Liquid Profiling: Personalisierte Tumortherapie

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.03.05

Das Liquid Profiling ermöglicht die minimalinvasive Analyse Tumor-assoziierter genetischer Veränderungen direkt aus dem Blut des Patienten und kann somit genutzt werden, um die Tumorevolution molekulargenetisch longitudinal zu beurteilen und das therapeutische Regime individuell zu stratifizieren. Die Evaluation der erhobenen Befunde im klinisch-diagnostischen Kontext zusammen mit der Bildgebung stellt für die Zukunft eine Herausforderung dar.

Schlüsselwörter: Zirkulierende Tumor-DNA, personalisierte Onkologie, Companion Diagnostics, Liquid Profiling, Biomarker, Präzisionsmedizin

Solide Neoplasien sind durch ein breites Spektrum genetischer Variationen charakterisiert [1]. Die Entwicklung von Hochdurchsatztechnologien wie dem Next Generation Sequencing (NGS) sowie hochsensitiver, digitaler Analyseverfahren hat das Verständnis, die Diagnostik und Therapie solider Tumoren in den letzten
Jahren fundamental verändert und den Grundstein für eine personalisierte Präzisionsonkologie gelegt. Basierend auf den – in der Regel in der Biopsie identifizierten – therapeutisch angreifbaren genetischen Veränderungen, sogenannten druggable targets, erfolgt die Selektion geeigneter zielgerichteter Therapeutika. Da der Einsatz dieser Medikamente infolge des damit verbundenen Selektionsdrucks auf den Tumor unweigerlich zu einer genetischen Tumorevolution und einer Selektion resistenter Subklone führt, kommt es im Verlauf zu einem Rezidiv bzw. Fortschreiten der Erkrankung. Um das Auftreten von Resistenzmutationen möglichst frühzeitig zu erkennen, das Therapieansprechen zu überwachen und das therapeutische Prozedere individuell zu stratifizieren, ist eine Beurteilung des genetischen Tumorprofils im Verlauf erforderlich, die mittels gewebebasierter Diagnostik nicht möglich ist.

Liquid Profiling

In den letzten Jahren hat sich die Analyse zellfreier, zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) etabliert, die weitläufig als Liquid Biopsy bezeichnet wird. Durch den Nachweis tumorassoziierter genetischer oder epigenetischer Veränderungen wird so ein molekulargenetisches Profiling des Tumors inklusive aller vorhandenen metastatischen Läsionen direkt aus dem Blut oder anderen Körperflüssigkeiten des Patienten ermöglicht, zum Beispiel aus Speichel, Urin oder Liquor. Die Auswahl des Untersuchungsmaterials wird dabei durch die jeweilige Tumorentität bestimmt, wobei in der Mehrheit der Fälle der Nachweis im Plasma des Patienten präferiert wird. Nachweisbare genetische Variationen umfassen vornehmlich Veränderungen einzelner Nukleotide (SNVs), aber auch kleine Insertionen und Deletionen sowie Genfusionen. Insgesamt stellt das Liquid Profiling ein minimalinvasives Untersuchungsverfahren dar, das der Intra- und Intertumorheterogenität gerecht wird [2, 3]. Mit seiner Hilfe kann die genetische Tumorevolution in Echtzeit kumulativ longitudinal beurteilt werden (Abb. 1).

Abb. 1: Prinzip und Anwendungsmöglichkeiten des Liquid Profiling.

