Akute myeloische Leukämien (AML) bei Kindern und Jugendlichen
Akute myeloische Leukämien (AML) bei Kindern und Jugendlichen (< 18 Jahre) sind mit einem Anteil von 15–20 % aller Leukämien im Kindesalter deutlich seltener als akute lymphoblastische Leukämien (ALL). Von wenigen Ausnahmen abgesehen entspricht die Biologie der AML bei Kindern der bei Erwachsenen. Die Behandlungsergebnisse bei Kindern mit AML haben sich in den letzten 30 Jahren deutlich verbessert. Mit einer intensiven Induktionschemotherapie erreichen etwa 90% aller Kinder und Jugendlichen eine komplette Remission (CR). Die Überlebensraten nach fünf Jahren liegen heute bei 60–75%, das ereignisfreie Überleben bei 50–60%. Die Induktions-Chemotherapie ist weltweit und in allen Altersstufen ähnlich, während es in der Postremissionstherapie deutliche Unterschiede gibt. Im Folgenden werden die biologischen und klinischen Eigenschaften der AML bei Kindern und Jugendlichen sowie die heute in Deutschland übliche Therapie nach den AML-BFM-Studien (Berlin-Frankfurt-Münster) dargestellt. Abschließend wird auf die Spätfolgen der Therapie eingegangen.
Schlüsselwörter: Akute myeloische Leukämie bei Kindern, Prognosegruppen, Therapie, Spätfolgen
Epidemiologie
In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 100 Kinder im Alter von unter 15 Jahren an einer AML. Die Inzidenz liegt bei 0,7 pro 100.000 Kindern, mit einem Verhältnis von Mädchen zu Jungen von 1 : 1,1. Nach einem Häufigkeitsgipfel in den ersten zwei Lebensjahren sinkt die Inzidenz der AML ab, ohne den von der ALL bekannten Altersgipfel zwischen zwei und vier Jahren, und bleibt relativ konstant, um im jugendlichen Alter wieder anzusteigen.
Biologische Merkmale, einschließlich der Prävalenz einiger genetischer Anomalien, unterscheiden sich zwischen der AML bei Kindern und Erwachsenen [1]. Die Behandlungsergebnisse haben sich bei der AML in den letzten 30 Jahren für alle Altersgruppen verbessert; die Überlebensraten nehmen jedoch mit zunehmendem Alter ab, auch wenn genetische Risikofaktoren berücksichtigt werden [2].
Ätiologie
Überwiegend sind die zugrunde liegenden genetischen Veränderungen, die zur AML führen, erworben und nicht angeboren. Nur bei etwa 5% der Patienten sind eine genetische Prädisposition, eine intrauterine Exposition mit Substanzen wie Benzol, ionisierende Strahlung oder unterschiedliche Medikamente mit der Entstehung einer AML im Kindes- oder Jugendalter assoziiert.
Das Risiko einer AML ist bei Kindern mit angeborenen Syndromen wie einer Fanconi-Anämie, Shwachman-Diamond-Syndrom, Kostmann-Syndrom und Down-Syndrom, erhöht. Somatische Mutationen des GATA1-Gens werden in praktisch allen Fällen von AML in Verbindung mit Down-Syndrom beobachtet und können mit dem 500-fach erhöhten Risiko für eine megakaryoblastische AML bei diesen Patienten in Zusammenhang gebracht werden [3].
AML als sekundäres Malignom nach intensiver Chemotherapie wird häufig bei älteren Kindern und Erwachsenen beobachtet. Bei Kindern nach ALL-Behandlung lag die kumulative Inzidenz für die Entwicklung einer AML nach 15 Jahren bei 0,6% [4].
Bei eineiigen Zwillingen ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch der zweite Zwilling erkrankt, mit etwa 15% hoch. Als Ursache wird der transplazentare Übergang von einzelnen Leukämiezellen angenommen – auch wenn dies bisher nur für die ALL belegt ist – und weniger eine genetische Prädisposition.
Die AML tritt am häufigsten im höheren Lebensalter (> 65 Jahre) auf. Dies korreliert mit einer verlängerten Exposition gegenüber Umweltkarzinogenen proportional zum Alter und einer Akkumulation von Mutationen aufgrund genetischer Störungen bei der Zellteilung.
