ASH 2019 Akute myeloische Leukämie und myelodysplastische Syndrome

Die Forschung zur akuten myeloischen Leukämie (AML) stellt derzeit eines der spannendsten Kapitel der Hämatologie dar. Die molekulargenetische Charakterisierung dieser sehr heterogenen Erkrankung (und auch der myelodysplastischen Syndrome) hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht: Eine Vielzahl von Mutationen ist zum einen wegweisend für die Erforschung der Pathogenese und bietet zum anderen Ansätze für zielgerichtete Therapien, und auch Immuntherapien nehmen bei der AML immer mehr an Fahrt auf. Nachfolgend findet sich eine Auswahl neuer Befunde, die Anfang Dezember 2019 bei der Jahrestagung der American Society of Hematology vorgestellt wurden.

Schlüsselwörter: akute myeloische Leukämie, myelodysplastische Syndrome, Azacitidin, Gilteritinib, Enasidenib, CD47, TIM-3, Daunorubicin, Cytarabin liposomal, CC-486, AML

Konventionelle Therapie, Therapiekontrolle, Molekulargenetik

Schlechtes Ansprechen auf Chemotherapie bei TP53-Mutation

Die Ergebnisse von Standardtherapien für die AML hängen in hohem Maße von den molekulargenetischen Charakteristika der leukämischen Zellen ab. Bei neuen Wirkstoffen, die nicht an einer speziellen genetischen Veränderung angreifen, ist der Einfluss von Genmutationen noch nicht sehr gut untersucht. So wurden zum Beispiel in einer Analyse, die Coleman Lindsley, Boston, vorstellte, molekulare Marker in der Zulassungsstudie für CPX-351 untersucht, einer auch in Europa zugelassenen liposomalen Galenik der beiden
klassischen Substanzen Daunorubicin und Cytarabin [1]. In der Studie war die neue Galenik mit der konventionellen
„7 + 3“-Therapie zur Induktion und Konsolidierung verglichen worden und hatte die mediane Überlebenszeit von knapp
6 auf 9,6 Monate verlängert (HR 0,69;
p = 0,003; [2]); zugelassen ist sie für die therapieassoziierte AML (t-AML) sowie für AML-Erkrankungen mit Myelodysplasie-assoziierten Veränderungen (AML-MRC). Speziell wurde in der Analyse gefragt, welche genetischen Charakteristika Patienten auszeichnen, die sehr gut auf CPX-351 angesprochen hatten, und ob sich
daraus Marker für eine bessere Therapiesteuerung ableiten lassen.
Von mehr als der Hälfte der 309 Patienten standen Proben zur genetischen Analyse zur Verfügung. Beim Mutationsspektrum gab es erwartungsgemäß eine hohe Inzidenz an Hochrisiko-Markern wie TP53, viele Mutationen in Splicing- und epigenetischen Faktoren – wie bei Patienten mit einer MDS-Anamnese zu erwarten; entsprechend gab es wenige Patienten
mit NPM1-Mutationen. Das Mutationsspektrum unterschied sich nicht signi-
fikant zwischen den beiden Therapie-
armen. Insgesamt war ein Vorteil bei Ansprechen und Überlebensdaten für CPX-351 zu erkennen, nicht jedoch für Patienten mit TP53-Mutation, die unter beiden Therapien identische kurze Überlebenszeiten zeigten. Für Patienten mit DNMT3A-Mutationen gibt es einen leichten Vorteil mit CPX-351, eventuell auch für solche mit TET2-Mutationen, aber insgesamt waren die Fallzahlen zu klein, um hier schon weitreichendere Schlüsse zu ziehen.

MRD-Bestimmung nach allogener Transplantation

Bei rund einem Drittel der AML-
Patienten, die allogen transplantiert wurden – in vielen Fällen die einzige potentiell kurative Option –, treten Rezidive auf, deren frühe Erkennung vor der klinischen Manifestation auch eine frühe therapeutische Intervention ermöglichen würde,  beispielsweise die Infusion von Donor-Lymphozyten oder die Reduktion der Immunsuppression. Hochdurchsatz-
Sequenzierungsverfahren sind mittlerweile so sensitiv, dass man sie für ein zuverlässiges Monitoring der minimalen Resterkrankung (MRD) nutzen kann. Vor der allogenen Stammzelltransplantation ist dieser Ansatz bereits erfolgreich getestet worden, für die Anwendung nach Transplantation wurde in einer deutschen Studie die MRD mithilfe eines Barcode-gestützten Next-Generation-Sequencing-Ansatzes gemessen, der eine Sensitivität von bis zu 10-4 erlaubt.
Dabei wurden, wie Felicitas Thol, Hannover, berichtete, 90 und 180 Tage nach der Prozedur zwei bis vier Marker bei insgesamt 138 AML-Patienten bestimmt, von denen 47 eine myeloablative und 91 eine Konditionierung mit reduzierter Intensität erhalten hatten [3]. Nach 90 Tagen waren 19,5 %, nach 180 Tagen noch 11,2 % der Patienten MRD-positiv; diese hatten ein deutlich erhöhtes kumulatives Risiko für ein Rezidiv, während bei der nicht durch Rezidive bedingten Mortalität kein Unterschied bemerkbar war. Auch das rezidivfreie und das Gesamtüberleben waren bei den MRD-negativen Patienten signifikant länger, erklärte Thol
Abb. 1). 

