Mein immunologisches Ich

HLA-Diagnostik

Das System der „Transplantationsantigene“ (HLA, MHC) hat Milliarden von Kombinationsmöglichkeiten und bestimmt unsere immunologische Identität bzw. unseren immunologischen Fingerabdruck. Die differenzierte Analyse ist bei Organtransplantationen, Stammzell- und Knochenmarkstransplantationen, Thrombozytentransfusionen, in der Pharmakogenetik und für die Assoziation bestimmter Erkrankungen klinisch relevant.

Schlüsselwörter: T-Lymphozyten, Companion Diagnostics, HIV, Short-Reads, Long-Reads

Die Entdeckung und Charakterisierung der MHC-Moleküle basiert zum einen auf Tierversuchen, zum anderen auf der guten Beobachtungsgabe eines wissenschaftlich interessierten Arztes.

Mit Inzuchtstämmen von Mäusen gelang es in den 1950er-Jahren erstmals zu zeigen, dass eine Transplantatabstoßung an bestimmten Molekülen, eben dem „major histocompatibility complex“ (MHC), hängt. Das führte zu der Auffassung, dass die Unterschiede in den MHC-Molekülen v. a. dafür zuständig sind, dass Gewebe von fremden Stämmen als fremd erkannt wird. Ebenfalls in den 1950er-Jahren beobachtete Jon van Rood, der als Arzt in einer Blutbank tätig war, schwere Transfusionsreaktionen beim Menschen, die nicht auf die damals schon bekannten Blutgruppenantigene zurückzuführen waren. „Mr. R.“ kam einmal pro Monat zu einer Transfusion. Er hatte eine wahrscheinlich toxisch bedingte Aplastische Anämie. Jede Infusion war eine Tortur. Etwa vier Stunden nach der Infusion bekam er hohes Fieber, Schweißausbrüche, schwerste Rücken-, Gelenk- und Muskelschmerzen. Fallberichte und Erkenntnisse aus der Literatur brachten Jon zu der Überlegung, die Leukozyten könnten schuld sein. Daraufhin depletierte er Blutkonserven soweit möglich von Leukozyten. Jon verabreichte Mr. R. die Blutkonserve – und siehe da, nichts passierte. Diese Beobachtung und weitere Forschungen waren die Grundlage zur Entdeckung der MHC-Moleküle beim Menschen, die darum Leukozytenantigene genannt wurden (human leukocyte antigens – HLA) [1].

 

Immunologischer Fingerabdruck

Mittlerweile weiß man, dass MHC bzw. HLA ein wichtiger Teil des Immunsystems ist. So werden den T-Lymphozyten prozessierte Proteinbruchstücke aus dem Zellinneren präsentiert, die möglicherweise körperfremd sind (Abb. 1). Dies können Antigene eingedrungener Viren, mutierte Genprodukte entarteter Krebszellen oder Bestandteile fremder Gewebe sein. Die T-Zelle tastet die MHC-Peptidkomplexe ständig mit spezifischen Rezeptoren, den T-Zell-Rezeptoren (TCR) ab und löst im positiven Fall Abwehrreaktionen des Immunsystems aus. Noch unerfahrene T-Zellen bekommen nach dem Einwandern in den Thymus eine strenge Ausbildung, und nur 5% der Zellen überleben diese harte Auswahl. T-Zellen müssen ein MHC-Molekül mit einem Selbstpeptid mit einer bestimmten Bindungsstärke erkennen. Binden sie nicht, sind sie wertlos; binden sie zu stark, sind sie gefährlich und könnten zu Autoimmunerkrankungen führen. Beide Gruppen werden zur Apoptose gezwungen. 

Jeder Mensch exprimiert auf der Oberfläche sämtlicher kernhaltiger Zellen diese hochgradig polymorphen Proteine, die für jedes Individuum typisch und in der Kombination nahezu einmalig sind. Das HLA-Muster wird von einer Gruppe von MHC-Genen kodiert, die man in die Klassen I und II einteilt. Man könnte es als „immunologischen Fingerabdruck“ bezeichnen, denn mit den heute gängigen Methoden der Typisierung findet man in nur einem von drei bis vier Millionen Fällen eine komplette Übereinstimmung. Je enger der Verwandtschaftsgrad, desto höher ist diese Wahrscheinlichkeit: Eineiige Zwillinge haben stets identische Muster; für Geschwister liegt die Wahrscheinlichkeit bei 1 : 4. Aufgrund dieser hohen Varianz ist das HLA-Vererbungsmuster prinzipiell auch für die Forensik, z. B. zur Klärung von Paternitätsfragen, geeignet. Allerdings greift man hier eher auf einfacher zu messende Marker der Individualität, insbesondere die sog. „short tandem repeats“ (STR) in der DNA-Sequenz zurück.