Klinisch-therapeutischer Nutzen

Prinzipiell lässt sich der Einsatz des Liquid Profiling in der personalisierten Onkologie in drei große Einsatzgebiete unterteilen, von denen zumindest zwei bereits im Rahmen zahlreicher klinischtranslationaler Studien Anwendung finden. Diese umfassen die Stratifikation von Tumortherapien, das therapeutische Monitoring sowie die topologische Zuordnung der ctDNA zum Ursprungsgewebe. Im Detail ergeben sich die nachfolgend dargestellten Anwendungsgebiete:

Companion Diagnostics bei fortgeschrittenem Tumorleiden: Im Rahmen der Begleitdiagnostik oder Companion Diagnostics werden spezifische genetische Veränderungen identifiziert, die therapeutisch angreifbar sind. In ersten prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass die Selektion basierend auf den Ergebnissen des Liquid Profiling versus gewebebasierter Diagnostik das Gesamtüberleben der Patienten nicht beeinflusst [4]. Dass die Therapieplanung in Abhängigkeit der Ergebnisse des Liquid Profiling generell mit einem Überlebensvorteil für den Patienten verbunden ist, wurde für Patienten mit unterschiedlichen Tumorarten bereits belegt [5, 6]. Analog dazu wurden für die Companion Diagnostics bereits vier Tests von der FDA zugelassen und zwei NGS-basierte Untersuchungsverfahren, die ein breites Spektrum onkogener Treibermutationen sowie bekannter druggable targets abdecken. Eine Übersicht über alle von der FDA anerkannten druggable targets sowie weitere genetische Veränderungen, deren klinische oder biologische Relevanz im therapeutischen Kontext bereits nachgewiesen werden konnte, werden auf der Webseite der Datenbank für Präzisionsonkologie aktualisiert (https://www.oncokb.org/) und sind zusammen mit den jeweils derzeitig zur Verfügung stehenden zielgerichteten Therapeutika in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1: Übersicht angreifbarer genetischer Veränderungen und einsetzbarer zielgerichteter Therapeutika.

Insgesamt sind bisher 84 zielgerichtete Therapeutika (monoklonale Antikörper und kleine Moleküle) von der FDA zugelassen; mehr alsweitere 800 werden im Rahmen klinischer Studien getestet und über 500 befinden sich derzeitig in der Entwicklung (https://www.cancer.gov). Dies macht das enorme Wachstumspotenzial dieses diagnostischen Bereiches deutlich, das sowohl hinsichtlich der Quantität enthaltener Variationen als auch der Zeitachse nahezu exponentiell wächst.

Therapiestratifikation in frühen Tumorstadien: In frühen Tumorstadien ist der Einsatz zielgerichteter Therapeutika in der Regel nicht indiziert, da mittels operativer Verfahren gegebenenfalls mit anschließender adjuvanter Therapie eine Heilung erreicht werden kann. Bislang sind die diagnostischen Möglichkeiten für die Entscheidung, ob eine – für den Patienten durchaus belastende – adjuvante Chemotherapie notwendig ist, sehr limitiert. In einer ersten Studie konnten Tie et al. für Patienten mit Darmkrebs im Stadium II nach UICC zeigen, dass der postoperative Nachweis von ctDNA ein Rezidiv der Erkrankung und damit die Notwendigkeit einer adjuvanten Therapie vorhersagt [7]. Vice versa könnte diesen Ergebnissen zufolge die Negativität für ctDNA eine Tumorfreiheit anzeigen und damit eine zusätzliche Chemotherapie überflüssig machen. Dies wurde und wird derzeitig in klinischen Studien untersucht [8, 9].

Monitoring/MRD-Diagnostik: Onkogene Treibermutationen wie genetische Alterationen in BRAF, KRAS oder EGFR können zusammen mit „truncating mutations“ wie APC bei Darmkrebspatienten zum Monitoring des Therapieansprechens genutzt werden. Eine Abnahme der sogenannten Mutant Allele Frequency (Anteil der aus dem Tumor stammenden zellfreien DNA an der gesamten zellfreien DNA), kurz: MAF, geht in der Regel mit einem Therapieansprechen einher, wohingegen eine Zunahme eine Progredienz der Erkrankung anzeigt. Für zahlreiche Tumorentitäten wurde hier eine Korrelation zwischen der MAF der ctDNA mit dem klinischen und radiologischen Therapieansprechen nachgewiesen [10–14]. Dabei gelingt mittels ctDNA häufig eine Leadtime-Reduktion, d. h. eine frühere Identifikation eines Rezidivs im Vergleich zur Bildgebung. Im Falle von Melanom- und Darmkrebspatienten ist eine Lead-time-Reduktion von zwei bis neun Monaten beschrieben [10, 15, 16]. Eine frühzeitige Erkennung eines Therapieversagens bietet die Möglichkeit einer therapeutischen Adaption bei geringer Tumorlast und könnte damit das Outcome der Patienten verbessern.

