Liquid Biopsy Workflows in der Onkologie: Tumor-informiert versus Tumor-agnostisch

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.03.06

Die Analyse der zirkulierenden Tumor-DNA besitzt bei Krebspatienten großes Potenzial für die Auswahl der Behandlung, die Überwachung von Resistenz und Tumorheterogenität, die frühzeitige Vorhersage des Ansprechens auf die Behandlung sowie die Tumorüberwachung. Verschiedene klinische Szenarien erfordern unterschiedliche Analysestrategien, die sich auch im Workflow widerspiegeln. Trotz externer Qualitätssicherungsprogramme ist es schwierig, einen Konsens darüber zu erzielen, was getestet werden soll, welche Technik benötigt wird und wie sich diese für die einzelnen genetischen Ziele unterscheidet.

Schlüsselwörter: cfDNA, ctDNA, EGFR, NSCLC, PIK3CA, Mammakarzinom, Validierung

Moderne Krebstherapien sind auf spezifische Veränderungen im Erbgut des Tumors (DNA) und nicht nur auf das vom Tumor betroffene Organ hin ausgerichtet [1]. Jedoch stehen Ärzte trotz aller Fortschritte in der Medizin oft vor Herausforderungen, wenn es darum geht, Entscheidungen über Behandlungspläne zu treffen. Die Präzisionsonkologie zielt darauf ab, dass eine Behandlung speziell auf die Krebserkrankung jedes Patienten abgestimmt ist und die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt verabreicht wird. Zudem kann das Therapiemanagement durch Einschätzung der individuellen Prognose und des voraussichtlichen
Therapieansprechens sowie durch eine kontinuierliche Überwachung verbessert und optimiert werden.
Die Identifizierung von Biomarkern, die mit dem Ansprechen auf die Therapie korrelieren, die selbst therapeutische Ziele darstellen oder eine Prognose ermöglichen, ist in diesem Prozess von grundlegender Bedeutung. Bisher geschah dies aus Tumorgewebe, aber im letzten Jahrzehnt entwickelte sich die Liquid Biopsy (LB, „Flüssigbiopsie“) als komplementäre Methode zur Gewebebiopsie und somit als vielversprechendes Werkzeug für die personalisierte Medizin [2–4]. Dank moderner hochauflösender Methoden ist es mittlerweile möglich, im Blut zirkulierende Komponenten des Tumors zu analysieren und als prädiktive bzw. prognostische Biomarker zu nutzen.

Zirkulierende Tumor-DNA

Insbesondere hat sich gezeigt, dass die Analyse von zirkulierender zellfreier DNA (cfDNA), die von Tumoren stammende DNA-Fragmente (ctDNA, zirkulierende Tumor-DNA) enthält, ein wertvolles Instrument zur Früherkennung und Überwachung von Rezidiven, Resistenz und Metastasierung darstellt [2–4]: Die ctDNA spiegelt die genetische Landschaft des Tumors zum Zeitpunkt der Analyse wider. Durch die kurze Halbwertszeit (ca. 2 Stunden) ist die ctDNA zudem ein perfekter Biomarker für die Überwachung von Änderungen der Tumorlast in Echtzeit – und nicht erst Wochen oder Monate nach dem Eingriff, wie dies bei Protein-Tumor-Markern oder bildgebenden Verfahren der Fall ist.
Tumoren sind hochdynamische Systeme, die sich während des Wachstums und der Ausbreitung ständig weiterentwickeln. Daher können sich Metastasen maßgeblich vom Primärtumor unterscheiden, und sogar innerhalb eines Tumors können unterschiedliche Genveränderungen auftreten [4]. Da die ctDNA genetische Informationen von allen Tumorherden beinhaltet, liefert sie die genaueste Momentaufnahme über den Krebs. Diese kann auch kontinuierlich durch eine einfache Blutabnahme wiederholt werden. In vielen Fällen konnten bereits genetische Veränderungen im Blutplasma nachgewiesen werden, die in der Gewebetestung nicht identifiziert wurden.

