Neues aus der Thorax-Onkologie
Nach Jahrzehnten von Misserfolgen und therapeutischem Nihilismus gehören Patienten mit Lungentumoren zu den großen Gewinnern der modernen, molekular begründeten Entwicklungen in der Onkologie: So können Tumoren mit Treibermutationen in bestimmten Genen mit zielgerichteten Substanzen behandelt werden, und ein erheblicher Teil der übrigen Patienten profitiert mittlerweile von einer Reihe zugelassener Immuncheckpoint-Inhibitoren – insgesamt haben sich die Überlebenschancen damit deutlich verbessert. Beim Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2021 wurden wie üblich in mehreren Sitzungen neue, für die Thorax-Onkologie relevante Resultate vorgestellt; eine kleine Auswahl davon – der Schwerpunkt lag dieses Mal bei der Immunonkologie – stellen wir hier vor.
Schlüsselwörter: NSCLC, zielgerichtete Therapie, Immuntherapie, ALK-Inhibition, KRAS-Inhibition, SCLC, Nivolumab, Ipilimumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Sotorasib, Crizotinib, Alectinib, Ceritinib, Brigatinib, Lorlatinib, Durvalumab
NSCLC – Immuntherapien
Zwei Checkpoint-Inhibitoren plus Chemotherapie = anhaltende Wirksamkeit
Die Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) hat in den letzten Jahren rapide Fortschritte gemacht: Beim ASCO-Kongress wurden beispielsweise Follow-up-Daten der CheckMate-9LA-Studie präsentiert, auf deren Basis eine Kombination aus zwei Immuntherapien und einer kurzen Chemotherapie zugelassen worden ist.
Die Kombination aus zwei Immuncheckpoint-Inhibitoren – dem PD-1-Inhibitor Nivolumab und dem CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab –, die unterschiedliche, aber einander ergänzende Wirkmechanismen aufweisen, hat sich bei einer Reihe von Tumorentitäten positiv auf die Prognose ausgewirkt – neben Melanom, Nierenzellkarzinom und Mesotheliom auch beim fortgeschrittenen NSCLC.
In der globalen Phase-III-Studie CheckMate-9LA war diese Immuntherapie-Doublette bei Patienten mit NSCLC ohne aktivierende Mutationen des EGFR- und des ALK-Gens mit zwei Zyklen einer Chemotherapie kombiniert worden und hatte gegenüber vier Zyklen der alleinigen Chemotherapie Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben sowie die Ansprechraten signifikant verbessert [1]. Das hatte zur Zulassung der Kombination für diese Indikation geführt. Die 2-Jahres-Auswertung, die wir nun beim ASCO-Kongress präsentieren konnten, bestätigte die erste Analyse weitgehend [2]:
Mehr als 700 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC hatten randomisiert entweder vier dreiwöchige Zyklen einer Chemotherapie oder zwei Zyklen der Chemotherapie und zusätzlich für maximal zwei Jahre 360 mg Nivolumab alle drei Wochen und 1 mg/kg Ipilimumab alle sechs Wochen bekommen. Im Chemotherapie-Arm konnte bei Nicht-Plattenzellkarzinomen außerdem eine Erhaltungstherapie mit Pemetrexed angeschlossen werden. Beim primären Endpunkt Gesamtüberleben war der Immuntherapie-Arm weiterhin mit median 15,8 versus 11,0 Monaten signifikant überlegen (Hazard Ratio (HR) 0,72; 95%-Konfidenzintervall (95%-KI) 0,61–0,86); die 2-Jahres-Überlebensraten betrugen 38 % versus 26 %. Auffällig war die immer noch hohe Rate an zensierten Patienten, sodass weitere Updates der Effektivität unbedingt erforderlich sind – vor allem, wenn es um die Frage des Langzeitüberlebens geht.
Die Ergebnisse waren für nahezu alle untersuchten Subgruppen vergleichbar – mit zwei Ausnahmen: Patienten mit vorbehandelten Hirnmetastasen hatten tendenziell einen stärkeren Vorteil von der Immuntherapie als diejenigen ohne zerebralen Befall, wogegen > 75-jährige Patienten und Nie-Raucher keinen solchen Vorteil zeigten; allerdings waren diese Subgruppen recht klein.
