Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV): Endlich vielversprechende Kandidaten

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.04.04

Aufgrund der vergleichsweise hohen Morbidität und Mortalität bei Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus wurde bereits Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Impfstoffentwicklung begonnen. Zunächst war dies nicht von Erfolg gekrönt: Geimpfte Kinder entwickelten keine ausreichende Immunität und erkrankten sogar schwerer als Ungeimpfte. Neue Impfstoffkandidaten geben nun Anlass zur Hoffnung auf die baldige Zulassung eines Impfstoffes.

Schlüsselwörter: Passive Immunisierung, ERD, AED, FI-RSV, F-Protein, G-Protein, SH-Protein

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) (Abb. 1), ein Paramyxovirus wie das Masernvirus, ist die zweithäufigste Ursache für Säuglingssterblichkeit und eine der wichtigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität durch respiratorische Infekte bei älteren Erwachsenen (Tab. 1).

Tab. 1: Daten zur weltweiten Krankheitslast durch RSV bei Kindern. Von 33 Millionen akuten respiratorischen Infektionen werden ca. 30 % durch RSV verursacht (nach [1, 4]). DALY = disease-adjusted life years = Anzahl verlorener „gesunder“ Lebensjahre.

Krankheitslast

Daten

Tod durch RSV-Infektionen bei Kindern

118.200 Todesfälle (medianes Alter 5–7 Monate)

48–50 % der Kinder sterben außerhalb eines Krankenhauses.

Mehr als 99 % der Todesfälle bei Kindern ereignen sich in Staaten mit geringem oder mittlerem Einkommen.

Nur 24 % haben Zugang zu intensivmedizinischer Versorgung.

Hospitalisierungen

Ca. drei Millionen Kinder mit durch RSV verursachten Infektionen der unteren Atemwege müssen stationär behandelt werden.

15,9 von 1.000 Neugeborenen pro Jahr sind betroffen.

79 % der hospitalisierten Kinder waren vorher gesund.

45 % der hospitalisierten Kinder sind jünger als sechs Monate.

Kinder unter einem Jahr sind dreimal so häufig betroffen, wenn sie als Frühchen auf die Welt kamen.

Kosten

Mehr als drei Milliarden Euro direkte medizinische Kosten

+8,7 % direkte nicht-medizinische Kosten

+36,7 % indirekte Kosten

Erwarteter Nutzen

Daten

Monoklonale Antikörper

Verhinderte Todesfälle: 5.000 (95%-KI 1.000–16.000)

DALY: 137.000 (95%-KI 23.000–423.000)

Impfung

Verhinderte Todesfälle: 3.000 (95%-KI 1.000–11.000)

DALY: 98.000 (95%-KI 16.000–308.000)

Weltweit sterben jährlich immer noch über 100.000 Kinder an RSV und die meisten in die Klinik eingewiesenen Kinder waren vorher völlig gesund. Wie bei vielen respiratorischen Viren ist die natürliche Immunantwort nach einer Infektion nicht ausreichend für eine lebenslange Immunität. Re-Infektionen kommen das ganze Leben lang vor, haben aber meist einen deutlich weniger schweren Verlauf. Erst in höherem Alter steigt das Risiko für eine Hospitalisierung wieder. Infektionen, die auf natürlichem Weg keine gute Immunität auslösen, sind auch schwierige Kandidaten für Impfstoffe. Das kennen wir von anderen respiratorischen Infekten wie Influenza und Covid-19, aber auch von systemischen Infekten wie HIV und HCV.

Spezifische prophylaktische oder therapeutische Möglichkeiten für RSV-Erkrankungen waren lange Zeit nicht vorhanden. Erst 1999 wurde der erste blockierende monoklonale Antikörper für die Prophylaxe für Kleinkinder mit Risikofaktoren und damit potenziell schweren Verläufen in Deutschland zugelassen.

Passive Immunisierung – Palivizumab

Palivizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper (MAK) vom Typ IgG1. Der Antikörper wird gentechnisch in einer stabilen Maus-Myelomzelllinie hergestellt. Der MAK bindet an das in allen RSV-Isolaten hochkonservierte A-Epitop des Fusionsproteins (F-Protein) des RSV und verhindert so den Eintritt des Virus in die Zelle. Das F-Protein vom RSV ist ein Glykoprotein auf der Oberfläche des Virus. Es ist für die Fusion der viralen mit der zellulären Membran notwendig – und diese kann durch den MAK verhindert werden.

