Von Mikroben und Menschen

Neue antimikrobielle Konzepte

Trillium Diagnostik 2018; 16(4): 230-232

In „Microbes and Man“ betonte John Postgate bereits 1969, dass die meisten Bakterien nicht per se pathogen – und deshalb auszurotten – sind, sondern erst, wenn sich die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Mikroben zugunsten der Mikroben verschieben und die Bakterien ihr pathogenes Potenzial entwickeln können. Angesichts der Bedrohung durch zunehmende Antibiotikaresistenzen rückt diese Erkenntnis immer stärker in den Fokus der Forschung.

Schlüsselwörter: Antibiotika-Resistenz, Phagentherapie, Pathoblocker, Peptid

In einem Bericht des Weltwirtschaftsforums zu den größten globalen Risiken für die Menschheit rangierten „Antibiotika-resistente Bakterien“ auf den vorderen Rängen [1]. Die Weltbank veranschlagt die dadurch verursachten Zusatzkosten für die Gesundheitssysteme bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf 0,4 bis 1,2 Billio­nen (!) USD, was sogar über den Kosten der Bankenkrise von 2008 läge [2]. Auch wenn diese Daten auf mit Unsicherheiten behafteten Simulationen und Hochrechnungen basieren [3, 4], machen sie deutlich, dass beim Einsatz von Antibiotika ein generelles Umdenken erforderlich ist, um einer schweren medizinischen und auch wirtschaftlichen Bedrohung unserer Gesellschaft entgegenzuwirken.

Phänomen Antibiotikaresistenz

Resistenzen gegen Antibiotika sind älter als die Menschheit. Kürzlich ließen sich sogar bei Bakterien, die seit ca. 4 Mio. Jahren in unterirdischen Höhlen eingeschlossen waren, weitreichende Antibiotikaresis­tenzen nachweisen [5]. Im Permafrost Alaskas wurde 30.000 Jahre alte Bakterien-DNA gefunden, die Resistenzgene gegenüber Antibiotika (u. a. Penicillin, Tetracyklin, Vancomycin) aufwies, die erst in den letzten 40 Jahren zur Markteinführung gelangt sind [6]. Diese Beobachtungen zeigen, dass Bakterien konstitutionell in der Lage sind, Resistenz- und Evasions­mechanismen zu entwickeln, die gegen jede Art von bio­chemischem Target gerichtet sind – in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

Bakterielle Resistenzen spielten in der jüngeren Vergangenheit bei der Therapie keine große Rolle, da genügend Ausweichpräparate zur Verfügung standen. Retrospektiv wird jedoch klar, dass bislang kein Antibiotikum auf den Markt kam, gegen das nicht innerhalb von spätestens zehn Jahren Resistenzen nachgewiesen wurden [7]. Bei manchen Präparaten wie etwa Penicillin waren diese sogar vor der Markteinführung bekannt, bei anderen unmittelbar zur Markteinführung Levofloxacin, Ceftarolin) oder kurz danach (Dapto­mycin, Ceftazidim).

Vielfältige Strategien

Zukunftsträchtige Strategien zur Infektionsbekämpfung sollten sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der klassischen Antiinfektivatherapie breiter aufstellen und könnten in mehrere Kategorien unterteilt werden [8]. An erster Stelle steht dabei natürlich die Primärprävention von Infektionskrankheiten, gefolgt von Strategien, die die weitere Verbreitung von Resistenzen stoppen und dadurch den wirksamen Einsatz von Antibiotika über einen längeren Zeitraum gewährleisten. Weitere Ansatzpunkte sind neue Wege, um Infektionserreger zu attackieren sowie eine Modifikation der Interaktion zwischen Wirt und Erreger bzw. der Erreger untereinander. In Tab. 1 sind die im Folgenden besprochenen Strategien – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zusammengefasst. 

Phagen und Phagolysine

Der Einsatz von Bakteriophagen als Thera­peutika ist nicht neu, ihre Zulassung als Medikament unter westlichen Standards aber kompliziert. Darüber hinaus ist ihre Entwicklung ein gewisses Wagnis, da möglicherweise die Patientenakzeptanz fehlt. Phagen sind hochspezifisch, wirken in Bio­filmen und beeinflussen die Mikrobiota des Patienten nicht. Eine Phagen­therapie kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn der Erreger zum Wirtsspektrum des Bakterio­phagen gehört. 

Um eine langwierige Suche nach dem Erreger und seinem passenden Phagen zu umgehen, bieten sich bei Krankheitsbildern mit definiertem Erregerspektrum Phagenmixturen an. In Phase I befindet sich beispielsweise das Präparat TP102 zur Therapie bei chronisch infizierten Ulzerationen. PP0121, eine Mischung aus 13 verschiedenen Phagen zur Therapie von Infektionen mit E. coli [9], und PP1131 („PhagoBurn“) mit 12 Phagen zur Behandlung von P. aeruginosa bei Brandverletzten, befinden sich in der klinischen Phase-I/II- Prüfung [10]. Alternativ wird auch der Einsatz von Phagenenzymen (Phagolysinen) geprüft: Hierbei handelt es sich um durch Phagen kodierte Prote­ine mit Enzymcharakter, die eine gezielte, hochspezifische Lyse des Zielorganismus herbeiführen. Als Beispiel sei hier N-Raphasin oder ein rekombinantes Endolysin (HY-133) gegen S. aureus genannt. Letzteres soll gegen eine Nasenkolonisierung durch S. aureus einsetzbar sein.