Auch beim progressionsfreien Überleben schnitt die Immuntherapie mit 2-Jahres-Raten von 20 % versus 8 % deutlich besser ab, ebenso bei der Dauer des Ansprechens mit 34 % versus 12 %. Die PD-L1-Expression in den Tumoren hatte keinen Einfluss auf die Resultate bezüglich dieser drei Parameter: So war das Gesamtüberleben auch bei Patienten mit PD-L1-Werten < 1 % mit median 17,7 versus 9,8 Monaten unter der Immun-therapie deutlich verlängert (HR 0,67; 95%-KI 0,51–0,88).
Durch die Therapie verursachte Nebenwirkungen waren lediglich während der ersten beiden Zyklen unter der Immun-Chemotherapie häufiger, danach im Chemotherapie-Arm. Im Verumarm mussten 61 Patienten die Therapie mit allen drei Komponenten (Nivolumab, Ipilimumab, Chemotherapie) aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig beenden; bei diesen Patienten war die Überlebenszeit in einer retrospektiven, explorativen Analyse nicht schlechter verglichen mit den Patienten in der Gesamtpopulation (1-Jahres-Überlebensrate 72 % und. 63 %, 2-Jahres-Überlebensrate 54 % und 38 %). Von den Patienten, die auf die Immun-Chemotherapie angesprochen, aber diese vorzeitig abgebrochen hatten, waren 56 % mehr als ein Jahr nach Therapieende noch in Remission.
Diese Ergebnisse bestätigen eindeutig die hohe Wirksamkeit der Kombination aus Nivolumab, Ipilimumab und einer kurzen, initialen Chemotherapie beim fortgeschrittenen NSCLC – und zwar ohne Einschränkungen, was etwa die PD-L1-Expression angeht.
Checkpoint-Inhibition mit Chemotherapie wirksamer
Dass umgekehrt auch eine zusätzliche Chemotherapie die Ergebnisse einer alleinigen Behandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren verbessert, haben schon mehrere Studien gezeigt. Und das bestätigt nun auch eine gepoolte Analyse aus der US-amerikanischen Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA): Darin wurden acht große randomisierte Zulassungsstudien für Checkpoint-Inhibitoren alleine oder in Kombination mit einer Chemotherapie in der Erstlinientherapie des NSCLC zusammen ausgewertet, berichtete Oladimeji Akinboro, Silver Spring, Maryland, USA [3]:
Aus den fast 6.000 in die Studien eingeschlossenen Patienten mit nicht palliativ vorbehandeltem NSCLC (ohne EGFR-Mutationen oder ALK-Translokationen) wurden diejenigen mit einer PD-L1-Expression zwischen 1 % und 49 % ausgewählt, die Checkpoint-Inhibitoren entweder alleine (Nivolumab mit oder ohne Ipilimumab, Pembrolizumab, Atezolizumab; insgesamt n = 529) oder in Kombination mit einer Chemotherapie (n = 639) erhalten hatten.
Durch die zusätzliche Chemotherapie war das progressionsfreie Überleben von median 4,2 auf 7,7 Monate beinahe verdoppelt worden (HR 0,60; 95%-KI 0,48–0,76). Dieser Vorteil war für alle untersuchten Subgruppen unabhängig von Alter, ECOG-Performance(ECOG-PS)- und Raucherstatus signifikant, mit Ausnahme der über 75-Jährigen (HR 0,85; 95%-KI 0,42–1,71).