Palivizumab wird zur Prävention bei Kindern mit hohem Risiko für schwer verlaufende RSV-Erkrankungen angewendet. Dazu zählen z. B. Frühchen (vor der 36. Schwangerschaftswoche Geborene) die zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind und auch Kinder unter zwei Jahren, die innerhalb der letzten sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden oder die einen angeborenen Herzfehler haben. Palivizumab ist nicht zur Behandlung von bereits bestehenden RSV-Infektionen oder für die Behandlungen von Erwachsenen zugelassen.

Entwicklung von Impfstoffen

Teil 1: Das böse Erwachen

Wie bei allen schweren viralen Infekten wurde schon früh an Impfstoffen gearbeitet und 1967 wurden Säuglinge und Kleinkinder mit einem Formalin-inaktivierten Impfstoff immunisiert. Leider war die Impfung alles andere als erfolgreich, denn geimpfte Kinder, die sich mit dem Wildtyp-Virus infizierten, hatten einen z. T. erheblich schwereren Krankheitsverlauf. Diese verstärkte Form der RSV-Erkrankung war durch hohes Fieber, Bronchopneumonie und Keuchen gekennzeichnet. Krankenhauseinweisungen waren häufig und zwei immunisierte Kleinkinder starben nach einer Infektion mit Wildtyp-RSV. In ersten Publikationen wurde von „peribronchio­lärer monozytärer Infiltration mit einem Überschuss an Eosinophilen“ berichtet.

Die verstärkte RSV-Krankheit

Die verstärkte RSV-Krankheit (enhanced RSV disease, ERD) wurde verständlicherweise intensiv beforscht und blieb lange rätselhaft. In den letzten Jahrzehnten wurde das Phänomen ERD in zahlreichen Studien mit einer Vielzahl von Tiermodellen, Immunogenen und Immunisierungsstrategien untersucht. Zahlreiche Zelltypen, Zytokine und Chemokine wurden analysiert und es konnte gezeigt werden, dass einige Mediatoren ERD fördern und andere ERD abschwächen. Letztendlich konnten viele Puzzlesteine zusammengeführt werden.

Zwei mysteriöse Beobachtungen jedoch konnten jahrelang nicht gut in das bis dahin vorhandene Verständnis der ERD-Anfälligkeit eingebaut werden: ERD trat nie bei Säuglingen auf, die zum Zeitpunkt der Immunisierung mit dem formalin-inaktivierten Impfstoff seropositiv für RSV waren, und kein Kind hatte jemals zweimal ERD. Die Antwort auf diese beiden Rätsel lautete, dass die Impfung eine insuffiziente Immunantwort induzierte.

ERD ist das Ergebnis einer Immunisierung mit Antigenen, die durch Formalin-Behandlung verändert wurden, nicht den nativen Antigenen auf der Virusoberfläche gleichen und nicht im Zytoplasma prozessiert werden. Es kommt dadurch zu einer CD4-T-Helfer-Antwort in Abwesenheit von zytotoxischen T-Lymphozyten und des Weiteren zu einer fehlenden Affinitätsreifung der B-Zellen mit niedrigaffinen Antikörpern, die bei einer weiteren Infektion nicht schützen. Ein weiterer Grund für die geringere Affinität der Antikörper ist die schwache Aktivierung von Toll-like-Rezeptoren (TLR)1 während der Immunisierung. Eine spätere RSV-Infektion löst dann die Bildung von Immunkomplexen und eine Komplementaktivierung aus sowie eine von Typ-2-T-Helferzellen (Th2) vermittelte Bronchokonstriktion, Lungenentzündung und Schleimproduktion durch Anaphylatoxine wie C3a.

Zusammenfassend führt der Formalin-inaktivierte RSV-Impfstoff also zu einer in diesem Fall pathogenen Th2-Polarisierung mit Eosinophilen- und Immunkomplexablagerung in der Lunge. Nach einer RSV-Infektion kommt es dann zu einer fehlgesteuerten Immunreaktion mit einem klinisch sehr schweren Verlauf. RSV-Impfstoffe, die in Tiermodellen hohe Konzentrationen von Th2-assoziierten Zytokinen wie IL-4 und/oder IL-13 hervorrufen, werden daher als anfällig für eine Immunantwort in Richtung ERD angesehen und als Kandidaten für die Immunisierung früh in der Entwicklung aussortiert.

Teil 2: Die neue Hoffnung

Nachdem die Pathogenese der ERD gut untersucht worden war, wurde in den letzten Jahren wieder an zahlreichen Impfstoffkandidaten mit neuartigen Designs und Formulierungen geforscht und diese bereits in klinischen Studien eingesetzt.

