Einleitung
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein Großteil der Menschheit zum Teil früh im Leben an Infektionen mit Fieber gestorben [1]. Zwischen 1865 und 1885 haben Koch und Pasteur die Medizin dadurch revolutioniert, dass sie Bakterien als Krankheitserreger für Infektionen ausgemacht haben (Keimtheorie). Die daraus folgenden Interventionen wie Hygiene, aseptische Chirurgie, Impfungen und Antibiotika/Antiinfektiva haben die Lebenserwartung der Menschen drastisch verbessert. Für Anhänger der als extrinsisch bezeichneten Krankheitslehre/Keimtheorie sind bei Infektionen nur Quantität und Qualität der Erreger entscheidend. Fälschlicherweise werden Viren, Bakterien und Pilze als „Pathogene“ bezeichnet. Pathogen werden Erreger aber erst durch Interaktion mit dem Immunsystem, z. B. durch „Virokine“, virales IL6 (HHV-8) oder virales IL10 (EBV). Die Rolle des Wirtes und dessen Immunsystems bei Infektionen wird unterschätzt. Die Variabilität der Immunität von Mensch zu Mensch ist im Rahmen von Infektionen extrem, bei manchen hat es nach inapparenter Infektion eine sogenannte „stille Feiung“ gegeben, bei anderen hingegen können Infektionen bei Erstkontakt mit dem Erreger tödlich verlaufen. Keimunabhängig gibt es intrinsische/genetische Faktoren, die interindividuell unterschiedliche Verläufe von Infektionserkrankungen bestimmen: Die angeborene, sog. „innate“ Immunität besteht bei Geburt in Form von präformierten Phagozyten, NK-Zellen mit Zytokinen/Komplement; die erworbene, sog. adaptive Immunität kann, z. B. nach Impfung mit Tetanus-Toxoid und Exposition mit Clostridium tetani, tödliche Infektionen verhindern. Die genetische/intrinsische Theorie besagt, dass die Suszeptibilität (Empfänglichkeit) für Infektionen angeboren und von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich sein kann. Belege für die Richtigkeit der genetischen/intrinsischen Theorie sind angeborene Immundefekte (Inborn Errors of Immunity, IEI) [2]. IEI haben Bedeutung in der reversen translationalen Forschung, d. h. die wissenschaftliche Aufarbeitung und präzise klinische und immunologische Phänotypisierung von Patienten mit IEI schafft eine Schnittstelle zwischen Klinik und Grundlagenforschung. Klinische Erkenntnisse bei IEI-Patienten, z. B. besondere Empfänglichkeit für Mollusca bei Patienten mit DOCK (Dedicator of Cytokinesis)-8-Defizienz, können ins Labor übertragen werden (z. B. Studien zur Rolle des Zytoskeletts bei der Migration von humanen dendritischen Zellen). Jeder einzelne IEI ist allerdings extrem selten. Im Folgenden ist dargestellt, wie der Arzt/Immunologe IEI findet, klassifiziert und behandelt.
Screening auf Inborn Errors of Immunity
Nicht jeder Patient mit vermehrten Infektionen braucht aufwändige Laboruntersuchungen – wann ist also eine weitergehende immunologische Diagnostik sinnvoll? Kriterien oder Warnzeichen für eine pathologische Infektionsanfälligkeit ergeben sich aus der Anamnese des Patienten und aus Untersuchungs- oder Laborbefunden bzw. Vorerkrankungen, die auf eine Immundysregulation hindeuten (siehe 2. Auflage der AWMF-S2K-Leitlinie „Diagnostik auf Vorliegen eines primären Immundefektes“, 2017). Diese Warnzeichen haben aber nur einen hinweisenden Charakter. Als Basisdiagnostik bei Verdacht auf das Vorliegen eines IEI dienen sehr einfach durchzuführende sowie kostengünstige Laboruntersuchungen (siehe Tab. 1 [3–5]).