Auch in einer multivariaten Analyse blieb der MRD-Status der wichtigste prognostische Faktor (HR 2,88; p = 0,004). Dieser Ansatz war auch aus dem peri-
pheren Blut praktikabel und wäre damit als Methode zur Überwachung für transplantierte Patienten mit AML einfacher und weniger belastend.

Erste Erhaltungstherapie nach Induktion wirksam

Als Late-Breaking Abstract präsentierte am letzten Kongresstag Andrew Wei, Melbourne, eine Phase-III-Studie, in der erstmals eine orale Galenik der hypomethylierenden Substanz (HMA) Azacitidin (CC-486) als Erhaltungstherapie gegen Placebo bei Patienten mit AML getestet wurde [4]. Diese mussten nach einer Induktionschemotherapie in kompletter Remission, durften aber nicht für eine allogene Stammzelltransplantation geeignet sein. Die 472 Patienten erhielten CC-486 bzw. das Placebo (doppelblind) jeweils für 2 Wochen, mit zweiwöchigen Pausen dazwischen.
Nach median 41,2 Monaten hatte die Verum-Behandlung die mediane Überlebensdauer signifikant von 14,8 auf 24,7 Monate verlängert (HR 0,69; p = 0,0009; Abb. 2), während das rezidivfreie Über-leben von median 4,8 auf 10,2 Monate mehr als verdoppelt worden war (Hazard Ratio 0,65; p = 0,0001). 

Der Vorteil der Erhaltungstherapie war in einer multivariaten Analyse unabhängig von diversen prognostischen Faktoren. Die Behandlung war gut verträglich und wirkte sich nicht negativ auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus. Laut Wei dürfte diese orale Behandlung als erste wirksame Erhaltungstherapie einen neuen Therapiestandard darstellen, sobald sie zugelassen sein wird.

Umfassende genetische Charakterisierung von AML und MDS

Ein beeindruckender Satz von genomischen Daten wurde ebenfalls in einem Late-Breaking Abstract von Ilaria Iacobucci, Memphis, präsentiert [5]: Bei
598 AML- und 706 MDS-Patienten aus dem Münchner Leukämielabor wurden Whole-Genome- und Transkriptom-Sequenzierungen durchgeführt, um auch Mutationen abseits der üblicherweise verwendeten Panels nachzuweisen.
Durch diese umfassende molekulare Charakterisierung gelang es, Subgruppen wie Patienten mit NMP1-, RUNX1- oder TP53-Mutationen noch weiter zu subklassifizieren und weitere Risikogruppen abzugrenzen. Zusammen wurden über 7.000 Varianten in 839 Genen entdeckt, die an verschiedensten Signalwegen beteiligt sind und zu rund einem Drittel potentielle Treibermutationen darstellen. Insgesamt fand sich eine Vielzahl heterogener und komplexer Mutationskonstellationen, die auf verschiedene Weise mit Expressionsmustern, aber auch mit dem klinischen Outcome korrelierten. Solche innovativen Ansätze gestatten es, diese heterogenen Erkrankungen besser zu ver-stehen und die Prognose, vor allem aber die Anwendung der vielen neuen Medikamente in immer stärker individualisierten Therapieschemata zu verbessern.

