ASH 2020: Neues zur chronischen lymphatischen Leukämie

Die Einführung zielgerichteter Medikamente, die spezifisch bestimmte Signalwege in Tumorzellen hemmen, hat in den letzten Jahren die Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) auf eine neue Basis gestellt. Zum einen kann man damit auf die nebenwirkungsreichen Chemotherapien verzichten, zum anderen sind mit einigen dieser Protokolle tiefe molekulare Remissionen zu erzielen, in einigen Fällen sogar bei begrenzter Therapiedauer. Beim virtuellen Kongress der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2020 wurden dazu neue bzw. aktualisierte Ergebnisse vorgestellt.

Schlüsselwörter: Chronische lymphatische Leukämie, Erstlinientherapie, Rezidiv, Refraktärität, CAR-T-Zellen, Ibrutinib, Venetoclax, Rituximab, Obinutuzumab

Erstlinientherapie

CLL14 = Venetoclax/Obinutuzumab

Die zielgerichtete, d. h. chemotherapiefreie und auf ein Jahr limitierte Kombination aus dem B-Zell-Lymphom-2 (BCL-2)-Inhibitor Venetoclax und dem Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab (VenO) ist seit März 2020 für Erwachsene mit nicht vorbehandelter CLL zugelassen. Rationale dafür waren die Ergebnisse der noch laufenden Phase-III-Studie CLL14 der Deutschen CLL-Studiengruppe (DCLLSG), in der das CLL11 Therapieprotokoll aus Obinutuzumab und Chlor­ambucil randomisiert gegen VenO getestet wurde; beide Therapien wurden über insgesamt ein Jahr gegeben.
Wie wir bereits beim ASH-Kongress 2019 berichteten, war VenO nach median fast 40 Monaten beim progressionsfreien Überleben (PFS) mit einer Hazard Ratio (HR) von 0,31 (p < 0,001) sehr deutlich überlegen. Diese Überlegenheit galt für alle Subgruppen – insbesondere aber für Hochrisiko-Patienten mit unmutiertem IGHV, TP53-Mutationen oder 17p-Deletion und auch für solche mit komplexem Karyotyp. Auch komplette Remissionen waren unter VenO signifikant häufiger, und der Anteil an Patienten mit MRD-Negativität war mehr als verdoppelt, was zu einer erheblichen Verlängerung des PFS führte.
Beim jüngsten virtuellen ASH-Kongress konnte Othman Al-Sawaf, Köln, die neuesten Resultate zur molekularen Nachverfolgung der CLL14-Patienten vorstellen, bei denen individuell für jeden Patienten die klonale Verdoppelungsrate bestimmt und daraus die MRD-Verdoppelungszeit nach der zeitlich limitierten Therapie errechnet wurde [Abstract #127]. Abgesehen davon, dass bei 38 Patienten im VenO-, aber nur bei vier im ClbO-Arm nach Ende der Therapie gar keine MRD mehr nachweisbar war, zeigte sich auch bei der Zeit, innerhalb derer sich die MRD-Titer verdoppelten (89 vs. 71 Tage) bzw. verzehnfachten (296 vs. 237 Tage), ein deutlicher Vorteil für VenO; die mittlere Wachstumsrate des jeweiligen Klons war hier signifikant geringer (p = 0,0057). Die MRD-Messungen in dieser Studienpopulation sollen bis zu neun Jahre nach Einschluss des letzten Patienten fortgeführt werden; damit lassen sich mutmaßlich sehr zuverlässige Prognosemodelle entwickeln.

