Pan-Cancer-Screening mittels Plasma-ctDNA: Krebsfrüherkennung – das große Versprechen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.03.08

Eine frühzeitige Erkennung gilt als Schlüssel für eine bestmögliche Behandlung von Tumorerkrankungen. Ein neuer Ansatz zum umfassenden Tumor-Screening ist die Charakterisierung von zellfreier Tumor-DNA (ctDNA) im Blutplasma durch massive Sequenzierung in Form eines molekularen Profiling der Mutationen, der Methylierungsmuster sowie einer Fragmentanalyse der ctDNA. Dadurch ist die zielgenaue Erkennung von Tumoren im frühen Stadium wie auch deren Lokalisation möglich. Studien mit echten Screening-Populationen müssen die Anwendbarkeit in der Praxis noch klären.

Schlüsselwörter: Liquid Profiling, Next Generation Sequencing, ctDNA, Mutationen, Methylierung, Fragmentanalyse

Zahlreiche Screeningprogramme zielen darauf ab, bereits frühzeitig Krebserkrankungen in Risikogruppen zu erkennen, um sie bestmöglich behandeln und eine uneingeschränkte Lebenserwartung erhalten zu können. Allerdings stehen Screening-Untersuchungen immer wieder in der Diskussion, denn sie erkennen nicht nur häufiger frühe Tumorstadien, sondern geben auch oft „falschen Alarm“. Die falsch-positiv Getesteten müssen dann die verdächtigen Befunde durch weitere, z. T. invasive Untersuchungen abklären lassen und sind dabei einem höheren Komplikationsrisiko und einer größeren psychischen Belastung ausgesetzt. Zudem werden die Phänomene „Überdiagnose“, d. h. die Diagnose von eher harmlosen Tumoren, und deren „Überbehandlung“ kritisiert. In einigen Fällen wird durch Screening eine Verlängerung der Lebenszeit erreicht; dagegen ist jedoch die längere Lebenszeit mit der Erkrankung und der Bias der Lebenszeitmessung durch die frühere Diagnose aufzurechnen.

