Akute lymphoblastische Leukämie bei Kindern und Jugendlichen
Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) bei Kindern und Jugendlichen ist die häufigste Krebserkrankung in dieser Altersgruppe. Sie hat einen Altersgipfel zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Durch intensive Polychemotherapie, in Abhängigkeit vom Ansprechen auf die Therapie, ist es durch eine Aufeinanderfolge von mehreren Therapiestudien gelungen, eine Heilungsrate der ALL von nahezu 85% zu erreichen. Die Therapiesteuerung der ALL erfolgt durch das Ansprechen auf die gegebene Chemotherapie, früher zunächst morphologisch, heute durch Bestimmung der minimalen residualen Erkrankung (MRD) in Blut und Knochenmark mit molekulargenetischen oder immunphänotypischen Methoden. Nach ALL-Therapie treten bei einem gewissen Prozentsatz der so behandelten Patienten Sekundärtumoren auf, häufiger bei den Patienten, bei denen eine Schädelbestrahlung im Rahmen der ZNS-gerichteten Therapie durchgeführt wurde. Somit gilt auch für die ALL, wie für alle onkologischen Erkrankungen: so viel Therapie wie nötig, aber so wenig wie möglich.
Schlüsselwörter: Akute lymphoblastische Leukämie, ALL, Kinder und Jugendliche, minimale Resterkrankung, MRD, Polychemotherapie, Spätfolgen der Therapie
1. Einleitung und Epidemiologie
Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) entsteht durch maligne Transformation einer heranreifenden Zelle des lymphatischen Systems. Die ALL ist mit 4,3 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner unter 15 Jahren, und mit einem Anteil an allen Krebserkrankungen von 25% in dieser Altersgruppe die häufigste Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen [1]. Die Inzidenz der ALL ist in Deutschland etwa sechsmal höher als die der akuten myeloischen Leukämie (AML; Abb. 1). Die ALL hat einen Häufigkeitsgipfel zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Jungen erkranken etwas häufiger als Mädchen.
Es überwiegen Leukämien der B-Zell-Reihe (über 80%) gegenüber solchen der T-Zell-Reihe. Die Erkrankung manifestiert sich in der Regel innerhalb weniger Wochen durch Blässe, Blutungsneigung und Fieber ohne erkennbare Ursache, bedingt durch die Verdrängung der normalen Blutbildung durch die leukämischen Blasten im Knochenmark. Ein häufiges Symptom bei Kleinkindern sind Bewegungsunlust und die Weigerung zu laufen als Ausdruck diffuser Knochenschmerzen. Durch Infiltration von Leber, Milz und Lymphknoten kann es zu entsprechenden Organvergrößerungen kommen. Bei etwa 5% der Patienten liegt ein primärer ZNS-Befall vor, der häufig asymptomatisch ist, jedoch auch mit neurologischen Ausfällen, wie Sehstörungen, Krampfanfällen oder Hirnnervenlähmungen, auffallen kann.
2. Ätiologie und Pathogenese
Spontane somatische Mutationen und präexistierende Keimbahn-Varianten sind die wahrscheinlichste Krankheitsursache bei den meisten Kindern und Jugendlichen mit ALL (s. Abb. 2). In verschiedenen Genen wurden Allel-Varianten identifiziert, die offenbar für die ALL-Suszeptibilität kritisch sind. Einige dieser Gen-Varianten haben auch prognostische Bedeutung.
Die Inzidenz der akuten Leukämien ist deutlich erhöht bei Kindern mit konstitutionellen chromosomalen Aberrationen: Kinder mit Trisomie 21 haben ein etwa 20-fach erhöhtes Risiko, an einer akuten Leukämie zu erkranken, wobei bei Kindern mit einem Down-Syndrom ALL und AML etwa gleich häufig auftreten. Auch andere genetische Syndrome wie die Fanconi-Anämie oder die Neurofibromatose vom Typ 1 (NF1) sowie das Bloom-Syndrom gehen mit einer deutlich erhöhten Leukämie-Inzidenz einher.
2.1 Umweltfaktoren
Bislang ist nicht bekannt, welche exogenen Faktoren (Strahlung, Infektionen, Chemikalien, Ernährung) besonders zur Entstehung der Leukämie beitragen. Die mutagene Wirkung einer exogenen Bestrahlung, wie der prophylaktischen Schädelbestrahlung als erforderliche ZNS-gerichtete Leukämie-Therapie, ist Ursache von vermehrt auftretenden Tumoren im Bestrahlungsgebiet.
2.2 Infektionen
Verschiedene infektiologische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass eine Exposition gegenüber infektiösen Erregern die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Leukämie beeinflussen kann. Das zeitlich versetzte Auftreten von ETV6-RUNX1-positiven Leukämien bei eineiigen Zwillingen lässt aber vermuten, dass weitere auslösende Faktoren wie Infektionen oder die inadäquate Reaktion des Immunsystems eine wichtige Schrittmacherfunktion bei der Leukämogenese haben [2].
