Diagnostik bei Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierter Erkrankung (MOGAD): Assays, Herausforderungen und Empfehlungen

Im Rahmen der Session „New Drugs for Precision Medicine“ unter der Leitung von Prof. Andreas Fischer und Prof. Gunther Hartmann am Donnerstag, dem 23.10.2025, berichtet Prof. Anne-Katrin Pröbstel in ihrem Vortrag über die Antikörperdiagnostik bei Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierter Erkrankung.

Die serologische Diagnostik hat sich in der Neuroimmunologie zu einem zentralen Baustein der differenzialdiagnostischen Abklärung entwickelt. Der Nachweis krankheitsspezifischer Autoantikörper ist heute nicht nur diagnostisch bedeutsam, sondern hat zunehmend auch therapeutische Konsequenzen. Besonders eindrücklich zeigt sich dies bei der Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG)-Antikörper-assoziierten Erkrankung (MOGAD), einer eigenständigen entzündlich-demyelinisierenden Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Klinisch manifestiert sich die MOGAD typischerweise mit Optikusneuritis, Myelitis, akuter disseminierter Enzephalomyelitis (ADEM) oder kortikalen Syndromen. Die Diagnosestellung basiert auf der Zusammenschau klinischer, bildgebender und serologischer Befunde – wobei dem serologischen Nachweis von MOG-IgG im Serum eine Schlüsselrolle zukommt [1–6].

Nachweisverfahren für Anti-MOG-Antikörper

Live Cell-Based Assays

Goldstandard für den Nachweis von MOG-IgG sind Live Cell-Based Assays (LCBA), bei denen lebende, transgene HEK-Zellen das native, vollständige MOG-Protein exprimieren. Diese Methode gewährleistet den Erhalt konformationeller Epitope – was essenziell ist, da MOG-IgG hoch epitopspezifisch sind [7, 8]. Etabliert sind zwei Formate: die mikroskopisch ausgewertete Immunfluoreszenz (LCBA-IF) sowie die Durchflusszytometrie (LCBAFACS), die eine quantitative Titerbestimmung erlaubt.

Fixed Cell-Based Assays

Im Gegensatz dazu nutzen Fixed Cell-Based Assays (FCBA) fixierte Zellen, was die dreidimensionale Struktur des MOGProteins beeinträchtigen kann. Die Folge ist eine deutlich geringere Sensitivität, vor allem bei niedrigen Titern. Die Spezifität ist mit der des LCBA vergleichbar, doch bei niedrigen Titern können falsch-positive Befunde nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund der einfacheren Handhabung sind FCBA kommerziell weit verbreitet, sollten aber mit Vorsicht interpretiert werden [9].

Bedeutung von Antigenstruktur und Antikörper-Subklasse

Für die Aussagekraft des Tests sind zwei technische Aspekte entscheidend: Erstens sollte das verwendete MOG-Protein in voller Länge vorliegen. Verkürzte („truncated“) Varianten, denen zum Beispiel die intrazellulären Anteile fehlen, können konformationelle Epitope nicht korrekt darstellen und führen zu reduzierter Sensitivität und Spezifität [10]. Zweitens ist der Sekundärantikörper von zentraler Bedeutung. Pathogene MOG-Antikörper gehören nahezu ausschließlich der IgG1- Subklasse an [11, 12]. Der Nachweis mit pan-IgG-Antikörpern kann zu unspezifischer Bindung führen und das Ergebnis verfälschen – insbesondere bei niedrigen Titern oder unklarer Klinik. Studien belegen, dass IgG1-spezifische Sekundärantikörper eine deutlich bessere Korrelation mit klinisch relevanter MOGAD zeigen [13].

Sensitivitäts-und Spezifitätsvergleich

Aktuelle Daten zeigen: LCBA-FACS erreicht in akuten Erkrankungsphasen eine Sensitivität von nahe 100 %, während FCBA-Systeme bei vergleichbarer Spezifität (≥ 97 %) deutlich weniger sensitiv sind – oft unter 60 %. Besonders in grenzwertigen Fällen (z. B. niedrige Titer) kann dies diagnostisch relevant sein [8, 14].