Klinische Anwendung

Trotz unzähliger vielversprechender Studien sind derzeit noch wenige Anwendungen in der klinischen Routine etabliert. Die Detektion von EGFR-Genmutationen aus Plasma bei Patienten mit nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) war die erste blutbasierte Anwendung, die bei klinischen Entscheidungen zugelassen wurde [5]. Bei ca. 20–25 % der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC ist eine Gewebeentnahme nicht möglich; mittels der LB kann man nun auch diese einer genetischen Testung zuführen. Kürzlich wurde auch die Detektion von PIK3CA-Mutationen bei Hormonrezeptor-positiven fortgeschrittenen Mammakarzinomen als Begleitdiagnostik (companion diagnostics) zugelassen. Patientinnen, bei denen diese Mutation nachgewiesen wird, können zusätzlich zu einer Hormontherapie mit einem spezifischen Inhibitor behandelt werden, der den durch die Mutation überaktiven Stoffwechselweg blockiert und dadurch ein verbessertes Überleben erzielt. Eine kürzlich publizierte Studie mit über tausend Brustkrebspatientinnen, die aufgrund der Ergebnisse eines ctDNA-Tests behandelt wurden, belegte eine ausreichende Genauigkeit für eine weit verbreitete Anwendung in der klinischen Praxis, um Patientinnen mit Brustkrebs zu identifizieren, die für eine zielgerichtete Therapie infrage kommen [6]. Laufende klinische Studien, in denen der klinische Nutzen der LB untersucht wird, werden vermutlich in naher Zukunft das Spektrum klinischer Anwendungen für die LB erweitern.

Analysestrategien

Für den routinemäßigen Einsatz von ctDNA-Analysen sind allerdings gut validierte Workflows nötig – beginnend von der Blutabnahme und dem Transport ins Testlabor über die cfDNA-Extraktion und analytische Verfahren bis hin zu Auswertung und Interpretation der Ergebnisse (Abb. 1).

Abb. 1: Liquid Biopsy Workflows bestehen aus einer Reihe von Schritten: Für die Blutabnahme werden in der Regel spezielle Röhrchen verwendet, die Stabilisatoren beinhalten, um die Lyse von Blutzellen während des Transports zu verhindern. Im Testlabor erfolgt die Extraktion des Plasmas und der cfDNA, die dann mit unterschiedlichsten Verfahren analysiert werden kann (siehe Abb. 2). Die Interpretation der Befunde erfolgt in Abhängigkeit der Fragestellung (Bild: Autorin).

Abb. 2: Analysemethoden für ctDNA: Die Auswahl der Analysemethode wird anhand der Fragestellung bzw. der zu erwartenden Tumorfraktion bestimmt. Prinzipiell unterscheidet man zwischen Tumor-informierten (Analyse von bekannten im Tumor vorhandenen Alterationen) sowie Tumor-agnostischen (Analyse ohne Kenntnis des Tumormutationsprofils) Ansätzen. Die genomische Abdeckung reicht von einzelnen Targets über Hotspots bis hin zu Genpanels und dem gesamten Genom. Je breiter die genomische Abdeckung, umso geringer wird die analytische Sensitivität.

Obwohl es für einige Teile des Workflows eine Art Konsens im Feld gibt, wie z. B. die Verwendung von speziellen Blutabnahmeröhrchen oder ein Double-Spin-Protokoll für die Plasmaextraktion, gibt es bis dato keine Richtlinien für den Zeitpunkt der Blutentnahme oder welchen Assay man für welche klinische Anwendung verwenden sollte.
Verschiedene klinische Szenarien können nämlich unterschiedliche Analysestrategien erfordern. Für einige klinische Fragestellungen oder bei Tumorentitäten mit rekurrent mutierten Genen können bereits Hotspot-Tests oder die Analyse einzelner Targets prädiktive/prognostische Informationen liefern. Bei anderen Tumoren kann wiederum nur die Analyse großer Genpanels in Sinne einer De-novo-Identifizierung von therapierbaren Targets zu informativen Ergebnissen führen. Und dann gibt es Tumoren, die weniger durch Mutationen als durch Kopienzahlveränderungen getrieben sind, welche durch eine genomweite Analyse erhoben werden können.
Die Auswahl einer geeigneten Methode für die Analyse von ctDNA richtet sich auch nach der zu erwartenden Tumorfraktion im Plasma: Diese ist sowohl zwischen als auch innerhalb von Tumortypen, aber auch in Abhängigkeit des Stadiums und des Zeitpunkts der Blutabnahme hoch variabel. Der ständige technologische Fortschritt ermöglicht nun, auch Anwendungen in frühen Stadien – in denen der Anteil der Tumor-DNA in der Zirkulation oft nur sehr gering ist – in die Klinik zu bringen. So kann beispielsweise frühzeitig das Auftreten eines Rezidivs vorhergesagt werden [14]. Die klinische Rolle der ctDNA für die Detektion von minimaler Resterkrankung (MRD) rückt daher zurzeit bei verschiedenen Tumortypen in den Fokus. Auch hier werden Tumor-informierte sowie Tumor-agnostische Ansätze verfolgt: Beim Tumor-informierten Ansatz werden zunächst somatische Mutationen im Tumorgewebe individueller Patienten identifiziert, gefolgt von einer gezielten Sequenzierung mit einem personalisierten Assay. Für den Tumor-agnostischen Ansatz wird die ctDNA-Analyse ohne vorherige Kenntnis des Tumormutationsprofils durchgeführt und umfasst oft eine breite Panel-basierte Sequenzierung oder auch Methylierungsassays. Zudem arbeiten viele Forschungsgruppen und auch biotechnologische Unternehmen daran, die LB für eine Krebsfrüherkennung bei asymptomatischen Personen zu nutzen [15].

