Pathogenese von SARS-CoV-2: Was wir bisher wissen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.01.04

Die Forschung zu SARS-CoV-2, das im Dezember 2019 erstmals in China beschrieben wurde, läuft immer noch auf Hochtouren. Der große Wissenszuwachs zur Pathogenese des Virus hilft dabei, die (Begleit-)Diagnostik, Prävention und Therapie stetig zu verbessern.

Schlüsselwörter: COVID-19, Immunreaktion, Mutationen, Laborbefunde

SARS-CoV-2 ist, nach SARS-CoV und MERS-CoV, ein weiterer zoonotischer Erreger aus der Gattung Betacoronaviren, der von Fledermäusen als Reservoirwirt erfolgreich Eingang in die menschliche Population gefunden hat. Die Rolle von potenziellen Zwischenwirten wie dem Schuppentier wird aktuell intensiv erforscht und ist noch nicht hinreichend geklärt.
Das von SARS-CoV-2 im Menschen induzierte Krankheitsgeschehen manifestiert sich als primär respiratorische Infektion und wurde von der WHO mit „COVID-19“ bezeichnet. Nach der Erstbeschreibung in China im Dezember 2019 verbreitete es sich innerhalb weniger Monate über die gesamte Welt mit über 100 Millionen labordiagnostisch bestätigten Infektionen und über 2,5 Millionen Toten (Statistik der WHO, Stand Februar 2021).
Das Infektionsgeschehen um SARS-CoV-2 dokumentiert eindrücklich, wie Forschung und Medizin in gemeinsamer globaler Anstrengung auf Pandemien antworten können. Sehr schnell wurden Gesamtgenomsequenzen zur Verbesserung der molekularen Diagnostik auf öffentlich zugänglichen Plattformen publiziert, Manifestationsformen des Krankheitsbildes bei verschiedenen Patientengruppen beschrieben und vielfältige Therapieregime auf ihre Wirksamkeit und ihren Nutzen hin untersucht.

Lebenszyklus von SARS-CoV-2

SARS-CoV-2 ist ein von einer Lipidmembran umhülltes Virus mit einem einzelsträngigen RNA-Genom von ca. 30 kB. Das auf der Partikeloberfläche befindliche virale Spike-Protein vermittelt die Bindung an empfängliche Wirtszellen hauptsächlich über das Protein ACE2 (angiotensin converting enzyme type 2) als Rezeptor. Über Clathrin-vermittelte Pinozytose werden SARS-CoV-2-Partikel mithilfe der Aktivität von Serinproteasen in die Zelle aufgenommen, der Replikationszyklus im Zytoplasma ausgelöst und reife Nachkommenviren durch Lyse der Zelle freigesetzt [1]. Das Ausmaß der Virusproduktion im Wirt ist abhängig von der Reaktion des Immunsystems und den Charakteristika verschiedener SARS-CoV-2-Stämme. Der Gewebetropismus erstreckt sich vor allem auf empfängliche Zelltypen des oberen und unteren Respirationstraktes [2]. Darüber hinaus wurde die Fähigkeit zur Replikation auch in einem großen Spektrum von Zelltypen anderer Gewebe nachgewiesen, unter anderem im Darm, im zentralen Nervensystem, in Leber, Niere, Herz und den Blutgefäßen (v. a. Endothelzellen).
Der Nachweis gelingt am besten aus Sputum und tiefen Nasopharynx-Abstrichen, wo SARS-CoV-2-Konzentrationen von bis zu 1012 Genomkopien/ml detektiert werden können [3, 4]. Virämien sind zwar dokumentiert (v. a. bei schweren Verläufen), jedoch nicht die Regel. Bei milden Verläufen ist nur sehr selten Virus im Blut nachweisbar [4, 5].

