Pioniere der Serumtherapie: Paul Ehrlich und Emil von Behring
Es war eine wegweisende Pionierleistung der Medizin, als Paul Ehrlich und Emil von Behring Ende des 19. Jahrhunderts ihre Anti-Diphterie-Seren zum ersten Mal an über 200 an Diphterie erkrankten Kindern einsetzten [1]. Die Anti-Diphterie-Seren waren zuvor durch Immunisierung von Ziegen und Pferden hergestellt worden [2]. Die Ergebnisse waren revolutionär: Während 50 % der nichtbehandelten Kinder starben, überlebten über 95 % der im Frühstadium der Erkrankung behandelten Kinder. Damit war aus heutiger Sicht die Geburtsstunde der klinischen Antikörpertherapie eingeleitet worden. Schon wenige Jahre später wurde die Bedeutung der jahrelangen, bahnbrechenden Arbeiten Emil von Behrings entsprechend gewürdigt und er erhielt 1901 den ersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin.
Konvaleszentenplasma in der Therapie von SARS-1 und pandemischer Influenza (H1N1)
Konvaleszentenplasma, also das Blutplasma von genesenen Personen, wurde in der Vergangenheit auch zur Notfallbehandlung von SARS-1 (severe acute respiratory syndrome coronavirus 1) klinisch eingesetzt. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten berichten über eine Verbesserung der Sterblichkeitsrate und/oder eine Verkürzung des Krankenhausaufenthaltes bei SARS-1-Patienten [3, 4]. Während für SARS-1 keine Daten aus kontrollierten klinischen Studien zum Einsatz publiziert sind, ist die Datenlage für die in 2009 pandemische Influenza H1N1 etwas besser. Eine kontrollierte Studie von Hung und Mitarbeitern zeigte für die mit Konvaleszentenplasma behandelte Patienten eine signifikante Verbesserung der Sterblichkeitsrate und in weiteren Subgruppen-Analysen eine signifikante Verminderung der Viruslast [5]. Entsprechende randomisierte, kontrollierte Phase-2- und Phase-3-Studien ergaben allerdings keinen signifikanten Beleg für die klinische Wirksamkeit von Konvaleszentenplasma bei Influenza-Pneumonie [6, 7]. Eine Meta-Analyse von 32 Studien zur SARS-1- oder Influenza-Therapie mit Konvaleszentenplasma oder Hyperimmunserum ergab zwar in der Mehrzahl der Studien signifikante Hinweise für eine reduzierte Mortalität, allerdings waren fast alle Studien nur von mittlerer oder niedriger Qualität, da es sich überwiegend um Fallberichte, Fallserien oder unkontrollierte prospektive Kohortenanalysen handelte [8]. Zusammenfassend kann man sagen, dass es in der Literatur zwar relevante Hinweise für die mögliche Wirksamkeit von Konvaleszentenplasma in der Therapie von viral bedingten Pneumonien durch Coronaviren oder Influenza gibt, allerdings in Kombination mit der Einschränkung, dass die meisten Studien nur eine geringe Studienqualität aufweisen.
Herstellung von COVID-19-Konvaleszentenplasma
Die Herstellung von COVID-19-Konvaleszentenplasma im Jahr 2020 stellen sich Ärzte, Wissenschaftler und Privatpersonen häufig relativ einfach vor, dabei handelt es sich um einen komplexen, arzneimittelrechtlich sehr detailliert geregelten Herstellungsprozess [9]. Startvoraussetzung ist zunächst, dass ein potentieller Blutspender einen schriftlichen Infektionsnachweis vorlegen kann, also einen schriftlichen Nachweis eines SARS-CoV-2-positiven PCR-Befundes. Hintergrund ist die Tatsache, dass verschiedene serologische SARS-CoV-2-Antikörperassays unterschiedliche diagnostische Unschärfen besitzen und in 1–3 % der Fälle mit anderen Coronaviren kreuzreagieren können. Am besten für eine serologische Diagnostik eignen sich IgG-spezifische Assays [10], aber auch hier sind Kreuzreaktionen möglich. Ohne eindeutigen und spezifischen Infektionsnachweis würde hier somit die Gefahr bestehen, COVID-19-Konvaleszentenplasma von Blutspendern zu gewinnen, die überhaupt keine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten. Der zweite Grund für die Forderung eines Infektionsnachweises ist die Notwendigkeit, zumindest ungefähr einen Infektionszeitpunkt bestimmen zu können, um auch die SARS-CoV-2-Antikörperergebnisse einordnen zu können. Aktuelle Studien zeigen, dass die Bildung von SARS-CoV-2-Antikörpern relativ früh, meist innerhalb von 14 Tagen, nachweisbar ist und maximale IgG-Antikörper-Spiegel 1–3 Monate nach Infektion festgestellt werden können [11, 12]. In der Praxis führen diese Anforderungen regelmäßig zu Spende-Rückstellungen, da einige Blutspender nur geringe oder in einzelnen Fällen gar keine SARS-CoV-2-Antikörper bilden. Bevor ein Blutspender mit positivem Infektionsnachweis einen Blutspende-Bereich betreten darf, muss darüber hinaus sichergestellt sein, dass er nicht mehr infektiös ist. Dies erfolgt in der Praxis durch mindestens zwei negative SARS-CoV-2-PCR-Befunde aus Rachenabstrichen. Zusätzlich zum positiven SARS-CoV-2-Antikörpernachweis wird die Bestimmung der Menge der neutralisierenden SARS-CoV-2-Antikörper empfohlen, weil den neutralisierenden Antikörpern eine besondere Schutzwirkung zugesprochen wird. Kritisch ist hier anzumerken, dass es allerdings weder eine Evidenz dafür gibt, dass nur neutralisierende SARS-CoV-2-Antikörper eine immunologische Schutzwirkung entfalten, noch dass COVID-19-Konvaleszentenplasma nur aufgrund des Gehaltes von neutralisierenden SARS-CoV-2 klinisch wirksam sein kann. In der Realität ist dies aber ein untergeordnetes Problem, weil aktuelle Studien zeigen, dass auch bei milden COVID-19-Verläufen > 90 % der Personen neutralisierende Antikörper bilden [13].
Neben diesen virologischen Spezifika müssen COVID-19-Konvaleszentenplasma-Spender natürlich auch die allgemeinen Blutspende-Voraussetzungen erfüllen, welche in den entsprechenden Richtlinien festgelegt sind [14]. Hierzu gehört insbesondere auch die Abklärung von Risikofaktoren für die Induktion einer Transfusions-assoziierten Lungeninsuffizienz (TRALI) auf der Seite des Blutspenders.
In der Praxis führt die Prüfung des gesamten Voraussetzungspaketes dazu, dass etwa 25 % der COVID-19-Konvaleszenten einen Infektionsnachweis besitzen und ausreichend Antikörper gebildet haben und die allgemeinen Plasmaspende-Voraussetzungen erfüllen.