Validierung

Unabhängig von der Auswahl des molekularen Tests bzw. der NGS-basierten Technologien müssen diese für einen Einsatz in der klinischen Praxis umfassend validiert werden. Dies wird durch jüngste Daten aus verschiedenen Intra- und Inter-Labor-Vergleichen, die auf eine erhebliche Variabilität von NGS-Assays in Bezug auf die analytische Sensitivität und Spezifität hinweisen, unterstrichen [7–10]. Mittels NGS-Assays von kommerziellen Anbietern konnten Mutationen bis zu einer Variantenallelfrequenz (VAF) von 1 % gut identifiziert werden, wohingegen sich die Detektion von Varianten unter 1 % als schwierig erwies [7–9]. Ebenso zeigte eine kürzlich durchgeführte, plattformübergreifende Evaluierung der analytischen Leistung von fünf branchenführenden ctDNA-Assays eine hohe Sensitivität, Präzision und Reproduzierbarkeit für VAFs oberhalb von 0,5 % [10]. Für Varianten unterhalb dieser Grenze wurde die Detektion jedoch unzuverlässig, insbesondere wenn die DNA-Ausgangsmenge begrenzt war [10].
Die Diskordanz war hauptsächlich auf technische Variationen, aber auch auf biologische Faktoren wie klonale Hämatopoese mit unbestimmtem Potenzial (CHIP) und Tumorheterogenität zurückzuführen [7]. Da viele klinische Proben Tumorfraktionen unter 1 % aufweisen, besteht also nach wie vor die Notwendigkeit einer verbesserten Assay-Leistung unterhalb dieser Schwelle. Bei sehr niedrigen Tumorfraktionen kann es auch zu einem sog. Sampling Bias kommen, d. h. dass ein mutiertes DNA-Fragment in einer Analyse vorhanden sein kann und in einer anderen nicht [11].
Diese Daten unterstreichen auch die Bedeutung von externen Qualitätsprüfungen (EQA), einem kritischen Aspekt des Qualitätsmanagements von Laboratorien, da die Teilnahme an EQAs obligatorisch ist, um akkreditiert zu werden [12]. Mittlerweile gibt es mehrere EQA-Programme für ctDNA-Mutationstests; trotz dieser Programme ist es jedoch schwierig, einen Konsens darüber zu erzielen, was getestet werden soll, welche Technik benötigt wird und wie sich diese für die einzelnen genetischen Ziele unterscheidet. Empfehlungen für die analytische Validierung von NGSbasierten ctDNA-Assays wurden kürzlich vom BloodPAC (Blood Profiling Atlas in Cancer) Consortium veröffentlicht [13].

Fazit

Das Potenzial von ctDNA als Begleitdiagnostikum für die Auswahl der Behandlung, die Überwachung von Resistenz und Tumorheterogenität, die frühzeitige Vorhersage des Ansprechens auf die Behandlung sowie die Tumorüberwachung ist unbestritten und hat schon jetzt ein verbessertes Therapiemanagement von Krebspatienten ermöglicht. Der Stellenwert der LB als komplementäre Methode zur Gewebediagnostik wird daher künftig zunehmen und bei einer Reihe von Krebserkrankungen an Bedeutung gewinnen. Es bleibt zu hoffen, dass die Rahmenbedingungen – bezogen auf die Kostenübernahme oder eine Standardisierung
von präanalytischen und analytischen Strategien für die Implementierung von LB-basierten Ansätzen in der Präzisionsmedizin – verbessert werden, um rasch eine breite Anwendung zu ermöglichen.

Autor
Assoz. Prof. PD Mag. Dr. Ellen Heitzer
Diagnostik und Forschungsinstitut für Humangenetik | D&F Zentrum für Molekulare BioMedizin
Medizinische Universität Graz
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