Natürlich wird immer intensiv untersucht, ob In-vitro-Parameter oder in vivo in Tiermodellen Immmunreaktionen für ein ERD-Risiko sprechen. Über 30 RSV-Impfstoffkandidaten befinden sich in der klinischen Entwicklung. Dabei werden sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt: rekombinante Vektor-, Untereinheiten- und Partikel-basierte Kandidaten, attenuierte Lebendimpfstoffe sowie chimäre und Nukleinsäure-Impfstoffe (Tab. 2).

 

 

Zur erfolgreichen Entwicklung von aktiven und passiven Impfstoffen hat das Verständnis der Pathophysiologie von ERD viel beigetragen. Insbesondere müssen die viralen Antigene und deren Epitope so ausgewählt werden, dass hochaffine und stark neutralisierende Antikörper gebildet werden.

Die RSV-Impfung ist nur ein Beispiel für Immunantworten, die eine Zweit-Infektion nicht in die Schranken weisen, sondern zu einem verstärkten Verlauf führen können (s. Kasten). Dieses Phänomen wurde leider auch von einigen Impfstoffen gegen Dengue ausgelöst und ist eine gefürchtete Wirkung bei jeder Impfstoffentwicklung. Daher findet sich oft auch der Begriff „Vaccine-associated enhanced disease (VAED)“.

Teil 3: Der Durchbruch

Was zeichnet nun den erfolgreichen, vor der Zulassung stehenden Kandidaten aus? Ziel der Impfung ist der Schutz vor schweren Verläufen, idealerweise auch der Schutz vor Infektion und dabei die Vermeidung der gefürchteten Antikörper-verstärkten Virus­erkrankung (AED).

Der Impfstoff gehört zur Gruppe der Subunit-Impfstoffe. Er besteht aus einem rekombinant hergestellten und in Säugetierzellen produzierten löslichen sezernierten Protein. Das Antigen ist das Fusionsprotein vom RSV, das F-Protein. Vergleichbar mit dem Spike-Protein von SARS-Cov-2 ist es für die Fusion mit der Zellmembran verantwortlich, wobei das Spike-Protein auch das Hauptbindeprotein ist, während RSV wohl primär über das G-Protein an die Zielzelle bindet. Ebenso wie das Spike-Protein macht es bei der Fusion eine starke Konformationsänderung durch. Man unterscheidet daher die Prä-F- von der Post-F-Konformation. Interessanterweise scheinen v. a. AK gegen das Prä-F-Protein die Infektion stark zu inhibieren. Palivizumab ist gegen ein Epitop am F-Protein gerichtet, das sowohl in der Prä- als auch in der Post-Konformation vorhanden ist. Auch humane Seren mit starker In-vitro-Aktivität gegen RSV beinhalten hochaffine Antikörper gegen das F-Protein. Durch verschiedene Tricks, z. B. modifizierte Aminosäuresequenz im Impfstoffprotein, konnte die Prä-F-Konformation stabilisiert werden. Und durch die optimale Auswahl des Epitopes konnte eine starke Antikörperantwort gegen beide RSV-Subtypen, A und B, erzeugt werden. Hochaffine, stark neutralisierende Antikörper ohne Hinweise auf eine Th2-Verschiebung scheinen auch die Lösung zur Verhinderung der gefürchteten ERD zu sein.

Ausblick

Ein passiver Impfstoff, d. h. ein monoklonaler Antikörper (Palivizumab), ist vor einigen Jahren zugelassen worden und wird seitdem erfolgreich eingesetzt. Ein zweiter MAK mit verlängerter Halbwertszeit wird wohl bald für die Behandlung von Säuglingen verfügbar sein.

Einige aktive Impfstoff-Kandidaten befinden sich in klinischen Phase-3-Studien, von denen mehrere laut Vorberichten der Hersteller erfolgreich abgeschlossen sind. Die Zulassung soll noch dieses Jahr beantragt werden, vorerst wohl für die Gruppe der über 60-Jährigen, die neben den Säuglingen das höchste Risiko für schwere bis tödliche RSV-Verläufe haben. Auch Impfstoffe für schwangere Frauen zum Schutz von Säuglingen durch Leihantikörper der Mutter befinden sich in weit fortgeschrittener Entwicklung. Ein großer Schritt bei der Behandlung der schwer verlaufenden RSV-Infektion ist also zu erwarten.

Autor
Prof. Dr. med. Rudolf Gruber
Mitglied der Redaktion
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