Antimikrobielle Peptide 

Eine weitere vielversprechende Substanzgruppe sind antimikrobielle Peptide, die meist im Rahmen der angeborenen Immunität vom menschlichen Körper gebildet werden. Diese Moleküle bestehen aus nur 15–50 Amino­säuren, die ribosomal synthetisiert und posttranslational modifiziert werden. Etwa 2.000 verschiedene Peptide sind bislang bekannt und werden seit 2003 in der Antimicrobial Peptide Data­base (http://aps.unmc.edu/AP/main.php) der University Nebraska Medical Center in Omaha gesammelt. Manche Peptide weisen nicht nur antimikrobielle Eigenschaften auf, sondern wirken auch als Immunmodulatoren.

Cathelicidin ist beispielsweise in der Lage, über 900 Gene zu induzieren; dabei wirkt es direkt antibakteriell, antifungal und antiparasitär [10]. Es gibt auch Hinweise, dass das menschliche Mikrobiom durch diese Peptide beeinflusst werden kann. Antimikrobielle Peptide sind mit einer Vielfalt von Eigenschaften ausgestattet, deren Komplexität wir im Hinblick auf die Aktivierung des Immunsystems bislang nur in Ansätzen verstehen. 

In Studien der Phase I–III befinden sich einige der identifizierten Peptide oder ihre synthetischen Analoga [8, 9], wie zum Beispiel OP-145 – ein synthetisches 24-AS-Peptid zur Behandlung chronischer Mittelohrentzündungen (Phase-II-Studie). Diese Wirkstoffe kommen meist zur topischen Applikation zum Einsatz, da sie aufgrund von unspezifischen Reaktionen und/oder infolge des raschen proteolytischen Abbaus bislang nicht für die systemische Anwendung geeignet erscheinen.

Antikörper

Ein weiterer Ansatz zur antimikrobiellen Therapie abseits des Einsatzes von Antibio­tika liegt in der Anwendung von Antikörpern gegen bakterielle Toxine. Bereits seit 2016 ist Bezlotoxumab zur Therapie der pseudomembranösen Enterokolitis durch C. difficile bei der FDA zugelassen. Hierbei handelt es sich um einen Antikörper gegen Toxin B. Weitere Antikörper, z. B. gegen das α-Toxin [11, 12] von S. aureus oder gegen Sekretionssysteme von P. aeruginosa befinden sich in Entwicklung [13]. Der große Vorteil von Antikörpern ist ihre hohe Selektivität bei geringem Nebenwirkungspotenzial. Jedoch gilt auch hier das bereits oben Gesagte: Der Erreger muss bekannt sein; die Wirkung bei Mischinfektionen ist eingeschränkt. 

Pathoblocker

Bei den Pathoblockern handelt es sich um Substanzen, welche die bakterielle Kommunikation (Quorum sensing), und damit das Wachstum der Bakterien sowie die Bildung von Virulenzfaktoren und Bio­filmen unterbinden oder behindern [14, 15]. Ein konkretes Beispiel ist die Hemmung des Transkriptionsaktivators LasR bei P. aeruginosa, die unter anderem dazu führt, dass Virulenzfaktoren und andere Proteine, die das Bakterium bei wachsender Populationsdichte benötigt, nicht gebildet werden. 

Auch gibt es Ansätze, die Bildung von Biofilmen mit synthetischen Peptiden zu unterdrücken. Ihr Einsatz behindert die Akkumulation eines bakteriellen Stress­signals, des sogenannten Alarmons, z. B. bestehend aus Guanosin-Penta- oder -Tetraphosphat (p)ppGpp, welche mit der Bio­filmbildung in Zusammenhang gebracht werden [16, 17]. Biofilme wirken wie ein Schutzwall für die Bakterien. Sie haben die unangenehme Eigenschaft, dass zur Elimination der im Biofilm eingebetteten Erreger vielfach eine höhere Antibiotikakonzentration notwendig ist, die teilweise den für Menschen toxischen Bereich erreichen kann. 

Neuartige Antibiotika

Derzeit sind knapp 20 Substanzen mit neuartiger, chemischer Struktur oder neuem Wirkmechanismus in der Entwicklung, die sich nicht von einer der klassischen Antibiotikaklassen, wie z. B. Tetracyklinen, β-Lactamen oder Fluorchinolonen ableiten [18]. Mehr als ein Drittel der Substanzen ist gegen gramnegative Erreger oder gegen Mykobakterien gerichtet, ein kleiner Teil gegen grampositive, darunter auch Staphylokokken. Eine Liste von neu entwickelten Antibiotika wurde dieses Jahr im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht [17]. 

Fazit

Jahrzehntelang hat sich die Medizin auf die zuverlässige Wirksamkeit etablierter Antibiotika verlassen. Mittlerweile ist klar, dass in Zukunft die Vielzahl pathogener Mikroorganismen nur mit breiter angelegten, und zum Teil völlig neuartigen Strategien abgewehrt werden kann. Dazu zählt auch, anstelle der vollständigen Eradikation eines pathogenen Keims ein Gleichgewicht innerhalb der jeweiligen Bakteriengemeinschaft anzustreben, sodass sich Symbionten und Pathobionten die Waage halten.   

Trillium Diagnostik 2018; 16(4):230

Trillium Diagnostik 2018; 16(4):231

 

Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Ambrosch
Krankenhaus Barmherzige Brüder
Dr. Gabriele Egert
Mitglied der Redaktion
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