ASH 2020: STAMP-Inhibitoren – eine neue Wirkstoffklasse für die chronische myeloische Leukämie

Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) der ersten und zweiten Generation haben die Behandlung von Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) chronischer myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen Phase in den vergangenen Jahren revolutioniert und das Outcome der Patienten dramatisch verbessert. Speziell mit TKI der zweiten Generation kann ein so tiefes und anhaltendes molekulares Ansprechen erreicht werden, dass eine therapiefreie Remission möglich erscheint [1]. Nun schickt sich die neue Wirkstoffgruppe der STAMP(Specifically Targeting the BCR-ABL1 Myristoyl Pocket)-Inhibitoren an, ebenfalls Eingang in die Behandlung der Ph+ CML zu finden. Derzeit wird mit Asciminib der erste Vertreter dieser Gruppe bei Patienten evaluiert, die resistent oder intolerant gegenüber mehreren TKI-Vortherapien waren, doch möglicherweise ist das Potential von STAMP-Inhibitoren mit dem Einsatz in späten Linien noch nicht ausgeschöpft.

Schlüsselwörter: chronische myeloische Leukämie, STAMP-Inhibitor, Asciminib, Resistenzmutation, Asciminib

Die Behandlung von Patienten mit CML in der chronischen Phase, die resistent oder intolerant gegenüber TKI sind, ist deutlich schwieriger als in früheren Linien. Die Effektivität der eingesetzten TKI nimmt mit jeder neuen Therapielinie weiter ab. Unverträglichkeiten gegen die TKI-Therapie nehmen hingegen im Verlauf zu. Bosutinib ist der einzige Zweitgenerations-TKI, der in prospektiven Studien eine klinische Wirksamkeit bei CML-Patienten gezeigt hat, die mit mindestens zwei TKI vorbehandelt wurden [1]. Asciminib ist der erste Vertreter der Wirkstoffgruppe der STAMP-Inhibitoren, die mit zugelassenen TKI zwar das Zielmolekül BCR-ABL1 gemeinsam haben, ansonsten aber mit einem neuen Wirkmechanismus aufwarten. Ihre Zielstruktur ist nicht die ATP-Bindungsstelle von BCR-ABL1, an die die bislang verfügbaren TKI binden, sondern die Myristoyl-Bindungstasche des Proteins.
Nachdem Phase-I-Daten auf eine Wirksamkeit von Asciminib bei CML-Patienten hingewiesen hatten, die mit konventionellen TKI nur unzureichend behandelt werden können [3], wurde die Phase-III-Studie ASCEMBL aufgelegt. Die laufende Studie evaluiert die Wirksamkeit und Sicherheit von Asciminib im direkten Vergleich zum Bosutinib bei CML-Patienten nach Versagen von mindestens zwei TKI-Vortherapien. Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Jena, stellte die Ergebnisse der Untersuchung im Rahmen der Late Breaking Abstracts Session beim ASH-Meeting 2020 vor [2].
233 Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten (BCR-ABL1IS-Werte bei Therapiebeginn > 0,1 %, keine T315I- oder V299L-Resistenzmutationen im BCR-ABL1-Gen), erhielten 2:1-randomisiert entweder Asciminib (40 mg 2 x tgl.; n = 157) oder Bosutinib (500 mg 1 x tgl.; n = 76). Beide Behandlungsgruppen wiesen vergleichbare Basischarakteristika auf, doch hatten die Patienten der Asciminib-Gruppe seltener ihre letzte TKI-Therapie wegen Ineffektivität abgebrochen (60,5 % vs. 71,1 %) und waren auch seltener mit ≥ 3 Therapielinien vorbehandelt (47,8 % vs. 60,5 %). Primärer Endpunkt war die MMR-Rate (BCR-ABL1IS ≤ 0,1 %) nach 24 Wochen, sekundäre Endpunkte u. a. Sicherheit, Verträglichkeit, zytogenetisches Ansprechen sowie progressionsfreies und Gesamtüberleben.
Die beim ASH präsentierte Auswertung erfolgte nach einem medianen Follow-up von knapp 15 Monaten bezogen auf den Zeitpunkt der Randomisierung bis zum Datenschnitt (25. Mai 2020) standen noch doppelt so viele Patienten im Asciminib-Arm im Vergleich zum Bosutinib-Arm unter Therapie (61,8 % vs. 30,3 %), bei einer medianen Expositionsdauer von 43,4 vs. 29,2 Monaten.
Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt. Laut Hochhaus betrug die MMR-Rate nach 24 Wochen 25,5 % für Asciminib gegenüber 13,2 % unter Bosutinib.

