die als Vorläufer des neuen Gefäßes fungiert. Sie ist mit VEGFA-bindenden Rezeptoren (KDR, kinase insert domain receptor) besetzt, mit deren Hilfe sie in Richtung der höheren VEGFA-Konzentration wächst. Sobald ausreichend neue Gefäße gebildet wurden und sich der Sauerstoffspiegel normalisiert hat, nimmt die Sekretion der Wachstumsfaktoren ab und die Endothelzellen gehen wieder in den Ruhemodus über [4].
Seit einigen Jahren ist bekannt, dass der VWF mit seiner stabilisierenden Wirkung von großer Bedeutung für die Angiogenese ist. Eine reduzierte VWF-Expression führt zu einer verstärkten Proliferation und Migration der Endothelzellen. So wurde beispielsweise bei VWF-defizienten Mäusen eine erhöhte Blutgefäßdichte nachgewiesen [5]. Untersuchungen an Endothelzellen von menschlichen VWS-Patient:innen bestätigten diese Ergebnisse [6].
Angiodysplasie beim VWS
Der Effekt des VWF auf die Angiogenese wird bei Menschen mit dem VWS auch klinisch deutlich. Insbesondere können diese Gefäßfehlbildungen, also Angiodysplasien aufweisen, die durch erweiterte, dünnwandige, unregelmäßige und stark gewundene Blutgefäße gekennzeichnet sind. Dieser Zusammenhang wurde erstmals von Quick [7] beschrieben, der bei VWS-Patient:innen Teleangiektasien in der Nasenschleimhaut sowie im Nagelfalz nachwies. Seitdem wurden Angiodysplasien bei VWS-Patient:innen in verschiedenen Organen beschrieben, vor allem im Gastrointestinaltrakt [8], im Nagelbett [9] und in der Prostata [10]. In einem VWS-Typ-3-Schweinemodell wurde darüber hinaus auch die Gebärmutter untersucht und Angiodysplasien gefunden [11].