Follikuläres Lymphom – Pathogenese, Diagnostik und Therapie

Das Follikuläre Lymphom (FL) ist das zweithäufigste Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) in Westeuropa und den USA und eine klinisch und biologisch ausgesprochen heterogene Erkrankung. Bisher erfolgen Therapieempfehlungen stadienabhängig, ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren oder der Biologie der Erkrankung. Patienten mit lokalisierter Erkrankung können mit Strahlentherapie-basierten Protokollen geheilt werden. Die meisten Patienten erhalten jedoch ihre Diagnose erst in fortgeschrittenen Stadien und gelten weiterhin als nicht heilbar. Patienten in diesen Stadien wird nur bei sympto-matischer Erkrankung oder hoher Tumorlast eine Therapie empfohlen. Die Standardtherapie besteht aus einer Kombination von Anti-CD20-Antikörpern und zytostatischer Chemotherapie. Die meisten Patienten zeigen ein gutes Therapiean-sprechen, einen indolenten, jedoch rezidivierenden Verlauf und ein langes Gesamtüberleben von mehr als zwei Jahrzehnten. Allerdings erleidet bis zu einem Viertel der Patienten ein frühes Therapieversagen mit deutlich verkürztem Gesamtüberleben. Die Therapie rezidivierter und refraktärer Erkrankungen sowie des histologisch-transformierten FL (tFL) stellen weiterhin große klinische Herausforderungen dar. Neue Ansätze zur Risiko- und Therapiestratifikation sowie ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Biologie sind nötig, um die Therapien weiter zu optimieren und zu individualisieren. Innovative, molekular und immunologisch zielgerichtete Therapien zeigen z. T. vielversprechende Ergebnisse.

Schlüsselwörter: Follikuläres Lymphom, Pathogenese, somatische Mutationen, zielgerichtete Therapie, Risikostratifikation, Rituximab, Obinutuzumab, Polatuzumab, Blinatumomab, Idelalisib, Copanlisib, Ibrutinib, Venetoclax, Tazemetostat, Lenalidomid, Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Magrolimab

Das FL ist das zweithäufigste NHL in Westeuropa sowie den USA [1]. Die Inzidenz beträgt zwischen 2 und 3 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr und hat in den letzten Jahren zugenommen. FL machen ca. 20–35 % aller neudiagnostizierten NHL sowie 70 % aller indolenten Lymphome aus. Das mittlere Erkrankungsalter liegt zwischen 60 und 65 Jahren, Männer und Frauen sind nahezu gleich häufig betroffen [1–3].
Klinisch zeigt sich bei Patienten mit FL typischerweise eine indolente, langsam progrediente Lymphadenopathie sowie in bis zu 70 % der Fälle eine Knochenmarkinfiltration. Extranodale Manifestationen oder diffuser Organbefall sind selten. Ebenso B-Symptome (20 % der Fälle) oder erhöhte LDH-Werte [4]. Die meisten Patienten haben bei Erstdiagnose bereits ein fortgeschrittenes Stadium (> 80 %) [5]. Im weiteren Verlauf der Erkrankung kann es zu einem aggressiven klinischen Verlauf kommen mit histologischer Transformation in ein diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom. In einer großen retrospektiven Studie zeigte sich ein kumulatives 10-Jahres-Risiko für eine histologische Transformation von
8 % (Hazard Ratio). Interessanterweise wurde ein geringeres Risiko bei Patienten beobachtet, die Rituximab-haltige Therapien erhalten hatten [6].