Das entsprach einem auf den MCyR-Status (36–65 % Ph+ Metaphasen) bei Therapiebeginn adjustierten Unterschied von 12,2 % (p = 0,029). Die Überlegenheit für Asciminib zeigte sich konsistent über alle Patientensubgruppen hinweg. Die kumulative MMR-Inzidenz lag bei 25,0 % unter Asciminib vs. 11,9 % unter Bosutinib, wobei der Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen schon nach 12 Wochen deutlich wurde.
Bemerkenswert war außerdem, dass unter dem Einfluss von Asciminib deutlich mehr Patienten ein tiefes molekulares Ansprechen erreichten als unter Bosutinib: 10,8 % vs. 5,3 % erzielten nach 24 Wochen eine MR4 (BCR-ABL1IS < 0,01 %) und 8,9 % vs. 1,3 % eine MR4,5 (BCR-ABL1IS ≤ 0,0032%). Auch hinsichtlich des zytogenetischen Ansprechens war der STAMP-Inhibitor dem TKI überlegen. Nach 24 Wochen betrug die CCyR-Rate (keine Ph+ Metaphasen) 40,8 % unter Asciminib und 24,2 % unter Bosutinib, was einem auf den MCyR-Status bei Therapiebeginn adjustierten Unterschied von 17,3 % entsprach (p = 0,029). Neben der guten Wirksamkeit zeigte Asciminib auch ein günstiges Sicherheitsprofil. Grad-3-Nebenwirkungen traten bei 59,6 % der Patienten (Bosutinib 60,5 %) auf, führten aber nur bei 5,1 % der Patienten zum Therapieabbruch (Bosutinib 21,1 %). Speziell gastrointestinale Nebenwirkungen waren unter Asciminib deutlich seltener. Bei 3,2 % der Patienten unter Asciminib und 1,3 % unter Bosutinib wurden arteriell okklusive Nebenwirkungen beobachtet.
Hochhaus‘ Fazit: Asciminib zeigt eine statistisch signifikante und klinisch relevante Überlegenheit hinsichtlich der Wirksamkeit gegenüber Bosutinib bei günstigem Nutzen-Risiko-Profil. Dies unterstütze den Einsatz von Asciminib als neue Option bei CML-Patienten mit Resistenz/Intoleranz gegenüber mindestens zwei TKI, eröffne aber möglicherweise auch Potential für den zukünftigen Einsatz in früheren Behandlungslinien.
Der Einsatz von Asciminib bei CML-Patienten, die resistent oder intolerant gegenüber mehreren TKI-Vortherapien waren, könnte auch deshalb von Interesse sein, weil der STAMP-Inhibitor aufgrund seiner Bindung in der Myristoyl-Bindungstasche von BCR-ABL1 nicht durch Mutationen der ATP-Bindungstasche beeinträchtigt wird. Es wird deshalb vermutet, dass Asciminib ein unterschiedliches Resistenzprofil als ATP-kompetitive TKI aufweist und möglicherweise bei Resistenzmutationen Wirkung zeigen könnte, bei denen TKI versagen. Diese Vermutung konnte nun beim ASH-Meeting durch Phase-I-Daten zur T315I-Resistenzmutation, bei der momentan nur der TKI Ponatinib wirksam und zugelassen ist, bestätigt werden. Wie Prof. Dr. Jorge E. Cortes, Augusta, Georgia, USA, berichtete, erreichten 46,9 % von 49 auswertbaren Patienten mit CML in der chronischen oder akzelerierten Phase, die mit mindestens einem TKI vorbehandelt waren, unter Asciminib (200 mg 2 x täglich) eine anhaltende MMR. Bei rund einem Viertel aller Patienten wurde sogar eine MR4 oder MR4,5 beobachtet. Auch Ponatinib-vorbehandelte Patienten profitierten. Zudem bestätigte sich erneut die gute Verträglichkeit des STAMP-Inhibitors. Cortes: „Asciminib ist eine vielversprechende Therapieoption für Patienten mit CML-CP/AP und T315I-Mutation, einschließlich jener, bei denen die Ponatinib-Behandlung fehlgeschlagen ist“.