Autoinflammatorische Störungen der Nukleinsäure-Immunität
Autoinflammatorische Störungen (AS) sind typischerweise monogene Erkrankungen der angeborenen Immunität und können in die Untergruppen Typ-I-Interferonopathien (IFNP-I), Inflammasomopathien und Nicht-Inflammasomopathien eingeteilt werden [1]. AS manifestieren sich mit chronisch rezidivierender systemischer und Organ-spezifischer steriler Inflammation insbesondere der Haut, der Schleimhaut, der serösen Höhlen, der Gelenke und des zentralen Nervensystems [2]. Zusätzlich prädispositionieren AS zu Epitop-spezifischer Lupus-artiger Autoimmunität [3, 4]. Auch wenn die Pathophysiologie der IFNP-I nicht in allen Teilaspekten abschließend geklärt ist, sind diese grundsätzlich durch einen gestörten Nukleinsäuremetabolismus und eine gestörte Selbst- und Fremd-Nukleinsäure-Erkennung charakterisiert. Daraus resultiert eine inadäquate Aktivierung der entsprechenden Nukleinsäure-Mustererkennungsrezeptoren [5] und eine unbalancierte sterile Inflammation mit Expression von Typ-I-Interferonen (IFN-I) und Interferon-stimulierten Genen (ISG). Diese chronische Aktivierung der antiviralen Immunität vermittelt neben zytopathischen Effekten, beispielweise durch Nekroptose, eine erhebliche systemische und Organ-spezifische Pathologie mit konsekutivem Verlust der Selbsttoleranz. Dies führt zur systemischen adaptiver Autoimmunität wie beim Aicardi-Goutières-Syndrom (AGS) [6].
Seit längerem bekannte genetische Entitäten sind biallelische loss-of-function(LOF)-Varianten der DNA-Exonuklease TREX1 (AGS1) [7, 8], der heterotrimeren RNA-Endonuklease H2 bestehend aus RNASEH2B (AGS2), RNASEH2C (AGS3), RNASEH2A (AGS4) [9], der Desoxynukleosid-Triphosphat-Triphosphohydrolase SAMHD1 (AGS5) [10] und des Doppelstrang-RNA (dsRNA) editierenden Enzyms ADAR1 (AGS6) [11] sowie monoallelischen gain-of-function(GOF)-Varianten des dsRNA-Sensors IFIH1 (AGS7) [12]. Eine klinisch distinkte und aktuell noch als IFNP-I klassifizierte Störung [1], die sogenannte STING-assoziierte Vaskulopathie mit infantilem Beginn (SAVI-Syndrom), wird durch monoallelische STING(Stimulator Interferon-induzierter Gene)-GOF-Varianten verursacht [13]. Klinisch zeigt diese AS neben einer systemischen Inflammation insbesondere eine Vaskulitis der Haut und eine inflammatorische Lungenerkrankung [13].
Gemeinsam ist all diesen Entitäten eine downstream Aktivierung des cGAS (zyklische-GMP-AMP-Synthetase)-STING-Signalweges bzw. im Falle von ADAR1 und IFIH1 des MAVS(mitochondriales antivirales Signalprotein)-Signalweges mit konsekutiver Expression von IFN-I [5]. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden IFNP-I zunehmend außerhalb der Zulassung mit Januskinase-Inhibitoren wie Ruxolitinib behandelt [14]. Klinische Studien zur Sicherheit, Effektivität und letztlich Zulassungserweiterung fehlen.
