Zu wenig bekannt: das Upshaw-Schulman-Syndrom

Erblicher ADAMTS13-Mangel

Trillium Diagnostik 2018; 16(4): 282-285

Die angeborene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (aTTP) ist eine seltene, erbliche Gerinnungsstörung, die durch einen schweren Mangel an ADAMTS131 (eine Protease, die den von-Willebrand-Faktor spaltet) verursacht wird. Das klinische Bild reicht von lebensbedrohlichen hämolytischen Krisen über Symptome der chronischen Anämie und Thrombozytopenie bis zu neurologischen Defiziten.

Schlüsselwörter: ADAMTS13, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, thrombotische Mikroangiopathie, von-Willebrand-Faktor (vWF)

Die kongenitale thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (cTTP; auch bekannt als Upshaw-Schulman-Syndrom, OMIM2 # 274150) ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbbare thrombotische Mikroangiopathie [1, 2]. Die Krankheit ist durch den schweren angeborenen Mangel an ADAMTS13-Aktivität (< 10%) gekennzeichnet, der durch Mutationen im ADAMTS13-Gen (OMIM # 604134) auf Chromosom 9q34 verursacht wird [3]. Beschrieben sind über 100 Mutationen, die zu einem schwerwiegenden Mangel des ADAMTS13-Enzyms führen, entweder durch verminderte Synthese und Sekretion oder durch Verringerung der spezifischen Aktivität. Verschiedene ADAMTS13-Mutationen können den Schweregrad des klinischen Phänotyps beeinflussen [4]. Der Phänotyp der kongenitalen TTP ist sehr variabel. Je nach Mutationstyp und Restaktivität von ADAMTS13 tritt bei einigen Patienten die Krankheit in der Neugeborenenperiode (early-onset) auf, während andere die erste TTP-Episode im Erwachsenenalter (late-onset), insbesondere während der Schwangerschaft erfahren (siehe Fallbericht). 

Klinisch wurde die TTP ursprünglich durch eine Pentade von Symptomen wie mikroangiopathische hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, fluktuierende neurologische Symptome, Nierenfunktionsstörung und Fieber klassifiziert [1, 2, 5]. TTP-Patienten präsentieren sich jedoch häufig ohne die volle Pentade, was die Differenzialdiagnose erschwert. Ähnliche klinische Symptomatik kann auch bei Erkrankungen wie dem hämolytisch-urämischen Syndrom, HELLP-Syndrom oder disseminierter intravaskulärer Koagulation (DIC) vorliegen. Bei dringendem klinischem Verdacht auf TTP muss jedoch sofort mit der lebensrettenden Plasmatherapie begonnen werden, da die Mortalität ohne Plasmaaustausch/-substitution bei über 90% liegt.

Fallbericht

Pathogenese

ADAMTS13 ist ein Mitglied der Metallo­proteasefamilie ADAMTS (eine Disintegrin- und Metalloprotease mit Thrombospondin-Typ-1-Motiv) und für die Regulierung der multimeren Struktur des von-Willebrand-Faktors (vWF) verantwortlich. vWF wird in vaskulären Endothelzellen synthetisiert und in Weibel-Palade-Körpern gespeichert. Nach Freisetzung in den Kreislauf zirkuliert vWF als globuläres Protein. Unter hohen Scherkräften kommt es zur Konformationsänderung und vWF nimmt eine fibrilläre Struktur an. Hierdurch werden diverse Bindungsstellen (z. B. GPIb-Bindungsstelle an der A1-Domäne, Kollagen-Bindungsstelle an der A3-Domäne, αIIbβ3-Bindungsstelle an der C4-Domäne) sowie die Spaltstelle für ADAMTS13 zwischen 1605Tyr- und 1606Met-Peptidbindung an der A2-Domäne freilegt. Der schwere funktionelle Mangel von ADAMTS13 (Aktivität < 10%) führt zu der Akkumulation von hyperadhäsiven, ungewöhnlich großen vW-Multimeren (UL-vWF). Es kommt zur spontanen Thrombozytenadhäsion/-aggregation an vWF, was zur Bildung von plättchenreichen Thromben innerhalb der Arteriolen und Kapillaren mit der Folge einer disseminierten mikrovaskulären Ischämie führt. 