Ganz ähnlich war das Ergebnis bezüglich des Gesamtüberlebens, das durch die Chemotherapie von median 14,5 auf 21,4 Monate verlängert worden war (HR 0,68; 95%-KI 0,52–0,90); auch hier fielen die über 75-Jährigen mit median 13,9 versus 10,3 Monaten und einer HR von 0,95 (95%-KI 0,42–2,14) aus der Reihe. Die Patienten mit einem ECOG-PS-Wert von 1 profitierten zwar ebenfalls von der zusätzlichen Chemotherapie, aber hier verlängerte sich das Überleben lediglich von median 11,0 auf 16,8 Monate (HR 0,68; 95%-KI 0,50–0,94), bei einem ECOG-PS-Wert von 0 hingegen von 20,0 auf 25,2 Monate (HR 0,65; 95%-KI 0,38–1,10).
Es handelt sich hier zwar lediglich um eine retrospektive exploratorische Analyse, so Akinboro, und die Resultate seien nur als Hypothesen-generierend anzusehen; insgesamt erschienen sie jedoch recht robust und gestatteten die Schlussfolgerung, dass bislang zugelassene Immun-Chemotherapie-Protokolle bei den meisten Patienten mit NSCLC und PD-L1-Expression zwischen 1 % und 49 % alleiniger Immuntherapie überlegen sind. Auch über 75-Jährigen scheint die Chemotherapie zumindest nicht zu schaden. Den Autoren zufolge sollte man in künftigen randomisierten Studien zur Erstlinientherapie des NSCLC mit einer PD-L1-Expression zwischen 1 % und 49 % im Kontrollarm keine alleinige Immuntherapie mehr geben.
Stadium III: Radiochemo-Immuntherapie anhaltend wirksam
Das NSCLC kann sich vor allem in frühen Stadien sehr unterschiedlich darstellen, und insbesondere das Stadium III ist extrem heterogen, sodass über die Therapie dieser Patienten nur in einem interdisziplinären Tumorboard entschieden werden sollte. Wird ein Stadium III dort als inoperabel definiert, ist der derzeitige therapeutische Standard, mit dem eine kurative Intention verfolgt wird, eine Radiochemo-Immuntherapie mit dem PD-L1-Inhibitor Durvalumab auf Basis der Phase-III-Studie PACIFIC, zu der beim ASCO-Kongress die 5-Jahres-Daten vorgestellt wurden [4].
Die Kombination von Strahlen- und Immuntherapie lässt sich zum einen damit begründen, dass eine Radiochemotherapie zu einer ausgedehnten Zerstörung der Tumorzellen führt, bei der Antigene freigesetzt und für das Immunsystem sichtbar werden. Außerdem wird ein „abskopaler Effekt“ postuliert, demzufolge die lokale Strahlentherapie ein wahrscheinlich immunologisch vermitteltes Ansprechen des Tumors auch an anderen Stellen bewirkt.
In die PACIFIC-Studie wurden Patienten mit NSCLC im Stadium III eingeschlossen, die eine Radiochemotherapie (platinbasierte Chemotherapie-Doublette und 60–66 Gy in 30–33 Fraktionen) erhalten hatten. 713 Patienten, die danach nicht progredient waren, wurden im Verhältnis 2 : 1 randomisiert, bis zu einem Jahr lang alle zwei Wochen entweder Durvalumab oder ein Placebo zu erhalten. Bereits die erste Auswertung hatte eine Reduktion des Mortalitätsrisikos um 32 % ergeben [5], die in einer Post-hoc-Analyse in der Subgruppe von Patienten mit einer PD-L1-Expression ≥ 1 % noch höher war; mit dieser Einschränkung (PD-L1 ≥ 1 %) ist Durvalumab in Europa auch für diese Indikation zugelassen. Beim ASCO stellte David Spigel, Nashville, USA, die 5-Jahres-Daten für die Gesamtpopulation vor:
Beim Gesamtüberleben zeigte sich eine Reduktion des Mortalitätsrisikos um 28 % (stratifizierte HR 0,72, 95%-KI
0,59–0,89); die 5-Jahres-Überlebensraten betrugen für den Durvalumab-Arm 42,9 % und für den Kontrollarm 33,4 %, die progressionsfreien Überlebensraten 33,1 % versus 19,0 % (HR 0,55; 95%-KI 0,45–0,68), d. h das Risiko für Progression oder Tod wurde durch die Immuntherapie um 45 % verringert.
