Wie wäre es mit T-Zell-induzierenden Impfstoffen gegen Infektionserreger?

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.02.02

„Es soll sogenannte T-Zellen geben... und solche T-Zellen sollen auch die Antikörperbildung regulieren“. So fand ich das kürzlich in einem Zeitungsbericht im Zusammenhang mit Corona. Während Antikörper schon vor der Pandemie den meisten bekannt waren und jetzt erst recht, ist das Wissen um die T-Zellen bisher noch wenig verbreitet. Dabei sind es die T-Zellen, die es erst ermöglichen, dass unsere B-Zellen hochwirksame Antikörper herstellen können, und außerdem können T-Zellen einige Infektionen – auch ohne Antikörper – eliminieren. In diesem kurzen Artikel wird angeregt, darüber nachzudenken, Impfstoffe zu entwickeln, die zunächst nur T-Zellen induzieren, die im Falle einer Infektion dann schnell zu einer effizienten Antikörperantwort beitragen können müssten.

Schlüsselwörter: Infektion, Antikörper, T-Zellen, HLA, Isotypenwechsel, Affinitätsreifung

Bei einer Immunantwort, die Gedächtnis hervorruft – egal ob nach einer Infektion oder Impfung – sind B-Zellen und T-Zellen beteiligt. B-Zellen produzieren Antikörper und die T-Zellen regulieren die B-Zellen durch die sogenannte T-Zellhilfe. Wenn eine B-Zelle auf ein Antigen stößt, kann sie anfangen, die ersten Antikörper zu bilden, die vom IgM-Isotyp sind und eher schwache Bindungsstärke zum Antigen besitzen. Erst unter dem Einfluss von T-Helferzellen, die das gleiche Antigen erkennen, fängt die B-Zelle an, bessere Antikörper zu produzieren. Dabei spricht man von Isotypenumschaltung und von Affinitätsreifung. Im Zuge der Corona-Pandemie hat der Begriff „T-Zellen“ Eingang in das öffentliche Bewusstsein gefunden. Wir sollten also unsere Bemühungen verstärken, das Wissen über unser Immunsystem in der Bevölkerung (sowie in einigen Berufsständen, die hier eigentlich Bescheid wissen müssten) zu vermehren, wie viele von uns es ja z. B. bei den jährlichen Tagen der Immunologie schon praktizieren. 
Zu den T-Zellen gehören nicht nur die erwähnten T-Helferzellen, sondern auch die T-Killerzellen, deren Aufgabe es ist, virusinfizierte Zellen oder auch Krebszellen zu eliminieren. Die T-Helferzellen gehören zu den CD4-T-Zellen, die T-Killerzellen zu den CD8-T-Zellen. Die T-Zellen erkennen ihr Antigen nicht in seiner Gesamheit so wie die B-Zellen, sondern immer nur als Fragment, das auf speziellen Antigenpräsentationsmolekülen auf Zellen vorliegen muss. Diese Antigenpräsentationsmoleküle heißen HLA, der Allgemeinheit eher bekannt als Hindernis bei Transplantationen: Insbesondere bei Knochenmarkstransplantationen, die das blutbildende System erneuern sollen, kommen nur Spenderzellen infrage, die mit den HLA-Genen des Empfängers möglichst gut übereinstimmen. Die CD4-T-Zellen erkennen ihr Antigenfragment auf den HLA-Klasse-II-Molekülen als Peptid mit etwa 10 bis 20 Aminosäuren, die CD8-T-Zellen auf den HLA-I-Molekülen als Peptid mit meistens genau neun Aminosäuren.
Eine Untersuchung der T-Zellantwort bei 180 SARS-CoV-2-infizierten Menschen nach Rekonvaleszenz [1] brachte Interessantes bezüglich T-Zellen und Antikörpern zutage: 