CAPTIVATE = Venetoclax/Ibrutinib

Auch für die Kombination aus Venetoclax und dem BTK-Inhibitor Ibrutinib werden zeitlich limitierte Behandlungsprotokolle ebenfalls in der Erstlinie getestet. In der MRD-Kohorte der globalen Phase-II-Studie CAPTIVATE, die William Wierda, Houston, vorstellte, erhielten 164 Patienten Ibrutinib zunächst für drei Zyklen alleine und danach für weitere zwölf Zyklen in Kombination mit Venetoclax [Abstract #123].
Die 86 Patienten, die dann weder im peripheren Blut noch im Knochenmark nachweisbare MRD hatten, wurden randomisiert, doppelblind eine Erhaltungstherapie mit Ibrutinib oder Placebo zu erhalten. Die 1-Jahres-Raten für das krankheitsfreie Überleben betrugen 95,3 % im Placebo- versus 100 % im Ibrutinib-Arm – ein nicht signifikanter Unterschied (p = 0,1475).
Patienten mit positiver MRD bekamen randomisiert weiterhin Ibrutinib als Monotherapie oder in der Kombination mit dem BCL-2-Inhibitor. Durch die Kombination konnten die Raten für MRD-Negativität nach der Erhaltungstherapie auf 57 % im peripheren Blut bzw. 54 % im Knochenmark gesteigert werden.
Die progressionsfreie 30-Monats-Überlebensrate betrug in allen Gruppen mehr als 95 %. Das Regime war überdies gut verträglich und könnte damit eine attraktive Option für die Erstlinientherapie der CLL darstellen, mit der sich hohe Raten an MRD-Negativität erzielen lassen. Bei einem großen Teil der Patienten scheint dies bereits initial zu funktionieren, sodass sich eine Konsolidierung oder Erhaltung erübrigen würde, um eine therapiefreie Remission zu erzielen.

UNITY-CLL: Umbralisib/Ublituximab

Das neue chemotherapiefreie „U2“-Protokoll wurde in der großen Phase-III-Studie UNITY-CLL getestet [Abstract #543]: Es besteht aus dem neuartigen Phosphoinositol-3-Kinase-δ-Inhibitor Umbralisib und dem ebenfalls innovativen Anti-CD20-Antikörper Ublituximab, stellt allerdings für beide Substanzen eine Dauertherapie dar, die zumindest in dieser Studie bis zur Progression gegeben wurde. Eingeschlossen wurden 421 Patienten mit CLL, von denen gut die Hälfte therapie­naiv war. Im Kontrollarm wurde das Immunchemotherapie-Regime aus Obinutuzumab und Chlorambucil für sechs Zy­klen gegeben.
Primärer Endpunkt war das PFS, so John Gribben, London; es zeigte sich unter dem neuen Protokoll deutlich und signifikant verlängert (median 31,9 vs. 17,9 Monate; HR 0,546; p < 0,0001; Abb. 1).

Das galt für alle Subgruppen – einschließlich der therapienaiven (HR 0,482) ebenso wie der vorbehandelten Patienten (HR 0,601). Die mediane Behandlungsdauer lag mit dem U2-Regime bei median 23 Monaten, mit der Immunchemotherapie bei lediglich fünf Monaten. Die Behandlung war gut verträglich, wenngleich Diarrhö (12,1 % vs. 2,5 %), Erhöhung von Leberenzymen (8,3 % vs. 2 %), Kolitis (3,4 % vs. 0 %) und Pneumonitis (2,9 % vs. 0 %) vom Grad 3–4 im U2-Arm häufiger auftraten; außerdem waren Therapieabbrüche infolge von Nebenwirkungen dort etwa doppelt so häufig (16,5 % vs. 7,6 %).
Damit erwies sich das „U2“-Regime mit einem PI3K-Inhibitor einer Immunchemotherapie überlegen. Allerdings erscheint es unterlegen im „cross-trial“-Vergleich zu BTK-Inhibitoren oder der Obinutuzumab-Venetoclax-Kombination, und das Nebenwirkungsprofil erinnert an frühere PI3K-Inhibitoren.

Rezidiv/Refraktärität

MURANO = Venetoclax/Rituximab

Schon seit einigen Jahren ist Venetoclax in der Chemotherapie-freien Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab (VenR) zur Behandlung der rezidivierten oder refraktären (r/r) CLL zugelassen – ebenfalls zeitlich begrenzt auf zwei Jahre. Zur Phase-III-Studie MURANO, auf der diese Zulassung basierte und in der VenR der Kombination aus Bendamustin und Rituximab (BR) überlegen war, stellte Arnon Kater, Amsterdam, jetzt 5-Jahres-Daten vor [Abstract #125]: Etwa 34 Monate nach Therapieende war das PFS im Verumarm mit median 53,6 Monaten mehr als dreimal so lang wie im Kontrollarm (17 Monate); das Risiko für Progression oder Tod war um 81 % reduziert (HR 0,19; p < 0,0001). Besonders bemerkenswert ist der Vorteil beim Gesamtüberleben (OS) mit 82,1 % versus 62,2 % nach fünf Jahren (HR 0,40; p < 0,0001). Auch hier war der MRD-Status nach Ende der Therapie bedeutsam: MRD-negative Patienten (< 10-4) schnitten mit einer Überlebensrate von 95,3 % nach fünf Jahren deutlich besser ab als die mit detektierbarer MRD (85,0 %).