Mehr als 40 % der Patienten leben also auch nach fünf Jahren noch, und etwa jeder dritte ist sogar progressionsfrei. Zugelassen ist die Therapie allerdings nur für Patienten mit einer PD-L1-Expression von ≥ 1 %. Die 5-Jahres-Ergebnisse für diese Subgruppe wurden kürzlich beim deutschen Strahlentherapie-Kongress vorgestellt und bestätigten auch hier die anhaltende Wirksamkeit der Radiochemo-Immuntherapie.
Immuntherapie verbessert adjuvante Therapie
Die S3-Leitlinie Lungenkarzinom empfiehlt für Patienten mit frühen Stadien eines NSCLC, das vollständig reseziert werden konnte, eine platinbasierte adjuvante Chemotherapie [6], deren Nutzen allerdings sowohl beim krankheitsfreien (HR 0,84; 95%-KI 0,78–0,91) als auch beim Gesamtüberleben (HR 0,89; 95%-KI 0,82–0,96) bescheiden ist: Die 5-Jahres-Überlebensrate verbessert sich um 4–5 %. Da beim frühen NSCLC mit aktivierenden EGFR-Mutationen kürzlich das krankheitsfreie Überleben durch eine adjuvante Behandlung mit dem EGFR-Inhibitor Osimertinib deutlich verlängert werden konnte [7], werden derzeit bei den NSCLC-Formen ohne Treibermutationen Checkpoint-Inhibitoren in dieser Indikation getestet.
In der Phase-III-Studie IMpower010 beispielsweise erhielten mehr als 1.200 Patienten mit NSCLC in den Stadien IB (Tumor ≥ 4 cm)–IIIA und einem ECOG-PS-Status von 0 oder 1 bis zu vier Zyklen einer platinbasierten Chemotherapie und wurden danach randomisiert, um zusätzlich entweder 16 Zyklen des PD-L1-Inhibitors Atezolizumab (1.200 mg alle 3 Wochen) oder die beste verfügbare Supportivtherapie zu bekommen.
Beim ASCO-Kongress berichtete Heather Wakelee, Stanford, Kalifornien, USA [8], dass in der ersten Stufe der statistischen Auswertung, beim krankheitsfreien Überleben in der PD-L1-positiven Subgruppe (PD-L1 ≥ 1 %) mit Stadium II–IIIA, der Medianwert im Atezolizumab-Arm noch nicht erreicht war, während er im Kontrollarm bei 35,3 Monaten lag (HR 0,66; p = 0,004). Bei allen Patienten im Stadium II–IIIA war – unabhängig von der PD-L1-Expression – in der zweiten Stufe der Analyse die Checkpoint-Inhibition mit median 42,3 versus 35,3 Monaten weniger hoch, aber ebenfalls signifikant überlegen (HR 0,79; p = 0,02).
Der PD-L1-Expressionstatus scheint wirklich von Bedeutung zu sein, weil die Patienten ohne Expression (< 1 %) in einer Subgruppenanalyse nicht von Atezolizumab profitierten (HR 0,97; 95%-KI 0,72–1,31), wohingegen diejenigen mit einer PD-L1-Expression von ≥ 50 % noch besser abschnitten (HR 0,43; 95%-KI 0,27–0,68) als die größere Population mit PD-L1 ≥ 1 % (HR 0,66; 95%-KI 0,49–0,87).
Die dritte Stufe der Analyse soll die gesamte Intention-to-treat-Population umfassen (Stadien IB–IIIA): Hier ist der Medianwert des krankheitsfreien Überlebens im Atezolizumab-Arm derzeit noch nicht erreicht, so Wakelee, während er im Kontrollarm 37,2 Monate betrug; die Grenze zur statistischen Signifikanz entsprechend den statistischen Vorgaben ist in dieser Interimsanalyse formal noch nicht überschritten (HR 0,81; p = 0,04).
Eine vorläufige Analyse der Daten zum Gesamtüberleben zeigt für die Patienten mit PD-L1-Expression (≥ 1 %) in den Stadien II–IIIA einen Trend zugunsten von Atezolizumab (HR 0,77; 95%-KI 0,51–1,17).
