Tropenerkrankungen in Deutschland: Prima Klima?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.04.03

Ob sich Tropenkrankheiten in Zukunft in Deutschland weiter verbreiten, hängt in erster Linie von der Klimaentwicklung ab. Aber auch weitere Faktoren wie die Globalisierung oder die Empfänglichkeit der Bevölkerung werden hierbei eine Rolle spielen. Einige Erkrankungen werden sich wohl weiter verbreiten, andere könnten durch hygienische Maßnahmen, Vektorbekämpfung, und vorbeugende Massenbehandlungen wohl ganz oder weitgehend eliminiert werden.

Schlüsselwörter: Malaria, Denguevirus, Chikungunyavirus, Pilzinfektion,urogenitale Schistosomiasis, Vektor

Eigentliche Tropenkrankheiten wie Malaria tropica, Gelbfieber, Denguefieber, Bilharziose, Filariosen oder Schlafkrankheit sind aufgrund klimatischer und ökologischer Voraussetzungen bislang weitgehend auf bestimmte Regionen in den Tropen begrenzt. Die Mehrzahl der dort verbreiteten Infektionskrankheiten wie HIV, Tuberkulose, Durchfallinfektio­nen, intestinale Wurminfektionen, Typhus, Cholera oder Lepra beruht jedoch nicht auf speziellen klimatischen Bedingungen der Tropen, sondern auf Armut, mangelnder Hygiene und schwachen Gesundheitssys­temen.
Die zukünftigen Risiken einer Verbreitung tatsächlicher Tropenkrankheiten in Deutschland hängen in erster Linie von der Klimaentwicklung mit Änderungen von Temperatur, Feuchtigkeit, Überflutungs- und Trockenperioden ab [1, 2]. Weitere wichtige Faktoren sind das Vorhandensein geeigneter Übertragungsmechanismen und einer empfänglichen Bevölkerung, wobei vor allem deren Dichte, Immunitätslage und Verhalten bedeutsam sind. Die Globalisierung mit ihrem enormen weltweiten Transport von Menschen, Tieren und Gütern aller Art beschleunigt die Einschleppung und Verbreitung von Erregern und Überträgern erheblich. Ob es allerdings zu einer tatsächlichen Verbreitung in industrialisierten Ländern kommt, hängt zudem meist entscheidend vom Standard des Gesundheitswesens ab.
Bei der Mehrzahl der Klima-gebundenen Krankheiten handelt es sich um Infektionen, die durch Vektoren übertragen werden. Dies sind Arthropoden, zu denen Insekten und Milbentiere (Zecken und Milben) zählen. Für andere Tropenkrankheiten ist das Vorhandensein bestimmter Zwischen- oder Reservoirwirte erforderlich, die nur unter bestimmten klimatischen und ökologischen Bedingungen vorkommen. Beispiele sind die Bilharziose (tropische Schneckenarten als Zwischenwirte) oder das Ebolafieber (bestimmte Flughunde als Reservoirtiere).

