ASH 2020: Neue Daten zur akuten myeloischen Leukämie und zu myelodysplastischen Syndromen
Die Forschung zur akuten myeloischen Leukämie (AML) ist momentan eines der spannendsten Kapitel der Hämatologie, basierend auf einem besseren Verständnis der molekulargenetischen und pathophysiologischen Mechanismen dieser heterogenen Erkrankung. Eine Vielzahl von pathogenetisch bedeutsamen Mutationen bietet Ansätze für zielgerichtete Therapien, doch auch neue Formulierungen bewährter Wirkstoffe gewinnen an Bedeutung. Neue Substanzen finden auch immer mehr Eingang in die Behandlung myelodysplastischer Syndrome (MDS); bei Hochrisiko-MDS werden wegen biologischer Ähnlichkeiten zur AML auch Konzepte geprüft, die bei dieser Leukämieerkrankung Anwendung finden. Nachfolgend findet sich eine Auswahl neuer Befunde, die im vergangenen Dezember bei der virtuellen Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) 2020 vorgestellt wurden.
Schlüsselwörter: akute myeloische Leukämie, myelodysplastische Syndrome, Azacitidin, Gilteritinib, Venetoclax, CPX-351, CC-486, Magrolimab, Luspatercept, Lenalidomid, Imetelstat, Pevonedistat, Sabatolimab
Neue pathogenetische Erkenntnisse zur AML
Die AML ist eine hochkomplexe Erkrankung, die – je nach vorliegender pathogenetischer Grundlage – mit einer unterschiedlichen Prognose für die betreffenden Patienten assoziiert ist. Es kristallisiert sich zunehmend heraus, dass die traditionelle Risikoklassifizierung, die vor dem Einleiten einer Therapie auf der Basis patientenspezifischer, zytogenetischer und molekularer Marker erfolgt, der Komplexität der Erkrankung nicht gerecht wird. Ein Forschungsteam aus Cleveland/Ohio, Houston/Texas, USA, und München (Münchner Leukämielabor, MLL) konnte nun mithilfe von maschinellem Lernen auf Basis eines großen Datensatzes von nahezu 7.000 AML-Patienten einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Subklassifikation und Prognoseabschätzung der AML leisten [1]. Die Forscher analysierten zunächst mittels Next Generation Sequencing (NGS) 6.788 Proben von AML-Patienten. Sie entdeckten dabei insgesamt 13.879 somatische Mutationen.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass primäre und sekundäre AML-Erkrankungen unterschiedliche Korrelationen mit bestimmten genetischen Alterationen und dem zytogenetischen Status zeigten. So war die sekundäre AML meist mit Hochrisiko-Alterationen wie einem komplexen Karyotyp und/oder Mutationen in ASXL1 oder RUNX1 assoziiert, während prognostisch günstige Mutationen wie NPM1 oder CEBPA (biallelisch) häufiger bei der primären AML vorkamen. Basierend auf den komplexen Auswertungen des maschinellen Lernens konnten die Forscher insgesamt vier prognostische Subgruppen von AML-Patienten identifizieren, die das Überleben der Patienten auf Grundlage eines spezifischen Mutationsmuster besser vorhersagen können. Die primäre AML war allgemein mit einem geringeren Risiko assoziiert als die sekundäre. Diese neuen Erkenntnisse ebnen nach Ansicht der Forscher den Weg für eine personalisierte Medizin auch im Bereich der AML [1].
In einer weiteren Untersuchung konnte eine via Durchflusszytometrie ermittelte MRD (minimale Resterkrankung)-Negativität, ermittelt vor Einleiten einer allogenen Stammzelltransplantation (allo-SZT), als unabhängiger Prognosefaktor identifiziert werden. Das Erreichen von MRD-Negativität vor allo-SZT war mit einem geringeren Rezidivrisiko und besserem Gesamtüberleben (OS) der Patienten assoziiert [2]. Es erwies sich außerdem als abhängig vom Mutationsmuster zum Zeitpunkt der AML-Diagnose (MRD-Negativität selten bei RUNX1-, TP53- oder SF3B1-Mutation, häufiger bei NPM1-, IDH1- und KRAS-Mutationen). Die Bestimmung des MRD-Status vor allo-SZT könnte somit zukünftig dazu beitragen, Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko im Vorfeld der Transplantation besser zu identifizieren.