CLARITY = Venetoclax/Ibrutinib

In der britischen Phase-II-Studie CLARITY wurde bei 50 Patienten mit r/r CLL die Kombination aus Ibrutinib und Venetoclax getestet. Wenn bis zu Monat 14 oder 26 keine MRD nachweisbar war, wurde die Therapie nach 26 Monaten beendet, während bei MRD-positiven Patienten Ibrutinib alleine fortgesetzt wurde. Dazu stellte Talha Munir, Leeds, 3-Jahres-Daten vor [Abstract #124]:
Bis zum Monat 38 hatten 23 Patienten beide Therapien abgesetzt, 17 davon wegen Erreichens einer MRD-Negativität (< 10-4) im peripheren Blut und Knochenmark. Während nach 14 Monaten 20 Patienten (40 %) MRD-frei gewesen waren, hatte sich dieser Anteil nach 26 Monaten auf 24 (48 %) erhöht. Eine MRD-Negativität nach 26 Monaten war mit einem stärkeren Abfall der leukämischen Last nach vier Monaten Therapie assoziiert.
Die Kombination aus Ibrutinib und Venetoclax bringt also ebenfalls hohe Remissionsraten bei r/r CLL. Nach einem Jahr noch MRD-positive Patienten zeigen in der Folge entweder eine konstante Krankheitslast oder ein langsames weiteres Absinken ähnlich dem unter einer Ibrutinib-Monotherapie.

CLL-Therapie mit CAR-T-Zellen

Auch die relative indolente CLL ist in der Regel nicht heilbar, und v. a. bei jüngeren, stark vorbehandelten Patienten werden neue Therapieoptionen benötigt. Bezüglich T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) gab es beim ASH-Kongress für zwei Präparate Daten zur CLL: In der Phase-I-Kohorte der Studie TRANSCEND CLL 004 erhielten Patienten, die mit Ibrutinib vorbehandelt sein mussten und Hochrisiko-Merkmale aufwiesen, das gegen CD19 gerichtete CAR-T-Zellprodukt Liso­cabtagen Maraleucel (Liso-cel) in Kombination mit Ibrutinib [Abstract #544]. 18 von 19 Patienten sprachen auf die Behandlung an, die Hälfte mit einer Komplettremission. Alle Remissionen stellten sich binnen 30 Tagen nach Infusion der Zellen ein und hatten auch nach drei Monaten noch Bestand. MRD-Negativität erzielten 17 Patienten im peripheren Blut (89 %) und 15 im Knochenmark (79 %).
Weitere 23 Patienten erhielten in einer anderen Kohorte von TRANSCEND CLL 004 die CAR-T-Zellen in Monotherapie [Abstract #546]. Bei den 22 auswertbaren Patienten lag die Ansprechrate bei 82 % mit 45 % Komplettremissionen, von den zehn Patienten mit Refraktärität gegenüber Ibrutinib und Venetoclax sprachen acht an (80 %), davon sechs komplett (60 %). 15 von 20 auswertbaren Patienten erzielten – meist innerhalb von 30 Tagen – MRD-Negativität im peripheren Blut (75 %), 13 davon auch im Knochenmark.
Die ungünstigste und dramatischste Entwicklungsstufe einer CLL stellt die Richter-Transformation dar, die eine denkbar schlechte Prognose hat. In einer israelischen Phase-II-Studie wurden daher acht stark vorbehandelte Patienten mit einer solchen Transformation mit einem anderen CAR-T-Zellkonstrukt behandelt [Abstract #545]. Sieben von ihnen entwickelten ein Zytokin-Release-Syndrom, das in drei Fällen vom Grad 3–4 war und mit Tocilizumab behandelt werden musste. Eine Neurotoxizität trat bei drei Patienten auf, bei zweien vom Grad 3. Kein Patient verstarb an der Behandlung, zwei hingegen an einer Krankheitsprogression. Alle fünf Remissionen, die sich nach Infusion der Zellen zeigten, waren komplett, auch im PET/CT. Zwei Patienten haben bislang (median sechs Monate nach Therapie) eine allogene Stammzelltransplantation bekommen. Auch wenn man die Langzeitergebnisse abwarten muss, scheint die CAR-T-Zelltherapie bei diesen Patienten mit extrem schlechter Prognose eine vielversprechende Perspektive zu bieten.