Allein von den MCH-I-Gruppen (HLA-A, -B und -C) sind Tausende unterschiedlicher Allele beschrieben. Bei MHC-II weist HLA-DR die meisten Varianten auf. Rein rechnerisch ergeben sich für MHC-I über eine Milliarde, für MHC-II sogar über 40 Milliarden Kombinationsmöglichkeiten. Diese deutlich höhere Varianz bei MHC-II beruht darauf, dass hier zwei polymorphe Ketten miteinander kombinieren können, während bei MHC-I nur eine polymorphe Kette mit dem konstanten β2-Mikroglobulin ein komplettes HLA-Molekül bildet. Die tatsächlichen Zahlen liegen niedriger, da die Allele alle im Chromosom 6 gebündelt vorliegen und damit nicht frei kombinierbar sind, und bestimmte Kombinationen (Haplotypen) in bestimmten Bevölkerungsgruppen gehäuft auftreten; beides zusammen wird auch als „linkage disequilibrium“ bezeichnet.

Dieser gigantische, im Genom einzigartige Polymorphismus stellt sicher, dass von allen potenziell gefährlichen Antigenen praktisch immer einige Peptide erkannt werden. Das gelingt aber nicht immer perfekt: HIV-Peptide und HIV-infizierte Zellen werden durchaus erkannt und auch zerstört. HI-Viren sind aber selbst auch hoch variabel und verändern ihr immunologisches Aussehen und damit ihre Peptide, die von den T-Zell-Rezeptoren erkannt werden können. Damit wird das Immunsystem wohl überfordert und es bleiben immer infizierte Zellen übrig, die wieder neue HI-Viren produzieren können.

Assoziation mit Erkrankungen

Manche HLA-Muster sind mit bestimmten Erkrankungen, v. a. Autoimmunerkrankungen assoziiert. So kommt die Spondylitis ankylosans (M. Bechterew) praktisch nur bei HLA-B27-positiven Individuen vor, die Zöliakie nur bei Patienten mit HLA-DQ2 und/oder -DQ8. Hier wird vermutet, dass die Ähnlichkeit in der Peptidsequenz von Erregern und körpereigenem Material zu Kreuzreaktivitäten führt und so die Erkennung von „Selbst“ und „Nichtselbst“ durcheinanderbringt. Im Rahmen der Autoimmundiagnostik genügt es in der Regel, nur die mit der Krankheit assoziierten HLA-Muster zu untersuchen. So wird z. B. in einer 2012 veröffentlichten Leitlinie zur Diagnostik der Zöliakie bei Kindern unter bestimmten Voraussetzungen die Bestimmung von HLA-DQ2/8 gefordert. Liegt keines der beiden Merkmale vor, so kann man eine Zöliakie praktisch ausschließen [2]. Beim M. Bechterew kann eine differenzierte Aufschlüsselung von HLA-B*27 diagnostisch wegweisend sein, da einige Allele (02, 04, 05) eine höhere Krankheitsassoziation aufweisen als andere [3]. 

Companion Diagnostics

Seit 2008 ist bei HIV-Patienten vor der ersten Gabe von Abacavir ein genetischer Test auf das Vorhandensein des HLA-B*57:01-Allels vorgeschrieben. Da 50% der positiven Patienten unter dieser Therapie eine Hypersensitivitätsreaktion mit teilweise lebensbedrohlichen Nebenwirkungen erleiden, darf das Medikament nur bei negativem Befund verabreicht werden. Bei Han-Chinesen oder Thailändern besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Hautreaktionen bei Gabe der Antiepileptika Carbamazepin und Oxcarbacepin, wenn das HLA-B*15:02-Allel vorhanden ist. Die Testung wird für diese Patienten empfohlen und die Medikamente sollen bei positivem Test nicht angewendet werden [4].

