Antikörper gegen seltene Blutgruppenmerkmale

Ethnische Unterschiede in der Immunhämatologie

Die menschlichen Blutgruppensysteme sind weltweit sehr unterschiedlich verteilt, nicht zuletzt weil bestimmte Erythrozytenmerkmale Schutz vor Infektionskrankheiten wie Pocken oder Malaria bieten. Für die Versorgung mit kompatiblen Blutprodukten bedeutet dies in Zeiten verstärkter Migration jedoch eine große Herausforderung.

Schlüsselwörter: Blutgruppen, Migration, Transfusion, Immunhämatologie

 

Was passiert, wenn Migranten aus anderen Erdteilen bei uns in Deutschland transfusionspflichtig werden? Haben wir dafür überhaupt die richtigen Blutprodukte? Mit diesen und ähnlichen Fragen werden Ärzte zunehmend konfrontiert, und die Antworten darauf sind nicht einfach.

 

AB0-System

Isoagglutinine (Antikörper gegen AB0-Merkmale) werden bei allen Menschen in gleicher Weise gebildet, variieren jedoch in ihrer Häufigkeit weltweit je nach Verteilung der Blutgruppen erheblich (Abb. 1).

Die Blutgruppe B ist vor allem in denjenigen Ländern häufig, die in zurückliegenden Jahrhunderten schwerere Pockenepidemien erlebten. Ursache für dieses auffällige Phänomen sind Anti-A-Antikörper, die Pockenviren inaktivieren können[1]. In einzelnen Bevölkerungsgruppen wie etwa den asia­tischen Kalmücken ist die Blutgruppe B in bis zu 40% vertreten. In der indigenen Bevölkerung Amerikas und Australiens gibt es hingegen kein B. Hier weisen bis zu 100% – beispielsweise der peruanischen Ureinwohner – die Blutgruppe 0 auf. Als Migranten hätten sie bei uns aus transfusionsmedizinischer Sicht keine Probleme, da sie keine AB0-Varianten mit speziellen Anforderungen an Erythrozytenkonzentrate (EK) aufweisen können.

 

Rhesus-System

Bei den zahlreichen Varianten des Rh-Systems kann die Versorgung mit EK hingegen deutlich anspruchsvoller sein; neben dem RhD-Protein (= Rhesusfaktor) exis­tiert auch das RhCE-Protein, das die Antigene C, c, E und e trägt. Mischformen zwischen beiden Proteinen und SNP-Mutationen machen das Rh-System mit 61 Antigenen und 493 molekularbiologisch charakterisierten Allelen zu einem der umfangreichsten Blutgruppensysteme des Menschen.

Afrikaner weisen zusätzliche Polymorphismen durch Hybridallele zwischen RhD und RhCE auf, was bedeutet, dass es dort mehr Möglichkeiten als in anderen Bevölkerungsgruppen gibt, Rh-Antikörper zu bilden[2]. So wird beim RhD-Protein eine Gruppe der varianten Allele als „D afrikanischen Ursprungs", kurz DAU bezeichnet.

Beim RhCE-Protein gibt es in Afrika Varianten, gegen die Antikörper aus der hrS-Gruppe gebildet werden können. Diese reagieren mit vielen oder den meisten Erythrozytenkonzentraten und können daher bei der EK-Versorgung große Schwierigkeiten bereiten. Bei Kaukasiern sind diese Varianten unbekannt, und so besteht in den meis­ten hiesigen Laboratorien und Blutbanken ein entsprechendes Wissensdefizit mit erheblichem Fortbildungsbedarf[2].

In besonderem Maße gilt das für die Rh-Merkmale CCD.EE, denn bei Kaukasiern kommt diese Kombination überhaupt nicht vor, bei Afrikanern ist sie dagegen möglich – wenn auch selten. Pa­tienten mit diesen Rh-Merkmalen können die Antikörperkombination Anti-c und -e bilden, die praktisch mit allen Testerythrozyten reagiert, sodass die Diagnostik über Rhnull-Erythrozyten oder zeitaufwendige Antikörpertrennung mit Adsorption und Elution laufen muss.