Venetoclax-Kombinationen für die AML
Der BCL-2(B-cell lymphoma 2)-Inhibitor Venetoclax, der derzeit zur Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) eingesetzt wird, gewinnt auch bei der AML an Bedeutung. Bereits bei der virtuellen Jahrestagung der European Hematology Association (EHA) 2020 waren die Daten der VIALE-A-Studie bei unfitten AML-Patienten vorgestellt worden, die als praxisverändernd gelten. Im Rahmen der Studie hatten 431 neu diagnostizierte AML-Patienten, die nicht für eine intensive Induktionstherapie geeignet waren, 2:1-randomisiert entweder eine Kombination aus Azacitidin und Venetoclax oder Azacitidin und Placebo erhalten. Die Patienten mussten entweder > 75 Jahre alt sein oder eine relevante Komorbidität aufweisen. Die Studienteilnehmer waren im Median 76 Jahre alt und 45 % wiesen einen eingeschränkten Allgemeinzustand (ECOG 2–3) auf. Azacitidin wurde in Standarddosierung verabreicht, Venetoclax (Zieldosis 400 mg) oder Placebo von Tag 1–28 in jedem Zyklus.
Nach einem medianen Follow-up von 20,5 Monaten war das OS im experimentellen Arm gegenüber dem Placebo-Arm signifikant verlängert (median 14,7 vs. 9,6 Monate; HR 0,61; p < 0,001) [3]. Damit erreichte die Studie ihren primären Endpunkt. Bei 36,7 % der Patienten wurde eine komplette hämatologische Remission dokumentiert gegenüber 17,9 % unter Azacitidin/Placebo. Azacitidin/Venetoclax dürfte somit den zukünftigen Behandlungsstandard für ältere komorbide AML-Patienten darstellen, wobei allerdings die nicht selten auftretenden Neutropenien beachtet werden müssen.
Beim ASH-Kongress wurden nun Daten zu anderen Kombinationen mit Venetoclax vorgestellt, wobei die geprüften intensiven Therapien vor allem für fitte Patienten infrage kommen dürften. So wurde eine Interimsanalyse einer Phase-Ib/II-Studie mit 68 Patienten vorgestellt, in der die Kombination von Venetoclax mit dem intensiven Chemotherapie-Regime Fludarabin/Cytarabin/G-CSF (Granulozyten-koloniestimulierender Faktor/Idarubicin (FLAG-IdA)) evaluiert wurde. In die Untersuchung gingen sowohl Patienten mit neu diagnostizierter AML als auch Patienten mit rezidivierter/refraktärer (r/r) AML ein [4]. Nachdem im Ib-Teil der Studie vermehrt Infekte aufgetreten waren, wurden im Phase-II-Teil reduzierte Dosen von Venetoclax und Cytarabin eingesetzt (Venetoclax 400 mg Tag 1 bis Tag 14; Cytarabin 1,5 g/m²). Das Sicherheitsprofil der Kombination entsprach dem, was von einer intensiven Therapie zu erwarten ist.
Es traten hämatologische Nebenwirkungen von Grad 3 oder 4, Infekte wie Bakteriämien oder Pneumonien, aber auch Hypophosphatämien und ALT (Alanin-Aminotransferase)-Erhöhungen auf. Die unter der Behandlung erreichten Remissionsraten waren bemerkenswert: Bei 90 % der Patienten mit neu diagnostizierter AML und bei 67 % der Patienten mit r/r AML wurde eine kombinierte komplette Remission (CRc) dokumentiert (definiert als komplette Remission (CR) plus CR mit unvollständiger hämatologischer Erholung (CRi) plus CR mit unvollständigen Thrombozyten (CRp), Tab. 1).
Tab. 1 Ergebnisse einer Phase-IB/II-Studie zur Kombination von Venetoclax und FLAG-IdA bei Patienten mit neu diagnostizierter oder r/r AML. Mod. nach [4].