  1. Bei fast allen Probanden konnten T-Zellen gegen vorhergesagte HLA-I- und HLA-II-Peptide aus den SARS-CoV-2-Proteinen nachgewiesen werden. 
  2. Etwa 10 % der Probanden besaßen keine nachweisbaren spezifischen Antikörper, und bei weiteren 10–15 % war die spezifische Antikörperantwort schwach. 
  3. In der Kontrollgruppe der Nichtinfizierten gab es viele Personen, die CD4- und CD8-T-Zellen gegen kreuzreaktive Epitope früherer Coronaviren hatten; es gab aber einige CD8-Epitope (also von T-Zellen erkannte Peptide), die nur bei SARS-CoV-2-Infizierten vorkamen. 
  4. Die CD4-Antworten waren wesentlich stärker als die CD8-Antworten.

Da wir seit kurzem wissen, wie man im Menschen eine richtig starke und langandauernde T-Zellantwort gegen Peptide auslöst [2], die eine T-Zellantwort mit der sowohl zur Virus- als auch zur Krebsabwehr passenden funktionellen Prägung (CD4Th1- und CD8-T-Zellen) induziert, lag die Überlegung nahe, ob es nicht sinnvoll wäre, einen Impfstoff auszuprobieren, der ausschließlich T-Zellen induziert, aber zunächst keine Antikörper, und der trotzdem sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch gegen SARS-CoV-2 eingesetzt werden könnte, und zwar aus den Peptiden, die von den meisten Infizierten erkannt werden (s. o.). Einige der CD4-Epitope (vorhergesagt für HLA-DR) wurden von vielen erkannt, sodass zehn dieser Peptide voraussichtlich in allen Menschen eine Immunität induzieren würden. Wenn man mit einem solchen 10-Peptid-Impfstoff in Gesunden eine starke CD4-Antwort gegen Spike, Nucleocapsid und weitere SARS-CoV-2-Peptide induzierte, würden solche Menschen zwar zunächst infiziert werden können, aber deren B-Zellen müssten dann sehr schnell von den schon vorhandenen voraktivierten CD4-T-Helferzellen aktiviert werden. Außerdem sollte dann auch die direkte Aktion der T-Zellen (sowohl der CD4- als auch der CD8-T-Zellen, letztere gegen HLA-I-Peptide, die in den längeren HLA-DR-Peptiden enthalten sind) gegen infizierte Zellen zum Tragen kommen. Wenn man einen solchen CD4-Peptid-Impfstoff bereits Infizierten kurz nach der Infektion verabreichen würde, müssten die dann gerade erst mit dem natürlichen Antigen in Kontakt gekommenen B-Zellen schneller aktiviert werden und bei dem Betroffenen zu einem schnelleren und milderen Verlauf der Infektion führen. Dass voraktivierte T-Zellen gegen T-Helferepitope (damals „Carrier“ genannt) eine schnellere und stärkere B-Zellantwort gegen das B-Zell-Epitop (damals „Hapten“ genannt) induzieren, wurde schon 1970 von keinen Geringeren als David Katz, Bill Paul und Baruj Benacerraf gezeigt [3]. Unsere Hypothese ist, dass insbesondere bei alten Menschen oder anderen Immungeschwächten eine solche effiziente CD4-Aktivierung – vor oder nach der Infektion – von Vorteil sein könnte, da ja gerade in diesem Personenkreis die Zahl der CD4-T-Zellen oft reduziert ist. Andererseits wurde in einem Preprint-Server [4] beschrieben, dass schwach kreuzreagierende CD4-T-Zellen sich bei älteren Menschen negativ auf den Infektionsverlauf auswirken. Aber unser Ansatz zielt ja gerade darauf ab, effizient solche T-Zellen gegen die richtigen Antigene zu induzieren, also T-Zellen, die in Genesenen und eben nicht in Nicht-Infizierten, gefunden wurden.