Klinisches Bild
Die klinischen Symptome sind anfangs häufig uncharakteristisch und Folgen der Anämie (Blässe und Müdigkeit), der Neutropenie (Fieber, Infektion) und Thrombozytopenie (Petechien, Purpura, Schleimhautblutungen, selten Hirnblutungen). Die normale Hämatopoese ist als Folge der Infiltration des Knochenmarks mit leukämischen Zellen reduziert. Bei Patienten mit Hyperleukozytose besteht initial ein hohes Risiko für Blutung und/oder Leukostase. Knochenschmerzen können durch die Blastenvermehrung im Knochenmark oder durch subperiostale Blutungen entstehen. Extramedulläre Infiltrationen betreffen in erster Linie die Lymphknoten, die Leber und die Milz. Eine Hepatosplenomegalie wird bei etwa einem Drittel aller Patienten gefunden.
Eine Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS) findet sich bei 5–10% aller Kinder und Jugendlichen mit AML. Definitionsgemäß liegt ein ZNS-Befall bei mehr als fünf Blasten/µl Liquor oder bei klinischen oder radiologischen Zeichen des intrazerebralen Befalls vor. Gelegentlich treten auch extramedulläre Manifestationen der AML als Tumoren im ZNS auf. Symptome des ZNS-Befalls sind Kopfschmerzen, Paresen, fokale neurologische Defizite und Krampfanfälle.
Weitere extramedulläre Infiltrationen kommen in der Haut (Leukaemia cutis), in den Weichteilen, der Gingiva, den knöchernen Strukturen der Orbita oder in anderen Organen vor. Bei tumorartigen Infiltrationen besonders in Knochen spricht man von myeloischen Tumoren (Myelosarkomen). Ein extramedullärer Befall tritt gehäuft bei monoblastären Leukämien auf und ist hier mit einer ungünstigen Prognose verbunden. Bei der prognostisch günstigen AML mit t(8;21) ist der extramedulläre Befall, z. B. als Infiltration der Orbita, kein ungünstiger Faktor. Hautinfiltrationen finden sich besonders bei monozytären Leukämien und besonders bei Kleinkindern (< 2 Jahre). Ein isolierter extramedullärer Befall ist selten.
Diagnostik und Klassifikation
Die Diagnostik und Klassifikation der AML bei Kindern entspricht der bei Erwachsenen [5]. Sie erfolgt nach der WHO-Klassifikation von 2016, bei der neben morphologischen und klinischen Faktoren insbesondere die Genetik im Vordergrund steht [6]. Die myeloische Leukämie bei Patienten mit Down-Syndrom kommt nur im Kindesalter vor.
Die französisch-amerikanisch-britische (FAB) Verteilung unterscheidet sich vor allem zwischen jungen Kindern (< 2 Jahre) und älteren Kindern und Jugendlichen. Bei unter zweijährigen Kindern treten überwiegend (bei 60%) die FAB-Subtypen M5 oder M7 auf, gegenüber nur 18% bei älteren Patienten (2–18 Jahre; [7]). Ebenso werden die günstigen Karyotypen t(8;21) und inv(16) nur selten bei unter zweijährigen Kindern (5%) gefunden, dagegen bei über 32% der 2–12-Jährigen (Tab. 1).


Prognose und prognostische Faktoren
Die Wahrscheinlichkeit des Überlebens über mindestens fünf Jahre liegt heute bei Einsatz einer intensiven Chemotherapie zwischen 60% und 75% [8–13]. Etwa 85–90% der Kinder erreichen eine Vollremission. Die Wahrscheinlichkeit für ein ereignisfreies Intervall von fünf Jahren (EFS) liegt bei 55% [13, 14]. Die Verbesserung der Überlebensraten in den vergangenen 40 Jahren werden in Abb. 1 anhand der Ergebnisse der AML-Berlin-Frankfurt-Münster(BFM)-Studien gezeigt. Im Rahmen dieser kooperativen Studien werden in Deutschland über 95% der Kinder mit AML behandelt.