Parameter | Alle Patienten (n = 68) | Phase IIa: neu diagnostizierte AML (n = 29) | Phase Ib: r/r AML (n = 16) | Phase IIb: r/r AML (n = 23) | r/r AML gesamt (n = 39) |
---|---|---|---|---|---|
Gesamtansprechrate (ORR) | 56 (82 %) | 28 (97 %) | 12 (75 %) | 16 (70 %) | 28 (72 %) |
Kombinierte komplette Remission (CRc) | 52 (76 %) | 26 (90 %) | 12 (75 %) | 14 (61 %) | 26 (67 %) |
MRD-Negativität | 43 (83 %) | 25 (96 %) | 7 (58 %) | 11 (79 %) | 18 (69 %) |
Ereignisfreies Überleben (EFS) | Nicht erreicht | 6 Monate | 11 Monate | ||
Gesamtüberleben (OS) | Nicht erreicht | 9 Monate | Nicht erreicht | ||
1-Jahres-OS | 94 % | 38 % | 68 % |
Alle Patienten mit günstigem Risikoprofil nach ELN (European LeukemiaNet) [5] erreichten eine CRc. MRD-Negativität wurde bei 96 % der Patienten mit neu diagnostizierter AML und bei 69 % der Patienten mit r/r AML dokumentiert. Das 12-Monats-OS betrug 94 % bei neu diagnostizierter AML, 38 % bei r/r AML in Phase Ib und 68 % bei r/r AML in Phase IIb. Fazit der Autoren: Mit der intensiven Kombination aus Venetoclax und FLAG-IdA können bei der AML hohe Remissionsraten bei akzeptabler Toxizität erreicht werden [4]. Zudem eigne sich die Kombination exzellent als Bridging-Therapie, um die Zeit bis zu einer allo-SZT zu überbrücken.
AML: Intensives Konzept mit FLT3-Inhibitor
Für Patienten mit FLT3 (Fms-like Tyrosine-Kinase 3)-Mutationen steht als zielgerichtete Option zusätzlich zur Standardchemotherapie der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Midostaurin zur Verfügung. Zur Behandlung der r/r AML mit FLT3-Mutation ist darüber hinaus seit Ende 2019 der TKI Gilteritinib als Monotherapie auf Basis der Daten der Phase-III-Studie ADMIRAL zugelassen [6]. In Studien wird dieser FLT3-Inhibitor nun auch in früheren Linien in Kombination mit einer Chemotherapie evaluiert.
Beim ASH-Meeting wurden Phase-I-Daten zu einem intensiven Regime aus Gilteritinib (120 mg/Tag) plus dem 7+3-Standard-Induktionschemotherapie-Regime (Cytarabin Tag 1–7 plus Idarubicin/Daunorubicin Tag 1–3) mit Hoch-dosis-Cytarabin-Konsolidierung bei 80 jüngeren fitten AML-Patienten geprüft [7], von denen 38 FLT3-mutiert waren.
Das Toxizitätsprofil der intensiven Kombination erwies sich als akzeptabel. Neben hämatologischer Toxizität wurden häufiger ALT-Erhöhung und Infektionen beobachtet.
Bei den FLT3-mutierten Patienten zeigten sich ermutigende Ansprechraten: Rund 82 % erreichten eine CRc, von denen wiederum 70 % ein molekulares Ansprechen zeigten. Nach einem medianen Follow-up von 35,8 Monaten war das mediane OS noch nicht erreicht, das mediane krankheitsfreie Überleben (mDFS) betrug 15,3 Monate. Nach diesen guten Erstlinien-Ergebnissen läuft nun eine Phase-III-Studie, in der Gilteritinib gegen Midostaurin, beide kombiniert mit Induktions- und Konsolidierungs-Chemotherapie, getestet wird.
Langzeitergebnisse bestätigen Wirksamkeit von CPX-351
Mit CPX-351 steht eine liposomale Formulierung einer fixen Kombination von Daunorubicin und Cytarabin zur Behandlung der neu diagnostizierten therapiebedingten AML (t-AML) oder AML mit myelodysplastischen Veränderungen (AML-MRC) zur Verfügung. Die Zulassung beruht auf den Daten einer randomisierten, offenen, multizentrischen Phase-III-Studie, in der die Therapie mit CPX 351 im Vergleich zur 7+3-Standardtherapie (Cytarabin, Tag 1–7 + Daunorubicin, Tag 1–3) bei Patienten mit AML-MRC oder t-AML im Alter von 60 bis 75 Jahren evaluiert worden war. Darin hatte sich ein Gesamtüberlebensvorteil zugunsten von CPX-351 gezeigt (9,56 vs. 5,95 Monate; p = 0,005) [8].