Monitoring zielgerichteter Therapien: Eine zielgerichtete Therapie führt aufgrund des Selektiondruckes auf den Tumor zum Auftreten resistenter Subklone und damit zu einem Rezidiv der Erkrankung. Verantwortlich hierfür sind molekulargenetische Veränderungen, die als Resistenzmutationen bezeichnet werden und entweder die Medikamentenbindung aufgrund einer Konformitätsänderung der Bindungsstelle verhindern oder den jeweiligen Signaltransduktionsweg über eine nachgeschaltete Zielstruktur aktivieren. Das Auftreten dieser Resistenzmutationen (Tab. 1) kann mittels Liquid Profiling überwacht werden [17–20]. Zusätzlich bietet sich die Möglichkeit, neu aufgetretene genetische Veränderungen in der Zirkulation spezifischen Veränderungen in der Bildgebung wie größenprogredienten oder neu aufgetretenen Metastasen zuzuordnen [20, 21], die dann direkt operativ entfernt oder ablatiert werden könnten [22]. Somit kann das Liquid Profiling zu einer ganzheitlichen Stratifikation von Tumortherapien genutzt werden.

Topologische Zuordnung: Aktuelle Arbeiten zeigen, dass epigenetische Veränderungen im Liquid Profiling eine topologische Zuordnung zum Ursprungsgewebe ermöglichen [23, 24]. Dies kann bei fehlendem radiologischen Nachweis eines Rezidivs direkt zum gezielten Einsatz hochauflösender bildgebender Verfahren genutzt werden.

Einsatz in der Krankenversorgung

Trotz aller oben dargestellten Vorteile und potenziellen Anwendungsmöglichkeiten des Liquid Profilings ist der Einsatz derzeitig weitestgehend auf klinische Studien beschränkt und wird auf breiter Ebene im Rahmen der regulären Krankenversorgung nur sporadisch angeboten. Hauptlimitation sind neben der teuren und
manuell anspruchsvollen Diagnostik vor allem in einer fehlenden Harmonisierung der Analytik, der nur sehr limitierten Abbildung in Leitlinien, der fehlenden Integration in klinische Workflows, dem Fehlen definierter Abnahmezeitpunkte sowie der sehr eingeschränkten Möglichkeit einer Kostenerstattung der Diagnostik
durch Krankenkassen zu sehen [25, 26].