Typische Fallstricke in der Diagnostik

Falsch-negative Ergebnisse

Falsch-negative Befunde treten vor allem bei niedriger Antikörperkonzentration auf – etwa in Frühphasen oder nach Therapiebeginn. Immuntherapien wie Glukokortikoide, Rituximab oder die Plasmapherese-Behandlung senken den Antikörperspiegel und sollten bei der Testplanung berücksichtigt werden. Auch weniger geeignete Testsysteme (z. B. FCBA oder die Verwendung von truncated MOG) und pan-IgG-Sekundärantikörper erhöhen das Risiko falsch-negativer Resultate [9].

Falsch-positive Befunde

Insbesondere bei sehr niedrigen Titern und fehlender typischer Klinik besteht das Risiko falsch-positiver Ergebnisse. Deshalb muss eine sorgfältige Vorselektion und Auswahl der Patienten erfolgen, um die Vortestwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Gemäß aktuellen internationalen Empfehlungen sollte die Testung auf MOG-IgG nur bei typischer klinischer Präsentation oder entsprechendem Verdacht durchgeführt werden [1]. Auch die Wahl des Sekundärantikörpers spielt eine zentrale Rolle: Pan- IgG-Testsysteme detektieren auch unspezifische Immunglobuline. Niedrige Titer (< 1:80) sollten daher nur im klinischen Kontext als relevant gewertet werden. Hinweise gegen MOGAD sind zum Beispiel MS-typische MRT-Befunde, oligoklonale Banden oder eine positive MRZ-Reaktion im Liquor [2, 15].

Seroreversion

Ein relevanter Anteil der Patient:innen – vor allem mit monophasischem Verlauf – zeigt im Krankheitsverlauf eine Seroreversion, das heißt ein Verschwinden der MOG-IgG-Antikörper aus dem Serum. Ein später negativer Test schließt MOGAD daher nicht zuverlässig aus, wenn Klinik und Bildgebung weiterhin typisch sind. Verlaufskontrollen können hier diagnostisch hilfreich sein [16].

Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen

Die Diagnostik beginnt mit einer klinischen Einschätzung: Typisch sind beidseitige Optikusneuritiden, zentrale langstreckige Myelitiden, kortikale Läsionen mit epileptischen Anfällen und ADEM-ähnliche Syndrome – insbesondere bei Kindern. Bei Verdacht sollte ein serologischer MOG-IgG-Test aus dem Serum erfolgen – möglichst vor Beginn einer Immuntherapie. Bevorzugt eingesetzt werden sollte ein Live Cell-Based Assay, idealerweise im FACS-Format und unter Verwendung eines IgG1-spezifischen Sekundärantikörpers. Dies gewährleistet höchste Sensitivität und Spezifität. Ist der Test negativ, aber die Klinik weiterhin verdächtig, ist eine Wiederholung angezeigt – gegebenenfalls mit einem anderen Testsystem oder zu einem späteren Zeitpunkt. Eine Liquoruntersuchung kann ergänzend sinnvoll sein, ersetzt die serologische Diagnostik aber nicht [17]. Ergänzend ist zu erwähnen, dass in einer kleinen Subgruppe von Patient:innen mit ZNS-Demyelinisierung und Seronegativität für MOG-IgG und Aquaporin- 4-IgG isolierte MOG-IgA-Antikörper im Serum nachgewiesen werden konnten. Diese Personen zeigten häufiger Myelitiden und Hirnstammbeteiligung, während Optikusneuritiden seltener auftraten. Der pathophysiologische Stellenwert von MOG-IgA ist bislang noch nicht abschließend geklärt, sie könnten jedoch bei seronegativen, klinisch verdächtigen Fällen einen ergänzenden diagnostischen Marker darstellen [18].

Befundbewertung

Die Interpretation muss immer im klinisch-radiologischen Gesamtkontext erfolgen. Niedrige MOG-IgG-Titer sind nur dann aussagekräftig, wenn sie mit einem überzeugenden klinischen Bild einhergehen. Auch serielle Titerverläufe können helfen, zwischen monophasischem und rezidivierendem Verlauf zu differenzieren bzw. das Risiko eines rezidivierenden Verlaufs besser abschätzen zu können [1].