Mithilfe von prognostischen Faktoren wird versucht, das individuelle Risiko für Therapieversagen möglichst zum Diagnosezeitpunkt oder in einer frühen Phase der Therapie zu ermitteln. Die wichtigsten prognostischen Faktoren sind genetische Veränderungen in den AML-Blasten und das Ansprechen auf die Behandlung. In den AML-BFM-Studien konnte das Alter unter zwei Jahren nicht als unabhängiger prognostischer Faktor bei Kindern und Jugendlichen bestätigt werden [15]. In der Altersgruppe der unter Zweijährigen kommen fast nur Kinder mit Hochrisikokriterien (ungünstige Morphologie und/oder ungünstiger Karyotyp) vor, die Prognose entspricht der von älteren Patienten mit Hochrisikokriterien. Sehr hohe Blastenzahlen bei Diagnose sind mit einem erhöhten Risiko für Frühtod und Non-Response assoziiert, aber nicht unbedingt mit dem krankheitsfreien Überleben [16].
Tab. 2 enthält die genetischen Veränderungen, die prognostische AML-Subgruppen definieren und zur Stratifizierung nach Standardrisiko, intermediärem Risiko und Hochrisiko für Therapieversagen eingesetzt werden [9, 17]. Genetik und Therapieansprechen sind unabhängige prognostische Faktoren und wesentliche Elemente der Stratifizierung in Risikogruppen [8]. Die Blastenreduktion am Tag 15 oder 28 nach dem ersten Induktionstherapie-Block und das Ansprechen auf den zweiten Induktionsblock sind eindeutig mit dem Therapieergebnis assoziiert [16]. Zunehmend wird die Bestimmung der minimalen Resterkrankung (MRD) zur Stratifizierung eingesetzt [18].
Das Risiko für Frühtod bei Diagnosestellung oder in den Tagen danach durch intrakranielle Blutung und/oder Leukostase (intravaskuläre Stase der Blasten in den kleinen Gefäßen) war in den 1980er-Jahren bei Kindern mit Hyperleukozytose (Leukozytenzahl > 100.000/mm3) mit über 30% besonders hoch (heute liegt es bei 10%). Insbesondere sind Patienten mit monozytärer Leukämie und gleichzeitiger Hyperleukozytose (damals 70% Letalität) gefährdet [23]. Bei Patienten mit akuter Promyelozyten-Leukämie (APL) besteht bereits bei niedrigeren Leukozytenwerten das Risiko einer disseminierten intravasalen Gerinnung, verursacht durch prokoagulatorische Substanzen, die aus den abnormen Granula der Blasten freigesetzt werden.
Therapie
Die Therapie der AML ist bei Kindern immer intensiv mit kurativer Intension. Die Behandlungspläne sind oft, jedoch nicht immer bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ähnlich. Die Therapie beginnt mit wenigen Ausnahmen mit intensiven Induktionskursen mit Cytarabin und Anthrazyklinen, um eine Remission zu erreichen. Auf die Induktionstherapie folgen Postremissions-Phasen, mit oder ohne Erhaltungschemotherapie. Die Induktionstherapie sowie die Dauer und die optimale Strategie der Postremissionstherapie wurden im Laufe der Zeit mit neu angepassten Standards modifiziert. Im Allgemeinen sollten intensive Chemotherapie-Zyklen nach der Induktion (die als Konsolidierungs- und/oder Intensivierungskurse bezeichnet werden) einen oder mehrere Zyklen von hochdosiertem Cytarabin enthalten. Sie werden zusammen mit einer ZNS-Prophylaxe verabreicht und können von einer weniger intensiven Erhaltungs-Chemotherapie gefolgt werden. Die allogene Stammzelltransplantation (HSZT) kann als eine andere Form der Intensivierung einbezogen werden.

Die Standardtherapie nach dem aktuellen Protokoll AML-BFM-2012 (Abb. 2) besteht aus zwei Induktionsblöcken mit (1) Cytarabin, liposomalem Daunorubicin (ggf. Idarubicin) und Etoposid
(ADxE) und (2) hochdosiertem Cytarabin (3g/m²) und Mitoxantron (HAM). Anschließend werden zwei Therapieblöcke von fünf- und viertägiger Dauer mit (a) Cytarabin und Idarubicin (AI) und
(b) haM (high-dose Cytarabin 1g/m²) und anschließend HAE (high-dose Cytarabin 3g/m² und Etoposid) gegeben.