Klima und Temperatur­schwankungen

Klimaerwärmende Perioden (Warmzeiten) gefolgt von Zeiten arktischer Kälte (Kaltzeiten) kamen im Laufe des aktuellen, bislang 2,6 Millionen Jahre dauernden quartären Eiszeitalters (Vereisung beider Polkappen) regelmäßig vor und haben vor etwa 40.000 Jahren zur Dezimierung der Neandertaler-Population beigetragen [3]. Warmperioden führten zu einem Rückgang der Eisbedeckung und einer Erhöhung der Meeresspiegel. Die damit verbundene Temperaturerhöhung zog auch eine veränderte Verbreitung von Vektoren zur Krankheitsübertragung nach sich[4].
Auch die aktuelle globale Erwärmung wird am ehesten zu einer Zunahme von Vektor-übertragenen Infektionen wie Dengue-, West-Nil-, Chikungunya- und Zika-Virusinfektionen führen. Das bedeutet, dass diese einerseits in bereits bestehenden Verbreitungsgebieten zunehmen werden und sich andererseits aber auch in Regionen ausbreiten werden, die bislang für eine effektive Verbreitung von Vektoren und/oder Erregern zu kalt waren. Für eine effektive Vermehrung im Vektor sind ausreichend hohe Umgebungstemperaturen erforderlich, da sich diese Viren ebenso wie die Malariaerreger im Vektor erst vermehren müssen, bevor eine Übertragung möglich ist. Dieser Zeitraum wird auch als extrinsische Inkubationszeit bezeichnet. Diese ist umso kürzer, je höher die Außentemperaturen sind. Für eine effektive Übertragung und Verbreitung muss diese kürzer sein als die meist nur wenige Wochen dauernde Lebensspanne des Vektors.
In gemäßigten und kühleren Regionen wie Deutschland sind Vektoren wie Stechmücken und Zecken in der kalten Jahreszeit meist nicht aktiv. Die bedeutet, dass dann auch keine Übertragungen stattfinden. Während einige Erreger von Tropenkrankheiten zu chronischen Infektionen und damit zu einem persistierenden menschlichen oder tierischen Reservoir führen (z. B. Filariosen, Bilharziose, Leishmaniosen, Trypanosomen-Infektionen), handelt es sich bei den meisten Vektor-übertragenen Virusinfektionen sowie bei der Malaria um akute Infektionen, deren Erreger während kalter Jahreszeiten nicht ohne weiteres „überwintern“ können. So ist eine dauerhafte Verbreitung der Malaria tropica in Regionen mit einer kalten Jahreszeit nicht zu erwarten, während die bei der Malaria tertiana häufig auftretenden Rezidive die kalte Jahreszeit überbrücken können und so eine dauerhafte saisonale Übertragung ermöglichen. Bei einigen Erregern ist auch eine Überbrückung kalter Jahreszeiten durch transstadiale Übertragung in der Vektorpopulation möglich, bei der die Erreger vom adulten Vektor über Eier und Larven an die nächste Generation weitergegeben wird (z. B. Dengueviren in Aedes-Moskitos oder Krim-Kongo-Virus in Hyalomma-Zecken).
Für die Verbreitung von Vektoren sind nicht nur die Temperatur, sondern auch andere Klimafaktoren wie die Luftfeuchtigkeit bedeutsam. So werden die in Mitteleuropa dominierenden Zecken der Gattung Ixodes bei zunehmender Trockenheit eher nach Norden abwandern, während sich bei zunehmenden Temperaturen Zeckenarten wie die braune Hundezecke Ripicephalus sanguineus aus dem Mittelmeergebiet nach Mitteleuropa ausbreiten können.

Verbreitung durch Vektoren

Stechmücken (Moskitos) sind die wichtigsten Vektoren und übertragen neben der Malaria und anderen Parasitosen (z. B. Filariosen) zahlreiche tropische Virusinfektionen. Bedeutsam als Krankheits­überträger sind zudem Schmetterlings- und Kriebelmücken, Stechfliegen, Bremsen, Zecken und Milben. Vektoren haben ihre ökologischen Habitate zur Vermehrung und Ernährung und werden sich durch Migration an die ihnen entsprechenden Habitate anpassen und Krankheitserreger mitnehmen [5]. Mücken können sich abhängig von Temperatur und Wind innerhalb von wenigen Tagen bis zu 20 km verbreiten [6].
Aedes aegypti (Gelbfiebermücke) und Aedes albopictus (asiatische Tigermücke) sind zwei wichtige Vektoren tropischer Viruskrankheiten mit zunehmender Verbreitung in Südeuropa. In den letzten Jahren kam es mehrfach zu Ausbrüchen und autochthonen Übertragungen von Denguevirus (DENV) und Chikungunyavirus (CHIKV) in Italien, Frankreich und Madeira, die auf importierte Infektionen zurückzuführen waren. Auch wenn es bisher gelang, diese Ausbrüche zu beenden, so wird durchaus befürchtet, dass sich diese Erreger längerfristig oder dauerhaft regio­nal ausbreiten [7].
Während einige wichtige Vektoren tropischer Infektionskrankheiten in Deutschland bisher nicht vorhanden sind, kam es in den letzten Jahren zur Einschleppung und zum Teil auch zur lokalen Verbreitung neuer (invasiver) Arten wie Aedes albopictus und Aedes aegypti. Beide sind seit etwa 2015 auch in Deutschland zu finden und können sogar hier überwintern [8], bisher allerdings ohne die Viren zu übertragen. Weitere Beispiele sind regionale Nachweise von Schmetterlingsmücken der Gattung Phlebotomus (Überträger von Leishmaniosen) und Zecken der Gattung Hyalomma (Überträger von Rickettsiosen und Krim-Kongo-Fieber). Auch hier sind bislang keine autochthonen Übertragungen gesichert.  
Schließlich sind bestimmte Vektoren wie Stechmücken der Gattung Anopheles, die Malariaerreger übertragen, schon immer auch in Deutschland und anderen gemäßigten Regionen Europas verbreitet. Wie das Beispiel Anopheles-Mücke und Malaria zeigt, ist diese „tropische Infektion“ vor etwa 3.000 Jahren nach Europa eingebracht worden. Im Mittelmeer-Raum hat die Malaria tropica zu einer genetischen Selektion von Faktoren geführt, die vor schwerer Erkrankung schützen, zum Beispiel die beta-Thalassämie oder der Glukose-6-Phosphat-Hydrogenase-Mangel. Auch in Mitteleuropa und einigen Regio­nen Deutschlands war die Malaria tertiana verbreitet. Erst nach dem 2. Weltkrieg konnte die Malaria in Europa mit hohem Aufwand ausgerottet werden [9, 10]. Mehrfache Ausbrüche von Malaria tertiana in den letzten Jahren in Griechenland weisen darauf hin, dass man auch heutzutage mit lokalen Malaria-Ausbrüchen ausgehend von Importen rechnen muss [11].
Im Jahr 2019 wurden die ersten Fälle von in Deutschland lokal übertragenem West-Nil-Fieber diagnostiziert. Hierbei handelt es sich um eine fieberhafte Erkrankung, die in einigen Fällen zu einer schweren Hirnentzündung führen kann [12]. Aus den Tropen gelangte das West-Nil-Virus (WNV) durch Zugvögel nach Südeuropa, wo es seit längerem saisonal im Sommer übertragen wird. Überträger sind verschiedene Moskitoarten, darunter auch die Gemeine Stechmücke Culex pipiens, eine der häufigsten Stechmücken während der warmen Jahreszeit in Deutschland. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt ausgehend von infizierten Vögeln sowie gelegentlich auch durch Transfusion von Blut und Blutprodukten infizierter Spender:innen. Das Virus gelangte 1999 erstmals in die USA, hat sich dort rasch landesweit verbreitet und seitdem zu über 50.000 Erkrankungen mit mehr als 2.000 Todesfällen geführt. Voraussetzung hierfür waren die Ausbildung eines größeren Vogelreservoirs und die Verbreitung von Stechmücken, die sowohl bei Vögeln als auch bei Säugetieren bzw. Menschen Blut saugen. Die in Deutschland vorherrschenden Unterarten von Culex pipiens sind meist entweder ornithophil oder anthropophil. Allerdings werden zunehmend Hybride beobachtet, die nicht mehr so wählerisch sind.  