Pathogenese

Als Ursprungszelle des FL werden B-Zellen des Keimzentrums angesehen [7]. Die Pathogenese des FL zeigt Parallelen zur physiologischen Keimzentrumsreaktion. So zeigen FL-Zellen ähnliche Gen-expressions- und DNA-Methylierungs-muster wie Zentrozyten des Keim-
zentrums [8, 9].
Die Translokation t(14;18)(q32;q21) ist charakteristisch (Nachweis bei > 50 bis 85 % der Fälle), aber nicht spezifisch für das FL und wird als initiales Ereignis der Lymphom-Entstehung angesehen. Als Folge eines fehlerhaften V(D)J-Rearrangements in der frühen B-Zell-Entwicklung gerät das BCL2(B-cell lymphoma 2)-Gen unter die transkriptionelle Kontrolle konstitutiv aktiver IgH-Enhancer- Sequenzen. Dies führt zur aberranten Überexpression von anti-apoptotischem BCL-2 [10]. Mit zunehmendem Alter kann in mehr als der Hälfte gesunder Individuen eine kleine Population zirkulierender Post-Keimzentrums-B-Zellen mit t(14;18)-Translokation nachgewiesen werden. Eine hohe t(14;18)-Last stellt einen Risikofaktor für die spätere Erkrankung an einem FL dar [11]. Interessanterweise zeigen auch t(14;18)-negative FL eine hohe BCL2-Expression. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind jedoch noch nicht vollständig verstanden [12].   
Physiologisch durchlaufen aktivierte B-Zellen in Keimzentren eine starke klonale Expansion mit gleichzeitiger somatischer Hypermutation (SHM) der variablen Immunglobulindomäne zur Spezifitäts- und Affinitätsreifung ihres B-Zell-Rezeptors (BCR) [13]. Im Rahmen der nachfolgenden Selektion spielt die Affinität und Spezifität des BCR eine entscheidende Rolle. Die meisten B-Zellen gehen bei geringer Affinität ihres BCR in
Apoptose und nur ein geringer Anteil verlässt das Keimzentrum und differenziert zu Plasmazellen bzw. B-Gedächtniszellen [14]. Die BCL2-Expression ist in Keimzentrums-B-Zellen physiologisch vermindert [14, 15]. Die aberrante Überexpression von BCL2 verschafft t(14,18)-translozierten B-Zellen einen Selektionsvorteil. Man geht davon aus, dass durch klonale Expansion und fortlaufende, aberrante SHM im Rahmen der Keimzentrumsreaktion weitere genetische Aberrationen entstehen, die maßgeblich für die volle maligne Transformation sind [16]. Dabei durchlaufen t(14;18)-transformierte B-Zellen im Laufe der LymphomProgression wohl mehrfach die Prozesse der Keimzentrumsreaktion [17]. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl rekurrenter somatischer Mutationen nachgewiesen, u. a. in epigenetischen Modifikatoren (z. B. EZH2, KMT2D, CREBBP, EP300 und ARID1A), in Transkriptionsfaktoren (z. B. STAT6, MEF2B und FOXO1) sowie in Signalmolekülen (z. B. CARD11, TNFRSF14, GNA13, CD79A/CD79B und TNFAIP3). Die molekularen Auswirkungen und Wechselwirkungen dieser Mutationen sind noch nicht vollständig verstanden, aber sie bestimmen wohl maßgeblich die individuelle Bio-logie und die unterschiedlichen klinischen Verläufe der Erkrankung [18]. Die Bestimmung der prognostischen und prädiktiven Relevanz dieser Alterationen ist ein hochaktives Forschungsfeld [19].  
An der Tumorentstehung und -progression sowie bei der Umgehung einer Antitumor-Immunantwort sind ebenfalls komplexe Wechselwirkungen von Tumorzellen des FL mit nicht-malignen Zellen und nicht-zellulären Komponenten des Tumor Microenvironment (TME) beteiligt. FL-Zellen sind abhängig von Überlebens- und Proliferationssignalen umgebender Zellen des TME und modulieren zu diesem Zweck die Komposition von Zellpopulationen, die in Keimzentren physiologisch vorkommen. Hier sind insbesondere eine gesteigerte Anzahl an follikulären T-Helferzellen (TFH), regulatorischen T-Zellen (Treg), follikulär regulatorischen T-Zellen (TFR) und follikulären dendritischen Zellen (FDC) zu nennen [20].