Bei den Patienten unter Atezolizumab wurden häufiger Grad-3/4-Nebenwirkungen (21,8 % vs. 11,5 %) und immunvermittelte Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 (7,9 % vs. 0,6 %) registriert, an denen vier von ihnen auch verstarben.
Insbesondere für Patienten mit komplett reseziertem und PD-L1-positivem NSCLC könnte die adjuvante Immuntherapie eine praxisverändernde Neuerung darstellen, so Wakelee.
Neoadjuvante Immuntherapie mit guten chirurgischen Ergebnissen
Auch die neoadjuvante Therapie wird beim NSCLC derzeit vorangetrieben, vor allem mit zielgerichteten Medikamenten und Immuntherapien. Zwar ist die neoadjuvante Behandlung der S3-Leitlinie zufolge auch im Stadium III noch kein Standard, doch wird dort bereits betont, dass ein komplettes Verschwinden befallener mediastinaler Lymphknoten sich positiv auf die Operation auswirken kann [6]. Möglicherweise wird sich dieser Abschnitt in der demnächst zu erwartenden Neuauflage der Leitlinie anders lesen: Jedenfalls werden in einer ganzen Anzahl von Studien bereits Immuncheckpoint-Inhibitoren in der neoadjuvanten Situation untersucht.
Nach vielversprechenden Phase-II-Resultaten wurde das beispielsweise in der Phase-III-Studie CheckMate-816 getestet: 358 Patienten mit resektablem NSCLC der Stadien IB (≥ 4 cm Durchmesser) bis IIIA ohne bekannte EGFR- oder ALK-Mutationen erhielten darin drei Zyklen einer Chemotherapie; die Hälfte von ihnen wurde außerdem randomisiert, zusätzlich dreimal 360 mg des PD-1-Antikörpers Nivolumab im dreiwöchigen Abstand zu bekommen. Spätestens sechs Wochen nach Ende dieser Therapie wurden sie operiert; primäre Endpunkte waren die Rate an pathologischen Komplettremissionen und das ereignisfreie Überleben.
Jonathan Spicer, Montréal, Kanada, berichtete beim ASCO-Kongress [9], dass es nach der neoadjuvanten Immuntherapie bei 24,0 % der Patienten zu einer pathologischen Komplettremission gekommen war – gegenüber nur 2,2 % im Kontrollarm (Odds Ratio 13,94; p < 0,0001). Ein ähnlicher Vorteil war bei starken (major) pathologischen Remissionen auszumachen (36,9 % vs. 8,9 %; OR 5,70). Die Daten zum ereignisfreien Überleben sind noch nicht reif. Erwartungsgemäß wurden pathologische Komplettremissionen durch die Nivolumab-Therapie am häufigsten im Stadium IB erreicht (40 % vs. 0 % im Kontrollarm), in den übrigen Stadien waren es 23–24 % (vs. 1–9 %). Ein minimal-invasives Vorgehen gelang nach Nivolumab etwas häufiger, v. a. im Stadium IIIA (30 % vs. 19%), wo auch weniger häufig eine Konversion zum offenen Zugang erforderlich war (11 % vs. 20 %).
Nach Nivolumab konnten öfter Lobektomien und mussten seltener Pneumonektomien durchgeführt werden (17 % vs. 30 %). Bei den R0-Resektionen (83 % vs. 78 %), der medianen Zahl gewonnener Lymphknoten (n = 19,0 vs. 18,5) und der medianen stationären Liegedauer (jeweils 10 Tage) unterschieden sich beide Arme nicht wesentlich.
Die Sicherheit der Behandlung (zwei chirurgisch bedingte Todesfälle im Nivolumab-Arm hatten nichts mit der Studienmedikation zu tun), die chirurgischen Ergebnisse und die erhöhte Rate an pathologischen Komplettremissionen, sprechen laut Spicer schon jetzt – ohne Vorliegen von Überlebensdaten – für die neoadjuvante Kombination von Chemotherapie und Checkpoint-Inhibitor beim operablen NSCLC.
