Ätiologie und Pathogenese einer systemischen Autoimmunerkrankung

Systemischer Lupus erythematodes

Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine prototypische Autoimmunerkrankung, die überwiegend junge Frauen betrifft und praktisch alle Organe des Körpers schädigen kann. Obwohl wir während der letzten Jahrzehnte viele neue Einsichten in die Pathogenese des SLE gewonnen haben, ist unser Wissen trotzdem noch immer unvollständig. Neben einer genetischen Prädisposition spielen auch Umweltfaktoren, wie z. B. Zigarettenrauchen, Sonnenbrand, Infektionen oder Vitamin D-Mangel, eine entscheidende Rolle, sowohl bei der Krankheitsentstehung, als auch bei der Schubauslösung. Zahlreiche Manifestationen werden durch pathogene Autoantikörper hervorgerufen; somit sind B-Zellen und Plasmazellen an der Pathogenese unmittelbar beteiligt. Wichtige Erkenntnisse zu Ätiologie und Pathogenese sind in dieser Übersicht kurz zusammengefasst.

Schlüsselwörter: Systemischer Lupus erythematodes, Pathogenese, Umweltfaktoren, Immunkomplexe

Einführung

Der systemische Lupus erythematodes (SLE) gehört zur Krankheitsgruppe der Kollagenosen, entzündlichen Autoimmu­no­pathien des Bindegewebes. Der SLE kann sich an praktisch allen Organen manifestieren. Am auffälligsten sind die Hauterscheinungen, besonders das schmetterlingsförmige Gesichtsexanthem. Arthralgien, oft auch eine Arthritis, kommen ebenfalls häufig vor. Organbedrohend ist die bei ca. 60% der SLE-Patienten auftretende Nierenbeteiligung. Herz- und ZNS-Manifestationen sind seltener, aber lebensgefährlich. In dieser kurzen Übersichtsarbeit kann nur auf einige wichtige Aspekte der Ätiologie und Pathogenese eingegangen werden, besonders aber auf solche Pathomechanismen, die (potenzielle) therapeutische Angriffspunkte darstellen.

Genetische Prädisposition

Die Bedeutung der genetischen Prädisposition geht klar aus Zwillingsstudien hervor. Wenn ein eineiiger Zwilling einen SLE hat, so hat der zweite Zwilling ein ca. 50-prozentiges Risiko, ebenfalls einen SLE zu entwickeln [1]. Derzeit sind ca. 100 SLE-assoziierte Genloci bekannt. Bei Erwachsenen findet sich fast immer ein polygener Vererbungsmodus, wobei neben SLE-spezifischen Risikoallelen auch solche eine Rolle spielen, die allgemein zu Autoimmunkrankheiten disponieren [2–5]. Hingegen finden sich bei sehr früher SLE-Manifestation im Kindesalter gelegentlich auch monogenetische Ursachen, z. B. eine C1q-Defizienz. Eine starke Assoziation mit dem SLE besitzen die MHC-II Gene HLA-DR2 und -DR3, welche Peptidantigene an T-Helferzellen präsentieren. Auch BLNK und PTPN22 sind in die Aktivierung des adap­tiven Immunsystems involviert [5]. Weitere Risikogene sind Teil des Typ-I-Interferon-Systems, des NF-κB-Signalwegs, der Phagozytosemechanismen, der DNA-Abbauwege, Apoptoseregulation etc. [4, 5] (Abb. 1).

