Von einem Blutgruppenantigen spricht man, wenn eine Struktur der Erythrozytenoberfläche bei einem anderen Individuum die Bildung eines Antikörpers auslösen kann. Dies setzt voraus, dass das betroffene Individuum diese Struktur nicht oder in veränderter Form besitzt. Einem solchen Polymorphismus liegt in der Regel eine Veränderung des korrespondierenden Gens zugrunde. Die Diagnostik im Zusammenhang mit solchen immunologischen Vorgängen besteht meist aus der Kombination einer immunologischen Bestimmung der Antikörperspezifität und einer serologischen und/oder molekulargenetischen Bestimmung der Antigenkonstellationen.
Häufig liegen bei den Blutgruppenallelen nur geringe Unterschiede in der DNA vor. Wenn nur ein einzelnes Nukleotid verändert ist, spricht man von einem Einzelnukleotidpolymorphismus (single nucleotide polymorphism, SNP). Aufgrund der Identifizierung eines Blutgruppen-spezifischen SNP wird das entsprechende Antigen (Phänotyp) vorhergesagt. Auch wenn in aller Regel diese Vorhersage zutrifft, können in seltenen Einzelfällen zusätzliche Veränderungen in dem betreffenden Gen vorkommen, die falsch positive oder falsch negative Ergebnisse, und somit eine Diskrepanz zwischen Phänotyp und Genotyp zur Folge haben können. Ein falsch negatives Ergebnis kommt beispielsweise zustande, wenn auf der DNA in Nachbarschaft zu dem Blutgruppen-spezifischen SNP eine weitere, nicht bekannte oder vom angewendeten Test nicht erfasste Genveränderung vorliegt. Hierdurch wird die Detektion des Blutgruppen-spezifischen SNP gestört.
Falsch negative Genotypisierungsergebnisse sind insbesondere im Rahmen der Blutspendertypisierung oder der fetalen Blutgruppenbestimmung klinisch relevant. Falsch positive Ergebnisse können entstehen, wenn beispielsweise durch eine zusätzliche, bisher nicht bekannte Genveränderung ein Stopcodon eingeführt wird, sodass bei der Translation nur ein Proteinfragment oder kein Protein synthetisiert wird. Als Folge kann in die Erythrozytenmembran kein Protein eingebaut werden, es liegt ein sogenanntes Null-Allel vor. Null-Allele stellen für die Typisierung der Blutspender kein Risiko dar, sind aber bei der Typisierung des Patienten problematisch. Ein höherer Grad an Genauigkeit ist mit der Sequenzierung des gesamten Gens zu erreichen. Aber auch in DNA-Bereichen außerhalb des Gens können Mutationen auftreten, die das Gen und damit die Expression des Proteins beeinflussen. Da diese zusätzlichen Genveränderungen ausgesprochen selten sind, verlässt man sich normalerweise auf die SNP-Bestimmung und sucht nur bei zusätzlichen unerwarteten Befunden nach seltenen Varianten, beispielsweise dann, wenn Antikörper unerwarteter Spezifität aufgedeckt werden. Die eher geringen Unsicherheiten der molekularbiologischen Vorhersage und deren Konsequenzen muss man bei der spezifischen Befunderstellung kennen und berücksichtigen. Diskrepanzen zwischen Genotyp und Phänotyp sind immer verdächtig für das Vorliegen eines neuen Allels. Je besser eine ethnische Gruppe hinsichtlich der vorkommenden Allele durchtypisiert ist, desto genauer ist die Phänotyp-Vorhersage.
weak D Diagnostik
In der Hämotherapie-Richtlinie von 2017 [1] heißt es: „Bei diskrepanten, fraglich positiven oder schwach positiven Ergebnissen der Testansätze mit monoklonalem IgM-Anti-D ist der Patient vorerst als „Empfänger RhD-negativ“ zu deklarieren. Eine Differenzierung mit molekulargenetischen Verfahren sollte durchgeführt werden, insbesondere bei Mädchen, bei gebärfähigen Frauen und bei Patienten mit chronischem Transfusionsbedarf.
Ist diese Differenzierung erfolgt, gelten Transfusionsempfänger, Schwangere und Neugeborene mit dem RhD-Genotyp weak D Typ 1, 2 oder 3 als RhD-positiv: Transfusionsempfänger mit den Merkmalen weak D Typ 1, 2 und 3 können mit RhD-positiven Blutprodukten transfundiert werden. Schwangere mit den Merkmalen weak D Typ 1, 2 oder 3 benötigen keine Rhesusprophylaxe.
Transfusionsempfänger und Schwangere mit diskrepanten, fraglich positiven oder schwach positiven serologischen Testergebnissen und einem anderen Genotyp gelten als RhD-negativ. In den vorhergehenden Hämotherapie-Richtlinien von 2010 hieß es noch: „Bei übereinstimmend positivem Ergebnis und auch bei unzweifelhaft schwach positivem Ergebnis ist der Patient Rh-positiv (D-positiv).“ Somit wurde in den aktuellen Richtlinien das Vorgehen bei schwach positiver Ergebnisse in der serologischen RhD-Typisierung geändert.
In Einzelfällen wurde nämlich bei Vorliegen von weak D Typ 11, 15 oder 33 eine RhD-Immunisierung beobachtet. Demgegenüber wies man bei weak D Typ 1, 2 bzw. 3 trotz mehrerer tausendfacher RhD-positiver Transfusionen in keinem Fall eine RhD-Immunisierung nach. Die RhD-positive Transfusion von Patienten mit weak D Typ 1, 2 bzw. 3 und damit bei mehr als 90% der Patienten mit „abgeschwächtem D“ gilt somit als sicher.
Neben den genannten weak D Typen sind mittlerweile weit über 100 weitere Typen bzw. Subtypen in der „RhesusBase“ [2] beschrieben. Bei diesen gibt es im Regelfall keine Information, ob ihre Träger ohne Immunisierungsrisiko RhD-positiv transfundiert werden können, da zwar einerseits keine RhD-Immunisierung beschrieben wurde, sie aber andererseits so selten sind, dass man dies auch nicht erwarten kann, oder eine derart niedrige Antigendichte besitzen, dass man davon ausgehen kann, dass ihre Träger bisher stets RhD-negative Präparate erhalten haben.
Die neue Typisierungsstrategie vereint somit den Vorteil der Vermeidung von RhD-Immunisierungen bei gleichzeitigem, gezieltem Einsatz der knappen Ressource „RhD-negatives Erythrozytenkonzentrat“.
Es sei noch erwähnt, dass für eine erweiterte serologische Abklärung des „schwachen oder diskrepanten RhD“ Panels verschiedener monoklonaler, Epitop-spezifischer Antikörper zur Verfügung stehen. Diese Panels sind geeignet, die typischen partial D wie D-Kategorie IV, V, VI, VII, DHAR oder DFR abzugrenzen. Eine Unterscheidung der unterschiedlichen weak D Typen ist jedoch nicht möglich. Da partial D nur bei einer Minderzahl der Proben zugrunde liegt, die mit den Anti-D schwach oder diskrepant reagieren, ist bei der Mehrzahl der Proben eine molekulargenetische Abklärung erforderlich.