3. Diagnose
Die Diagnostik beruht auf der zytomorphologischen, immunphänotypischen und zytogenetischen sowie molekulargenetischen Charakterisierung der leukämischen Blasten-Population im Knochenmark (Abb. 3, Tab. 1–3). Zytomorphologisch findet sich in der Regel eine homogene Population kleiner runder ungranulierter Zellen mit schmalem Zytoplasma-Saum und weitgehend homogener Chromatinstruktur (Abb. 4). Die Blastenpopulation kann jedoch auch morphologisch heterogen sein, mit variabler Kern-Plasma-Relation und unregelmäßiger Kernchromatin-Struktur. Zytochemisch ist die Färbung mit PAS (Periodic acid Schiff) meist positiv, während die Reaktionen mit Myeloperoxidase und unspezifischer Esterase negativ ausfallen. Eine paranukleäre fleckförmige Anfärbung mit saurer Phosphatase ist typisch für einige Formen der T-ALL.





Die Anfärbung der Blasten mit Fluoreszenz-markierten monoklonalen Antikörpern gegen Oberflächen- und zytoplasmatische Antigene und die anschließende durchflusszytometrische Analyse erlauben eine Zuordnung der Leukämie zu verschiedenen Ausreifungsstufen der B- oder T-Zell-Reihe. In Ergänzung der Zytomorphologie und Zytochemie ermöglicht diese Methode auch die sichere Abgrenzung gegenüber einer akuten myeloischen Leukämie (AML). Die sogenannte „common ALL“, der häufigste Subtyp im Kindesalter, ist durch Koexpression der B-Zellmarker CD10 und CD19 gekennzeichnet.
Die zytogenetische und molekulargenetische Charakterisierung der Leukämie hat wesentliche Bedeutung für die individuelle Risikostratifizierung und die Auswahl der entsprechenden Therapiestrategie gewonnen. ALL-Blasten weisen häufig Aberrationen der Zahl der Chromosomen (Ploidie) und ihrer Struktur auf. Eine Hypodiploidie mit < 45 Chromosomen ist mit einer ungünstigen Prognose assoziiert. Die häufigste chromosomale Translokation bei ALL, t(12;21), betrifft 20–25% der B-Vorläufer-ALL des Kindesalters und führt zu einem Rearrangement der Gene ETV6 und RUNX1 (früher als TEL und AML-1 bezeichnet). Diese genetische Veränderung ist prognostisch günstig. Leukämien des Säuglingsalters weisen häufig ein MLL-Gen-Rearrangement auf und haben ein hohes Rezidivrisiko. ETV6-RUNX1- und MLL-Rearrangements wurden in Blutproben gesunder Neugeborener und bei gesunden eineiigen Zwillingsgeschwistern von an ALL erkrankten Kindern nachgewiesen und stellen aktuellen Hypothesen zufolge einen ersten Schritt im Rahmen der Leukämogenese dar [3]. Akute lymphoblastische Leukämien mit einer Philadelphia-Translokation t(9;22) sind im Kindesalter mit 2–4% wesentlich seltener als bei Erwachsenen.
Im Rahmen der initialen Diagnose einer ALL werden die für jeden Patienten Klon-spezifischen Marker (Immunglobulinketten- und T-Zell-Rezeptor-Rearrangements) als Grundlage für die nachfolgende molekulare Verlaufsdiagnostik zur Detektion und Quantifizierung einer minimalen Resterkrankung („Minimal Residual Disease“, MRD) ermittelt. Die Entnahme einer ausreichenden Menge Knochenmark für alle genannten Untersuchungen vor Therapiebeginn ist entscheidend für die nachfolgende Therapiesteuerung.
Neben dem Nachweis der ALL im Knochenmark muss eine extramedulläre Ausbreitung in ZNS und/oder Hoden bewiesen oder ausgeschlossen werden. Ein ZNS-Befall wird über den Nachweis leukämischer Blasten im Liquor ermittelt. Bei klinischem Nachweis einer schmerzlosen derben Hodenvergrößerung sollte eine Biopsie erfolgen.
4. Prinzipien der Therapie
Die Entwicklung einer kurativen Therapie für pädiatrische Patienten mit ALL ist ein Paradigma für effektive klinische Forschung geworden. Erste anti-leukämisch wirksame Zytostatika wurden in den 1950er-Jahren entwickelt. Anhaltende Remissionen und Heilungserfolge wurden aber erst erreicht, als mehrere dieser Medikamente in intensiven Therapieschemata kombiniert wurden [10]. In systematischen, prospektiven randomisierten Therapiestudien wurden verschiedene Sequenzen und Kombinationen anti-leukämisch wirksamer Medikamente schrittweise evaluiert, was zu einem kontinuierlichen Anstieg der ereignisfreien Überlebensraten auf heute 80–90% geführt hat [11]. In den 1980er-Jahren wurde das Konzept einer individualisierten Therapie auf der Basis einer Risikostratifizierung eingeführt. Das Ziel dabei war, durch Therapieintensivierung die Überlebensraten von Patienten in Hochrisiko-Subgruppen der ALL zu erhöhen und gleichzeitig eine Überbehandlung von Patienten mit einem geringeren Rezidivrisiko zu vermeiden.