Besondere Anforderungen an Blutmarker beim Screening

Die Früherkennung von Tumorerkrankungen durch Blutmarker ist mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Es wird erwartet, dass durch die Diagnostik erkannt wird, a) dass eine Tumorerkrankung vorliegt, b) wo der Tumor lokalisiert ist, c) wie es um die Aggressivität und Invasivität des Tumors beschaffen ist – also ob er behandlungswürdig ist. Dies soll am besten sehr frühzeitig erfolgen, wenn der noch kleine Tumor mit bildgebenden Methoden nur schwer zu erkennen ist. Allerdings setzen Tumoren in einem so frühen Stadium kaum Marker ins Blut frei, weshalb biochemische Veränderungen im Blut nur schwer zu detektieren sind.
Bisherige Versuche, einzelne, möglichst tumor- oder organspezifische proteinbasierte Tumormarker zur Früherkennung zu verwenden, scheiterten meist daran, dass Tumormarker nicht tumorspezifisch sind, sondern auch von Nicht-Tumorzellen in geringen Mengen freigesetzt werden; und ferner daran, dass es nur wenige organspezifische Marker gibt. Eine Ausnahme ist das Prostata-spezifische Antigen (PSA), das in Screening-Studien zur Früherkennung des Prostatakarzinoms sowohl in der europäischen ERSPC- wie auch in der Göteborg-Studie eine deutliche Verringerung der Sterblichkeit zeigte. Hierfür sind jedoch die Verwendung einheitlicher Methoden, Entscheidungsgrenzen, Zeitabstände der Testung und Reflextestungen, z. B. des freien PSAs, zu berücksichtigen. Ein weiteres Beispiel ist die serielle Bestimmung von Alpha-Fetoprotein (AFP) bei Patienten mit chronischer Hepatitis C, das zusammen mit Sonographie zur Kontrolle der Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms eingesetzt wird.
Auch für die Diagnostika-Industrie ist die Blut-basierte Früherkennung von Tumorerkrankungen ein attraktives Feld, da die Testung einer großen Zahl von „Risikopersonen“ ein enormes Marktpotenzial darstellt. Allerdings haben die Corona-Testungen im letzten Jahr deutlich vor Augen geführt, dass Screeningtests hierfür nicht nur eine hohe Sensitivität und Spezifität aufweisen müssen, sondern v. a. einen hohen positiven oder negativen prädiktiven Wert, der wesentlich von der Prävalenz einer Erkrankung abhängt. Bei einer Prävalenz von 1:1.000, wie sie für einige Krebserkrankungen zu erwarten ist, wird die Rate der falsch-positiven Ergebnisse die richtig-positiven bei weitem übersteigen!
Eine Verbesserung der prädiktiven Werte ist durch ein individuelles Monitoring serieller Werte von geeigneten Biomarkern und die gleichzeitige Tes­tung einer Vielzahl von Markern zur Erhöhung der Tumorsensitivität und -spezifität zu erreichen; außerdem durch Kopplung mit anderen Screeningverfahren, z. B. der Kolonoskopie oder der Low-Dose-Computertomografie (LDCT). In diesen Fällen kann die Blutdiagnostik vorgeschaltet sein, um die Wahrscheinlichkeit eines positiven Tumor-Befundes in der Bildgebung zu erhöhen, oder sie kann nachgeschaltet sein, um unter den vielen verdächtigen Minimal-Befunden, diejenigen auszusortieren, die nicht weiter abgeklärt, sondern nur im Verlauf beobachtet werden müssen. Beide Ansätze helfen, zielgerichtet Personen mit dem höchsten Risiko weiteren Untersuchungen zuzuführen und gleichzeitig Kosten zu sparen.