Beim ASH-Kongress wurden die finalen 5-Jahresdaten der Zulassungsstudie vorgestellt. Nach einem medianen Follow-up von 61 Monaten konnte der Überlebensvorteil zugunsten von CPX-351 gegenüber der Standard-Chemotherapie bestätigt werden (medianes OS 9,33 vs. 5,95 Monate; Hazard Ratio (HR) 0,70; 95-%-KI 0,55–0,91) [9]. Auch Patienten, die eine allo-SZT erhielten, profitierten von der Behandlung mit CPX-351, insbesondere dann, wenn vor der Transplan-tation eine CR oder CRi erreicht worden war.
Erhaltungstherapie mit CC-486: Wirksamkeit untermauert
Für Patienten mit AML, die nach einer intensiven Induktionschemotherapie mit oder ohne Konsolidierung in Remission sind, deutet sich mit der Gabe der oralen Formulierung von Azacitidin (CC-486) ein neuer Therapiestandard an.
Bereits beim ASH-Meeting 2019 war mit der Präsentation der Ergebnisse der QUAZAR-AML-001-Studie erstmals ein signifikanter und klinisch relevanter Überlebensvorteil durch eine Erhaltungstherapie mit CC-486 gezeigt worden. Eingeschlossen waren 472 Patienten über 55 Jahre mit AML, die nach einer Induktionschemotherapie entweder eine CR oder CRi erreicht hatten.
Bei ca. 90 % lag eine de-novo-AML vor und rund 85 % hatten eine intermediäre sowie rund 15% eine ungünstige Zytogenetik. Die Patienten erhielten nach einer 1:1-Randomisierung entweder CC-486 oder Placebo als Erhaltungstherapie.
Nach der Induktion erreichten ca. 80 % eine CR und rund 20 % eine CRi. 8 von 10 Patienten erhielten eine Konsolidierung. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 41,2 Monaten war das mediane OS unter CC-486 im Vergleich zur Placebo-Me-dikation um nahezu 10 Mo-nate verlängert (24,7 Monate vs. 14,8 Monate, HR 0,69; 95-%-KI 0,55–0,86; p = 0,0009) – bei einem beherrschbaren Sicherheitsprofil, das dem von injizierbarem Azacitidin entsprach [10]. Auch das rezidivfreie Überleben (RFS) war signifikant verbessert (medianes RFS 10,2 vs. 4,8 Monate; HR 0,65; 95-%-KI 0,52–0,81; p = 0,0001).
Die häufigsten Nebenwirkungen unter CC-486 waren gastrointestinale Ereignisse von Grad 1 bis 2, die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen unter CC-486 vs. Placebo waren Neutropenie (41 % vs. 24 %), Thrombozytopenie (23 % vs. 22 %) und Anämie (14 % vs. 13 %). CC-486 wirkte sich im Vergleich zu Placebo nicht nachteilig auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität während der Therapie aus [10].
Im Rahmen der Studie bestand die Möglichkeit, Patienten mit frühem AML-Rezidiv, das als Blastengehalt von 5 % bis 15 % im peripheren Blut oder Knochenmark definiert wurde, mit einem intensivierten 21-Tage-Schema von CC-486 (Tag 1 bis Tag 14) weiter zu behandeln. Die Daten für diese Eskalationskohorte (51 Patienten im CC-486-Arm und 40 Patienten im Placebo-Arm) wurden beim ASH-Meeting 2020 vorgestellt [11].
Es wurde ein medianes OS von 22,8 vs. 14,6 Monate erreicht (HR 0,66; 95-%-KI 0,42–1,04; p = 0,07; Abb. 1).

23 % der Patienten im CC-486-Arm und 11 % der Patienten unter Placebo erreichten eine zweite CR/CRi bei vergleichbarer Lebensqualität und 6 Patienten unter CC-486 wurden MRD-negativ.
Außerdem wurden Subgruppenanalysen der QUAZAR-AML-001-Studie präsentiert, wobei unter anderem nach der MRD-Negativität der Patienten bei Therapiebeginn stratifiziert wurde [12]. In beiden Behandlungsarmen war zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses etwa die Hälfte der Patienten MRD-positiv (43 % im CC-486- und 50 % im Placebo-Arm). Sowohl MRD-positive als auch MRD-negative Patienten profitierten von CC-486 im Vergleich zu Placebo mit einem deutlichen Überlebensvorteil.