Patienten der Hochrisikogruppen erhalten nach den Therapieblöcken AI und haM eine allogene HSZT, sofern ein HLA-identischer Familien- oder Fremdspender verfügbar ist. Alle anderen Patienten erhalten nach dem letzten Intensivblock eine Erhaltungstherapie von einjähriger Dauer.
Anthrazykline und Cytarabin
Verschiedene Anthrazykline sind in prospektiven, randomisierten klinischen Studien der AML-BFM Gruppe erprobt worden. Die Einführung der ADE-Induktion (Ara-C [Cytarabin], Daunorubicin [60 mg/m2 x 3], Etoposid) in der AML-BFM-83-Studie erbrachte eine signifikante Verbesserung der Langzeitergebnisse bei Kindern mit AML. Heute werden neben dem Daunorubicin neuere Anthrazykline wie Idarubicin und Mitoxantron oder liposomales Daunorubicin bei Erwachsenen und Kindern in Induktion, Konsolidierung und Intensivierung eingesetzt.
Mit höheren Dosen von Anthrazyklinen konnten die Ergebnisse bei Erwachsenen verbessert werden [24]. Andererseits sind die Toxizitäten, insbesondere die akute und späte Kardiotoxizität, dosisabhängig und begrenzen damit die kumulative Dosis, die bei Kindern bei mehr als 300 mg/m2 mit erhöhter Spät-Kardiotoxizität assoziiert ist. Es gibt keine sichere Dosis, aber aufgrund der guten antileukämischen Wirkung der Anthrazykline werden in den meisten Therapieplänen relativ hohe Dosen eingesetzt. Hierbei sollten jedoch Faktoren, die auf eine höhere Anthrazyklin-Empfindlichkeit hinweisen, wie das frühe Kindesalter und weibliches Geschlecht, berücksichtigt werden. Um hohe Spitzenspiegel von Anthrazyklinen zu vermeiden, werden zweimal tägliche Gaben oder eine längere Infusionsdauer empfohlen. Anthrazykline mit einer niedrigen kardialen Exposition wie liposomale Präparate dürften von Vorteil sein [25].
Bei einer Äquivalenzdosis von 5 : 1 (Daunorubicin 60 mg/m2 : Idarubicin 12 mg/m2) wurde in der AML-BFM-93-Studie durch Idarubicin eine bessere Blastenreduktion am Tag 15 mit vergleichbarer akuter Toxizität erreicht [26]. In der AML-BFM-2004-Studie konnte mit einer liposomalen Formulierung von Daunorubicin gezeigt werden, dass die Äquivalenzdosis zu Daunorubicin oder Idarubicin erhöht werden kann
(80 mg/m2), ohne dass ein Anstieg der akuten und langfristigen Kardiotoxizität beobachtet wurde [27]. Kardioprotektion mit Dexrazoxan ist eine weitere Option, um die Anthrazyklin-Kardiotoxizität zu reduzieren [28].
Neben den Anthrazyklinen ist Cytarabin fester Bestandteil der AML-Behandlung. Insbesondere hat der Einsatz von hochdosiertem Cytarabin (HIDAC) zur Verbesserung der Prognose bei Erwachsenen und Kindern geführt [29–31]. Bei erwachsenen AML-Patienten mit Core-binding-Faktor-AML wurde die Prognose verbessert, wenn HIDAC im Rahmen der Konsolidierung gegeben wurde. In den AML-BFM-98- und -2004-Studien waren die Ergebnisse bei Kindern mit t(8;21)-AML deutlich besser, wenn HIDAC in Kombination mit Mitoxantron in der zweiten Induktion gegeben wurde [32].
Clofarabin ist eine Weiterentwicklung von Cytarabin mit gesteigerter zytostatischer Effektivität, die bei pädiatrischen Rezidiv-Patienten mit AML bereits erfolgreich eingesetzt wurde [33]. Ein Einsatz bei „De-novo“-AML soll in prospektiven Studien erprobt werden.
Behandlung des Zentralnervensystems
Bei 5–10% der pädiatrischen AML-Patienten ist eine ZNS-Beteiligung bei Diagnose und im Rezidiv zu finden. Besonders betroffen sind Kinder mit Hyperleukozytose, Monozyten-Leukämie (FAB M4 oder M5, einschließlich M4eo mit inv(16)), MLL-Gen-Umlagerung und Kinder unter zwei Jahren.
