Multi-Omics Liquid Biopsy in der personalisierten Onkologie: Next Generation Tumor-Diagnostik

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.03.07

Multi-Omics-Ansätze – also eine integrative Analyse von Whole Exome Sequencing, Whole Transcriptome Sequencing sowie die epigenetische Analyse tausender Areale auf Methylierungs- und Hydroxy-Methylierungsebene – sind für die Liquid Biopsy zukunftsweisend. Im Rahmen der personalisierten Onkologie werden sie in Zukunft zu einer verbesserten Patientenversorgung beitragen.

Schlüsselwörter: CTC, EpCAM, cfDNA, cfRNA, miRNA, BEAMing-PCR, Next Generation Sequencing, NGS, WGS, WTS

Krebs ist nicht eine Erkrankung, sondern eher ein Konglomerat von unzähligen, teilweise stark unterschiedlichen Varianten von Gewebeentartungen. Zumeist werden Tumorerkrankungen nach Ursprungsort unterteilt, zum Beispiel in Brust-, Darm-, Lungen- oder Prostatatumor. Diese Kategorisierung ist jedoch eine starke Vereinfachung und führte in den letzten Jahrzehnten immer stärker dazu, dass zusätzlich molekulare Parameter zur Subklassifizierung herangezogen wurden. Dies ist besonders sinnvoll, da Teile dieser molekularen Biomarker in direktem Zusammenhang mit spezifischen organ- oder tumorabhängigen Therapien stehen. Regelhaft wird dafür ein Teil des Tumors operativ entnommen (als komplette Resektion oder als Gewebebiopsie) und auf seine molekularen und morphologischen Charakteristika hin analysiert. Dieses Verfahren ist Usus und stellt die standardmäßige Untersuchung von Tumorbiopsien dar. Jedoch gibt es viele Fragestellungen, bei denen ein solches Vorgehen nicht adäquat den medizinischen oder diagnostischen Ansprüchen entspricht. Ist unter Umständen ein Tumor inoperabel oder bereits komplett entfernt, kann keine Gewebebiopsie entnommen werden. Des Weiteren kann die Entnahme einer Tumorbiopsie aus medizinischer Sicht eine zu hohe Gefährdung für den Patienten darstellen.
Aus diesem Grund ist die sogenannte Liquid Biopsy ein Verfahren, das immer mehr Einsatz in der Diagnostik findet, sei es in der Früherkennung, Patientenstratifizierung, Resistenzerfassung, Monitoring oder Patient Surveillance. Liquid Biopsy bezieht sich dabei primär auf die minimalinvasive Analyse von Blut und dessen Bestandteilen. Hierfür werden tumor-assoziierte molekulare Biomarker untersucht, die wie eine Art „Echo“ in Teilen die biologischen Eigenschaften des Tumors wiedergeben (Tab. 1).

Tab. 1: Analyten der Liquid Biopsy.

Analyt Veränderung Methodik (beispielhaft)
Tumorassoziierte Proteine Erhöhte Präsenz ELISA
Zirkulierende Tumorzellen Detektierbar Zellzählung, Anreicherung
DNA Mutation, Methylierung qPCR, BEAMing, NGS
RNA Mutation, Expression qPCR, BEAMing, NGS

 