Immunreaktion gegen SARS-CoV-2

Die Ausprägung der Immunantwort des Wirtes mit Auswirkungen auf Krankheitsverlauf und -schwere ist abhängig von zahlreichen Faktoren des Wirts wie Alter, Geschlecht, Ethnie und T-Lymphozyten-Funktion sowie vom Virusstamm und dessen Charakteristika (Infektiosität, Pathogenität). Je jünger ein Infizierter, umso besser ist dessen Immunreaktion, die sich in ausreichend hohen, gut neutralisierenden IgG-Konzentrationen messen lässt und in einer effektiven T-Zellantwort mündet [6]. Bei älteren Infizierten ist die gebildete Anti-SARS-CoV-2-IgG-Konzentration höher als bei jüngeren, aber die neutralisierende Kapazität ist meist geringer und die T-Zellantwort weniger effektiv. Die messbaren Antikörper-Spiegel im Blut vermindern sich bei jungen Rekonvaleszenten nach ca. 3 Monaten, bei älteren erst nach ca. 6 Monaten. Männer neigen im Vergleich zu Frauen zur Bildung höherer Antikörper-Spiegel [7]. Wie dies im Zusammenhang mit der tendenziell höheren Sterblichkeit von Männern bei COVID-19 im Gegensatz zu Frauen steht [8], ist noch nicht geklärt. Da SARS-CoV-2 Makrophagen nicht effizient infiziert, sind sogenannte ADE-Effekte (antibody dependent enhancement) zu vernachlässigen [9].
Reinfektionen mit SARS-CoV-2 nach überstandener Erstinfektion sind mehrfach beschrieben worden. Typischerweise war in diesen Fällen die Erstinfektion mild und führte zu einer kaum messbaren IgG-Produktion. Die Zweitinfektion durch einen anderen SARS-CoV-2-Stamm kann von asymptomatisch bis schwer symptomatisch verlaufen und ist dann mit einer gut messbaren Immunantwort (IgG und IgM) verbunden [10]. Eine sehr starke Immunantwort kann die Pathogenität von SARS-CoV-2 erhöhen, weswegen am Anfang der Epidemie das verabreichte Hydroxychloroquin teils zu einer geringeren Mortalität führte [11].
Spezifische endemische Infektionsmus­ter sind bei vielen Coronaviren bekannt. Sie zeichnen sich durch eine Selektion hin zu niedrigpathogenen Virusstämmen mit einer effizienten Unterdrückung der Immunantwort aus. Infektionskreisläufe entstehen dann durch eine Reinfektion solcher Individuen mit schwindender Immunität, durch einen Eintrag antigenetisch anderer Virusstämme oder eine Infektion immunologisch naiver Individuen [12]. Dauerausscheider können grundsätzlich eine Rolle spielen, sind bei SARS-CoV-2 aber bisher nicht von Bedeutung.

SARS-CoV-2-Mutanten/-Varianten

SARS-CoV-2 ist als RNA-Virus einer ständigen Evolution unterworfen. Aufgrund der besonderen Biologie von Coronaviren mit einem außergewöhnlich großen Genom besitzen Vertreter dieser Familie in ihrem Replikationskomplex jedoch gewisse Korrekturmechanismen, die zum Erhalt des Genoms notwendig sind [13]. Coronaviren zeichnen sich deshalb grundsätzlich durch eine etwas niedrigere Mutationsneigung aus als andere RNA-Viren wie z. B. Influenzaviren. Dennoch ist das Auftreten neuer Varianten bei SARS-CoV-2 durch seinen Wirtswechsel und die weltweite Verbreitung in einer zuvor naiven Wirtspopulation vorhersagbar und auch dokumentiert.
Bereits einen Monat nach den ersten Meldungen des SARS-CoV-2-Ausbruchs in Wuhan tauchte in China und Taiwan ein Virus mit einer Deletion im ORF8 (Delta382) auf, was zum Funktionsverlust