Bei MRD-Positivität betrug das mOS 14,6 vs. 10,4 Monate (HR 0,69) und bei MRD-Negativität 30,1 vs. 24,3 Monate (HR 0,81). Unter den Patienten, die bei Therapiestart MRD-positiv waren, erreichte unter dem Einfluss von CC-486 zudem ein höherer Anteil im Laufe der Behandlung MRD-Negativität als unter Placebo (37 % vs. 19 %).
Die Erhaltungstherapie mit CC-486 ist somit unabhängig vom MRD-Status bei Therapiestart mit einem Überlebensvorteil für die Patienten assoziiert.
Magrolimab: hohe Ansprechraten mit neuem Checkpoint-Inhibitor
Die derzeit klinisch verfügbaren Immuncheckpoint-Inhibitoren, die sich vor allem gegen Moleküle der PD-1-/PD-L1-Achse richten, spielen in der Hämatologie mit Ausnahme des Hodgkin-Lymphoms keine nennenswerte Rolle. Einen weiteren Checkpoint stellt das CD47-Antigen dar, das auf leukämischen Zellen überexprimiert wird und ein „Don´t eat me“-Signal an Makrophagen vermittelt. Die Blockade von CD47 durch den monoklonalen Antikörper Magrolimab kann in AML-Modellen die Phagozytose der Blasten induzieren und zur Eliminierung leukämischer Stammzellen beitragen [13, 14].
Beim ASH-Meeting wurden erste Daten einer Phase-Ib-Studie vorgestellt, in der Magrolimab zusammen mit Azacitidin evaluiert wurde, welches seinerseits die Expression von „Eat me“-Signalen auf AML-Zellen hervorzurufen und dadurch ihre Phagozytose unterstützen kann. Es wurden 64 Patienten mit neu diagnostizierter AML eingeschlossen, die nicht für eine intensive Therapie infrage kamen.
70 % der Patienten wiesen eine Hochrisiko-Zytogenetik und 73 % eine TP53-Mutation auf. Unter den letztgenannten wies die Mehrheit (73,3 %) eine hohe VAF(Varianten-Allel-Frequenz)-Mutationslast zu Therapiebeginn auf [15]. Die Patienten erhielten zunächst wöchentlich Magrolimab (1,3 mg/kg), in der folgenden Expansionsphase dann wöchentlich oder zweimal wöchentlich, jeweils in Kombination mit der Azacitidin Standarddosis (75 mg/m2, D 1–7).
Das Sicherheitsprofil der Kombination entsprach in etwa dem einer Azacitidin-Monotherapie. Nachdem im ersten Zyklus noch eine ausgeprägte Anämie beobachtet wurde, zeigte sich im weiteren Verlauf ein kontinuierlicher Hb-Anstieg, der mit einer Abnahme der Transfusionsfrequenz einherging. Länger andauernde Neutropenien oder Thrombopenien traten nicht auf. Nur bei 4,7 % war eine Dosisreduktion von Magrolimab notwendig und 4,7 % aller Patienten brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Die Wirksamkeit der Behandlung war ermutigend: Es wurde eine ORR von 63 % (42 % CR) bei allen auswertbaren Patienten (n = 43) dokumentiert, auch bei den auswertbaren Patienten mit TP53-Mutation (n = 29; ORR 69 %; CR 45 %) [15]. Nach einem medianen Follow-up von rund 8 Monaten betrug die mediane Remissionsdauer 9,6 Monate bei den Patienten mit TP53-Wildtyp und 7,6 Monate bei Patienten mit TP53-Mutation. Dies spiegelte sich auch im mOS von 18,9 Monaten bei den Patienten ohne versus 12,9 Monaten bei den Patienten mit TP53-Mutation wider (Abb. 2).

Die Autoren betonen jedoch, dass die Nachbeobachtungszeit derzeit noch zu kurz ist, um den Überlebensvorteil unter der Kombinationsbehandlung näher zu charakterisieren. Die Kombination wird nun weiter evaluiert, auch im Vergleich zur zukünftigen Standardtherapie Venetoclax/Azacitidin.