Spezifische Therapien für AML-Subtypen

FLT3-mutierte AML: Resistenzmechanismen nach Gilteritinib

AML-Erkrankungen mit FLT3-Mutationen können mittlerweile mit zielgerichteten Medikamenten behandelt werden: In der Erstlinie ist Midostaurin in Kombination mit Chemotherapie zugelassen, für die rezidivierte/refraktäre Situation seit Kurzem der FLT3-Inhibitor Gilteritinib, der in der Phase-III-Studie ADMIRAL im Vergleich zu einer konventionellen Salvagetherapie die Remissionsraten erhöhte und die Überlebenszeiten verlängerte [6], auch bei Vorliegen von weiteren AML-typischen Mutationen wie solchen im DNMT3A-, NPM1- oder WT1-Gen [7]. Auch nach Gilteritinib treten aber – wie bei den meisten anderen zielgerichteten Medikamenten – häufig Resistenzen auf, deren Ursachen in einer Folgeanalyse der ADMRIAL-Studie evaluiert wurden [8].
Laut Catherine Smith, San Francisco, wurden bei den 40 Patienten, für die Blut- oder Knochenmark-Proben vor Therapie und im Rezidiv nach Gilteritinib verfügbar waren, am häufigsten Mutationen in Genen des RAS/MAPK-Signalwegs (KRAS, NRAS, PTPN11, BRAF, CBL;
45 %) sowie eine „Gatekeeper“-Mutation im FLT3-Gen (FLT3 F691L; 12,5 %) gefunden. Bei 18 Patienten hatten Muta-
tionen im RAS/MAPK-Signalweg bereits vor Beginn der Therapie vorgelegen, ihre Zahl nahm aber unter der Behandlung zu. Einzelne dieser Mutationen scheinen also die Wirksamkeit von Gilteritinib nicht zu beeinträchtigen, aber ihre Häufung führt dann wahrscheinlich zur persistierenden Aktivierung des Signalwegs, die die Wirkung des Inhibitors außer Kraft setzt. Ähnliches wurde auch für den FLT3-Inhibitor Midostaurin beobachtet.

IDH2-mutierte AML: Enasidenib plus Azacitidin

Zu den häufigeren molekularen Veränderungen bei AML zählen Mutationen in den Genen für die Isocitrat-Dehydrogenasen 1 und 2 (IDH 1/2). So finden sich in 8–19 % der Fälle IDH2-Mutationen, gegen die der orale Inhibitor Enasidenib entwickelt wurde, der in den USA bereits für die rezidivierte/refraktäre Situation zugelassen ist. Enasidenib unterdrückt die durch das mutierte Enzym katalysierte Bildung des Onkometaboliten 2-Hy-droxyglutarat und reduziert so mittelbar die DNA-Methylierung. Dadurch wird die hypomethylierende Wirkung von Azacitidin unterstützt, und die Kombination beider Substanzen fördert die Differenzierung myeloider Zellen.
In einer Phase-II-Studie, die Courtney DiNardo, Houston, vorstellte, erhielten deshalb 101 Patienten mit neu diagnostizierter, IDH2-mutierter AML nach 2 : 1-Randomisierung die Kombination oder Azacitidin alleine [9]. Beim primären Endpunkt, der Gesamtansprechrate, war die Kombination mit 71 % vs. 42 % signifikant überlegen (p = 0,0155), wobei besonders die Rate an Komplettremissionen mehrals vervierfacht wurde (53 % vs. 12 %; p = 0,0002). Ein Viertel der Patienten wurden MRD-negativ, und beim
ereignisfreien Überleben war die Kombination mit median 17,2 vs. 10,8 Monaten ebenfalls deutlich überlegen, so DiNardo. Es ist zu erwarten, dass dadurch der Anteil der Patienten steigt, die allogen transplantiert und damit potentiell geheilt werden können. Untersucht wird auch die Kombination von Enasidenib mit Chemotherapie bei jüngeren Patienten.

AML mit TP53-Mutationen:

erster Inhibitor

Mutationen im Tumorsuppressor-Gen TP53 sind bei rund jedem fünften Patienten mit MDS oder AML und bei bis zu 40 % derer mit therapiebedingten Varianten dieser Erkrankungen zu finden und bedingen eine besonders schlechte Prognose. Therapeutischer Standard sind hier HMA, aber ihre Wirksamkeit hält sich mit Ansprechraten von ca. 20 % und einer medianen Überlebenszeit von 7 bis 8 Monaten in Grenzen.
Bisher gab es für Tumoren mit TP53-Mutationen keine spezifischen Therapieoptionen, aber das beginnt sich gerade zu ändern: Die niedermolekulare Substanz APR-246 bewirkt in betroffenen Zellen eine thermodynamische Stabilisierung des Wildtyp-p53-Proteins und verschiebt so das Gleichgewicht zwischen mutierter und Wildtyp-Form in Richtung der letzteren. Dadurch lässt sich in Krebszellen mit mutiertem TP53-Gen selektiv eine Apoptose erzeugen. In einer Phase-Ib/II-Studie wurde das Medikament daher nach ersten positiven Signalen bei Patienten mit TP53-mutierten Hochrisiko-MDS, MDS/MPN (myeloproliferative Erkrankungen) und oligoblastischer AML (≤ 30 % Blasten) mit Azacitidin kombiniert [10].
Von 55 eingeschlossenen Patienten waren 45 mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 10,5 Monaten auswertbar, so David Sallman, Tampa. 39 von ihnen (87 %) zeigten ein Ansprechen, davon 24 (53 %) eine komplette Remission, acht (18 %) eine Komplettremission im Knochenmark und drei (7 %) eine hämatologische Verbesserung. 39 % der Patienten wurden MRD-negativ bezüglich mutiertem TP53, was mit einem verbesserten Gesamtüberleben ein-
herging (median 12,8 vs. 9,2 Monate;
p = 0,02). Auch ein Ansprechen korrelierte mit längerem Überleben (12,8 vs. 3,9 Monate; p < 0,0001). Eine allogene Stammzelltransplantation konnte die Überlebensdauer noch einmal verbessern (16,1 vs. 9,2 Monate; 1-Jahres-Rate  66 % vs. 29 %; p = 0,002; Abb. 3).  

