Europa im Visier der Chagas-Krankheit

Seltene Infektionskrankheiten

Die in Lateinamerika endemische Chagas-Krankheit hat durch Migration und Tourismus den Weg auch nach Europa gefunden. Auch in Deutschland könnten tausende Menschen unerkannt mit dem Parasiten infiziert sein. Die Labordiagnostik ist deshalb gefordert, klinisch stumme Träger zu identifizieren und die Infektionswege zu unterbrechen. Bluttransfusionen und Übertragungen in der Perinatalperiode stellen das größte Risiko dar.

Schlüsselwörter: Chagas-Krankheit, Trypanosoma cruzi, Migration, Prävention, Labordiagnostik

Die Chagas-Krankheit (ICD-10; WHO-Version 2013) kommt hauptsächlich in Lateinamerika vor und ist dort endemisch. Verursacht wird sie von einzelligen Parasiten (Protozoen) der Art Trypanosoma cruzi (T. cruzi), die zur Klasse der Flagellaten (Geißeltierchen) gehören (Abb. 1).

Nehmen Raubwanzen aus einem infizierten Wirt Blut auf, so wird der Parasit als infektiöse Form im Enddarm gespeichert. Wenn nun die Raubwanze einen Säuger, also zum Beispiel einen Menschen beißt, so legt sie gleichzeitig den mit T. cruzi infizierten Kot auf der Haut ab. Von hier gelangt der Erreger über die Bisswunde oder durch die Schleimhäute von Mund oder Augen in die Blutbahn. Auch außerhalb der Raubwanzen bleibt der Kot lange Zeit infektiös, wodurch kontaminierte Lebensmittel oder Tierfutter orale Infektionswege ermöglichen, genauso wie der Verzehr von rohem oder ungenügend gekochtem Fleisch infizierter Tiere.

Akute Chagas-Krankheit

Die akute Krankheitsphase klingt meist nach Wochen oder wenigen Monaten wieder ab. In dieser Zeit fühlen sich die Infizierten oft nur „unwohl", sodass der Parasitenbefall häufig unerkannt bleibt. Würde zu diesem Zeitpunkt eine antiparasitäre Therapie mit Nifurtimox oder Benznidazol eingesetzt, könnte man möglicherweise bei bis zu 90% der Infizierten die Parasiten effektiv beseitigen und eine Chronifizierung der Infektion verhindern.

5 bis 10% der Patienten zeigen milde klinische Infektionszeichen (Fieber, Lymphadenopathie); möglich sind aber auch Luftnot, Ödeme, Durchfall, Bauchschmerzen und Krämpfe. Nur wenige Patienten präsentieren sich mit dem Vollbild einer Hepatosplenomegalie, Myokarditis oder Meningoenzephalitis. Hauptsächlich die beiden letzteren sind für die Mortalitätsrate von 2 bis 6% in der akuten Phase verantwortlich. Betroffen sind davon vor allem Kinder.

Chronische Chagas-Krankheit

Ohne antiparasitäre Therapie sowie bei Verlust körpereigener immunologischer Kontrollmechanismen persistiert der Parasit, sodass die Infektion chronifiziert und oft lebenslang besteht (chronische Chagas-Krankheit). Trotzdem verbleiben zwei Drittel dieser Patienten in einem dauerhaft asymptomatischen Zustand (sog. intermediäre Phase der Chagas-Krankheit). Ein Drittel wird jedoch – häufig erst nach Jahrzehnten – mit lebensbedrohlichen Begleit­erkrankungen symptomatisch; in ca. 90% der Fälle liegt dann eine Herzerkrankung wie zum Beispiel chronische Myokarditis, Kardiomyopathie mit Arrhythmie oder Herzinsuffizienz vor. Etwa jeder dritte symptomatische Patient stirbt am plötzlichen Herztod, ohne dass zuvor lebensbedrohliche Stadien der Chagas-Herzkrankheit diagnostiziert wurden. Bei den übrigen kommt es meist zu einer letztlich tödlichen Herzinsuffizienz als Folge einer dilatativen Kardiomyopathie. Etwa 10% der symptomatischen Patienten weisen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (Megaösophagus, Megakolon) mit etwaigen Frühzeichen in Form von Schluckbeschwerden, Regurgitation, Verstopfung, Bauchschmerzen und Gewichtsverlust auf. Erkrankungen des parasympathischen Nervensystems werden ebenfalls beobachtet.

Übertragungswege

Ein Infektionsrisiko besteht vom Süden der USA bis in den Süden Argentiniens, wo ca. sechs Millionen Einwohner infiziert sind. Neben der Raubwanze kommen prinzipiell weitere Insekten (Floh, Fliege, Bettwanze, Mücke, Laus) als Vektoren infrage; nachgewiesen wurde T. cruzi zudem in Zecken, doch ist hier bislang keine Übertragung auf den Menschen beschrieben.