Diagnostik

Die Diagnose eines FL kann nur durch histologische und immunhistochemische Untersuchung einer Gewebebiopsie gestellt werden. Ein zytologisches Aspirat ist zur Diagnosestellung nicht ausreichend. Die Diagnose sollte durch einen hämatopathologisch erfahrenen Pathologen gestellt werden.
Histologisch zeigt sich ein dem Aufbau von Keimzentren ähnliches Wachstumsverhalten mit Nachweis von Zentroblasten und Zentrozyten. Im Unterschied zu normalen reaktiven Keimzentren zeigt sich jedoch ein Verlust der deutlichen Abgrenzung zwischen dark zone und light zone sowie eine nur rudimentäre Mantelzone. Immunphänotypisch sind die Expression von B-Zellantigenen (CD20, CD79a), Keimzentrumsantigenen (CD10, BCL6), eine Negativität für CD5 sowie Malignitätsmarker (aberrante intrafollikuläre BCL2-Expression) charakteristisch. FL-Zellen exprimieren meist noch Immunglobuline an der Zelloberfläche, v. a. IgM mit monoklonaler Leichtkettenexpression in 50–60 % der Fälle [1].
In Abhängigkeit des prozentualen Anteils der Zentroblasten pro Gesichtsfeld wird das FL nach der aktuellen WHO-Klassifikation in verschiedene Grade mit aufsteigender klinischer Aggressivität eingeteilt. Während FL Grad 1–3A zu den indolenten Lymphomen gerechnet werden, zählen FL Grad 3B mit Nachweis diffuser, rasenartig wachsender Zentroblasten klinisch und biologisch zu den aggressiven Lymphomen und werden entsprechend behandelt [1].
Eine Knochenmarkaspiration und -histologie gehören neben der klinischen Untersuchung, Laborchemie und Schnittbildgebung zur initialen Staging-Dia-gnostik des FL. Bei diagnostischer Unsicherheit oder seltenen Unterformen können neben der klassischen Histologie und Immunhistochemie durchflusszytome-trische und molekulargenetische Methoden angewandt werden. Hierbei sind insbesondere Klonalitätsanalysen (IGH- Rearrangements) und der Nachweis der Chromosomentranslokation t(14;18)(q32;q21) zu nennen. Die PCR- oder NGS-basierte Diagnostik von Klonalitätsmarkern in Blut und Knochenmark hat eine hohe Sensitivität [21] und kann in der Mehrzahl der Fälle im Verlauf zur Bestimmung der minimalen Resterkrankung (minimal residual disease, MRD) genutzt werden. So konnten z. B. Auswertungen der GALLIUM-Studie ein längeres progressionsfreies Überleben (PFS) bei Patienten zeigen, die am Ende der Induktionstherapie eine MRD-Negativität erreicht hatten [22]. Bislang steht die MRD-Diagnostik allerdings außerhalb von klinischen Studien nicht in der Routine-Diagnostik zur Verfügung.

Therapie

Das FL ist eine klinisch und auch molekulargenetisch sehr heterogene Erkrankung [19]. Aktuell wird dies bei Therapieempfehlungen jedoch noch nicht berücksichtigt. Die Therapie erfolgt abhängig von Stadium, Tumorlast und Symptomen, ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren oder der zugrunde liegenden Biologie.
Lokalisierte Stadien (Stadium I/II nach Ann Arbor) werden mittels Involved Field Radiatio (IF-R) in kurativer Intention behandelt. Dabei zeigten sich dosisreduzierte Konzepte mit einer Gesamtdosis von 24–30 Gy gleichwertig zu dosisintensiveren Protokollen [23].  Die MIR-Studie zeigte eine sehr niedrige Rezidivrate bei Kombination einer 30 Gy IF-R mit Rituximab [24]. Obwohl die Kombination mit Rituximab bisher nicht in randomisierten klinischen Studien mit einer alleinigen Radiatio verglichen wurde, empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie bereits die Hinzunahme von Rituximab zu einer kurativ intendierten Strahlentherapie. In laufenden Studien (GAZAI) wird derzeit eine weitere Reduktion der Strahlendosis prospektiv getestet. Falls eine Radiatio technisch nicht möglich ist oder eine sehr hohe Tumorlast vorliegt, wird auch in lokalisierten Stadien eine systemische Therapie analog der fortgeschrittenen Stadien empfohlen (Abb. 1) [25].

Fortgeschrittene Stadien (Stadium III/IV nach Ann Arbor) gelten trotz Therapiefortschritten in den letzten Jahren weiterhin als unheilbar. Bei asympto-matischen Patienten ohne große Tumorlast sollte zunächst eine abwartende Strategie verfolgt werden [25]. Dabei lassen sich eine hohe Tumorlast sowie Kriterien für eine Therapieeinleitung anhand der modifizierten Kriterien der GELF bestimmen (Tab. 1) [26].

Tab. 1 GELF(Groupe d’Etude des Lymphomes Folliculaires) – Kriterien für hohe Tumorlast und Therapieindikation. Nach [26].