Tiere als Erregerreservoir

Einige für den Menschen relevante tropische Infektionserreger haben Tierreservoire und sind somit Zoonosen. Wichtige Beispiele sind die Leishmaniosen mit Reservoiren bei Nagern und Hunden oder die Trypanosomen-Infektionen (Chagas-Krankheit, Schlafkrankheit). Vögel spielen bei West-Nil- und Krim-Kongo-Virusinfektionen als Reservoir sowie für die Verbreitung in neue Gebiete (durch Zugvögel) eine wichtige Rolle. Für andere Erreger wie das Gelbfieber- und das Chikungunya-Virus sind Affen ein bedeutsames Tierreservoir. Erreger wie HIV oder Plasmodien haben sich in Primaten entwickelt und an den Menschen adaptiert. Im Gegensatz zu den tropischen Regionen sind Primaten in Europa für den Infektionsübertragungs-Zyklus jedoch ohne Bedeutung.
Von besonderem Interesse sind seit einiger Zeit auch Fledertiere (Fledermäuse, Flughunde) als Reservoire für schwerwiegende Infektionen (Ebola- und Marburgfieber, Tollwut, Coronavirus-Infektionen, Nipah, Hendra). Tierreservoire sind bei der Bekämpfung problematisch, da sie durch hygienische Maßnahmen, Impfungen, Chemo-Therapie oder -Prophylaxe meist nicht erreichbar sind. Wildtiere und besonders Fledertiere stellen zudem ein wichtiges Reservoir für neu auftretende Viren dar, die aufgrund von Mutationen Humanpathogenität erlangen (z. B. Japanisches Enzephalitis-Virus, Influenza, Coronaviren).