Erste Daten zu bispezifischen Antikörpern und CAR-T-Zellen
Um die Therapiemöglichkeiten in der rezidivierten/refraktären Situation zu verbessern, wurden auch erste Daten zu bispezifischen, antikörperbasierten molekularen Konstrukten wie etwa Flotetuzumab vorgestellt, das an CD3 auf T-Zellen und an das tumorassoziierte Antigen CD123 bindet. Es ergaben sich Hinweise auf eine Aktivität der Substanz beim Einsatz als Salvage-Therapie bei AML-Patienten mit primärem Induktionsversagen und frühem Rezidiv bei beherrschbarer Toxizität, doch eine weitere Bewertung ist derzeit noch nicht möglich [16]. Erste Daten wurden auch zur CAR(Chimeric Antigen Receptor)-T-Zell-Therapie mit CYAD-02 bei Patienten mit r/r AML oder MDS vorgestellt [17]. Insgesamt konnten 2 Patienten mit AML und 5 mit MDS behandelt werden. Auch hier ergaben sich erste Hinweise auf eine Wirksamkeit der Behandlung bei ermutigendem Sicherheitsprofil.
7+3-Schema: Doppelinduktion bei gutem Ansprechen eventuell verzichtbar
Erwähnt werden sollen zudem noch die Interimsdaten der Dauno-Double-Studie der Study Alliance Leukemia (SAL) [18], die möglicherweise von großer klinischer Relevanz ist und praxisveränderndes Potential besitzt. In der Studie wird untersucht, ob bei AML-Patienten, die gut auf eine erste Induktion mit dem 7+3-Schema angesprochen haben (Blasten < 5 % im Knochenmark an Tag 15), überhaupt einen zweiten Induktionszy-klus benötigen. In der beim ASH-Kongress vorgestellten Zwischenanalyse bei 270 Patienten, die entweder in die Gruppe mit Einfach- oder Doppelinduktion randomisiert wurden, wurden CR-Raten von 88,2 % für die Einfachinduktion und 91,4 % für die Doppelinduktion ermittelt, was von Prof. Christoph Röllig, Dresden, der die Studiendaten präsentierte, als klinisch nicht relevant bezeichnet wurde. In dieser Interimsanalyse konnte dennoch bislang keine statistisch gesicherte Nicht-Unterlegenheit der Einzel- gegenüber der Doppelinduktion nachgewiesen werden. Hier müssen weitere Analysen zu einem späteren Zeitpunkt abgewartet werden.
Neue Daten zum Niedrigrisiko-MDS
Die Optionen für Patienten mit Nied-rigrisiko-MDS und transfusionspflichtiger Anämie waren bislang begrenzt, das Ansprechen auf eine EPO-basierte Erstlinientherapie in der Regel transient. Inzwischen ist für die Subgruppe transfusionsabhängiger Patienten mit Niedrigrisiko-MDS und Ringsideroblasten mit dem Transforming-Growth-Factor-b(TGF-b)-Liganden-Hemmer Luspatercept eine effektive Zweitlinientherapie zugelassen.
In der Phase-III-Zulassungsstudie MEDALIST hatten 229 Patienten nach 2:1-Randomisierung entweder Luspatercept (1 mg/kg s. c. alle 3 Wochen; n = 153) oder Placebo (n = 76) erhalten. Primärer Endpunkt war das Erreichen einer Transfusionsfreiheit von ≥ 8 Wochen.
Der primäre Studienendpunkt wurde unter Luspatercept bei 37,9 % der Patienten erreicht versus 13,2 % unter Placebo (p < 0,0001) [19]. Außerdem erreichten unter Luspatercept mehr Patienten den relevanten sekundären Endpunkt Transfusionsfreiheit ≥ 12 Wochen in Woche 1 bis 24 (28 % vs. 8 % unter Placebo) und 1 bis 48 (33 % vs. 12 %; p jeweils < 0,001), bei einer guten Verträglichkeit der Medikation [19].
MEDALIST-Updates, die beim EHA 2020 präsentiert wurden, konnten bereits zeigen, dass auch Patienten mit initial hohem Transfusionsbedarf (≥ 6 Units/8 Wochen) von Luspatercept profitieren [20] und eine Dosiseskalation der in der Studie eingesetzten Dosis von 1 mg/kg s. c. alle 3 Wochen auf 1,33 mg oder 1,75 mg das Ansprechen deutlich verbessern kann [21].