Diese vielversprechenden Daten
haben zu einer Phase-III-Studie geführt, in der APR-246 plus Azacitidin nun randomisiert gegen die HMA alleine getestet werden [11].

Immuntherapien

Blockade eines Makrophagen-Checkpoints

Die derzeit klinisch verfügbaren Immuncheckpoint-Inhibitoren, die sich vor allem gegen Moleküle der PD-1-/PD-L1-Achse richten, spielen in der Hämatologie mit Ausnahme des Hodgkin-Lymphoms keine nennenswerte Rolle. Einen weiteren Checkpoint stellt das CD47-Antigen dar, das auf leukämischen Zellen überexprimiert wird und ein „Don´t-eat-me“-Signal an Makrophagen vermittelt. Die Blockade von CD47 durch den monoklonalen Antikörper Magrolimab (auch 5F9) kann in AML-Modellen die Phagozytose der Blasten induzieren und führt zur Eliminierung leukämischer Stammzellen.
Azacitidin andererseits vermag auf den AML-Zellen die Expression von „Eat-me“-Signalen hervorzurufen und dadurch ihre Phagozytose zu fördern. Die Kombination beider Medikamente wurde deshalb in einer Phase-Ib-Studie bereits erfolgreich getestet; Sallman stellte in Orlando die Ergebnisse einer Expan-
sionskohorte vor [12]:
46 ältere Patienten (median 73 Jahre) mit unbehandeltem MDS von intermediärem bis hohem Risiko oder mit AML wurden behandelt. 22 der 24 MDS-Patienten sprachen an (92 %), zwölf mit einer Komplettremission (50 %). Von den 22 AML-Patienten sprachen 14 (64 %) an, davon neun (41 %) komplett. Die Zeit bis zum Ansprechen war mit median
1,9 Monaten kürzer, als mit Azacitidin alleine zu erwarten gewesen wäre. Es gab lediglich eine Krankheitsprogression bei einem der AML-Patienten.
Interessanterweise sprachen auch
sieben von neun Patienten mit TP53-Mutation an, die generell eine sehr schlechte Prognose haben, davon vier komplett (44 %). Das vollständige Verschwinden leukämischer Stammzellen im Knochenmark bei zehn von 16 ansprechenden Patienten lässt hoffen, dass die Remissionen bei manchen dieser Patienten, die sonst meist eine infauste Prognose haben, von Dauer sein könnten. Derzeit laufen Erweiterungskohorten der Studie, und Zulassungsstudien für MDS sind geplant.

Hemmung von TIM-3

Ein weiterer verheißungsvoller immunonkologischer Ansatz ist die Hemmung des TIM-3-Antigens (T-cell Immunoglobulin domain and Mucin domain-3), das auf Vorläufer- und Stammzellen der AML exprimiert wird. Der Anti-TIM-3-Antikörper MBG453 verstärkt die durch Immunzellen vermittelte Eradikation von AML-Zellen in vitro. Nun wurde er in einer Phase-Ib-Studie, die Uma Borate, Portland, präsentierte, ebenfalls mit einer HMA – in diesem Fall mit Decitabin – kombiniert, da dies auch hier die Expression der Checkpoint-Moleküle fördert [13]. Eingeschlossen wurden Patienten mit Hochrisiko-MDS und AML, die therapienaiv oder vorbehandelt sein konnten und nicht für eine intensive Therapie infrage kamen.
Die Therapie war gut verträglich, und fünf von 19 MDS-Patienten erzielten nach median zwei Zyklen Komplett-
remissionen, die zum Teil 1,5 bis über
2 Jahre andauern. Bei bislang 17 Patienten mit neu diagnostizierter AML wurden fünf komplette und zwei partielle Remissionen gesehen. Bei 25 Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML gab es sechs Komplettremissionen mit nicht vollständiger hämatologischer Erholung.