GELF(Groupe d’Etude des Lymphomes Folliculaires) – Kriterien
B-Symptome
Hämatopoetische Insuffizienz (Anämie Hb < 10 g/dl / Thrombozytopenie < 100.000/µl)
große Lymphknotenkonglomerate (< 7 cm  im größten Durchmesser / ≥ 3 Lymphknoten > 3 cm)
rasch progrediente Lymphknotenvergrößerung
lymphombedingtes Kompressionssyndrom
lymphombedingter Pleuraerguss oder Aszites

 

Die Standardtherapie für unbehandelte Patienten mit hoher Tumorlast oder symptomatischer Erkrankung ist eine Kombination aus einem CD20-Antikörper (Rituximab oder Obinutuzumab) und einer zytostatischen Chemotherapie [25]. Die GALLIUM-Studie zeigte beim randomisierten Vergleich von Obinutuzumab versus Rituximab jeweils in Kombination mit einer Chemotherapie (CHOP/CVP oder Bendamustin) und anschließender zweijähriger Antikörper-Erhaltungstherapie ein längeres 3-Jahres PFS von 80 % vs. 73 % bei vergleichbarer Ansprechrate und gleichem Gesamtüberleben [27]. Das CHOP-Regime und Bendamustin gelten als gleich wirksame Alternativen, mit jedoch unterschiedlichem Nebenwirkungsprofil [28]. Die Empfehlung zur zweijährigen Erhaltungstherapie mit einem CD20-Antikörper bei Patienten, die auf eine Immunchemotherapie angesprochen haben, basiert u. a. auf den Daten der PRIMA-Studie [25]. Hier führte eine Rituximab-Erhaltungstherapie nach erfolgreicher Immunchemotherapie zu einem längeren PFS, jedoch nicht zu einem längeren Gesamtüberleben (Abb. 1) [29].
Bei älteren Patienten mit ausgeprägten Komorbiditäten und schlechtem Allgemeinzustand sind eine dosisreduzierte Immunchemotherapie, eine Antikörper-Monotherapie oder auch best supportive care alternative Therapieoptionen (Abb. 1) [25].
Bei Rezidiv der Erkrankung wird eine erneute Biopsie empfohlen, unter anderem, um eine sekundäre Transformation in ein aggressives Lymphom auszuschließen. Auch im Rezidiv ist zunächst die Therapiebedürftigkeit zu prüfen. Bei geringer Tumorlast und asymptomatischer Erkrankung ist weiterhin eine watch and wait-Strategie möglich. Bei Therapieindikation sind die Vortherapien, das vorherige Therapieansprechen und die Dauer der Remission zu berücksichtigen. Während bei Rezidiven > 2 Jahre nach initialer Therapie dieselbe Immunchemotherapie wiederholt werden kann, wird bei frühen Rezidiven ein Wechsel des Chemotherapie-Regimes sowie des CD20-Antikörpers empfohlen [25]. Bei einem Rezidiv innerhalb von 6 Monaten nach einer Rituximab-Therapie sollte bei Indikation zur erneuten Immunchemotherapie Obinutuzumab als Antikörper in Betracht gezogen werden [30]. Derzeit ist Obinutuzumab im Rezidiv nur mit Bendamustin zugelassen. Insbesondere bei jungen Patienten und frühen Rezidiven (d. h. innerhalb von 2 Jahren) ist bei chemosensitiver Erkrankung eine konsolidierende Hochdosistherapie und autologe Stammzelltransplantation zu diskutieren [31].
Bei Vorliegen eines tFL wird analog der Leitlinien für aggressive Lymphome behandelt.
Das rezidivierte/refraktäre (r/r) FL stellt weiterhin eine klinische Herausforderung dar, insbesondere da ein Großteil der Patienten bei langen Krankheitsverläufen wiederkehrende Rezidive und eine im Verlauf meist zunehmende Therapieresistenz zeigt.