Diagnose

Die angeborene TTP wird durch die Kombination aus klinischer Anamnese und typischer Laborkonstellation sowie durch den Nachweis eines persistierenden schweren Mangels der ADAMTS13-Aktivität (< 10%), ohne nachweisbare Anti-ADAMTS13-Autoantikörper, festgestellt. Die Diagnose wird durch molekulargenetische Analyse des ADAMTS13-Gens mit Nachweis eines homozygoten oder compound-heterozygoten Mutationsdefekts bestätigt (Abb. 1) [7].

Klinisches Bild

Die klinischen Leitsymptome der TTP sind, wie bereits erwähnt, die hämolytische Anämie, Thrombozytopenie sowie der ischämische Organschaden. Die Symptome der Organdysfunktion sind sehr variabel und oft unspezifisch. Charakteristischerweise treten neurologische Ausfallserscheinungen auf, die von Kopfschmerzen, Desorientiertheit, Schwindel, Halluzinationen bis hin zu Amaurose, Schlaganfall, epileptischen Anfällen und Koma reichen. Durch die ischämisch bedingte Mikrozirkulationsstörung können aber auch andere Organe oder Organsys­teme betroffen sein, und dementsprechend renale, kardiale oder pulmonale Symptomatik auftreten [5, 6].

Labordiagnostik

Typischerweise liegt eine Coombs-negative hämolytische Anämie mit Retikulozytose, Haptoglobinverminderung, freiem Hämoglobin, erhöhtem indirektem Bilirubin, erhöhter Laktatdehydrogenase, Nachweis von Fragmentozyten im Blutausstrich sowie eine schwere Thrombozytopenie (< 30/nl) vor. Es gibt keine signifikanten Abweichungen in den Globalgerinnungstests sowie bei Fibrinogen oder D-Dimeren. Nierenbeteiligung führt zu erhöhtem Serum-Kreatinin, Oligo- oder Anurie und Hämolyse-induzierter Hämoglobinurie. Im Falle kardialer Komplikatio­nen kommt es zum Anstieg der Herz­enzyme (Toponin T, Creatinkinase (CK) und Muscle-Brain type CK) [6, 7]. 

ADAMTS13-Bestimmung

Bei dringendem klinischem Verdacht sollte vor Einleitung einer Plasmatherapie die ADAMTS13-Diagnostik veranlasst werden, die die Bestimmung von ADAMTS13-Aktivität und -Antigen, den Nachweis Anti-ADAMTS13-Autoantikörpern sowie die genetische Charakterisierung des ADAMTS13-Gens beinhaltet (Abb. 1) [7]. Die Qualität der Testergebnisse der ADAMTS13-Bestimmungen hängt von mehreren präanalytischen Faktoren ab. Wie bei anderen Gerinnungstests ist das plättchenarme Citratplasma das bevorzugte Material. EDTA-Plasma ist nicht geeignet, da EDTA die Protease zerstört. Da freies Hämoglobin die ADAMTS13-Aktivität inhibiert, können in stark hämolytischen Proben (Hämoglobinkonzentration > 2 g/l) verminderte Werte vorgetäuscht werden. Proben, deren Testung erst 4 Stunden nach der Entnahme erfolgen kann, sollten bis zum Zeitpunkt der Testdurchführung eingefroren werden. 

ADAMTS13-Aktivität

Die Aktivität von ADAMTS13 kann durch verschiedene Methoden gemessen werden, die die Menge an funktionellem ADAMTS13 im Patientenplasma über direkte oder indirekte Messung der vWF-Spaltung erfassen (Tab. 1). Direkte Verfahren messen das Auftreten von Spaltprodukten des vW-Faktors. Indirekte Tests detektieren die Abnahme des Substrats, die den vWF-Aktivitätsverlust durch Abbau der vWF-Multimere widerspiegelt. Die Werte werden gewöhnlich als Prozentsatz der ADAMTS13-Aktivität im Vergleich zu normalem gepooltem Plasma ausgedrückt, die als 100% definiert ist [7]. Idealerweise wird das Testverfahren gegen den neuen internationalen ADAMTS13-Standard der Weltgesundheitsorganisation kalibriert [8]. 