cGAS-STING- und OAS-RNase L-vermittelte Nukleinsäure-Immunität
Die IFN-induzierbare Oligoadenylat-Synthetase(OAS)-Proteinfamilie besteht aus OAS1, OAS2, OAS3 und OASL, die strukturelle und funktionelle Gemeinsamkeiten mit cGAS aufweisen [15]. OAS-Proteine und cGAS sind Mustererkennungsrezeptoren, die Nukleinsäuren überwiegend im Zytosol detektieren und daraufhin eine angeborene Immunantwort initiieren [16]. OAS-Proteine erkennen lange dsRNA, die vor allem bei der Replikation von Virusgenomen entsteht [17], wohingegen cGAS Doppelstrang-DNA (dsDNA) Sequenz-unabhängig detektiert [18]. OAS- und cGAS-Proteine sind Vorlagen-unabhängige Nukleotidtransferasen und produzieren die sekundären Signaltransduktionsmoleküle 2‘5‘-Oligoandenylat (2-5A) [19] bzw. 2‘3‘-zyklisches GMP-AMP (cGAMP) [20]. Das von OAS-Proteinen produzierte 2-5A aktiviert RNase L, einen wichtigen Effektor der antiviralen Immunität. RNase L degradiert virale RNA, aber auch zelluläre Einzelstrang-RNA, wodurch die Proteinexpression der Zelle unterbunden wird und Apoptose ausgelöst werden kann. In Summe unterbinden diese Effekte die Viruspropagation [21]. Das durch cGAS produzierte cGAMP aktiviert den Adapter STING, der über die Serin/Threoin-Proteinkinase TBK1 die Transkriptionsfaktoren IRF3 und NF-κB aktiviert. IRF3 aktiviert die Expression von IFN-I, welche wiederum eine Vielzahl von ISG induzieren, die antivirale Effekte vermitteln [22]. Im Folgenden werden kürzlich entdeckte Pathomechanismen und Krankheitsbilder beschrieben, die durch Fehlregulation der cGAS-STING- oder der OAS-RNase-L-vermittelten Nukleinsäure-Immunität AS verursachen.
Angeborene Störungen der Histon-prä-mRNA-Prozessierung verursachen Aicardi-Goutières-Syndrom
Uggenti et al. beschreiben in einer im Dezember 2020 in Nature Genetics veröffentlichten Arbeit 18 Patienten mit AGS, die in einem Fall biallelische LSM11 (LSM11, U7 small nuclear RNA associated)-LOF und in 17 Fällen biallelische RNU7-1(RNA, U7 small nuclear 1) -LOF-Varianten aufweisen [23]. LSM11 und RNU7-1 sind wichtige Proteinbestandteile des U7-snRNP-Komplexes, der die prä-mRNA-Prozessierung Replikations-abhängiger Histone (RDH) katalysiert [24]. Diese Histongene sind die einzigen eukaryotischen Gene, die keine Introns enthalten und deren mRNA keinen poly-A-Schwanz hat, aber stattdessen mit einem hochkonservierten stem-loop endet [25]. Zur mRNA-Prozessierung und der sich anschließenden Translation der RDH-Kern- (H2A, H2B, H3 und H4) und RDH-Verbindungshistone (H1) ist der U7-snRNP-Komplex essenziell. Seine Fehlfunktion führt zur Akkumulation von über eine kryptische poly-A-Seite polyadenylierter und fehlprozessierter mRNA, die nicht adäquat transkribiert wird [25]. Uggenti et al. zeigen, dass die AGS-assoziierten LSM11- und RNU7-1-Varianten eine gestörte Histon-mRNA-Prozessierung und Histon-Protein-Expression verursachen und mit einer spontanen IFN-I- und ISG-Expression in Modellzellinien und Patientenzellen einhergehen [23]. Uggenti et al. widerlegen ihre eigene Hypothese, dass die fehlprozessierte mRNA durch Aktivierung zytosolischer RNA-Sensoren und MAVS für die IFN-Expression verantwortlich ist. Stattdessen zeigen die Autoren, dass der cGAS-STING-Signalweg für die spontane IFN-Expression der LSM11- und RNU7-defizienten Zellen verantwortlich ist [23]. Dabei scheint cGAS durch nukleäre chromosomale DNA aktiviert zu werden, weil die nukleären Histone in gestörter Stoichiometrie vorliegen und die DNA zwischen benachbarten Nukleosomen, die in gesunden Zellen durch Komplexbildung mit Histon H1 geschützt ist, nun für cGAS zugänglich ist [23]. Die Arbeit beschreibt also zwei neue AGS Loci, LSM11 (AGS8) und RNU7-1 (AGS9), und zeigt im Einklang mit aktuellen Erkenntnissen zur strukturellen Inhibition von nukleärem cGAS durch das Nukleosom [26, 27] erstmals, dass eine pathogene cGAS-Aktivierung durch endogenes Chromatin nicht auf zytosolisch mislokalisierte Chromatinfragmente beschränkt ist, sondern auch im intakten Nukleus erfolgen kann, wenn die Chromatinstruktur gestört ist [23] (Abb. 1).