Klassisch wurden in der Vergangenheit Tumormarker auf Protein-Basis herangezogen, zum Beispiel PSA (Prostata-spezifische Antigen) und CEA (Carcinoembryonales Antigen). Um jedoch zu einer differenzierteren und spezifischeren Aussage zu kommen, bedarf es zusätzlicher Analyten, die direkt mit dem Tumor zusammenhängen und nicht durch andere krankheitsbedingte Faktoren beeinflusst werden. Zellen und Zellbestandteile des Tumors werden im Zuge des Tumorwachstums ins Blut abgegeben. Diese führen nicht notwendigerweise zu Metastasen, sind jedoch in Teilen ein Spiegelbild des im Patienten vorliegenden Krebses. Sogenannte zirkulierende Tumorzellen (CTC) unterscheiden sich durch ihre Oberflächenmarker signifikant von normalen Zellen und gesunden Blutzellen. Die CTC-Bestandteile divergieren ebenfalls stark von nicht-entarteten Zellen. Neben der Proteinanalyse ist die Untersuchung der enthaltenen und CTC-assoziierten DNA bzw. RNA hochinteressant. Auf der DNA-Ebene können sowohl eventuelle Mutationen direkt analysiert werden als auch epigenetische Veränderungen, die im Tumor auf zum Beispiel Methylierungsebene vorliegen. DNA wird im weiteren Verlauf während des Zellsterbens (Nekrose und Apoptose) ins Blut abgegeben und kommt dort als sogenannte zellfreie DNA (cfDNA) in Fragmenten vor. Freie zirkulierende RNA existiert im Blut nur bedingt, da RNasen diese schnell und effektiv abbauen. Hiervon sind nur sehr kleine RNA-Stücke, die sogenannte miRNA, nicht bzw. kaum betroffen. Verschiedene RNA-Klassen kommen jedoch geschützt in oder gebunden an extrazellulären Vesikeln (EV) vor, oder alternativ auch assoziiert an zirkulierenden RNA-bindenden Proteinen. Bei den EVs handelt sich einerseits um Zell­abschnürungen, die vom Tumor vermehrt produziert werden, oder um Exosomen, die aus intra-luminal gebildeten multivesikulären Endosomen (MVE) sekretiert werden. Die für die Diagnostik interessanten EVs sind ca. 70–250 nm groß und enthalten primär miRNA, aber auch längere mRNAs und long-non-coding RNAs. Somit stellen Nukleinsäureuntersuchungen mittels RT-qPCR oder Next Generation Sequencing (NGS) im Blut aus Liquid Biopsy einen erheblichen Erkenntnisgewinn über den Tumor selbst und die Erkrankungen dar und liefern wichtige ergänzende Informationen für Diagnose, Monitoring und Therapie.

Nachweis von CTC

Tumorassoziierte Proteine werden zumeist nicht zu Liquid Biopsy gezählt, da sie nur bedingt eine Aussage über den Tumor erlauben. Zirkulierende Tumorzellen (CTC) entstehen beim Wachstum des Tumors und sind nur zu einem kleinen Anteil zur Metastasierung fähig. Einer der zur Detektion verwendeten Hauptmarker ist EpCAM (Epitheliales Zelladhäsionsmolekül). Dieser findet bereits Einsatz in kommerziellen CTC-Detektionskits. Die Methodik hat jedoch unterschiedliche Qualitäten bezüglich der Aussage: Während es beim Pankreaskarzinom bezüglich Metastasierung informativ ist [1], hat es bei Brustkrebs nur bedingt Aussagekraft, da EPCAM hier teilweise zu wenig exprimiert wird [2, 3].

DNA-Nachweis

Veränderungen auf DNA-Ebene sind durch den Zelltod und das Freisetzen von cfDNA ins Blut nachweisbar. Die Mutationen des Tumors können hierbei mit unterschiedlichsten Methoden nachgewiesen werden. Da der Großteil der cfDNA im Blut jedoch keine Veränderungen zeigt, muss hier mehr in die Tiefe gegangen werden, die auch niedrige Prozent- bis Promillewerte der Mutation detektierbar machen sollte. BEAMing-PCR ist ähnlich der Digital-PCR (Bead, Emulsion, Amplification, Magnetic digital PCR) eine Methodik, bei der zielgerichtet einzelne Mutationen von Interesse überprüft werden und bei der anhand der schieren Masse von parallelen Analysen eine Quantifizierung möglich ist [4–6]. Bei der Analyse von mehreren Genen empfiehlt sich jedoch NGS. Regelhaft wird allerdings nur eine geringe Anzahl von mutationsanfälligen Genen überprüft [7–10].
Tumor-DNA unterscheidet sich nicht nur durch die Anwesenheit von Mutationen von DNA aus gesunden Zellen, sondern ist auch epigenetischen Veränderungen unterworfen. Dies bedeutet, dass in Teilen eine Methylierung bzw. Hydroxy-Methylierung von Cytosin vorliegt. Dieses Feld der molekularen Tumoranalytik ist aufgrund der Analysemethodik jedoch noch nicht weit verbreitet, wenngleich die Prozesse auf dieser Ebene sehr früh bei der Tumorgenese angestoßen zu sein scheinen [11]. Bis dato werden jedoch nur einzelne Gene im diagnostischen Setting analysiert [12, 13].