Bei der ASH-Jahrestagung wurde nun ein Update der Studie zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität vorgestellt, die mittels der Fragebögen EORTC QLQ-C30 und QOL-E erhoben wurde. Zu Therapiebeginn wiesen die Teilnehmer der MEDALIST-Studie eine schlechtere Lebensqualität in 5 von 15 Aspekten des QLQ-C30-Fragebogens im Vergleich zur Normalbevölkerung auf. Im Laufe von 25 Wochen waren bei der QLQ-C30- und bei der QOL-E-Erhebung keine signifikanten Veränderungen der Lebensqualität im Vergleich zum Therapiebeginn festzustellen, weder im Luspatercept- noch im Placebo-Arm. Ein größerer Anteil von Patienten gab aber an, unter Luspatercept Verbesserungen im täglichen Leben zu verspüren, die durch die verminderte Transfusionsabhängigkeit hervorgerufen wurden [22].
Des Weiteren wurde beim ASH-Meeting eine Interimsanalyse der europäischen Phase-III-Studie SINTRA-REV vorgestellt, in der Lenalidomid versus Placebo bei Patienten mit nicht-transfusionsabhängigem Niedrigrisiko-MDS und dem del(5q) evaluiert wurde [23]. Lenalidomid ist bereits für Patienten mit MDS und del(5q) zugelassen, die trans-fusionabhängig sind. In der Zulassungsstudie war ein verlängertes OS sowie eine verzögerte Transformation in eine AML nachgewiesen worden [24, 25].
In der SINTRA-REV-Studie wurden 40 Patienten mit noch nichttransfusionsabhängigem Niedrigrisiko-MDS und del(5q) in den Lenalidomid- und 21 Patienten in den Placebo-Arm randomisiert. Die mediane Therapiedauer war unter Lenalidomid deutlich länger als unter Placebo (23,9 vs. 10,6 Monate). 52,5 % der Patienten im LEN-Arm und 66,6 % der Patienten im PBO-Arm brachen die Therapie vorzeitig ab, im Placebo-Arm vornehmlich wegen Krankheitsprogression. Mit 27,5 % wurden deutlich weniger Patienten unter Lenalidomid transfusionspflichtig gegenüber 57,1 % unter Placebo (HR 0,39; 95-%-KI 0,16–0,90) [23]. Die mediane transfusionsfreie Zeit war unter der LEN-Therapie versus Placebo deutlich verlängert (6,3 vs. 2,8 Jahre). Zudem wurde unter dem Einfluss von Lenalidomid ein Anstieg des Hämoglobinwertes um etwa 3 g/dl beobachtet. Die Daten zum OS waren noch unreif. Die Nebenwirkungen entsprachen früheren Untersuchungen. Die bisher vorliegenden vorläufigen Daten legen nahe, dass Lenalidomid auch im frühen Stadium eines Niedrigrisiko-MDS mit del(5q) wirksam zu sein scheint.
Auch zum Telomerase-Inhibitor Imetelstat wurden beim ASH-Meeting neue Daten vorgestellt. Ein Langzeit-Update mit einem medianen Follow-up von 24 Monaten des offenen einarmigen Phase-II-Teils der Studie IMerge bei Eporefraktären bzw. Epo-ungeeigneten Patienten (n = 38; medianes Alter 71,5 Jahre) mit hoher Transfusionslast ergab eine Transfusionsunabhängigkeit ≥ 8 Wochen bei 42 %, über 24 Wochen bei 32 %; 29 % der Patienten blieben über ein Jahr transfusionsfrei [26]. Bei neun Patienten (24 %) konnte eine komplette Remission erreicht werden. Die mediane Dauer der Transfusionsunabhängigkeit betrug 88 Wochen.
Die Nebenwirkungen von Imetelstat waren mit Neutropenie, Anämie und Thrombopenie insbesondere hämatologisch und den Autoren zufolge kontrollierbar. Die Phase-II-Langzeitdaten zu Imetelstat sind somit vielversprechend und lassen auf die Ergebnisse einer laufenden Phase-III-Studie hoffen. Insbesondere scheinen auch Patienten mit hoher Transfusionslast zu profitieren.
Aktuelles zum Hochrisiko-MDS
Azacitidin ist derzeit weiterhin der Standard beim Hochrisiko-MDS. Es werden aber Kombinationstherapien von Azacitidin mit innovativen Substanzen geprüft, um das Outcome der Behandlung weiter zu verbessern. So wird unter anderem die bei der AML wirksame Kombination Venetoclax/Azacitidin derzeit in einer Phase-III-Studie geprüft, was wegen der biologischen Überlappung von Hochrisiko-MDS und AML auch sinnvoll erscheint.