Prognose und Risikostratifikation

Die Mehrzahl der behandlungsbedürftigen Patienten erreicht nach Immunchemotherapie hohe Remissionsraten (ORR > 90 %), eine lange progressionsfreie Zeit (PFS > 5 Jahre) und ein exzellentes Gesamtüberleben [3]. Daten der Stanford University zeigen ein medianes Gesamtüberleben von mittlerweile > 18 Jahren mit modernen Therapiestrategien [32]. Allerdings zeigen 20–25 % der Patienten einen nicht-indolenten Krankheitsverlauf mit frühem Progress (progression of disease within 24 months, POD24) und einem deutlich kürzeren Überleben (Median < 5 Jahre) [33].POD24 ist aktuell der zuverlässigste Prädiktor für einen frühen Tod [34].
Zur prospektiven Risikostratifikation wurden zahlreiche Modelle entwickelt. Am weitesten verbreitet ist der FL International Prognostic Index (FLIPI), der fünf einfache klinische Faktoren berücksichtigt  und Patienten in drei Risikogruppen mit unterschiedlichem Gesamtüberleben unterteilt (Tab. 2) [35].

Tab. 2 Risikostratifikationsmodelle beim FL. Mod. nach [35, 38, 40, 42] und https://www.german-lymphoma-alliance.de/Scores.html.

  FLIPI
Solal-Celigny et al. 2003
FLIPI-2
Federico et al. 2008
m7-FLIPI
Pastore et al. 2015
PRIMA-PI
Bachy et al. 2018
Einzelfaktoren • Alter > 60 Jahre
• Stadium III/IV
• Hämoglobin < 12 g/dl
• erhöhte Serum-LDH
• > 4 befallene
Lymphknoten­regionen
• Alter > 60 Jahre
• β2-Mikroglobulin
• Hämoglobin < 12 g/dl
• Knochenmarkinfiltration
• längster Durchmesser des größten betroffenen Lymphknotens > 6 cm
• FLIPI: hohes Risiko
• ECOG > 1
• Nicht-silente Mutation in:
 - ARID1A
 - CARD11
 - CREBBP
 - EP300
 - EZH2
 - FOXO1
 - MEF2B
• β2-Mikroglobulin > 3 mg/l
• Knochenmarkinfiltration
Berechnung jeder Risikofaktor 1 Punkt jeder Risikofaktor 1 Punkt

Summe der Risikofaktoren mit individueller Wichtung

(https://www.german-lymphoma-alliance.de/Scores.html)

gestaffelte Wichtung der Risikofaktoren
Einteilung Risiko:
0–1 Punkte: niedrig
2 Punkte: intermediär
3–5 Punkte: hoch
Risiko:
0 Punkte: niedrig
1–2 Punkte: intermediär
3–5 Punkte: hoch
Risiko:
> 0,8: hoch
< 0,8: niedrig
Risiko:
β2-Mikroglobulin ≤ 3 mg/l:
- keine KM-Infiltration: niedrig  
- KM-Infiltration: intermediär
β2-Mikroglobulin > 3 mg/l: hoch

 

 