Eine ZNS-Behandlung ist für alle pädiatrischen Patienten notwendig, auch wenn keine Blasten im ZNS nachgewiesen werden, weil davon auszugehen ist, dass solche Blasten im ZNS vorhanden sind und mit einer systemischen Therapie nicht ausreichend erreicht werden. Auf eine präventive ZNS-Bestrahlung wird heute verzichtet, da deren Überlegenheit gegenüber anderen Modalitäten der ZNS-Behandlung nicht bewiesen wurde und die Gefahr von Spätfolgen und Sekundärmalignomen besteht. Zudem wird angenommen, dass man mit HIDAC die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.
Das wesentliche Element der ZNS-Behandlung ist die intrathekale Chemotherapie (Cytarabin und Methotrexat als Einzelgaben oder Triple-Therapie mit Cytarabin, Methotrexat und Hydrocortison). Eine intrathekale Triple-Therapie wird empfohlen, weil bei Änderung von intrathekaler Triple-Therapie zu alleiniger Cytarabin-Gabe eine erhöhte ZNS-Rezidivrate beobachtet wurde [34]. Die optimale Anzahl intrathekaler Gaben (zwischen vier und zwölf) ist weiterhin nicht geklärt.
Hämatopoetische Stammzelltransplantation
Die verbesserte Definition von genetischen Prognosefaktoren in Kombination mit dem Therapieansprechen ermöglicht heute eine bessere Risikoklassifikation (s. Abschnitt „Prognose“). Für die Patienten der neu definierten Hochrisikogruppe wird die allogene HSZT vom Familien- oder Fremdspender als Postremissions-Behandlung in erster Remission empfohlen.
Nach Rezidiv gilt für alle Patienten die Indikation zur allogenen HSZT. Die Konditionierung bei allogener HSZT ist bei Kindern myeloablativ, mit Busulfan, Cyclophosphamid und Melphalan (Bu-Cy-Mel) oder FLAMSA-RIC (Fludarabin, Cytarabin, Amsacrin plus 4 Gy Ganzkörperbestrahlung [TBI]).
Durch die myeloablative Therapie und durch immunologische Komplikationen ist mit signifikanten Langzeit-Morbiditäten zu rechnen. Darum, und weil die Überlebensraten mit alleiniger Chemotherapie oder Chemotherapie mit anschließender HSZT sich bei Patienten der Standard- und intermediären Gruppe nicht unterscheiden, wird die Indikation in erster Vollremission auf Patienten der Hochrisikogruppe (etwa 20–25% der Patienten) beschränkt.
Eine autologe HSZT wird bei AML in erster Komplettremission nicht empfohlen; sie kann eine Option für Spätrezidive nach Zweitremission oder bei Kindern mit Rezidiv einer APL sein.
Neue Entwicklungen
Eine weitere Steigerung der Intensität der Chemotherapie ist bei der AML nur in begrenztem Maß zu erwarten. Die Entwicklung geht eher dahin, die Behandlung durch neue Komponenten zu optimieren.
Antikörper-gesteuerte Medikamente
Dazu gehört Gemtuzumab Ozogamicin (GO, Myelotarg®), ein Calicheamicin-konjugierter CD33-Antikörper, der vielversprechende Ergebnisse bei Kindern und Erwachsenen mit AML gezeigt hat [35, 36]. GO verursacht erhebliche Toxizität, insbesondere Myelosuppression mit einer verlängerten Thrombozytopenie und einer Venenverschluss-Krankheit, die jedoch bei Kindern seltener ist als bei Erwachsenen [36]. Die Substanz war längere Zeit nicht verfügbar. Sie wird jedoch aktuell im Rahmen einer laufenden Studie für Erstrezidive bei Kindern geprüft.
Tyrosinkinase-Inhibitoren
AML-Patienten mit aktivierenden FLT3- oder KIT-Mutationen sind Kandidaten für eine gezielte Therapie. Viele gegen FLT3 gerichtete Tyrosinkinase-Inhibitoren (Sorafenib, CEP701, PKC412, AC220) wurden bei Kindern erprobt oder auf „Compassionate-Use“-Basis eingesetzt [37]. Sorafenib wird derzeit in der laufenden Studie AML-BFM 2012 bei FLT3-positiven Patienten zusätzlich gegeben.