Diagnostische Herausforderungen

Neben präanalytischen Faktoren (spezielle Blutabnahmesysteme mit Stabilisatoren, die eine Leukozytenlyse und damit eine Verdünnung der enthaltenen ctDNA unter die Assay-spezifische Nachweisgrenze verhindern; eine zügige Plasmaseparation sowie ein adäquates Plasmavolumen für die Isolation der zellfreien DNA von mindestens 3–5 ml [27]) ist der Einsatz hochsensitiver Analyseverfahren für verlässliche Ergebnisse entscheidend. Dies wird insbesondere in Ringversuchsergebnissen deutlich, die in Abhängigkeit von der verwendeten Methoden sowie der MAF der Probe eine Fehlerquote von bis zu 30 % zeigen (Referenzinstitut für Bioanalytik, RfB – Ringversuche) [28]. Generell sollten damit nur Verfahren zum Einsatz kommen, die eine MAF von mindestens 0,5 % nachweisen können.
Aus analytischer Sicht lassen sich die derzeitig zur Anwendung kommenden Verfahren prinzipiell in verschiedene Kategorien unterteilen: Zum einen gibt es PCR-basierte Verfahren, die in der Regel mit einer Anreicherung der unterrepräsentierten Allele einhergehen und damit keine quantitativen Aussagen zulassen. Daneben kommen vor allem digitale Methoden wie die ddPCR (digital droplet PCR) oder das BEAMing (beads, emulsification, amplification, magnetics) zum Einsatz, die eine absolute Quantifizierung ermöglichen. Beide Verfahren sind hochsensitiv mit einem LOD (limit of detection) von z. T. 0,01 %, sind aber nur begrenzt zum Multiplexen geeignet. So können sie insbesondere zum Nachweis einzelner onkogener Treibermutationen/Resistenzmutationen, z. B. zum Monitoring eines Auftretens von RAS-Mutationen unter anti-EGFR-Therapie, oder für ein personalisiertes Monitoring der Patienten verwendet werden. Für die Analyse eines großen Panels oder der Bestimmung des TMB (tumor mutational burden) ist hingegen der Einsatz NGS-basierter Methoden indiziert. Da das NGS normalerweise eine analytische Sensitivität von 1 % besitzt, ist für die Analyse der ctDNA die Verwendung sogenannter „unique molecular identifier“ notwendig. Diese ermöglichen eine Zuordnung der Amplifikate auf das Ursprungsmolekül und damit die Unterscheidung zwischen echten Mutationen und Polymerase-/Sequenzierfehlern. Eine weitere diagnostische Herausforderung beim NGS stellt die Interpretation der Sequenzvariationen dar. Um sicherzustellen, dass diese aus dem Tumor und nicht auf das Phänomen der klonalen Hämatopoese zurückzuführen sind [29], sollte insbesondere bei NGS-basierten Untersuchungsverfahren genomische DNA mit niedriger Coverage mitsequenziert werden, um genetische Veränderungen, die aus Blutleukozyten stammen, später bioinformatisch subtrahieren zu können.
Die technische Herausforderung bei der Untersuchung der ctDNA stellt nach wie vor die geringe Konzentration im Blut dar, sodass negative Ergebnisse mit Vorsicht zu bewerten sind und immer eine Kontrolle im Verlauf sowie eine Evaluation der Ergebnisse des Liquid Profiling im diagnostischen Kontext, sprich: zusammen mit dem klinischen Befund, der Bestimmung konventioneller Proteintumormarker sowie der Bildgebung erfolgen sollte.

Integrative interdisziplinäre Diagnostik der Zukunft

Das genetische Tumorprofiling in Körperflüssigkeiten stellt quasi das Resistogramm des Onkologen dar. Als individualisierbares Diagnostikum bildet es die Grundlage für eine personalisierte onkologische Therapie im Sinne der Präzisionsonkologie. Aufgrund der Tatsache, dass die Anzahl angreifbarer genetischer Veränderungen sowie zugelassener zielgerichteter Therapeutika immer rapider zu nimmt – genau wie die Anzahl bekannter Resistenzmutationen – kommt dem Liquid Profiling ein immer höherer Stellenwert in der onkologischen Diagnostik zu. Hiermit steigt aber auch die Komplexität der Diagnostik und erschwert die Interpretation. Eine Bewertung im diagnostisch-interdisziplinären Kontext wird zukünftig die Etablierung „Diagnostischer Tumorboards“ erforderlich machen, bei denen Diagnostiker gefundene Ergebnisse im bioinformatischen, genetischen sowie klinischen Kontext longitudinal beurteilen, zusätzlich erforderliche patientenspezifische genetische Assays designen, gezieltere Bildgebungen mittels hochauflösender Verfahren anfordern und individuell terminieren. Nur so können den klinisch tätigen Kollegen alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden, die für eine personalisierte Onkologie mit dem entsprechenden klinischen Benefit für den jeweiligen Patienten notwendig sind.

Autoren
Dr. med. Verena Haselmann
Institut für Klinische Chemie
Universitätsklinikum Mannheim - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg
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