Der FLIPI wurde vor Einführung von Rituximab entwickelt, konnte aber in der Folge in Patientenkohorten validiert werden, die moderne Immunchemotherapie erhalten haben [36]. Trotzdem wird der FLIPI bislang nicht zur Therapiestratifikation verwendet, u. a. weil er zu viele Patienten – vor allem ältere Patienten
mit fortgeschrittenem Erkrankungsstadium – als Hochrisikopatienten klassifiziert [37]. Eine Weiterentwicklung stellt der FLIPI-2 dar, der in der Rituximab-Ära zur Prädiktion des PFS entwickelt wurde. Der FLIPI-2 beinhaltet ebenfalls fünf klinische Faktoren, die sich allerdings z. T. vom FLIPI unterscheiden (Tab. 2). Durch eine stringentere Klassifikation identifiziert der FLIPI-2 eine kleinere Gruppe von Patienten mit deutlich erhöhtem Risiko für ein frühes Therapieversagen [38]. Während die Hauptkomponenten dieser klinischen Risiko-Scores vor allem Surrogatmarker für eine hohe Tumorlast sind, ist der Stellenwert des Alters umstritten. In unseren Auswertungen konnten wir bislang keine Hinweise darauf finden, dass hohes Alter per se mit einer ungünstigeren Lymphom-Biologie oder Therapieresistenz assoziiert ist [39]. Vielmehr scheint das erhöhte Risiko bei älteren Patienten ausschließlich auf eine erhöhte Sterblichkeit in Remission zurückzuführen zu sein. In der Folge wurde ein vereinfachtes klinisches Risikomodell, der PRIMA-PI, vorgestellt, das ohne Berücksichtigung des Alters nur auf den Risikofaktoren Serum-β2-Mikroglobulin und Knochenmarkinfiltration basiert (Tab. 2) und bereits in einer unabhängigen Patientenkohorte validiert wurde [37, 40]. Allen klinischen Risikomodellen ist jedoch gemeinsam, dass sie keine Ein-blicke in die zugrunde liegende Biologie erlauben.
Vor diesem Hintergrund werden zunehmend auch biologische Faktoren berücksichtigt, wie etwa Genmutationen oder Genexpressionsprofile. Der m7-FLIPI integriert den Mutationsstatus von sieben rekurrent mutierten Genen (EZH2, ARID1A, MEF2B, EP300, FOXO1, CREBBP und CARD11) mit dem FLIPI und ECOG-Performance-Status und  stellt das erste klinisch-genetische Risikomodell für Patienten mit therapiebedürftigen, fortgeschrittenen FL dar, die eine Standardtherapie mit R-CHOP oder R-CVP erhalten [18]. Einige der Gen-mutationen sind dabei mit einem höheren Risiko für frühes Therapieversagen assoziiert (EP300, FOXO1, CREBBP, CARD11), andere Mutationen mit einem niedrigen Risiko (EZH2, MEF2B, ARID1A) (Tab. 2) [41, 42]. Etwa die Hälfte aller Patienten mit Hochrisiko-FLIPI werden durch den m7-FLIPI zutreffender reklassifiziert als Patienten mit tatsächlich niedrigem Risiko für frühes Therapieversagen.
Genexpressionsprofile (GEP) werden seit mehr als zwei Jahrzehnten verwendet, um die Biologie maligner Lymphome besser zu charakterisieren. Grundsätzlich erlauben Expressionsanalysen mehrerer Gene Einblicke, wie ein Genotyp als Phänotyp ausgeprägt wird. Genexpressionsprofile von Lymphomgeweben repräsentieren dabei sowohl Lymphomzellen als auch Zellen des Mikromilieus sowie deren Interaktion. Beim FL konnte bereits vor Jahren gezeigt werden, dass das Überleben von Patienten mit Gensignaturen korreliert, die maßgeblich vom Mikro-milieu abstammen [43]. Kürzlich konnte  gezeigt werden, dass ein Risikomodell, basierend auf der Expression von 23 Genen, prädiktiv für das progressionsfreie Überleben nach Immunchemotherapie ist  [44]. Sowohl Genmutations- als auch GEP-basierte Risikomodelle müssen
allerdings noch in größeren Patientenkohorten, auch im Kontext neuer Therapieregime, validiert werden und sind bislang noch nicht in der Routine-Diagnostik angekommen.

Zielgerichtete neueTherapieoptionen

Durch ein zunehmend besseres Verständnis der Biologie des FL wurden in den letzten Jahren zielgerichtete Therapien entwickelt, die sich (A) spezifisch gegen Oberflächenepitope der Lymphomzellen richten, (B) intrazelluläre Signalwege und epigenetische Regulationsmechanismen blockieren sowie (C) das TME beeinflussen. Einige dieser neuen zielgerichteten Substanzen (u. a. Lenalidomid, Idelalisib, Tazemetostat) wurden bereits für das r/r FL in Deutschland und den USA zugelassen.

(A) Zielgerichtete Therapien gegen Oberflächenepitope auf FL-Zellen

Eine der ersten zielgerichteten Therapien gegen Oberflächenepitope von FL Zellen waren der selektive CD20-Antikörper Rituximab sowie später Obinutuzumab, die beide eine direkte zytotoxische sowie eine komplement-abhängige Zytotoxizität vermitteln (Abb. 2 (1)).