NSCLC – zielgerichtete Therapien
Endlich wirksame KRAS-Inhibition
Ein erheblicher Anteil aller Adenokarzinome der Lunge (und ein kleiner Anteil anderer NSCLC-Formen) weist Mutationen im KRAS-Onkogen (Kirsten rat sarcoma viral oncogene homologue) auf, in der Regel die G12C-Mutation, bei der im Codon 12 ein Guanin- gegen einen Cytosin-Rest ausgetauscht ist (KRASG12C).
Die Mutation führt zur konstitutiven Aktivierung der KRAS-Guanosin-Triphosphatase und in der Folge zum unkontrollierten Wachstum der betroffenen Zellen. Sie tritt einer neueren US-amerikanischen Untersuchung zufolge bei etwa 13 % aller weißen und 11 % aller schwarzen Patienten mit NSCLC auf, wogegen asiatisch-stämmige Patienten wesentlich seltener betroffen sind [11]. Bei Weißen sind Frauen in der Mehrzahl, bei Asiaten ist es umgekehrt. Andere Untersuchungen finden die Mutation in 25–30 % aller NSCLC-Erkrankungen, und damit ist sie definitiv die häufigste Treibermutation bei diesem Tumor.
Die Prognose von Tumoren mit KRASG12C-Mutation ist sehr schlecht, und bis vor Kurzem galt das KRAS-Enzym auch als medikamentös nicht angreifbar. Mittlerweile ist aber die Entwicklung von KRAS-Inhibitoren gelungen, und die gegen die KRASG12C-Mutante wirksame Substanz Sotorasib hatte sich in einer Phase-I-Studie sicher und bei einer Reihe von soliden Tumoren wirksam gezeigt. Beim NSCLC wurde diese Wirksamkeit nun in der Phase-II-Studie CodeBreaK 100 überprüft, deren ersten Ergebnisse Ferdinandos Skoulidis, Houston, Texas, USA, nun beim ASCO-Kongress vorstellte [12]; zeitgleich wurden sie auch voll publiziert [13].
Die Tumoren aller 126 Patienten wiesen die KRASG12C-Mutation auf, bei 120 von ihnen handelte es sich um ein Adenokarzinom, in den übrigen Fällen um ein Plattenepithelkarzinom, drei großzellige Karzinome sowie ein bronchoalveoläres Karzinom. Vier von fünf Patienten hatten zuvor bereits sowohl eine Chemotherapie auf Platinbasis als auch Checkpoint-Inhibitoren erhalten und waren aktuell in Progression; die Chancen, mit erneuter Chemotherapie ein Ansprechen zu erzielen, waren gering. Primärer Endpunkt war die Ansprechrate, als sekundäre Endpunkte sollen die Dauer des Ansprechens, das progressionsfreie und das Gesamtüberleben sowie die Sicherheitsdaten ausgewertet werden.
Sotorasib ist oral applizierbar, und die Pharmakokinetik gestattet die einmal tägliche Gabe von 960 mg. Unter dieser Dosierung war bei 46 von 124 auswertbaren Patienten (37,1 %) ein objektives Ansprechen zu registrieren, d. h. eine Rückbildung des Tumors um mindestens 30 %; vier dieser Remissionen (3,2 %) waren komplett, die übrigen 42 (33,9 %) partiell. 54 weitere Patienten (43,5 %) wiesen unter der Therapie eine Krankheitsstabilisierung auf, sodass die Tumorkontrollrate 80,6 % betrug. Das Ansprechen hing weder von der PD-L1-Expression noch von der Tumormutationslast oder vom gleichzeitigen Vorliegen von Mutationen in den Genen für STK11, KEAP1 oder TP53 ab. Die Dauer der Remissionen lag bei median 11,1 Monaten (95%-KI 6,9 Monate–nicht auswertbar), das progressionsfreie Überleben bei 6,8 Monaten (95%-KI 5,1–8,2 Monate) und das Gesamtüberleben bei 12,5 Monaten (10,0 Monate–nicht auswertbar).