es zugehörigen viralen Proteins führte [14]. Die Mutation Delta382 beeinträchtigt zwar nicht die Replikation des Virus, moduliert jedoch die Interaktion mit der Immunantwort des Wirtes. Das durch ORF8 kodierte virale Protein spielt eine Rolle in der Suppression der IFN-Antwort. Das Delta382-Virus führt damit zu einem milderen Verlauf der Infektion mit reduzierter Todesrate, aber dennoch zu einer messbaren Immunantwort [15].
Eine weitere Variante mit bedeutender Verbreitung ist das D614G-Virus (Austausch von Asparaginsäure gegen Glycin im Spike-Protein). Durch diese Mutation in der RBD (Rezeptorbindedomäne) des Spike-Proteins weist es eine gesteigerte Infektiosität auf, was sich auch deutlich in einer hohen Kompetitivität und Verdrängung anderer Virusstämme wie dem Wildtyp auszeichnet [16]. Auswirkungen dieser Mutation auf die Pathogenität werden sehr kontrovers diskutiert und sind noch nicht abschließend geklärt.
Gegen Ende 2020 traten weitere Varianten und Mutationsmuster wie „B1.1.7“ oder das Nerz-assoziierte „Cluster 5“ auf, die ebenfalls eine hohe Kompetitivität und Neigung zum Verdrängen anderer Virusstämme besitzen. In Manaus, Brasilien, zirkuliert derzeit das sog P1-Virus, das wie die britische Variante D614G trägt. Weitere Mutationen wie etwa N501Y, E484K und D839Y scheinen eine leichtere Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch und wohl auch schwerere Verläufe zu bedingen, denn P1 hat in Brasilien zu einer massiven zweiten Infektionswelle mit stark steigender Zahl an Infizierten und Toten geführt. Das Monitoring solcher ständig neu auftretenden Virusvarianten ist essenziell, um Veränderungen im Verhalten des Virus in Bezug auf die Epidemio­logie, die Pathogenese und die Antigenität mit Auswirkung auf die Effizienz von Vakzinen beurteilen zu können. Nur mit diesem Wissen können im Bedarfsfall Interventionsmechanismen angepasst oder Impfstoffe moduliert werden.

Abkürzungen:
RBD = Rezeptorbindedomäne (319–541); FP = Fusionspeptid (788–806); HR1 = Heptapeptid-Wiederholungssequenz 1 (912–984); HR2 = Heptapeptid-Wiederholungssequenz 2 (1163–1213). TM = Transmembrandomäne (1213–1237); CT = Zytoplasmadomäne (1237–1273).
Mutationen:
N331D und N343Q: keine Glykosylierung, reduzierte Infektiosität
D614G: erhöhte Infektiosität
N234Q, L452R, A475V, V483A: Resistenz gegen monoklonale Antikörper
E484K: führt zu einer ca. 5-fachen Verminderung der Bindung neutralisierender Antikörper, die über die jetzigen Impfstoffe erzeugt werden.

Endothelschädigung

Die durch SARS-CoV-2 verursachte Endothelzellschädigung erklärt zum einen anschaulich die Manifestationsbreite in verschiedenen Organsystemen bei schweren COVID-19-Verläufen. Außerdem ist sie die Grundlage der beobachteten Pathologie bei COVID-19-Pneumonien. Mit fortschreitender Schädigung der Endothelien wird Blutplasma in die Alveolen gepresst und durch Enzyme, z. B. von neutrophilen Granulozyten, zur Gerinnung gebracht, was die Sauerstoffversorgung einschränkt oder ganz verhindert. An der Endothelschicht der Kapillaren haften Zellen wie Thrombozyten, neutrophile Granulozyten, Monozyten, Makrophagen, Lymphozyten und dendritische Zellen sowie Gerinnungsfaktoren wie vWF (von-Wille­brand-Faktor), FVII und Fibrinogen [17, 18]. Daher resultiert aus der Vermehrung von SARS-CoV-2 sowohl eine intravasale Koagulation, die durch die D-Dimer-Bestimmung gemessen werden kann, als auch eine Zytolyse, die den Plasmaaustritt beschleunigt und die intravasale Gerinnung noch zusätzlich steigert. Viele verstorbene Patienten haben nicht erkannte intravasale Thrombosen [19], was die Bedeutung der Gerinnungsüberwachung bei Infizierten unterstreicht. Vorgeschädigte Gefäße, die bei Hochdruck und Diabetes vorliegen, aggravieren den Plasmaaustritt und die intravasale Gerinnung [20].