Pan-Cancer-Screening mittels umfassender ctDNA-Analysen

Die prinzipielle Herausforderung für das Screening mittels ctDNA-Diagnostik besteht darin, dass in frühen Tumorstadien nur geringe Mengen an Tumor-DNA im Blut vorhanden sind, wodurch die Erkennung einzelner molekularer Marker erschwert ist [1]. Jedoch haben Verbesserungen der NGS-Analysen und das Einbeziehen vieler Gen-Targets dazu geführt, dass bereits vor einiger Zeit die Früherkennung von Pankreaskarzinomen in den Bereich des Möglichen rückte. Allerdings lag die Sensitivität bei alleiniger Verwendung von ctDNA in der CancerSEEK-Studie lediglich bei rund 30 % bei einer 99 % Spezifität, konnte jedoch durch die Hinzunahme von Proteinmarkern CA 19-9 oder von CEA, HGF und OPN auf 64 % gesteigert werden [2].
In einer nachfolgenden Studie wurden 61 Amplicons aus 16 Genen und 8 Protein-Tumormarker verwendet, um frühzeitig eine Vielzahl von gastrointestinalen, gynäkologischen und Lungentumoren bei 1.005 Patienten zu detektieren. Hierbei wurden Sensitivitäten von 69 % bis 98 % für die Erkennung von Ovarial-, Leber-, Magen-, Pankreas- und Ösophaguskarzinomen bei einer Spezifität von mehr als 99 % gegenüber einer gesunden Kontrollgruppe (n = 812) erzielt; für kolorektale, Lungen- und Mammakarzinome lagen die Sensitivitäten etwas niedriger. Während die mediane Sensitivität in den Stadien I–III bei 70 % lag, war sie im Stadium I mit 43 % jedoch deutlich niedriger. Interessanterweise gelang sogar die Lokalisation von Tumoren anhand der Kombination von ctDNA und Proteinmarkern in bis zu 83 % der Fälle, wobei die Proteinmarker einen wesentlichen Beitrag leisteten [3]. Wenngleich die Aussagekraft der Studie aufgrund des Fehlens einer echten Screeningkohorte, der Selektion der Tumorpatienten, einer Kontrollgruppe nur mit Gesunden und dem Fehlen einer unabhängigen Validierung etc. begrenzt war, beflügelte sie weitere Studien:
In der prospektiven Interventionsstudie DETECT-A wurden 10.005 Frauen zwischen 65 und 75 Jahren ohne einen bekannten Tumor mit einer zu den CancerSEEK-Studien verbesserten, stufenweisen Blut- und PET-CT-Diagnostik untersucht. Hierbei wurde ein Basis- und Bestätigungs-Bluttest verwendet, in dem die zunächst auffälligen Marker erneut nachgewiesen und potenzielle molekulare Verunreinigungen durch klonale Hämatopoese ausgeschlossen wurden, ehe eine PET-CT Analyse durchgeführt wurde. Insgesamt wurde mit diesem differenzierten Vorgehen bei 490 Personen ein auffälliger Basistest gefunden, der in 134 Fällen bestätigt wurde. Nach der PET-CT hatten noch 64 Personen einen Tumorverdacht, der sich in 26 Fällen bestätigte, darunter 9 Lungen-, 6 Ovarial- und 2 kolorektale Tumoren, jedoch keine Mammakarzinome. Bei diesen 26 Frauen wurden die Tumoren in 14 Fällen durch ctDNA, in 11 Fällen durch Proteinmarker und in einem durch beide Methoden erkannt. Durch Standard-Screening wurden 24 zusätzliche Tumoren und aufgrund von Symptomen weitere 46 Tumoren gefunden. Diese differenzierte Darstellung zeigt, dass mittels Blutscreening bei mehr als 10.000 Frauen 27 % der insgesamt 96 Tumore detektiert wurden, 1,2 % für eine PET-CT-Untersuchung ausgewählt wurden und nur 59 % der verbliebenen 64 verdächtigen Frauen (insgesamt 0,4 % der Gescreenten) sich unnötigerweise einer weiteren Abklärung unterzogen. Wenngleich das Vorgehen extrem aufwändig und teuer ist und die absoluten Zahlen klein erscheinen, ist der positiv prädiktive Wert mit 40,6 % (26 aus 64) höher als bei vielen anderen Screeningtests [4].

Profiling von ctDNA-Methylierungsmustern 

Eine weiterer Ansatz ist die umfassende Analyse von epigenetischen Methylierungen auf Tumor-DNA, die sehr viel häufiger als tumorspezifische Mutationen vorzufinden sind. In der Gewebediagnostik werden bereits Methylierungen von einzelnen CpG-Inseln in Promotorbereichen von Suppressorgenen, z. B. MLH1 beim Kolonkarzinom, untersucht, die das Tumorwachstum oder die DNA-Reparatur regulieren. Insgesamt finden sich bei Tumorerkrankungen jedoch oft eine generelle Hypomethylierung und unzählige irreguläre Methylierungen [5]. Dieses veränderte Tumor- und Gewebe-spezifische Methylierungsmuster kann  nun genomweit oder gezielt durch Immunpräzipitation zellfreier methylierter DNA und Hochdurchsatz-Sequenzierung (cfMeDIP-Seq) oder Sequenzierung nach Bisulfit-Konversion analysiert werden. Aus den hierbei erhaltenen Zehntausenden an Methylierungssignalen zwischen Tumor- und Normalgeweben werden Klassifier gebildet, validiert und für die Prädiktion auch früher Tumorstadien in Blutproben eingesetzt [6, 7].
Die Aussagekraft von Methylierungsmustern wurde systematisch in Studien des CCGA-Consortiums mit mehr als 15.000 Teilnehmern untersucht. Bei der Validierung des „multi cancer early detection“ MCED-Klassifiers an 6.689 Personen wurde eine Spezifität von mehr als 99 % und eine Sensitivität für 12 Tumor­arten von 67 % über die Stadien I–III erzielt, wobei die Sensitivität von 39 % im Stadium I und 69 % im Stadium II auf 83 % im Stadium III anstieg. Allerdings war auch hier bei einigen Tumorarten wie dem Mamma- oder Prostatakarzinom die Detektion im Stadium I schwierig. Interessanterweise konnte in 96 % der Fälle anhand der Methylierungssignatur der Gewebeursprung des Tumors lokalisiert werden [7]. In einer aktuell erschienenen Studie wurde die hohe Spezifität und Sensitivität des MCED-Tests für die 12 Tumorarten in einer weiteren unabhängigen Validierungskohorte bestätigt [8].

