Schwarz-weiße Kontraste

Weltweite Referenzintervalle im Vergleich

Es gehört zum labormedizinischen Allgemeinwissen, dass Referenzintervalle ethnisch bedingte Unterschiede aufweisen. Bei genauerem Hinsehen sind die Daten dazu jedoch spärlich und die Ursachen weitgehend ungeklärt.

Schlüsselwörter: Referenzintervalle, Ethnien, Migration

Im Medizinstudium wie auch in der Facharztausbildung wird gern anhand ausgewählter Laborwerte darauf hingewiesen, dass es bei Referenzintervallen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ethnien zu beachten gilt. Das wohl am häufigsten angeführte Beispiel ist die Kreatinkinase, deren Blutspiegel bei männlichen Schwarzen höher als bei ihren weißen Geschlechtsgenossen sind (Abb. 1).

Was davon im späteren Medizinerdasein übrig bleibt, ist allerdings nur das ungute Gefühl, dass man gerade in Zeiten hoher Mobilität und Migration eigentlich neben all den Referenz­intervallen für Männer und Frauen, für Kinder und Senioren auch diejenigen von Arabern, Afrikanern und Asiaten berücksichtigen sollte, wenn man gute Labordiagnostik betreiben möchte.

Multiethnische Studien

Geht man den Hinweisen etwas genauer nach, so stellt man fest, dass es in Wirklichkeit viel zu wenige systematische Studien zur Gültigkeit labormedizinischer Referenz­intervalle über die Ethnien hinweg gibt. Bedingt hilfreich können Untersuchungen sein, die eine von vornherein multi-ethnische Bevölkerung – beispielsweise in Großbritannien oder den USA – zur Erstellung popula­tionsspezifischer Referenz­intervalle nutzen. So fand man in einer britischen Studie für Bevölkerungsgruppen mit westlichem (kaukasischem) und asiatischem Hintergrund[2] deutliche Unterschiede bei mindestens drei Plasmaproteinen (α1-saures Glykoprotein, α1-Antitrypsin und Haptoglobin).

Seit den späten 1970er-Jahren sind auch ethnische Unterschiede bei den zellulären Blutbestandteilen bekannt[3]. Generell besitzen Schwarzafrikaner offenbar weniger und kleinere Erythrozyten (und somit auch niedrigere Werte für Hämoglobin und Hämatokrit), und auch ihre Leukozytenzahlen liegen etwas niedriger[4, 5]. Im Differenzialblutbild weisen Afrikaner und Chinesen weniger Neutrophile und mehr Eosinophile als Kaukasier auf [6].

Die bislang wohl umfangreichste Studie stammt aus dem Jahr 2015[7]; hier wurden über 3.000 gesunde US-Bürger im Alter von 18 bis 65 Jahren in die vier ethnischen Gruppen White, Black, Hispanic und Asian unterteilt, um Referenzintervalle für 38 Messgrößen zu ermitteln. Bei Prüfung mithilfe einer Quantilregression konnte gezeigt werden, dass bis auf Glukose, Phosphat, Kalium, Natrium, Gesamtbilirubin und Harnsäure alle untersuchten Laborwerte signifikante Unterschiede aufwiesen, die sich in höchst komplexer Weise auf die vier Gruppen und die beiden Geschlechter verteilten. So war zum Beispiel das Referenzintervall für die alkalische Phosphatase bei Männern mit lateinamerikanischem Hintergrund im Vergleich zu weißen Nord­amerikanern nach oben verschoben (43–126 versus 35–107 U/l); beim Serum-Kreatinin lag der Bereich von Asiatinnen dagegen niedriger als der von weißen Frauen (0,4–0,9 versus 0,5–1,1 mg/dl).

 

Multifaktorieller Hintergrund

Was allerdings etwaige Kausalitäten hinter den beobachteten Unterschieden betrifft, so geben sich alle hier aufgeführten Studien eher vage. The differences are postulated to occur due to factors such as dietary patterns, ethnic origin and environmental pathogens[4] ist ein durchaus gebräuchlicher Standardsatz bei derartigen Populationsvergleichen, der jede (oder keine) Deutung zulässt.

In vielen Fällen – etwa beim vergleichsweise niedrigen Kreatinin von Asiatinnen oder der erhöhten Kreatinkinase schwarzafrikanischer Männer – liegt man sicher nicht falsch, wenn man einen konstitutionellen Unterschied in der Muskelmasse als Ursache annimmt. Dass es aber keineswegs immer „an den Genen" liegen muss, belegt eine neuere Arbeit der IFCC[8], die nach statischem Abgleich von Alter und Geschlecht vor allem den Body Mass Index (BMI) als Ursache für ländertypische Unterschiede bei metabolischen und inflammatorischen Markern ausmachte.

 

Individuelle Referenzintervalle

Aus all diesen Studien wird deutlich, dass das ohnehin ungelöste Problem international harmonisierter Referenzintervalle[9] vor dem Hintergrund der aktuellen Welle der „Völkerwanderung" nur noch brisanter geworden ist. Es erscheint deshalb nicht sinnvoll, auf die eine große Studie zu warten, die für alle Ethnien verbindliche Grenzwerte vorgibt. Vielmehr müssen die Laboratorien bereit sein, Eigeninitiative zu ergreifen, um für ihre relevanten Patientengruppen individuelle Referenzintervalle zu ermitteln. Zumindest für eine überschlägige Prüfung stehen geeignete Methoden zur Verfügung[10, 11]; sie müssen nur angewendet werden.


Prof. Dr. rer. nat. Ingolf Schimke

Prof. Dr. med. Georg Hoffmann

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