Die Effizienz eines jeden Impfstoffs ist natürlich von den immunstimulierenden Eigenschaften und der Verabreichungsform abhängig. Bei abgeschwächten lebenden Viren wie dem sehr effizienten Gelbfieberimpfstoff trifft all das zu. Bei einem synthetischen Impfstoff muss man die immunstimulierenden Eigenschaften mittels Adjuvans hinzufügen. Wir glauben, mit einem wasserlöslichen Pam3Cys-Derivat, einem TLR2/1-Liganden, in der Kombination mit Montanide (das dem inkompletten Freundschen Adjuvans entspricht), eine molekular definierte und arzneimittelproduktionsgerechte Version des altbekannten kompletten Freundschen Adjuvans gefunden zu haben (siehe das oben bereits erwähnte Paper). Getestet haben wir das mit verschiedenen Peptiden aus Viren wie Influenza, ADV, EBV und CMV. Bereits nach einer einzigen subkutanen Injektion, die zu einem vorübergehenden Granulom mit neugebildeten lymphgewebeartigen Strukturen führt, sieht man eine starke T-Zell-Induktion (im ex-vivo-Elispot messbar), die nach drei Jahren immer noch vorhanden ist. Deshalb probierten wir das auch mit SARS-CoV-2-Peptiden aus [5]. Es zeigte sich, dass starke CD4-Antworten, z. B. gegen Spike- und Nucleocapsid-Peptide, relativ schnell induziert werden und nach 12 Tagen im peripheren Blut messbar sind. Deshalb sind wir nun dabei, eine klinische Impfstudie mit solchen Peptiden (allerdings nur noch sechs der vorher erwähnten zehn Peptide) durchzuführen (NCT04546841); bisher sehen wir starke CD4-T-Zellantworten sowie CD8-Antworten gegen die in diesen Peptiden enthaltenen kürzeren Epitope. Dies ist von besonderer Bedeutung, da es ja die CD8-T-Killerzellen sind, die die bereits virusinfizierten Zellen eliminieren und somit das Virus­reservoir im Infizierten zur Erschöpfung bringen können.
Auch bei anderen Erregern könnten solche effizienten T-Zell-induzierenden Impfstoffe wirksam sein. Da denke ich z. B. an die saisonale Grippe. Hier könnte ein solcher Impfstoff mit kreuzreaktiven bzw. konservierten T-Zell-Epitopen hilfreich und außerdem leichter zu produzieren sein als bisher mit den angebrüteten Hühnereiern (siehe dazu [6]). Weiterhin denke ich an Antibiotika-resistente Bakterien, die ja gerade bei immungeschwächten Patienten Probleme verursachen. Voraktivierte CD4-T-Zellen gegen Peptide aus bakteriellen Proteinen, insbesondere solche, die ursächlich für die Resistenz sind, könnten wiederum B-Zellen, die mit den natürlichen bakteriellen Antigenen in Kontakt kommen, schneller aktivieren und damit zur Affinitätsreifung und zum Isotypenwechsel, etwa nach IgA, anregen. 
Trotz vieler bedeutender Erkenntnisse in diesem Fachgebiet bleiben noch wichtige Fragen offen: Woher bezieht eine B-Zelle früh im Verlauf einer Infektion ihr Antigen, von dem sie dann Peptide auf ihren HLA-II-Molekülen präsentiert? Aus dem ganzen Viruspartikel/Bakterium? Kann die B-Zelle mit ihrem mem-branständigen BCR ganze Viruspartikel bzw. Bakterien aufnehmen und dann prozessieren, oder ist sie dafür obligat von follikulären oder anderen dendritischen Zellen abhängig? Um die Diskussion hierzu anzuregen, ist die Skizze in Abb. 1 beigefügt. 

Autor
Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee
Universität Tübingen, Interfakultäres Institut für Zellbiologie, Abt. Immunologie
German Cancer Consortium (DKTK) and German Cancer Research Center (DKFZ), partner site Tübingen; Cluster of Excellence iFIT (EXC2180); Cluster of Excellence CMFI (EXC2124).
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