Profiling von ctDNA-Fragment-Mustern

Eine relativ neue Herangehensweise ist die Untersuchung von ctDNA-Fragment-Mustern im Blut. Grundlage hierfür ist die Assoziation von DNA mit Histonproteinen in sog. Nukleosomen. Findet eine spontane oder gezielte Degradation des Chromatins durch DNAsen im Plasma statt, setzen diese bevorzugt an den leicht zugänglichen Linker-DNA-Regionen zwischen den Nukleosomen an, wodurch es zu unterschiedlichen Fragmentierungsmustern kommt. Dies betrifft einerseits die Länge der Fragmente, die bei Tumorpatienten im Plasma häufig etwas kürzer ist als bei Normalpersonen (146 bp versus 166 bp) sowie die Art der Fragmentierung mit unterschiedlichen Endigungen, Orientierung und Endmotiven der Sequenz an den Abbrüchen. Schließlich gibt der „Nukleosomen-Fußabdruck“ der zirkulierenden DNA, d. h. der Anteil der durch Nukleosomen vor der Degradierung geschützten Bereiche, funktionelle Rückschlüsse auf die Bindung von Transkriptionsfaktoren und kann das Vorhandensein einer Tumor­erkrankung und den Gewebeursprung anzeigen [5, 9].
In einer aktuellen Studie wurde die Aussagekraft eines Genom-weiten Fragmentierungsprofils zusammen mit klinischen Risikofaktoren, CEA und einer CT-Untersuchung für das Vorliegen eines Lungenkarzinoms geprüft. Wenngleich die Studie klein war, ist die Sensitivität des DELFI Fragment-Scores von 91 % im frühen Stadium I und II, bzw von 96 % im Stadium III und IV, allerdings nur bei einer Spezifität von 80 %, bemerkenswert [10].

Fazit und Ausblick

Verschiedene NGS-basierte Pan-Cancer-Screening-Ansätze liefern vielversprechende Ergebnisse, müssen ihre Wertigkeit jedoch noch in echten Screening-Populationen bestätigen. Wesentliche Kriterien für einen breiten Einsatz sind neben überzeugenden und verständlichen Daten die Verfügbarkeit der diagnostischen Kapazitäten, die Einfachheit und Schnelligkeit der Anwendung, die Integration in bestehende Abläufe, die Kosten-Nutzen-Effizienz, die Klärung der Abrechnungsfähigkeit und die allgemeine Akzeptanz bei Ärzten und Gesellschaft.
Schließlich ist zu bedenken, dass Screening nur Vorteile bringt, wenn es zu therapeutischen Konsequenzen führt. Wenn ein Tumor bereits in einem asymp­tomatischen Stadium durch molekulares Screening erkannt wird – möglicherweise noch bevor er bildgebend sichtbar ist – stellt sich die Frage, wann und wie therapiert werden kann und soll. Sowohl ein lediglich beobachtendes Abwarten („watchful waiting“) wie auch eine präemptive Therapie würde die betroffenen Personen, aber auch das Gesundheitssystem insgesamt vor neue Herausforderungen stellen [11]. Deshalb sollten auch neue Screeningansätze das „nil nocere“ von Beginn an im Blick haben!