Fazit

Die MOG-IgG-Diagnostik hat sich als unverzichtbares Werkzeug in der Abgrenzung demyelinisierender Erkrankungen des ZNS etabliert. Entscheidend ist nicht nur der Nachweis an sich, sondern die Wahl eines qualitativ hochwertigen Testsystems. Live CBA, bevorzugt im FACS-Format und unter Verwendung von IgG1-spezifischer Detektion, bieten die höchste diagnostische Genauigkeit. Fixed CBA bleiben eine Option, müssen jedoch mit besonderer Zurückhaltung interpretiert werden – vor allem bei niedrigen Titern. Letztlich hängt die diagnostische Wertigkeit stets von der Kombination aus klinischem Kontext, bildgebender Diagnostik und Qualität der Testverfahren ab.

Tabelle: Überblick der verwendeten Assays an europäischen Standorten

 AnbieterMethodeSekundär-antikörperVerdünnungpositiver Grenzwertniedrig positiver BereichTestresultate
Live cell-based assays
Universität Oxford (Großbritannien)MikroskopieIgG-(H+L), IgG-Fcy, IgG1Einzelverdünnung (1:20)≥ 11-1.5 (Testergebnis)Negativ, niedrig positiv, positive (Kombination aus IgG1 + IgG-Fcy)
Medizinische Universität Innsbruck (Österreich) MikroskopieIgG-(H+L), IgG-FcyEndpunkttitration1:160; bzw. 1:6401:160-1:320 (Verdünnung)Negativ, positiv mit Titern 
Universität Verona (Italien)MikroskopieIgG-(H+L), IgG-FcyEndpunkttitration1:1601:160-1:320 (Verdünnung)Negativ, positiv mit Titern
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Deutschland)MikroskopieIgG-(H+L), IgG-FcyEndpunkttitration1:1601:160-1:320 (Verdünnung)Negativ, positiv mit Titern
Medizinische Universität Wien (Österreich)MikroskopieIgG-(H+L), IgG-FcyEndpunkttitration1:1601:160-1:320 (Verdünnung)Negativ, positiv mit Titern

Hospital Clínic de Barcelona

(Universitätsklinikum Barcelona, Spanien)

MikroskopieIgG-FcyUnterschiedliche Verdünnungen (1:160-1:320)≥ 1:1601:160-<1:320 (Verdünnung)negativ, niedrig positiv, positiv
Fondazione Mondino IRCCS (Nationales Forschungsinstitut Neurologie, Italien)MikroskopieIgG-FcyEndpunkttitration>1:1601:160-1:320 (Verdünnung)Negativ, positiv mit Titern
Sanquin Diagnostics (Niederlande)*Durchfluss-zytometrieIgG (H+L)Einzelverdünnung (1:200)> mean controls + 10 SDNDNegativ, niedrig positiv, hoch positiv
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Deutschland)MikroskopieIgG-FcyEinzelverdünnung (1:10)≥ 1≥ 1 (Testergebnis) Negativ, positiv mit Titern
Labor Krone, (Deutschland)*MikroskopieNANA1:160NANegativ, positiv mit Titern
Fixed cell-based assays

Universitätsklinikum Lyon (Frankreich)

 

MikroskopieIgG-FcyEinzelverdünnung (1:10)≥ 1≥ 1 (Testergebnis)Negativ, positiv
Durchfluss-zytometrieIgG-FcyEinzelverdünnung (1:640)>1:640NDNegativ, positiv
Euroimmun (Deutschland)* MikroskopieIgG-FcyEinzelverdünnung (1:10)≥ 1≥ 1 (Testergebnis) Negativ, positiv mit Titern
Ohne diagnostische Zertifizierung
Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland)Flow cytometryIgG (H+L)Einzelverdünnung (1:50)NDNDNA
Universitätsklinikum Basel (Schweiz)Flow cytometryIgG (H+L)Einzelverdünnung (1:50)FACS ratio > 1.45NDNegativ, niedrig positiv, positiv

Modifiziert nach Banwell et al. 2023

*kommerzielle Anbieter

Autoren
PD Dr. Nora Möhn
Zentrum für Neurologie & Klinik für Neuroimmunologie, Universitätsklinikum Bonn
Dr. Roxanne Pretzsch
Zentrum für Neurologie & Klinik für Neuroimmunologie, Universitätsklinikum Bonn & Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e. V., Bonn
Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel
Zentrum für Neurologie & Klinik für Neuroimmunologie, Universitätsklinikum Bonn & Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e. V., Bonn