Als häufigste Nebenwirkungen der Therapie wurden Durchfälle (31,7 %), Übelkeit (19,0 %), Leberenzym-Erhöhungen (ALT 15,1 %, AST 15,1, AP 7,1 %), Müdigkeit (11,1 %) und Erbrechen (7,9 %) registriert, sodass Sotorasib als sehr sicher bewertet wurde, so Skoulidis. In den USA erhielt es aufgrund dieser Daten kurz vor dem ASCO-Kongress eine bedingte Zulassung zur Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC mit KRASG12C-Mutation. Zur Bestätigung wird derzeit eine Phase-III-Studie durchgeführt, in der Sotorasib mit Docetaxel verglichen wird. In Europa hat der Hersteller Ende 2020 die Zulassung bei der EMA beantragt.
Wie ALK-Inhibitoren auf Hirnmetastasen wirken
Hirnmetastasen des NSCLC sind häufig (bei 10–30 % der Patienten) und verschlechtern die Prognose deutlich. Chemotherapien überwinden die Blut-Hirn-Schranke schlecht, sodass in dieser Situation höchstens eine chirurgische oder radiotherapeutische Intervention infrage kommt – es sei denn, der Tumor weist Rearrangements des Gens für die anaplastische Lymphomkinase (ALK) auf, was für 4–7 % der NSCLC-Erkrankungen zutrifft. Für diese Indikation gibt es mittlerweile mehrere Generationen spezifischer ALK-Inhibitoren, die progressionsfreies und Gesamtüberleben dieser Patienten verlängern. Jedoch unterscheiden sich diese Inhibitoren zum einen in ihrem Vermögen, die Blut-Hirnschranke zu penetrieren, und zum anderen treten vor allem gegenüber den frühen ALK-Inhibitoren häufig Resistenzen auf. Zweitgenerations-ALK-Inhibitoren sind besser in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, und Drittgenerations-Inhibitoren wirken sogar gegen ALK-Inhibitor-resistente Tumoren.
Ob sich diese Unterschiede, die in kontrollierten klinischen Studien gefunden wurden, auch in der Praxis nachweisen lassen, wurde in einer retrospektiven Studie an der Cleveland Clinic eruiert [14]: Vineeth Tatineni, Cleveland, Ohio, USA, berichtete über die 90 eingeschlossenen Patienten mit ALK-positivem NSCLC und Hirnmetastasen, die zwischen 2010 und 2019 an der Cleveland Clinic in Behandlung gewesen waren. 16 von ihnen waren mit dem Erstgenerations-Inhibitor Crizotinib, 17 mit einem Zweit- (Alectinib, Ceritinib oder Brigatinib) oder mit dem Drittgenerations-Inhibitor Lorlatinib therapiert worden.
Sowohl beim Gesamt- wie beim progressionsfreien Überleben fanden sich deutliche Unterschiede: Nach fünf Jahren lebten noch 49 % der mit Crizotinib behandelten Patienten, hingegen 76 % derer, die Zweit- oder Drittgenerations-Inhibitoren erhalten hatten (p = 0,019). Eine beim progressionsfreien Überleben ebenfalls gefundene Überlegenheit der Zweit- und Drittgenerations-Inhibitoren verfehlte knapp das Signifikanzniveau, obwohl die mediane Dauer etwa viermal länger war als mit Crizotinib (180,1 vs. 45,3 Monate) und die 5-Jahres-Raten 72 % versus 43 % betrugen (p = 0,061). Zweit- und Drittgenerations-ALK-Inhibitoren sind also dem Erstgenerations-Inhibitor Crizotinib bei Patienten mit NSCLC und Hirnmetastasen auch in der täglichen Praxis beim Gesamtüberleben deutlich und beim progressionsfreien Überleben tendenziell überlegen, so Tatineni. Allerdings müsste noch genauer untersucht werden, welche genaue Rolle die intrakranielle Wirksamkeit der betreffenden Inhibitoren spielt.