Zudem sind CCD.EE-Konzentrate von Kaukasiern gar nicht und von Afrikanern nur schwer zu bekommen[2]. Hinzu kommt, dass afrikanische Spender mit positiver Malaria-Anamnese aufgrund der aktuell gültigen hämotherapeutischen Richtlinien nicht zugelassen werden können[3]. Hier wäre eine Ergänzung für die Zulassung dieser Spender hilfreich, um alle Blutgruppen gut versorgen zu können.

Besondere Rh-Merkmale gibt es auch in Asien: Allgemein ist der Rh-negative Phänotyp dort deutlich seltener als bei Kaukasiern; er liegt unter 1% verglichen mit ca. 17%[2]. Zudem sind viele der scheinbar D-negativen Asiaten bei genauer Typisierung schwach D-positiv (Del) und können als Spender prinzipiell D-negative Patien­ten ohne Del immunisieren.

Weitere Blutgruppensysteme

Besonders große Unterschiede gibt es im Duffy-Blutgruppensystem (Fy), denn dieses Oberflächenprotein der Erythrozyten wird bei vielen Afrikanern überhaupt nicht exprimiert. Da ihnen die Merkmale Fya und Fyb fehlen, sind diese Menschen vor der Malaria tertiana geschützt.

Erythrozytenkonzentrate ohne Duffy-Merkmale gibt es von kaukasischen Blutspendern fast nicht. Patienten, die Fya- und Fyb-negativ sind, können aber auch Fyb-positiv transfundiert werden, wenn das Fy-Antigen im Endothel exprimiert wird (meist Fyb ohne Fya, selten umgekehrt). Letzteres ist anhand von leukozytärer DNA molekularbiologisch feststellbar. Auf Fya-positive EK sollte man bei diesen Patienten gleichwohl verzichten, um eine allgemeine Fy-Immunisierung zu unterbinden.

Bei Afrikanern ist auch im MNS-System eine Besonderheit zu finden, die es bei Kaukasiern nicht gibt: Die Antigene S und s fehlen bei etwa 1%, meist in Kombination mit einem fehlenden Antigen U aus dem MNS-Blutgruppensystem. Der zugehörige Antikörper kann Hämolysen verursachen, weshalb kompatible Transfusionen anzustreben sind.

Im Kell-Blutgruppensystem gibt es bei Afrikanern ein Antigen, das bei Kaukasiern praktisch unbekannt ist: Das Antigen Jsa tritt mit einer Frequenz von bis zu 20% auf; bis zu 1% der afrikanischen Patienten ist Jsb-negativ. Diese Personen bilden dagegen nicht unbedingt Antikörper, doch wenn ein Anti-Jsb vorliegt, wird die EK-Versorgung aufwendig. Gleiches gilt für den k-negativen Typ, der bei Kaukasiern selten (0,2%) und bei Afrikanern praktisch nicht-existent ist. Bei Personen aus dem Nahen Osten können bis zu 1,8% k-negativ sein[2].

Schließlich fehlt das Antigen Yta aus dem Cartwright-Blutgruppensystem, das Kaukasier üblicherweise exprimieren, bei zu 2,4% der Patienten aus dem Nahen Osten[2]. Antikörper gegen dieses Merkmal können im Verlauf Antigen-ungleicher Transfusio­nen klinisch relevant werden.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Antikörpern relativ hoch ist; Angaben zur Inzidenz von Immunisierungen liegen im Bereich von etwa 3 bis 8%[5]. Es wäre allerdings falsch, diese Zahlen vorrangig auf die ethnische Vielfalt und den steigenden Migrationsdruck zurückzuführen. Daten von Erythrozytenkonzentraten, die in aktueller Technik hergestellt wurden, zeigen vor allem eine klare Abhängigkeit der be­obachteten Inzidenzen von der Anzahl der berücksichtigten Antigene.

Die Immunisierung und Bildung von Blutgruppen-Antikörpern ist seit jeher die häufigste Nebenwirkung nach Bluttransfusionen und erfordert deshalb völlig unabhängig vom ethnischen Hintergrund des Patienten die strikte Beachtung der von der Bundesärztekammer und dem Paul-Ehrlich-Institut herausgegebenen Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten.


PD Dr. med. Norbert Ahrens

Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Transfusionsmedizin Universitätsklinikum Regensburg