Umweltfaktoren

Umweltfaktoren besitzen einen vergleichbar starken Einfluss auf die Manifestation eines SLE wie genetische Risikofaktoren. Übermäßige UV-Bestrahlung, v.  a. ein Sonnenbrand, induziert Apoptose und Nekrose in Hautzellen. Normalerweise phagozytieren spezialisierte Makro­phagen rasch apoptotische Zellen, bevor sie zerfallen und Zellkernbestandteile einschließlich Nukleosomen – zen­trale Autoantigene beim SLE – freisetzen.
Eine ausgeprägte Vitamin-D-Defizienz dürfte die Manifestation eines SLE begünstigen [6]. Da SLE-Patienten UV-Licht meiden sollen, verstärkt sich ein etwaiger Vitamin-D-Mangel weiter. Eine großzügige Vitamin-D-Substitution ist daher bei SLE-Patienten wichtig und dürfte sogar Krankheitsaktivität und Prednisolon-Bedarf reduzieren, möglicherweise u. a. durch die Induktion regulatorischer T-Zellen. Zigarettenrauchen, das zahlreiche entzündlich-rheumatische Krankheiten „befeuert“, begünstigt auch die Manifestation und Aktivität des SLE und reduziert die Wirkung der zur Behandlung wichtigen Antimalariamittel [7, 8].
Östrogene sind in die SLE-Pathogenese involviert, was zumindest teilweise erklärt, warum Frauen in der Zeit zwischen Menarche und Menopause etwa zehnmal häufiger erkranken als Männer. Dementsprechend können höher dosierte Östrogenpräparate, vor allem wenn sie keinen Gestagenanteil beinhalten, die Manifestation und Schübe eines SLE begünstigen. Moderne triphasische Antikonzeptiva mit niedrig dosiertem Östrogenanteil sind jedoch während Phasen niedriger oder stabiler Krankheitsaktivität ohne wesentliches Schubrisiko [9]. Östrogenhaltige Medikamente sollten jedoch bei Thrombosegefährdung, z. B. bei Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern oder Lupus-Antikoagulans, vermieden werden und können z. B. durch reine Gestagenpräparate (sog. Mini­pille) ersetzt werden.
Auch Infektionen, z. B. die durch das Epstein-Barr-Virus, kommen als Auslöser des SLE oder eines Krankheitsschubs in Frage. Hauptmechanismus sind vermutlich der durch Infektionen induzierte apoptotische Zelltod bei gleichzeitiger Aktivierung des Immunsystems, in bestimmten Fällen evtl. auch molecular mimicry sowie die Bildung von neutrophil extracellular traps (NETs). Abb. 1 fasst wichtige genetische Prädispositionen und Umweltfaktoren zusammen.

Phagozytose-Defizienz

Bei fast der Hälfte der SLE-Patienten finden sich in vitro und ex vivo Hinweise auf eine defekte Phagozytose von apoptotischen und nekrotischen Zellen durch Makrophagen. So führt die verminderte Phagozytose sterbender Keimzentrums-B-Zellen durch Sternhimmelmakrophagen zur Freisetzung von Kernbestandteilen aus zerfallenden Zellen [13]. Nukleosomen aus apoptotischen Zellen, teilweise mit dem Alarmin HMGB1 assoziiert, dürften ein zentrales Autoantigen bei der Immunpathogenese des SLE darstellen. Im Gegensatz zu gereinigten Nukleosomen ohne HMGB1 führt die Injektion HMGB1-haltiger Nukleosomen aus apop­totischen Zellen zur Induktion von Anti-dsDNA-Antikörpern, da das Alarmin HMGB1 via Toll-like-Rezeptor 2 sehr effizient Antigen-präsentierende Zellen aktiviert und somit die Aktivierung autoreaktiver T-Zellen ermöglicht [14]. Werden apoptotische Zellen nicht unmittelbar phagozytiert, dann vermitteln frühe Komplementkomponenten des klassischen Wegs, vor allem C1q, deren Phagozytose. Homozygote Defekte des C1q-Gens sind ausgesprochen selten, rufen jedoch bereits im frühen Kindesalter ein SLE-ähnliches Krankheitsbild hervor [15].