 

Klinische Manifestation

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann völlig asymptomatisch oder mit dem Bild einer schweren Pneumonie tödlich verlaufen. Nach einer Inkubationszeit von zwei Tagen bis zu drei Wochen (Median fünf Tage) ist das häufigste Symptom Fieber, gefolgt von Entzündungen im Respirationstrakt mit (trockenem) Husten und Atemnot bei 75 %, aber auch Affektion des Gastrointestinaltrakts bei 20 % der Patienten. Ein auffällig häufiges Symptom ist eine Anosmie (60 %), vergleichsweise selten kommt es zu Herzbeschwerden oder Nierenversagen und neurologischen Störungen (jeweils etwa 10 %). Auch Thromboembolien wurden bei ca. 10 % der an COVID-19 Verstorbenen gefunden [11, 19]. Je länger eine schwere Infektion dauert, umso häufiger treten Bakterien aus dem Darmlumen aus, verbunden mit entsprechenden präseptischen Zeichen. Klinisch kann das Auftreten der COVID-19-Krankheit bei vielen Patienten kaum von einer Influenza unterschieden werden.

Typische Laborbefunde

Wie bei anderen viralen Infektionen auch sind Lymphopenie und Thrombocytopenie typische Parameter. Im Plasma sind die Spiegel von CRP, TNF-α, IL-6 erhöht, auch bei nicht sichtbarer Leberbeteiligung häufig ALT und AST. Je höher die D-Dimer-Konzentration ist, umso ausgeprägter ist die Spaltung von Fibrin als Zeichen der Makro- und Mikrothrombosierung sowie gegebenenfalls einer intravasalen Gerinnung. Die Thromboplastinzeit ist häufig verlängert, die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) erhöht.
Virale RNA ist über die PCR vor allem aus Sputum oder Nasenrachenabstrichen verlaufsabhängig für etwa 20 bis 30 Tage nachweisbar, teilweise noch länger. Virusnachweise gelingen auch aus Stuhl, jedoch nicht aus Urin und nur in Ausnahmefällen aus Blut [3, 4]. Wie oben beschrieben können auch bei asymptomatischer Infektion hohe Mengen an SARS-CoV-2-RNA im Nasopharynx nachgewiesen und ausgeschieden werden. Kinder scheiden nicht mehr Virus aus als Erwachsene.
Überraschenderweise korreliert die Menge an nachgewiesener RNA nicht mit der Infektiosität eines Patienten. Durch Anzuchtversuche konnte gezeigt werden, dass immunkompetente Individuen nur ca. 10 Tage lang infektiöses Virus ausscheiden, wobei die Menge infektiöser Partikel gegen Ende der Krankheit sehr stark abfällt. Der Nachweis von RNA außerhalb infektionsfähiger Viruspartikel gelingt oft noch Wochen später. SARS-CoV-2 in Faeces spielt keine epidemiologische Rolle, da die Isolation von vermehrungsfähigem Virus bisher nur äußerst selten und nur in geringsten Mengen gezeigt werden konnte [4].

Impfstoffe

Durch die enormen Anstrengungen der Medizin- und Forschungswelt sind eine Vielzahl von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 in der Entwicklung oder bereits zugelassen. Diesem für die Beherrschung der Pandemie überaus wichtigen Thema widmet sich ein eigener Beitrag in dieser Ausgabe (s. S. 71 f.).
Wie nach Infektion mit SARS-CoV-2 aus der reaktiven IgG-Produktion zu ersehen ist, nimmt selbst eine hohe Antikörper­antwort über Monate ab. Die bisher zugelassenen Impfstoffe basieren daher auf einem Regime mit zwei Impfungen im Abstand von drei bis vier Wochen zum Aufbau eines effizienten Impfschutzes [6]. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand der Immunreaktion [21] und aufgrund fehlender Langzeiterfahrungen ist es möglich, dass eine dritte Impfung im Abstand von 6 bis 12 Monaten zum Erreichen einer lang andauernden Immunität notwendig sein kann. Die Anpassung von Vakzinen in regelmäßigen Abständen in Analogie zur jährlichen Grippeimpfung ist möglich und abhängig von der Entwicklung des Virus in der menschlichen Population in Zukunft.    

 

Autoren
Dr. Rosina Ehmann
Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München
Prof. Dr. Lutz G. Gürtler
Max von Pettenkofer-Institut München
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