Juvenile myelomonozytäre Leukämie

Die juvenile myelomonozytäre Leukämie (JMML) ist eine Erkrankung, die in früher Kindheit vorkommt und durch eine übermäßige Proliferation insbesondere der monozytären und granulozytären Zellreihe gekennzeichnet ist. Die Kinder fallen durch Blässe, einen schlechten Allgemeinzustand und oft durch einen ausladenden Bauch, bedingt durch eine massive Hepatosplenomegalie, auf. Die Entdeckung, dass sich bei 85% der Patienten somatische oder Keimbahnmutationen von PTPN-11, K-RAS, N-RAS, CBL oder NF1 in den leukämischen Zellen finden, hat zu einem besseren Verständnis der Pathogenese geführt und die Diagnosestellung erleichtert. Die genetischen Aberrationen aktivieren den RAS-Signalweg, und sie schließen sich weitgehend gegenseitig aus. Für die meisten Patienten ist nur eine allogene Stammzelltransplantation kurativ. Bei Patienten mit Noonan-Syndrom und PTPN11-Keimbahnmutation kann eine transiente Myeloproliferation auftreten.


Schlüsselwörter: Juvenile myelomonozytäre Leukämie, Prädispositions-Syndrome, RASopathien


Die juvenile myelomonozytäre Leukämie (JMML) ist eine Erkrankung, die bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt und mit einer malignen Transformation der hämatopoetischen Stammzellen einhergeht. Sie ist durch eine Proliferation granulozytärer und monozytärer Zellen und ihrer Vorstufen gekennzeichnet. Nach der WHO-Klassifikation wird die JMML bei den myelodysplastischen/mye­loproliferativen Neoplasien (MDS/MPN) eingeordnet [1]. 

Epidemiologie

Die Inzidenz der JMML wird mit ca. 1,3 pro 1 Million Kinder unter 14 Jahren angegeben. Jungen sind etwa doppelt so häufig wie Mädchen betroffen. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei zwei Jahren. Die JMML umfasst etwa 2% der Leukämien bei Kindern unter 14 Jahren. Die chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML) ist vom klinischen Bild her weniger aggressiv und tritt erst im späteren Lebensalter auf. 

Pathogenese

Die Überempfindlichkeit von JMML-Vorläuferzellen gegenüber dem Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF) und die pathologische Aktivierung des RAS-RAF-MAPK (Mitogen-aktivierte Protein­kinase)­-Signalwegs spielen eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankung.

Die Pathogenese der JMML lässt sich durch die genetischen Veränderungen erklären, denn bei etwa 85% der Patienten wurde eine aberrante Signaltransduktion im RAS-Signalweg gefunden [2]: „Driver“-Mutationen in fünf Genen 

(PTPN11, NRAS, KRAS, CBL und NF1) kodieren für Proteine, deren Mutanten zu einer Aktivierung des RAS-Signalwegs führen (Abb. 1; [3]). Die Subklassifizierung entspricht diesen fünf Mutationen:

Somatische Mutationen in 

PTPN11 (kodiert für SHP2, ca. 35% der Patienten) und NRAS- und KRAS-Mutationen (20–25% der Patienten)

Keimbahnmutationen mit Verlust der Heterozygotie (loss of heterozygosity, LOH) im CBL-Gen (bei 15% der Patienten) und in dem für die Neuro­fibromatose Typ 1 kodierenden Gen NF1 (bei 10% der Patienten).

Die allermeisten der Patienten mit NF1-Mutation zeigen fünf oder mehr Café-au-lait-Flecken und können klinisch diagnostiziert werden [3].

Prädispositionssyndrome für JMML

Bei Kindern mit autosomal dominanten Entwicklungsstörungen, denen Keimbahnmutationen in Genen des RAS-Si­gnalwegs zugrunde liegen (RASopathien), finden sich faziale Dysmorphien, Herzfehler, Wachstumsstörungen, kognitive Einschränkungen, ektodermale und skelettale Anomalien und eine Prädisposition für Malignome wie die JMML [4]:

Dazu gehört die Neurofibromatose Typ 1 (NF1), die sich bei jungen Kindern mit Café-au-lait-Flecken, JMML, plexiformen Neurofibromen, Optikus-Gliomen und Knochenläsionen manifestiert. Das Risiko, an einer JMML zu erkranken, ist bei Kindern mit NF1-Mutation im Vergleich zu denen ohne Mutation um das 200- bis 350-Fache erhöht. 

Patienten mit CBL-Syndrom (benannt nach Casitas B-lineage Lymphoma) zeigen einen sehr variablen, dem Noonan-Syndrom-ähnlichen Phänotyp, häufig mit wenigen Café-au-lait-Flecken. 

Das Noonan-Syndrom ist mit 1/1.000–2.500 die häufigste RASopathie. Patienten mit Noonan-Syndrom zeigen einen typischen Gesichtsausdruck, Herzfehler und Auffälligkeiten anderer Organsysteme. Ursächlich sind heterozygote Keimbahnmutationen vorwiegend in PTPN11, aber auch in SOS1, RAF1, KRAS, NRAS und anderen Genen des RAS-Si­gnalwegs. In den ersten drei Lebensjahren entwickeln bis zu 10% der Kinder mit Noonan-Syndrom eine transiente Myeloproliferation (myeloproliferative disease, MPD; [2]). 

Klinisches Bild und Diagnostik 

Die Kinder fallen durch Blässe, einen schlechten Allgemeinzustand und oft durch eine Vorwölbung des Bauches aufgrund einer starken Hepatosplenomegalie auf. Leukämische Infiltrationen in den Lungen, im Darm und in der Haut sind häufig. Bei Mutationen im CBL-Gen treten weitere Veränderungen wie Sehstörungen oder Schwerhörigkeit auf [3].