Follikulär-dendritische Zellen und follikuläre T-Helferzellen (Tfh)

Follikulär-dendritische Zellen können nukleäre Autoantigene aus apoptotischen Zellen den Keimzentrums-B-Zellen unmittelbar präsentieren [13]. Zudem sind follikuläre T-Helferzellen (Tfh) beim SLE überaktiviert. Diese sind für die B-Zell-Differenzierung im Keimzentrum essenziell und können demnach durch Förderung der Autoantikörperbildung zur Pathogenese entscheidend beitragen. Zur Tfh-Zell-Aktivierung konnten u. a. OX40-Ligand (OX40L) exprimierende myeloide dendritische Zellen beitragen. Weiter korrelierte die OX40L-Expression mit der Krankheitsaktivität sowie der Frequenz von Blut-Tfh-Zellen [16]. Somit könnte das OX40/OX40L-System einen therapeutischen Angriffspunkt darstellen. Ferner könnte für die Immunpathogenese des SLE auch eine (wahrscheinlich erst in Krankheitsverlauf erworbene) reduzierte Zahl und Funktion regulatorischer T-Zellen relevant sein.

Zytokine

Zahlreiche Zytokine sind in die Pathogenese des SLE involviert, sodass wir nur auf die wichtigeren eingehen können. Das Zytokin B-Lymphozyten-Stimulator (BLyS, synonym: BAFF) stellt einen B-Lymphozyten-Wachstums-/, Überlebens- und Differenzierungsfaktor dar. Die Überexpression von BLyS führt in transgenen Mäusen zu einem Lupus-ähnlichem Krankheitsbild. Kürzlich wurde bei Patienten mit SLE und multipler Sklerose eine Insertions-Deletions-Variante im BLyS-Gen identifiziert, deren verkürztes RNA-Transkript nicht mehr von der entsprechenden miRNA erkannt wird, somit der miRNA-Regulation entgeht, was zu gesteigerter BLyS-Expression führt [17]. Therapeutisch wird BLyS mit dem monoklonalen Antikörper Belimumab neutralisiert, der seit einigen Jahren zur Behandlung des SLE zugelassen ist.
Bei über der Hälfte der Patienten mit aktivem SLE findet sich eine Typ-I-IFN-Signatur in der Expressionsanalyse peripherer Lymphozyten. Zudem löste die therapeutische Applikation von rekombinantem IFNα Medikamenten-induzierte Lupuserkrankungen aus. Auch sind Varianten von Genen des IFNα-Signalwegs mit einer erhöhten SLE-Suszeptibilität assoziiert [4]. Genetisch modifizierte Mäuse, denen der Typ-I-Interferonrezeptor fehlt, zeichnen sich durch eine weitgehende Resistenz gegenüber Lupus-ähnlichen Erkrankungen aus.
Verschiedene pro-inflammatorische Zytokine, wie Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF), lassen sich in den entzündeten Nieren von SLE-Patienten nachweisen. Die Antagonisierung von TNF mithilfe von Antikörpern (z. B. Infliximab) oder dem löslichen TNF-Rezeptor (Etanercept) erwies sich in Fallserien als wirksam bei therapierefraktärer Lupus-Nephritis bzw. muskuloskelettalen Symptomen [18, 19]. Allerdings kann sich unter TNF-Blockade die Bildung anti-nukleärer Anti­körper verstärken.
Interleukin 17 (IL-17) und das TH17-induzierende IL-23 spielen eine wichtige Rolle bei vielen autoimmunvermittelten Entzündungsprozessen; beim SLE finden sich erhöhte Spiegel. Eine Placebo-kontrollierte Studie mit dem Antikörper Ustekinumab, der gleichermaßen IL-12 und IL-23 neutralisiert, das zur Differenzierung von IL-17-produzierenden Th17-Zellen beiträgt, führte zu einem signifikanten Rückgang der Krankheitsaktivität [20].