Wasser als Medium für Krankheitserreger

Im Wasser verbreitete Bakterien wie Leptospiren, Vibrio cholerae, Vibrio vulnificus vermehren sich bei höherer Temperatur schneller und gewinnen an Bedeutung [13]. Wie lange V. cholerae ohne Toxin-bildende Phagen in Deutschland prävalent bleibt, ist kaum vorherzusagen. Obwohl Mycobacterium tuberculosis häufig als Tropenkrankheit bezeichnet wird, ist dies nicht zutreffend: Die Verbreitung von M. tuberculosis ist wesentlich von der Einhaltung zwischenmenschlicher Hygienemaßnahmen und der Behandelbarkeit abhängig, nicht von Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Bilharziose (Schisotsomiasis) wird über Wasser und Schnecken verbreitet. In Zukunft wird die Klimaerwärmung bei dieser Wurmkrankheit wohl zu einer Verschiebung der Übertragungsgebiete führen:  Neue Stauseen und Bewässerungssysteme lassen eine Übertragung zu, alte Gebiete trocknen aus [14].

Neue Pilzinfektionen

Feuchtwarmes Klima begünstigt das Wachstum von Pilzen auf Erdboden, Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen, wie aus Brasilien am Beispiel der Chromoblastomycose bekannt ist. Abhängig vom menschlichen Verhalten, Exposition und Körperhygiene kann die Zahl der Pilzinfektionen ansteigen [15]. Weitere Faktoren sind Ernährungsstatus und Immunkompetenz.

Würmer als „neue“ Parasiten

Intestinale Nematoden wie Ascaris lumbricoides (Spulwurm) und Trichuris trichiura (Peitschenwurm) werden über mit Wurmeiern fäkal verunreinigte Nahrung übertragen (siehe Infektion vom Oetzi mit Trichiuren). Solange eine Trennung von Abwasser und Trinkwasser eingehalten wird, sind diese zurzeit fast nur in tropischen Regionen häufiger vorkommenden Infektionen verhinderbar [16].
Seit 2013 ist die Blasenbilharziose (urogenitale Schistosomiasis) in Korsika endemisch, wobei sich die tropischen Schnecken-Zwischwirte Bulinus truncatus offensichtlich an die kalte Jahreszeit adaptiert haben [17]. Derartige Schnecken kommen regional auch in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und Griechenland vor.

Ausblick

Die Adaptation von Infektionserregern und Vektoren an geänderte Umweltbedingungen verläuft wesentlich schneller als die des Menschen – genetisch gesehen über Mutation und Selektion, Umwelt-bedingt durch Migration von Erregern, Überträgern und Wirten, und Evolutions-bedingt über die von Millionen Jahren erworbene Fähigkeit zum Überleben von Erregern und Vektoren auch unter widrigsten Umweltbedingungen.
Die Zukunft bis 2050 reell vorauszusagen ist kaum möglich, aber unter den Tropenkrankheiten könnten Medinawurm, lymphatische Filariosen (tropische Elephantiasis), Onchozerkose (Flussblindheit) und die afrikanische Trypanosomiasis (Schlafkrankheit) durch hygienische Maßnahmen, Vektorbekämpfung und vorbeugende Massenbehandlungen weitgehend oder ganz eliminiert werden, während sich durch Stechmücken übertragene tropische Virusinfektionen (Denguefieber, Chikungunyafieber, Zikavirus-Infektion, West-Nil-Fieber) eher weiter verbreiten werden; vor allem dann, wenn weiterhin Mega-Städte mit den assoziierten Slums, enger Menschendichte und mangelnder Abfallbeseitigung entstehen [1]. Bei der Malaria könnte durch die Klimaveränderung eine weitere Verbreitung begünstigt und der mittlerweile erreichte Bekämpfungserfolg gefährdet werden. Auch in Deutschland ist bei zunehmender Erwärmung mit einer Erhöhung der Risiken für eine Übertragung Vektor-übertragener Tropenkrankheiten zu rechnen. Allerdings ist eine endemische oder epidemische Verbreitung in Anbetracht des hohen Standards des Gesundheitswesens nicht wahrscheinlich. Schließlich muss eine Risikoeinschätzung erfolgen, die die ökologischen Besonderheiten jeder einzelnen tropischen Infektionskrankheit mit ihren spezifischen Übertragungsmechanismen berücksichtigt.
Es ist zu hoffen, dass die Forschung zu Tropenkrankheiten, die zu den sog. vernachlässigten Krankheiten zählen, intensiviert wird und zu besseren Behandlungs- und Bekämpfungsmaßnahmen führt. Nicht zuletzt zeigt uns die aktuelle COVID-19-Pandemie, wie rasch neue Bedrohungen durch Infektionskrankheiten entstehen können und wie wichtig die Entwicklung wirksamer Medikamente und Impfstoffe ist.

Autoren
Prof. Dr. Lutz G. Gürtler
Max von Pettenkofer-Institut
LMU München
Prof. Dr. Thomas Löscher
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