RNA-Nachweis

Liquid Biopsy auf RNA-Basis hat unterschiedliche Spielarten. Einerseits kann das umliegende Gewebe, aber auch die Tumorzellen selbst zu einer erhöhten Expression von verschiedenen Genen auf zellfreier RNA (cfRNA) führen, andererseits ist die Präsenz von gewissen Mutationen (die in exprimierten Exons liegen) nachweisbar. Darüber hinaus ist zwischen verschiedenen RNA-Spezies zu unterscheiden. Die klassische Gen-bezogene Expression von mRNA, aber auch die regulatorisch wichtige Expression von miRNA können zur weiteren Analyse herangezogen werden. Bei der Mutationsanalyse wird analog zur cfDNA nach einer reversen Transkription (RT) die cfRNA im Detail untersucht. Dies wurde nicht nur im Blut, sondern auch in anderen Körperflüssigkeiten gezeigt, zum Beispiel in Urin bei dem Melanom assoziierten Proto-Onkogen BRAF [14]. Die RNA-Expressionsanalyse kann bei einzelnen Kandidatengenen mittels RT-qPCR durchgeführt werden, aber auch hier kommen vermehrt Panels – also eine zielgerichtete Analyse von einigen hundert Transkripten – zum Einsatz. Bei der Expression von miRNA ist eine gewebespezifische Analyse für Früherkennung und Monitoring eine gute Anwendung [15]. Damit ist es nicht nur möglich zu ermitteln, um welchen Primarius es sich handelt, sondern auch, wo Metastasen vorhanden sein sollten [16]. Das Feld der integrativen Tumor-RNA-Expressionsanalytik ist noch stark explorativ und vor allem wissenschaftlich getrieben, deswegen gibt es noch keine groß angelegte Vermarktung.

Multi-Omics-Analyse

Liquid Biopsy bietet zukünftig sehr viele Möglichkeiten und wird momentan primär für eingeschränkte Fragestellungen verwendet. Die Autoren dieses Artikels arbeiten intensiv daran, einen systemischen Ansatz zu verwirklichen, der DNA- und RNA-Analytik in all ihren Facetten vereinigt. Der Multi-Omics-Ansatz, also die integrative Analyse von „whole exome sequencing“ (WES = die Sequenzierung aller proteinkodierenden Bereiche des humanen Genoms), „whole transcriptome sequencing“ (WTS = die RNA-Sequenzierung bzw. RNA-Seq, ohne sich auf Zielgene zu beschränken) sowie die epigenetische Analyse tausender Areale auf Methylierungs- als auch Hydroxy-Methylierungsebene zeigen völlig neue Wege auf, die sonst nicht möglich gewesen wären. Durch den Verzicht einer Festlegung auf eine geringe Anzahl von Genen oder Transkripten (statt weniger hundert werden mehrere tausend parallel analysiert) ist es möglich, auch neue ungeahnte Zusammenhänge herzustellen. Die bioinformatische Vereinigung großer Datensätze erlaubt eine kombinatorische integrative Auswertung, die weit mehr Aussagekraft hat als die Summe der einzelnen Untersuchungen. Die konkrete funktionelle Analyse, basierend auf unterschiedlichen Signaltransduktionswegen und Protein-Protein-Interaktionen, gibt nicht nur Informationen zur Lokalisation und einer vorhandenen Metastasierung, sondern ermöglicht vielmehr den Einsatz von Medikamenten, die sonst nicht regelhaft für diese Indikation verschrieben werden. Im Sinne eines Off-Label-Use kann so die Behandlung des einzelnen Patienten individuell auf die Biologie der Erkrankung angepasst werden (personalisierte Medizin). Zusätzlich kann die Verwendung von unwirksamen Wirkstoffen eingeschränkt und somit eine generelle Verbesserung der Lebensqualität ohne unnötige Nebenwirkungen nicht nur bei Krebskranken, sondern auch bei Patienten mit systemischen Erkrankungen erreicht werden. Mecha­nis­tisch kann man nicht nur Medikamente aus anderen Einsatzbereichen finden (drug repositioning), sondern auch Supplemente zur Unterstützung identifizieren. Darüber hinaus ist eine Therapieverfolgung mit tausenden unterschiedlichen Biomarkern simultan möglich und somit wird auch der Heterogenität des Tumors Rechnung gezollt.
Die integrative Multi-Omics-Analyse, die Vereinigung von DNA, RNA, miRNA und Epigenetik ist somit nicht Fiktion, sondern jetzt Realität. Die Multi-Omics Liquid Biopsy gewährleistet eine verbesserte Diagnostik, ist Voraussetzung für die personalisierte Onkologie und stellt daher die Zukunft der Liquid Biopsy in der molekularen Onkologie dar.

Autoren
Robert P. Loewe
GeneSurge GmbH
Benedikt Kirchner, M. Sc. | Christian Grätz, M. Sc. | Maria L.U. Bui, M. Sc.
Lehrstuhl für Tierphysiologie & Immunologie
TUM School of Life Sciences | GeneSurge GmbH

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. Michael W. Pfaffl
Lehrstuhl für Tierphysiologie & Immunologie
TUM School of Life Sciences - Freising
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