Da die Vektor-assoziierte Übertragung von T. cruzi in Mittel- und Südamerika durch die Bekämpfung der Raubwanze abgenommen hat, treten nun andere Übertragungswege in den Vordergrund. Insbesondere stellen alle Bluttransfusionen in diesen Ländern ein Infektionsrisiko dar, wobei Vollblut und Thrombozytenkonzentrate von weit größerer Bedeutung sind als Blutplasma. T. cruzi-Positivität wird deshalb als Ausschlusskriterium für eine Blutspende angesehen. Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht auch für Berufsgruppen im Sozial- und Gesundheitswesen, die Kontakt mit infiziertem Blut haben. Möglich sind schließlich Übertragungen von T. cruzi durch Organtransplantate, sexuellen Kontakt sowie prä- und postnatal durch intrauterinen Transfer, während der Geburt und beim Stillen (z. B. bei verletzter Mamilla).

 

Migration und Chagas-Krankheit

Europa beherbergt zwar ebenfalls Raubwanzen, doch diese dienen derzeit offenbar nicht als T. cruzi-Vektoren. Allerdings könnte sich die Situation durch den Klimawandel – ähnlich wie bei Denguefieber, Malaria und anderen Vektor-abhängigen Infektionen – in Zukunft durchaus ändern. Bedeutsamer für Länder außerhalb Lateinamerikas dürfte die zunehmende internationale Migration sein: In den USA geht man davon aus, dass von den 23 Millionen Einwohnern mit lateinamerikanischem Hintergrund ca. 300.000 mit T. cruzi infiziert sein könnten. Dort wurde deshalb 2007 ähnlich wie in Lateinamerika ein konsequentes Blutspenderscreening zur umfassenden Erkennung infizierter Personen eingeführt.

In Europa stammen mehr als drei Millio­nen Einwohner aus betroffenen Ländern Lateinamerikas. Es mangelt jedoch noch immer an systematischen epidemiologischen Studien, die die Beziehung zwischen Immigration und T. cruzi-Trägerschaft exakt ausweisen. Schätzungen gehen davon aus, dass bei Berücksichtigung der Infektionsrate in den lateinamerikanischen Herkunftsländern rund 100.000 Infizierte in Europa beheimatet sein könnten. Man rechnet mit einer Inzidenz von 3 bis über 30 pro 100.000 Einwohner.

 

Landestypische Maßnahmen

Der spanische Gesetzgeber schloss bereits 2005 alle Risikopersonen aus formalen Gründen bzw. nach positiver Testung auf Chagas-Krankheit von der Blutspende aus. Zu dieser Gruppe zählen Personen, die in den endemischen Gebieten geboren wurden bzw. dort lange gelebt haben, deren Mutter aus den endemischen Gebieten stammt sowie alle, die dort Bluttransfusionen erhalten haben. Auch in Italien, Großbritannien, Frankreich, Schweden und in der Schweiz gibt es Programme, nach denen Risikopersonen erst nach standardisierter Befragung zur Blutspende zugelassen werden.

In Spanien wurde ein Screeningprogramm vorgeschlagen, um mit T. cruzi infizierte Schwangere zu identifizieren. Präventionskonzepte zur Vermeidung Transfusions-bedingter oder Mutter-Kind-abhängiger T. cruzi-Infektionen fehlen in den meisten anderen europäischen Ländern bzw. sind nur in einigen Regionen lokal organisiert.

In Deutschland könnten unter Berücksichtigung des Bevölkerungsanteils mit mittel- und südamerikanischem Migra­tionshintergrund einige tausend T. cruzi-Träger leben. Bisher wurden jedoch erst zwei Infizierte entdeckt, da systematische Studien fehlen. Ergebnisse aus dem 2014 initiierten Deutschen Chagas Projekt (EL CiD) liegen bislang nicht vor.

 

Labordiagnostik

Nach einer Infektion kann der Parasit bei ausreichendem Titer im Blut – also in der akuten Phase oder nach Reaktivierung bei chronischem Verlauf – im Blutausstrich mit einer Giemsa-Färbung leicht nachgewiesen werden („Dicker Tropfen", siehe Abb. 2) .

Eine Anreicherung des Parasiten im „Quantitativen Buffy Coat" (QBC) und mittels Hämatokrit-Zentrifugation nach Strout können bei niedrig-titriger Parasitämie hilfreich sein. Sinnvoll sind auch Blutkulturen auf T. cruzi sowie die sog. Xenodiagnose (Anlegen nicht-infizierter Raubwanzen am Patienten, Nachweis im Kot der Tiere). Die empfindlichste Methode ist die PCR. Allerdings gibt es hier nur – qualitativ durchaus hochwertige – „In-house"-Methoden, von denen es noch keine bis zur kommerziellen Reife schaffte.

In der Akutphase können Antikörper vom IgM-Typ, bei der chronischen Form vom IgG-Typ gegen T. cruzi nachgewiesen werden. Neben der ELISA-Technik kommen auch Hämagglutination und indirekte Immunfluoreszenz zum Einsatz. Für die Freigabe zur Blutspende sowie für epidemiologische Studien empfehlen WHO und FDA die einmalige Untersuchung auf IgG-Antikörper mit einem lizensierten Immunoassay. Für Diagnostik und -monitoring sowie zum Nachweis von transplazentaler und perinataler T. cruzi-Infektion soll die PCR mit einem Amplifikations-unabhängigen Testprinzip kombiniert werden.

In Deutschland dient das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg als Nationales Referenzzentrum für tropische Infektionserreger. Dort sowie im Tropeninstitut der LMU München werden für die Diagnostik der Chagas-Krankheit der direkte mikroskopische Erregernachweis, der Antikörpernachweis mit einem ELISA sowie die PCR angeboten.