Short- und Long-Reads

Bei den hier genannten Indikationen zur Bestimmung eines bestimmten HLA-Typs reicht meist eine Methode mit geringer Auflösung, d. h. die Bestimmung der gesuchten HLA-Loki wie z.B. HLA-B27 und des spezifischen Allels, z.B. HLA-B*27:02.  Man verwendet klassische molekularbiologische Methoden wie PCR kombiniert mit SSO (sequence-specific oligonucleotide) oder SSP (sequence-specific primer). Will man eine tiefergehende Auflösung bei der Typisierung, so stößt man mit diesen Methoden schnell an die Grenzen. Auch Next Generation Sequencing (NGS) ist aufgrund der kurzen DNA-Stücke, die dabei erzeugt werden und rechnerisch zusammengebaut werden müssen, nicht optimal. Methoden, die lange DNA-Stücke sequenzieren können, wie die klassische Sanger-Sequenzierung, aber auch die  neueren „Long-Reads“, bieten hier erhebliche Vorteile. Die Sanger-Methode ist methodisch aufwendig und teuer. Bei den „Long-Reads“ gibt es einige interessante Entwicklungen wie das „Single-Molecule- Real-Time (SMRT) Sequencing“ und das Nanopore Sequencing. Lange Sequenzen können die hoch polymorphen HLA-Komplexe in der DNA überbrücken, und kommen damit im Gegensatz zu den typischen NGS-Methoden ohne Konsensussequenz aus. So wurde in den letzten Jahren eine Unzahl neuer HLA-Allele entdeckt [5] (Tab. 1).

 

Transplantation

Die wichtigsten Indikationen für eine HLA-Bestimmung liegen in der Transplantationsmedizin (Zell-, Gewebe- und Organtransplantation). Für solide Organe wird die HLA-Kompatibilität weniger streng gesehen. Historisch typisierte man hier meist nur die wichtigsten HLA-Loki (HLA-A, -B und -DR) mit einer geringen Auflösung. Aktuell wird überwiegend für die Nierentransplantation eine Typisierung aller sechs Loki empfohlen [6].

Studien belegen, dass bei Stammzell- bzw. Knochenmarksübertragung die Zahl erfolgreicher Transplantationen mit einer hohen Auflösung der HLA-Typisierung gesteigert werden kann. Differenzen in den HLA-Loki können zum Versagen des Transplantats, zum Rezidiv der Grunderkrankung und zur Graft-versus-Host Disease (GvHD) führen. Minimal wird eine Typisierung für HLA-A, -B, -C und -DRB1 durchgeführt, in der Regel jedoch auch für die Loki HLA-DQ1 und HLA-DPB1 [6].

Weiterhin untersucht man das HLA-Muster unter bestimmten Bedingungen für Thrombozytentransfusionen bei Spender und Empfänger, um eine Immunreaktion gegen Spenderthrombozyten möglichst gering zu halten. Auch der Erfolg einer Stammzelltransplantation kann verfolgt werden, indem man die im Blut des Empfängers zirkulierenden Spenderzellen typisiert und quantifiziert. Es ist ein gewollter und für den Therapieerfolg nötiger Chimerismus, der hier im Empfängerorganismus entsteht. Auch bei der Transplantation von soliden Organen wie der Leber können Leukozyten, also Immunzellen, des Spenders in den Empfänger gelangen und dort überleben. Ob sie die Tolerierung des Fremdorgans begünstigen, ist derzeit Gegenstand der Forschung.

Insbesondere der Chimerismus bei der allogenen Stammzell-transplantation kann jedoch auch zu einer ungewollten Immunantwort der Spenderlymphozyten gegen den Empfängerorganismus, der GvHD führen. Schwerwiegende Formen sind eine gefürchtete Komplikation. Um die GvHD bei Empfängern von Blutprodukten zu vermeiden müssen diese z. B. bei immun-supprimierten Patienten vorher bestrahlt werden, um die vitalen T-Zellen abzutöten.

Forschung

Ein noch nicht in allen Details verstandenes Phänomen ist der physiologische Mikrochimerismus. Dabei überleben körperfremde Zellen, die die Immunabwehr unterlaufen. So kommt ein Austausch von Zellen zwischen Mutter und Kind, insbesondere der Übertritt von fötalen Zellen in den mütterlichen Kreislauf, regelhaft vor und kann für nicht-invasive Pränataldiagnostik genutzt werden. Es scheint aber durchaus häufig zu sein, dass nicht nur fötale DNA, sondern auch vitale Zellen im mütterlichen Organismus zu finden sind – zum Teil über viele Jahrzehnte nach der Geburt des Kindes. Diese Zellen sind möglicherweise auch eine Ursache von Autoimmunerkrankungen.

Das Thema MHC bleibt also spannend und es gibt noch viel Neues zu entdecken. Und auch das Thema tierische MHC dürfte sieben Jahrzehnte nach den allerersten Arbeiten eine Renaissance erleben, falls die laufenden Forschungen zur Xenotransplantation erfolgreich verlaufen und Organe von Tieren für die Transplantation an Menschen neue Möglichkeiten eröffnen. Dies wäre eine der dringend nötigen Optionen, um den bestehenden gravierenden Organmangel auszugleichen.   

 

 

Autor
Prof. Dr. med. Rudolf Gruber
Mitglied der Redaktion
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