Ausdifferenzierung der leukämischen Blasten
Das Prinzip der Ausdifferenzierung der leukämischen Blasten wird bei der akuten Promyelozyten-Leukämie seit einigen Jahren eingesetzt. Die krankheitsspezifische Translokation des RARA-Gens auf den Lokus PML auf Chromosom 15 führt zur Synthese eines PML-RARA-Fusionsproteins, das die normale Differenzierung der Zellen blockiert. Durch hohe Dosen von All-Trans-Retinsäure (ATRA) kann diese Blockade überwunden werden und eine Ausdifferenzierung erfolgen. Durch Arsentrioxid (ATO) erfolgt ebenfalls eine partielle Differenzierung und bei hohen Dosen eine Apoptose [38]. Die Entwicklung geht dahin, zumindest bei Patienten mit akuter Promyelozyten-Leukämie und niedrigem Risiko (Leukozytenzahl unter 10.000/µl) ATRA und ATO kombiniert zu geben.
Molekulargenetische Untersuchungen
Inzwischen ist das Genarrangement bei zahlreichen Subtypen der AML bekannt. Die klinische Bedeutung dieser Befunde liegt darin, dass beim Nachweis einer MRD mithilfe der PCR-Technik patientenangepasst die Therapie je nach Ergebnis intensiviert oder gegebenenfalls beendet werden könnte.
Akute Promyelozytenleukämie
Kinder mit dieser Erkrankung haben gute Heilungschancen, wenn sie eine Remission erreichen. Das höchste Risiko für diese Patienten besteht in den ersten Tagen ab Diagnose durch schwere Blutungskomplikationen mit Zeichen einer disseminierten intravasalen Gerinnung oder durch Septitiden. Die frühzeitige Therapie mit ATRA reduziert diese Komplikation deutlich.
Heute werden Patienten mit APL mit den oben beschriebenen Differenzierungssubstanzen ATRA und ATO behandelt. Dadurch werden Zelldifferenzierung und -reifung anstelle von Zellzerstörung induziert [38, 39]. Die Kombination von ATRA und Arsentrioxid bei erwachsenen Patienten mit APL mit niedrigem und mittlerem Risiko hat eine hohe Wirksamkeit und eine verringerte hämatologische Toxizität gezeigt [40]. Klinische Studien laufen derzeit in Europa und Nordamerika, um diese Therapie bei Jugendlichen und Kindern mit APL zu untersuchen.
Bei allen AML-Patienten sind akutes Management und supportive Behandlung während aller Behandlungsphasen unverzichtbar, insbesondere jedoch während der ersten Tage und Wochen der intensiven Induktionstherapie.
Mit den jüngsten Verbesserungen der AML-Behandlungsergebnisse ist das Gleichgewicht zwischen Behandlungsintensität und Toxizität sowie deren Interaktion mit dem genetischen Hintergrund der Erkrankung wichtiger geworden als in der Vergangenheit. Darum sind Studien mit Risiko- und Genotyp-adaptierter Therapie notwendig.
Spätfolgen
Spätfolgen bei Langzeitüberlebenden von AML im Kindes- und Jugendalter können sich erheblich auf ihre Lebensqualität auswirken. Langfristige Folgen der Behandlung können gestörte intellektuelle und psycho-motorische Funktionen, neuroendokrine Störungen, gestörte Fortpflanzungsfähigkeit und Zweittumoren sein [41]. Die meisten dieser Spätfolgen, insbesondere Nebenwirkungen nach ZNS-Bestrahlung (neurokognitive Defizite, Wachstumshormon-Mangel und sekundäre ZNS-Tumoren), betreffen insbesondere jüngere Kinder. Anthrazyklin-Kardiotoxizität wird bei Patienten unter 18 Jahren auch bei niedrigeren kumulativen Dosen (< 300 mg/m²) beobachtet, bei Patienten über 18 Jahren jedoch eher bei Dosen über 550 mg/m² [42].