Die Konjugation spezifischer Antikörper mit zytostatischen und zytotoxischen Wirkstoffen bietet eine weitere therapeutische Option.
Polatuzumab, ein an Monomethyl-Auristatin E gekoppelter CD79b-Antikörper, der in Kombination mit BR für das r/r DLBCL zugelassen ist, zeigt sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit Rituximab und BR ebenfalls eine gute Wirksamkeit für das r/r FL (Abb. 2 (2)) [45–47].
Eine der spannendsten Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich der Immunonkologie ist die Entwicklung von lentiviral oder retroviral veränderten autologen T-Zellen mit Expression eines Chimeric Antigen Receptor (CAR) zur Erkennung des CD19-Antigens, die bereits beim r/r DLBCL und der r/r B-ALL zugelassen sind. In einer klinischen Phase-I/II-Studie konnte bei 21 Patienten mit r/r FL und tFL ein sehr gutes Therapieansprechen gezeigt werden (Abb. 2 (3)) [48]. Eine weitere Strategie ist der Einsatz bispezifischer T-Zell-rekrutierender-Antikörper; Blinatumomab mit Spezifität für CD3 und CD19 ist bereits für die r/r B-ALL zugelassen.
In einer klinischen Phase-I-Studie konnte eine Anti-Lymphomaktivität von Blinatumomab bei r/r indolenten B-Non-Hodgkin-Lymphome, u. a. FL, gezeigt werden (Abb. 2 (4)) [49].

(B) Zielgerichtete Inhibitoren von Signalkaskaden und epigenetischen Mechanismen in Lymphomzellen

Phosphoinositid-3-Kinasen (PI3K) sind an zentralen Vorgängen der B-Zell-Entwicklung und -Funktion sowie am B-Zell-Rezeptor-Signalweg beteiligt und dabei essentiell für Überleben, Proliferation und Migration. Idelalisib ist ein selektiver PI3Kδ-Inhibitor, der als Monotherapie in einer Phase-II-Studie beim r/r FL gute Therapieansprechen gezeigt hat und in dieser Indikation zugelassen wurde [50]. Auch Copanlisib aus der Gruppe der PI3K-Inhibitoren zeigt beim r/r FL ein hohes Therapieansprechen von bis zu 60 % (Abb. 2(5)) [51].
Die Bruton-Tyrosinkinase (BTK) ist ein zentraler Bestandteil der B-Zell-Rezeptorkaskade. Spezifische BTK-Inhibitoren wie Ibrutinib zeigen gute Wirksamkeit bei zahlreichen B-Zell-Neopla-sien. In einer klinischen Phase-II-Studie konnte die Ibrutinib-Monotherapie jedoch nur ein geringes Ansprechen bei r/r FL zeigen. [52].  Kombinationstherapien mit Ibrutinib werden aktuell in weiteren klinischen Studien erprobt (Abb. 2 (6)).
Trotz unterschiedlicher Biologie von FL mit und ohne t(14;18)-Translokation [53, 54] zeigte sich in bisherigen Studien kein Unterschied im Therapieergebnis für FL mit und ohne t(14;18), sodass der BCL2-Translokationsstatus aktuell neben der Histologie keine Rolle als prädiktiver oder prognostischer Biomarker in der Klinik spielt. Venetoclax als spezifischer BCL2-Inhibitor zeigte als Monotherapie beim r/r FL nur ein geringes Ansprechen [55]. Im Rahmen einer Phase-II-Studie wurde Venetoclax in Kombination mit BR mit alleinigem BR beim r/r FL verglichen – ohne Überlegenheit der Kombinationstherapie [56]. Im Rahmen der SAKK35/15-Phase-I-Studie wird aktuell die Kombination von Venetoclax und Obinutuzumab bei therapienaiven FL-Patienten getestet. Vorläufige Daten zeigten ein ORR von etwa 80 % nach 6 Monaten (Abb. 2 (7)) [57].
Somatische gain-of-function-Mutationen von EZH2 (enhancer of zeste homolog 2) sind bei bis zu einem Viertel der FL nachweisbar [58] und haben im m7-FLIPI den höchsten prädiktiven Koeffizienten [42]. EZH2 ist als katalytisch aktive Komponente des PRC2 (Polycomb Repressive Complex 2) an der Methylierung des Histons H3 an Lysin 27 (H3K27) und damit an der epigenetischen Genregulation und transkriptionellen Gen-Inaktivierung beteiligt [59, 60]. EZH2-Mutationen sind bei mehreren mit CHOP/CVP-basierenden Immunchemotherapie-behandelten Patientenkohorten mit einem besseren Therapieergebnis assoziiert [58, 61, 62]. Der EZH2-Inhibitor Tazemetostat wurde für die Therapie beim r/r FL in  einer Phase-II-Studie untersucht, die zur Zulassung des Medikaments in den USA führte. Dabei zeigte sich bei nachgewiesener gain-of-function-EZH2-Mutation unter Tazemetostat eine ORR von 69 % gegenüber 35 % bei Patienten ohne EZH2-Mutation (Abb. 2 (8)) [63].