Für die Diagnose ist die Anamnese des Kindes wichtig (Herzfehler, andere neonatale Auffälligkeiten), die Familienanamnese (Eltern mit NF1-Mutationen), die genaue körperliche Untersuchung (syndromale Aspekte, Café-au-lait-Flecken, Hautinfiltrate) und die mikroskopische Beurteilung des peripheren Blutausstrichs sowie des Knochenmarkaspirat-Ausstrichs. Die molekulare Klassifikation der JMML ist für Therapieentscheidungen notwendig. Um die Ergebnisse als somatisch oder als Keimbahnveränderung einzuordnen, muss immer auch DNA der Keimbahn mit untersucht werden (z. B. aus Haarwurzeln). 

Im peripheren Blut findet sich in der Regel eine Leukozytose, die im Median bei 25–30 × 109 G/l liegt und damit niedriger ist als bei der chronischen myeloischen Leukämie. Hinzu kommen Thrombozytopenie und Anämie. Im Blutbild dominieren reife Neutrophile mit einigen unreifen myeloischen und/oder erythropoetischen Vorstufen (Abb. 2). In den meisten Fällen besteht eine Monozytose mit einer absoluten Monozytenzahl > 1 × 109 G/l. Der Anteil der Myeloblasten liegt unter 20%. Im hyperzellulären Knochenmark sind Monozyten weniger häufig als im peripheren Blut (< 20% der kernhaltigen Zellen). 

Zytogenetisch liegt bei ca. 25% der Patienten eine Monosomie 7 vor. Eine Besonderheit der JMML besteht in einer deutlich erhöhten Synthese von HbF bei vielen Patienten mit normalem Karyotyp. Die Hypersensitivität myeloischer Progenitoren gegenüber GM-CSF in vitro stellte vor Kenntnis der Mutationstypen ein wichtiges diagnostisches Merkmal der JMML dar.

Prognose und prognostische Faktoren

Die JMML mit somatischer PTPN11-Mutation und die JMML bei Patienten mit NF1 haben ohne allogene hämato­poetische Stammzelltransplantation (HSZT) einen tödlichen Verlauf. Eine Thrombozytenzahl < 33 G/l, ein Alter über zwei Jahre und ein alterskorrigiert erhöhtes HbF sind klinische Prädiktoren für ein kurzes Überleben ohne HSZT. Auch die JMML mit KRAS- oder NRAS-Mutation verläuft in der Regel ohne HSZT tödlich. Eine kleine Zahl der Patienten mit NRAS-Mutation überlebt allerdings ohne Therapie. Diese Kinder zeichnen sich durch das Fehlen von Krankheitssymptomen, ein normales HbF und durch das Fehlen von subklonalen Mutationen aus [5].

Im Gegensatz zu anderen Mutationen im RAS-Signalweg zeigen die meisten Patienten mit JMML mit CBL-Mutation und uniparentaler Disomie (UPD) in hämatopoetischen Zellen eine spontane Regression der JMML ohne Therapie.

Therapie

Die allogene HSZT vom HLA-identen Geschwister- oder Fremdspender ist für Patienten mit JMML und NF1, somatischer PTPN11-Mutation, KRAS-Mutation und für die allermeisten Patienten mit NRAS-Mutation die einzige kurative Therapie [6]. Die Überlebensrate nach HSZT liegt bei 50–60% [5]. Zur Konditionierung werden Busulfan, Cyclophosphamid und Melphalan empfohlen. Durch eine intensive Chemotherapie oder eine Splen­ektomie vor HSZT wird das Rezidivrisiko nach HSZT nicht reduziert [7]. Um die Proliferation Chemotherapie-resistenter Subklone zu vermeiden, sollte die HSZT auch bei Säuglingen so früh wie möglich durchgeführt werden. 

Bei den meisten JMML-Patienten mit CBL-Mutation und bei wenigen Kindern mit NRAS-Mutation kommt es zur spontanen Normalisierung der Myeloproliferation. Darum müssen diese Kinder engmaschig überwacht werden in Hinblick auf eine Entscheidung für eine HSZT.

Ein verbessertes Verständnis der fehlgesteuerten Regulation des Zellwachstums wird zukünftig dazu beitragen, neue Medikamente und Therapieformen zu entwickeln. Gegenwärtig kann nur mit der allogenen HSZT eine Heilung erreicht werden. Kinder mit JMML werden europaweit nach Therapiekonzepten behandelt, die in Freiburg wesentlich mitent­wickelt wurden (http://www.ewog-mds.org).

Summary

Juvenile myelomonocytic leukemia

Juvenile myelomonocytic leukemia (JMML) is a disease that occurs in early childhood and is characterized by excessive proliferation, particularly of the mon­ocytic and granulocytic cell lines. The children present with paleness, a poor general condition and often a bulging stomach, caused by massive hepatospenomegaly. The discovery that somatic or germline mutations of PTPN-11, 

K-RAS, N-RAS, CBL, or NF1 are present in leukemic cells in 85% of patients has led to a better understanding of the pathogenesis and facilitated the diagnosis. The genetic aberrations activate the Ras signaling pathway. They are largely mutually exclusive. For most patients allogeneic stem cell transplantation is the only curative therapeutic option. In patients with Noonan syndrome and PTPN11 germline mutation, transient myeloproliferation may occur.

Keywords: juvenile myelomonocytic leukemia, predisposition syndromes, RASopathies