Das Risiko einer endokrinen Dysfunktion ist bei AML-Patienten, die nur mit Standardchemotherapie (ohne alkylierende Substanzen) behandelt werden, relativ niedrig, während das Risiko dafür nach Stammzelltransplantation erhöht ist [41]. Kinder, die vor oder während ihrer Wachstumsperiode behandelt werden, haben häufig ein vermindertes Körperwachstum nach Konditionierungsregimes mit Busulfan/Cyclophosphamid oder Cyclophosphamid/TBI. Gonadotoxizität tritt in allen Altersgruppen auf, hauptsächlich als Gonaden-Dysfunktion, die jedoch mit modernen konventionellen Therapien relativ niedrig ist [41]. Gonadotoxizität kann eine Störung der Pubertätsentwicklung, Unfruchtbarkeit, sexuelle Dysfunktion und die Notwendigkeit einer langanhaltenden Hormonsubstitution verursachen. Bei erwachsenen Frauen erhöhen hohe Dosen von alkylierenden Substanzen und TBI das Risiko einer Ovarialinsuffizienz, und die Wahrscheinlichkeit, die Funktion der Ovarien wiederherzustellen, nimmt um einen Faktor von 0,8 pro Jahr ab [43]. Die Zugabe von Busulfan zu Cyclophosphamid führt bei fast allen weiblichen Patienten zur permanenten Ovarialinsuffizienz. Bei männlichen Patienten wird sowohl durch die zytotoxische Chemotherapie als auch durch die TBI das Keimepithel des Hodens geschädigt. Für die Mehrheit der männlichen Patienten aller Altersgruppen ist eine dauerhafte Infertilität nach TBI-Konditionierung wahrscheinlich [43]. Es besteht die Möglichkeit, vor der Stammzelltransplantation Keimzellen oder gonadales Gewebe zu sammeln und zu lagern, um eine spätere Elternschaft zu ermöglichen [43].
Sekundäre Neoplasien wurden hauptsächlich bei ALL-Patienten mit einer kumulativen Inzidenz von ca. 2–3% im Alter von 15 Jahren beschrieben [41]. Daten zu Zweitmalignomen nach der Behandlung von AML sind selten. Die kumulative 10-Jahres-Inzidenz von sekundären Malignomen betrug 1,5% (SE 0,3%, AML-BFM-Patienten diagnostiziert zwischen 1/1993 und 12/2010). Die meisten dieser Patienten hatten nur eine Chemotherapie erhalten. Nach der Stammzelltransplantation ist das Risiko für Zweitmalignome bei allen Erkrankungen höher (Standard-Inzidenzraten 6,7–11,6 in verschiedenen Studien) im Vergleich zu Patienten, die nur Chemotherapie erhielten [44, 45].
In allen Altersgruppen mit Leukämie und Lymphom wurden im Vergleich zu Geschwisterkontrollen mehr Depressionen und somatische Beschwerden berichtet [41].
Zusammenfassung
Die AML-Inzidenz nimmt mit steigendem Alter zu. Biologische Faktoren variieren je nach Alter, aber die Biologie der AML bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ähnelt der von Kindern ab dem Alter von zwei Jahren. Die Ergebnisse der Therapie haben sich in den letzten 30 Jahren für alle Altersgruppen verbessert. Ursachen dafür sind der Einsatz einer besseren und intensiveren Chemotherapie nicht nur bei „De-novo“-Patienten, sondern auch im Rezidiv, und eine verbesserte supportive Behandlung. Mit dem Einsatz von neuen zielgerichteten Substanzen und verbesserten Formulierungen bekannter Zytostatika werden weitere Verbesserungen der Prognose erwartet. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die AML-Therapie bei Kindern und Jugendlichen nur in Zentren mit genügender Erfahrung durchgeführt werden darf.
Summary
Acute myeloid leukemia (AML) in children and young adults
Acute myeloid leukemia (AML) in children and adolescents (< 18 years) is less common than acute lymphoblastic leukemia (ALL), accounting for 15–20% of all childhood leukemias. With a few exceptions, the biology of AML in children is similar to that in adults. Treatment outcomes in children with AML have improved significantly over the past 30 years. With intensive induction chemotherapy, about 90% of all children and adolescents achieve a complete remission (CR). The survival rates after five years today are 60–75%. Event-free survival is 50–60%. Induction chemotherapy is similar worldwide and at all ages, while there are many differences in post-remission therapy. In the following, the biological and clinical characteristics of AML in children and adolescents as well as the current therapy in Germany according to the AML BFM (Berlin-Frankfurt-Münster) studies are presented. Finally, late effects of treatment are discussed.
Keywords: Acute myeloid leukemia in children, prognostic groups, therapy, late effects