Pathogene Autoantikörper

Autoantikörper spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung vieler Manifestationen des SLE. Antikörper werden von Plasmazellen gebildet, die sich im Knochenmark, den lymphatischen Organen und auch im entzündeten Gewebe befinden. Therapierefraktäre Krankheitsverläufe dürften zum Teil dann entstehen, wenn pathogene Autoantikörper von langlebigen Plasmazellen produziert werden, die in ihren Überlebensnischen gegen herkömmliche Immunsuppressiva einschließlich Cyclophosphamid und Rituximab resistent sind, und so den Krankheitsprozess unterhalten können. Neue Therapiestrategien richten sich daher gezielt gegen Plasmazellen. So neutralisiert das TACI-Ig-Fusionsprotein Atacicept neben BLyS auch den Plasmazellüberlebensfaktor APRIL, wodurch kurz- und langlebige Plasmazellen stark und somit auch (Auto-)Antikörperspiegel vermindert werden [21]. Proteasom-Inhibitoren, wie das zur Behandlung des multiplen Myeloms zugelassene Bortezomib, eliminieren ebenfalls präferenziell Plasmazellen [22]. In einer Fallserie konnten Krankheitsremissionen bei sonst therapie­refraktären SLE-Patienten erreicht werden [23].
Wesentliche Antikörper-vermittelte Pathomechanismen beim SLE werden im Folgenden exemplarisch dargestellt.
Zytotoxische Antikörper gegen Erythrozyten oder Thrombozyten verursachen die recht häufige, aber selten schwerwiegende Autoimmunhämolyse bzw. Immunthrombozytopenie beim SLE. Hierbei werden die Autoantikörper-beladenen Blutzellen durch Fcγ-Rezeptor-, weniger durch Komplement-vermittelte Mechanismen, im retikuloendothelialen System zerstört. Ab dem zweiten Trimenon wird IgG über den fetalen Fcγ-Rezeptor in den fetalen Kreislauf transportiert, wodurch auch pathogene Autoantikörper zum Feten gelangen und den neonatalen Lupus verursachen können. Große Bedeutung haben Antikörper gegen Ro (SSA), die auch beim Sjögren-Syndrom vorkommen und Antigene auf fetalen Kardiomyozyten erkennen und diese abtöten, was zur Schädigung des Reizleitungssystems mit kongenitalem Herzblock sowie zur Myokardfibrose führen kann. Hingegen ist das ebenfalls von diesen Autoantikörpern vermittelte neonatale Lupusexanthem harmlos und mit dem Verschwinden der mütterlichen Autoantikörper reversibel [24].
Immunkomplexbildung im Bereich der renalen Glomeruli trägt entscheidend zur Entstehung der Lupusnephritis bei. O.P. Rekvig und Kollegen zeigten, dass Antikörper gegen Nukleosomen und ihre Antigene in den Glomeruli co-lokalisieren [25]. Komplementaktivierung mit Freisetzung der chemotaktischen Moleküle C3a und besonders C5a initiieren die Infiltration mit Entzündungszellen. Eine Blockade des C5a-Rezeptors, die bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden aktuell in klinischen Studien erprobt wird, könnte somit auch bei der Behandlung der Lupusnephritis wirksam sein. Auch die SLE-assoziierte Vaskulitis dürfte meist Immunkomplex-vermittelt sein.
Schließlich können bei SLE-Patienten auch funktionsmodulierende Autoantikörper auftreten, die die Funktion von Proteinen modulieren. Häufig sind Anti­körper gegen Phospholipid-assoziierte Membranproteine, wie β2-Glykoprotein 1, die eine Thrombozytenaktivierung und folglich Thrombosen bzw. Thrombembolien induzieren. Selten finden sich Anti-Faktor-VIII-Antikörper, die Symptome einer erworbenen Hämophilie verursachen. Somit ist die Immunpathogenese des SLE ein komplexer Prozess mit vielfältiger Ätiologie und unterschiedlichen Pathomechanismen. Einsichten in die Pathogenese ermöglichen die Entwicklung neuer Therapiestrategien, die sich zum Teil schon in klinischen Studien befinden, sodass sich Lebensqualität und Lebenserwartung der SLE-Patienten hoffentlich weiterhin bessern werden.

Autoren
Dipl.-Biol. Sandra Schaffer, Dr. med. Stephanie Finzel, Dr. med. Nina Chevalier (v. l. n. r.)
Prof. Dr. Reinhard E. Voll (korr. Autor)
Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie und CCI, Universitätsklinikum Freiburg und Medizinische Fakultät der Universität Freiburg,
Freiburg
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