Bispezifische Antikörper fördern Eliminierung durch T-Zellen

Das Therapieprinzip der bispezifischen Antikörper, das bei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) schon eingesetzt wird, scheint auch bei der AML Erfolg zu versprechen, wie zwei Vorträge in Orlando belegen:
Flotetuzumab ist ein DART-Molekül (Dual Affinity Re-Targeting), das zwei verschiedene Antigene erkennt: CD3 auf zytotoxischen T-Lymphozyten und CD123, das auf AML-Blasten exprimiert wird. Durch Bindung an beide Proteine werden die beiden Zelltypen in engen räumlichen Kontakt miteinander gebracht, sodass die aktivierte T-Zelle die leukämische Zelle lysieren kann. Im Phase-II-Teil einer Phase-I/II-Studie erhielten 50 Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML Flotetuzumab [14]. Geoffrey Uy, St. Louis, zufolge hatten 30 von ihnen eine primär refraktäre Erkrankung, bei 24 hatten mindestens zwei Induktionstherapien versagt, und bei den restlichen sechs hatte eine Remission weniger als sechs Monate angedauert. Die Komplettremissionsrate der primär refraktären Patienten betrug 32,1 %, während man mit konventionellen Salvagetherapien weniger als 10 % erwartet hätte. Die Rekrutierung wird noch fortgesetzt, um die Aktivität speziell bei primär refraktären Patienten besser zu definieren und Biomarker für ein gutes Ansprechen zu identifizieren.
Ein bispezifischer T-Zell-Enhancer (BiTE), d. h. ein ähnliches Konstrukt wie das zur Therapie der fortgeschrittenen ALL zugelassene Blinatumomab, wurde ebenfalls bei der rezidivierten/refraktären AML getestet. Wie Marion Subklewe, München, berichtete, bindet das Molekül neben CD3 auf T-Zellen das CD33-Antigen auf AML-Zellen [15]. Aufgrund einer verlängerten Halbwertszeit muss AMG-673 nicht wie Blinatumomab kontinuierlich über eine Pumpe gegeben werden, sondern braucht lediglich zweimal während eines zweiwöchigen Zyklus infundiert zu werden. Die Auswertung der bislang 30 Patienten in der Dosisfindungsstudie zeigte gute Verträglichkeit und anti-leukämische Wirksamkeit der Sub-stanz. Bei einem Drittel der Patienten war eine Abnahme der Blastenzahl im Knochenmark zu beobachten (Abb. 4).

Eliminierung von AML-Stammzellen

Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der AML spielen leukämische Stammzellen eine wichtige Rolle [16], deren Resistenz gegen Therapien die Hautpursache für Rezidive ist. Das gilt auch für HMA, die vor allem bei älteren AML-Patienten eingesetzt werden, für die eine intensive Therapie nicht mehr infrage kommt [17]. Die Vermehrung der Stammzellen wird durch CD70, einen Liganden aus der Tumornekrosefaktor-Familie und seinen Rezeptor CD27 gefördert, die beide von AML-Vorläufer- und -Stammzellen exprimiert werden. Dieser Mechanismus wird durch die Zugabe
von HMA sogar verstärkt, sodass die Entwicklung eines monoklonalen Antikörpers gegen CD70 vielversprechend erschien. Cusatuzumab blockiert nicht nur die CD70/CD27-Interaktion, sondern vermittelt auch eine Antikörper- sowie eine Komplement-abhängige Zytotoxi-zität und konnte in In-vitro- sowie in Tiermodellen die leukämischen Stammzellen eradizieren.
In einer Phase-I-Studie erhielten daher ältere Patienten mit neu diagnostizierter AML zunächst eine Dosis Cusatuzumab, das in der Folge mit Azacitidin kombiniert wurde [18]. Bei zehn der
bislang behandelten zwölf Patienten erzielte die Kombination eine komplette Remission mit oder ohne hämatologische Rekonstitution – nach median 3,3 Monaten und bei allen untersuchten Dosisstufen. Vier von neun Komplettremissionen waren sogar MRD-negativ. Einzelzelluntersuchungen zeigten Gensignaturen, die für eine myeloide Differenzierung und für die Apoptose in leukämischen Stammzellen sprechen.