(C) Zielgerichtete Beeinflussung des TME

Die Wirkungsweise des Immunmodulators Lenalidomid ist bisher nicht abschließend geklärt und Gegenstand weiterführender Untersuchungen. Beim NHL werden insbesondere immunmodulatorische, antiproliferative und antiangiogene Effekte vermutet. Lenalidomid vermittelt insbesondere durch eine erhöhte NK-Zell-vermittelte Zytotoxizität eine verbesserte Erkennung und Zerstörung von Tumorzellen [64].
Bei therapienaiven Patienten mit fortgeschrittenen FL konnte im Rahmen der RELEVANCE-Studie eine ähnliche Wirksamkeit von Lenalidomid in Kombination mit Rituximab (R2) im Vergleich zur Standardtherapie mit Rituximab und Chemotherapie gezeigt werden [65]. Beim r/r FL ist Lenalidomid in Kombination mit Rituximab bereits zugelassen
(Abb. 2 (9)) [66].
Immuncheckpoint-Inhibitoren wie die PD-1-Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab sowie der PD-L1-Antikörper Atezolizumab zeigten als Monotherapie nur moderate Ansprechraten beim r/r FL, sodass aktuell zahlreiche Studien eine Kombination aus immunmodulatorischen und weiteren zielgerichteten Substanzen testen [67]. Erste Ergebnisse einer Phase-II-Studie von Pembrolizumab in Kombination mit Rituximab zeigten Gesamtansprechraten von 64 % nach 11 Monaten [68]. Weiterführende Analysen mit größeren Fallzahlen und Langzeituntersuchungen sind bisher allerdings ausstehend (Abb. 2 (10), (11)).
CD47 auf der Zelloberfläche von B-Zellen verhindert die Phagozytose von Lymphomzellen durch Makrophagen und ist das Target des inhibitorischen CD47-Antikörpers Magrolimab; dieser wird aktuell in Kombination mit Rituximab beim r/r FL getestet und zeigte in ersten vorläufigen Daten einer Phase-Ib-Studie ein vielversprechendes Ansprechen (Abb. 2 (12)) [69].

Ausblick

Durch Aufklärung der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen werden zunehmend innovative, molekulare und immunologische Therapieoptionen beim FL entwickelt. Um die Versorgung von Patienten mit FL weiter zu verbessern und eine zunehmend individualisierte, Risiko-gesteuerte, Biologie-adaptierte Therapie zu ermöglichen, ist die weitere Etablierung und Validierung prädiktiver Marker und Modelle in großen Patientenkohorten erforderlich.
Die German Lymphoma Alliance (GLA) hat sich als gemeinnütziger Verein zum Ziel gesetzt, die Therapieergebnisse für Patienten mit malignen Lymphomen in Deutschland nachhaltig zu verbessern und hierzu die vorhandene Expertise in der Lymphomforschung, Diagnostik und Behandlung maligner Lymphome zu bündeln und zu koordinieren (https://www.german-lymphoma-alliance.de).

Summary

Follicular lymphoma is the second most common Non-Hodgkin lymphoma in Western countries and a clinical und biological heterogeneous disease. Treatment decision are currently based on disease stage rather than individual risk factors or disease biology. Patients with localized disease can be cured with radiation-based treatment protocols. However, most patients are diagnosed with advanced stages and still considered incurable. Treatment of advanced stage disease is only recommended for patients with symptomatic disease or high tumor burden. Standard treatment consists of cytostatic chemotherapy combined with anti-CD20 antibodies. Most patients have high response rates and experience an indolent clinical course with reoccurring relapses and an overall survival of two decades and more. However, approximately one-quarter of patients have early treatment failure and significantly shorter survival.
Treatment of relapsed and refractory disease as well as histologically transformed FL (tFL) remain a clinical challenge. Novel approaches for risk-adapted and biology-guided treatment stratification and a better understanding of the underlying biology are needed to further optimize and individualize our therapies. Innovative, molecular and immunological targeted therapies show promising results.  
Keywords: follicular lymphoma, pathogenesis, somatic mutation, targeted therapy, risk stratification