Die ersten Verfahren verwendeten gereinigten vWF in nativer Form als Substrat für ADAMTS13 und bestimmten die Aktivität entweder direkt mittels vWF-Multimer-Analyse (SDS-Agarose-Gelelektrophorese oder SDS-PAGE-(6%)-Elektrophorese gefolgt von Immunoblotting) oder indirekt mittels Kollagenbindungsaktivität, Ristocetin-Kofaktoraktivität oder ELISA. Diese Methoden sind empfindlich (3–6% ADAMTS13-Aktivität) mit sehr guter Reproduzierbarkeit, allerdings ist die Durchführung sehr komplex und zeitaufwendig (2–3 Tage), und somit nur wenigen spezialisierten Laboren vorbehalten [9, 10]. 

Neuere Methoden verwenden Peptidsubstrate, die die ADAMTS13-Schnittstelle – die Peptidbindung zwischen 1605Tyr und 1606Met in der A2-Domäne von vWF – enthalten. Diese Substrate sind entweder ein rekombinantes vWF-A2-Domäne-Peptid oder ein synthetisiertes vWF-73-Peptid [9]. Der Nachweis des restlichen vWF-Substrats oder des Spaltprodukts kann sowohl durch direkte als auch indirekte Methoden erfolgen. Die gängigsten Verfahren umfassen Fluoreszenz-Resonanz-Energie-Transfer (FRET)-vWF-73-Assay, chromogenes vWF-73-Assay, vWF-73-ELISA und vWF-73-SELDI-TOF-Massenspektrometrie [7, 9, 11]. In Multicenterstudien konnte gezeigt werden, dass die neueren Methoden, die das synthetische vWF-Peptid oder die rekombinante A2-Domäne als Substrat verwenden, genauso gut reproduzierbar wie die ursprünglichen Tests sind. Sie weisen allerdings eine höhere Empfindlichkeit (1–3% ADAMTS13-Aktivität) und deutlich leichtere und schnellere Durchführbarkeit (1–4 h) auf [10, 11].

ADAMTS13-Antigen

Die Methoden zur ADAMTS13-Antigenbestimmung sind unterschiedliche ELISAs, die die Menge an ADAMTS13-Protein im Plasma mittels mono- oder polyklonaler Antikörper bestimmen [9]. 

Anti-ADAMTS13-Antikörper

Die Identifizierung von IgG-Antiköpern gegen ADAMTS13 kann zwischen hereditärer und erworbener TTP unterscheiden. In etwa zwei Dritteln der erworbenen TTP-Fälle kommen neutralisierende Antikörper vor, die die Funktion von ADAMTS13 hemmen. Diese Antikörper können im Plasmaaustauschversuch analog des Bethesda-Tests erkannt werden [7]. Ein Drittel der erworbenen TTP-Fälle werden durch Antikörper ausgelöst, die die Funktion nicht neutralisieren, sondern die Clearance von ADAMTS13 beschleunigen; der Bethesda-Test erfasst sie nicht. Diese Anti-ADAMTS13-IgG-Antikörper können aber mit hoher Sensitivität mittels ELISA nachgewiesen werden, die rekombinantes ADAMTS13 als Antigen verwenden [9].  

Molekulargenetische Untersuchung

In der Regel erfolgt die Gendiagnostik mittels PCR und direkter Sequenzierung [7, 10].

Ausblick

ADAMTS13-Testverfahren sind essenziell zur schnellen und zuverlässigen Diagnose der angeborenen TTP. In den letzten Jahren wurden große Fortschritte in der Diagnostik erreicht, jedoch sind weitere Verbesserungen der Testsensitivität, -spezifität und -zuverlässigkeit, insbesondere der Turn-around-Zeit sowie die internationale Standardisierung der ADAMTS13-Methoden, erforderlich. Damit die Ergebnisse innerhalb von Stunden vorliegen könnten, wäre die Etablierung von ADAMTS13-Diagnostik im Routinelabor wünschenswert; das würde einen großen Beitrag zur Differenzialdiagnose von thrombotischen Mikroangiopathien und zur optimalen Versorgung der Patienten mit dieser lebensbedrohlichen Erkrankung leisten.  

Autor
Dr. dr. med. Zsuzsanna Wolf
Leitende Ärztin Zentrallabor
Krankenhaus Barmherzige Brüder München,
Aus der Rubrik