Ermutigende Daten lieferte jetzt eine Phase-II-Studie zu Pevonedistat, dem ersten selektiven Inhibitor des NEDD8-aktivierenden Enzyms (NAE). Die Sub-stanz unterbindet ein Fortschreiten des Zellzyklus der Krebszellen und löst dadurch Apoptose aus. In der Studie wurde die Substanz in Kombination mit Azacitidin im Vergleich zu einer Azacitidin-Monotherapie bei Patienten mit Hochrisiko-MDS evaluiert [27]. Die Kombination hatte sich im Mausmodell als synergistisch erwiesen [28]. 67 Patienten mit Hochrisiko-MDS wurden in diese randomisierte Phase-II-Studie eingeschlossen und erhielten entweder Pevonedistat/Azacitidin oder Azacitidin alleine. Nahezu alle Patienten hatten ein de novo MDS und zwei Drittel der Patienten wiesen einen IPSS-R(Revised International Prognostic Scoring System)-Score „high“ oder „very high“ auf. Es zeigte sich ein signifikant verbessertes mEFS für den Kombinationsarm gegenüber der Monotherapie (20,2 vs. 14,8 Monate; HR 0,539; 95-%-KI 0,292–0,995; p = 0,045) [27] (Abb. 3).

Das OS war im Trend verbessert (23,9 vs. 19,1 Monate), doch wurde hier das Signifikanzniveau verfehlt, was angesichts der noch kurzen Nachbeobachtungszeit nicht verwundert. Die ORR war im Kombinationsarm mit 79 % deutlich verbessert gegenüber 57 % im Standardarm Besonders beeindruckend war die Auswertung für die CR-Rate und die Dauer des Ansprechens. Die CR-Rate unter der Kombination im Vergleich zur Monotherapie war nahezu verdoppelt (52 % vs. 27 %) und die Dauer des Ansprechens fast verdreifacht 34,6 vs. 13,1 Monate. Zudem war die mediane Zeit bis zum Progress in eine AML unter der Kombination verlängert (12,2 Monate vs. 5,9 Monate); die Rate (69,2 % vs. 47,4 %) und Dauer (23,3 vs. 11,6 Monate) einer Transfusionsunabhängigkeit waren ebenfalls erhöht. Eine Phase-III-Studie zur Evaluierung von Pevonedistat/Azacitidin versus Azacitidin hat bereits fertig rekrutiert. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet.
Ein verheißungsvoller immunonkologischer Ansatz beim Hochrisiko-MDS ist die Hemmung des TIM-3-Antigens (T-cell Immunoglobulin domain and Mucin domain-3), das auf Vorläufer- und Stammzellen der AML exprimiert wird. Der Anti-TIM-3-Antikörper Sabatolimab (MBG453) unterstützt die antileukämische Immunaktivierung und verstärkt die durch Immunzellen vermittelte Eradikation von AML-Zellen [29, 30].
Beim ASH-Meeting wurden die Daten einer Phase-Ib-Studie zur Kombination aus Sabatolimab mit hypomethylierenden Substanzen (Decitabin oder Azacitidin) bei Patienten mit Hochrisiko-MDS, neu diagnostizierter (ND) oder r/r AML oder chronischer myelomonozytärer Leukämie (CMML) vorgestellt [31]. Insgesamt 41 Patienten mit Hochrisiko-MDS und 48 Patienten mit AML erhielten die Kombinationsbehandlung. 27 % der Patienten mit MDS und 44 % der AML-Patienten brachen die Behandlung früh wegen einer Krankheitsprogression ab. Häufigste Nebenwirkung war Hämatotoxizität, speziell Thrombopenie und Neutropenie, ferner gastrointestinale Nebenwirkungen und Infekte sowie in seltenen Fällen immunvermittelte, vor allem kutane und gastrointestinale Nebenwirkungen.
Es zeigten sich ermutigende Ansprechraten von 64 % bei den MDS-Patienten und 41 % bei den AML-Patienten – mit CR-Raten von je 23 %. Patienten mit „very high risk" MDS hatten einen besonders ausgeprägten Benefit von der Behandlung (ORR 75 % mit 31 % CR). Das 12-Monats-PFS betrug 51,9 % bei den MDS- und 32,2 % bei den neu diagnostizierten AML-Patienten [31]. Neun MDS-Patienten konnten im Verlauf einer allo-SZT zugeführt werden. Die Kombination Sabatolimab plus Decitabin bzw. Azacitidin wird auf Basis der vielversprechenden Daten weiter evaluiert.