Die heutige Therapie der ALL im Kindes- und Jugendalter erfolgt risikoadaptiert. Sie beruht auf einer intensiven Induktionstherapie, gefolgt von einer Konsolidierung mit intensivierter Therapie, die auch gegen extramedulläre Kompartimente (ZNS, Hoden) gerichtet ist, sowie von einer Re-Induktion mit einer der anfänglichen Induktionstherapie ähnlichen Therapie und einer anschließenden medikamentösen Remissions–Erhaltungstherapie (Dauertherapie) bis zu einer Gesamttherapiedauer von 24 Monaten (Abb. 5). Eine allogene Stammzelltransplantation ist besonderen Risikosituationen in erster oder zweiter Remission vorbehalten. Maßgeblich für die Intensität der Therapie ist neben den prätherapeutischen genetischen Merkmalen der Leukämie das Verhalten der Leukämiezellen unter der applizierten Therapie. Insbesondere ein unzureichendes Frühansprechen hat einen hohen Vorhersagewert für ein Rezidiv. Die individuelle Risikostratifizierung nach Erreichen einer morphologischen Remission im Knochenmark beruht wesentlich auf der molekularen oder immunphänotypischen Quantifizierung einer submikroskopischen minimalen Resterkrankung (Abb. 6; [11]).
Die Intensität der Behandlung geht mit erheblichen Toxizitäten, ausgeprägter und anhaltender Abwehrschwäche und insbesondere infektionsassoziierten Risiken einher und erzwingt die Durchführung in spezialisierten pädiatrisch-onkologischen Behandlungszentren. In Deutschland werden alle pädiatrischen Patienten mit ALL in Therapiestudien oder intermittierenden Registern der BFM- (Berlin-Frankfurt-Münster; www.uni-kiel.de/all-studie) oder der CoALL-Studiengruppe (http://www.uke.de/kliniken/haematologie/index_39002.php) behandelt. Durch zentrale Referenzbeurteilung aller Aspekte der Diagnostik und der Therapie wird eine hohe und einheitliche Datenqualität gesichert und die Steuerung über die Quantifizierung minimaler Resterkrankung ermöglicht. Die Studiengruppen haben sich darüber hinaus zu Kompetenzzentren mit Beratungsfunktion für die behandelnden Zentren entwickelt. Die Überlebensanalysen erfolgen in enger Zusammenarbeit mit dem Kinderkrebsregister in Mainz.
4.1 Remissionsinduktion
Zentraler Bestandteil der Remissionsinduktion ist ein Glukokortikoid (Prednison oder Dexamethason). In den BFM-Studien hat sich die Sensitivität der Leukämie auf eine siebentägige Prednison-Vorphase als aussagekräftiger früher Marker für das Ansprechen herausgestellt [12]. Daher erhalten initial alle Patienten zunächst eine Monotherapie mit Prednison. Nach zentraler morphologischer Beurteilung der Blastenreduktion im peripheren Blut an Tag 8 wird die Induktionstherapie durch Vincristin, Asparaginase und ein Anthrazyklin ergänzt. Das Ziel einer Remission nach vier bis sechs Wochen wird in 98% der Fälle erreicht. Eine Intensivierung mit weiteren Zytostatika, wie Cytarabin, Mercaptopurin und Cyclophosphamid, schließt sich unmittelbar an.
4.2. Konsolidierung und Reinduktion
Eine konsolidierende Chemotherapie hat sich als sehr bedeutsam für die Erhaltung der Remission erwiesen. Ziel ist hier die Eliminierung residueller, submikroskopischer Blasten. In aktuellen Therapieprotokollen enthält die Konsolidierung hochdosiertes Methotrexat mit Folsäure-Rescue und 6-Mercaptopurin. Bei Hochrisiko-Patienten erfolgt eine Therapieintensivierung durch blockweise Kombinationen mehrerer Zytostatika und Ergänzung z. B. durch hochdosiertes Ara-C. Für alle Patienten schließt sich eine Reinduktion aus Komponenten der Induktion und der frühen Intensivierungsbehandlung, z. B. in Form des Protokolls II der BFM-Therapie, an. Insgesamt ist die intensive Therapiephase nach sechs bis neun Monaten abgeschlossen.
4.3. Präventive Therapie des zentralen Nervensystems
Bei allen Patienten mit ALL muss das zentrale Nervensystem (ZNS) in die Therapie einbezogen werden, da sonst auch ohne mikroskopischen Liquor-Befall in 50–75% der Fälle ZNS-Rezidive auftreten. Eine Schädelbestrahlung mit 12 Gy hat sich als sehr effektiv für die Vermeidung von ZNS-Rezidiven erwiesen, trägt jedoch durch die Induktion zerebraler Zweitmalignome und neurokognitive Schäden erheblich zur Spättoxizität der Therapie bei. Bei der Mehrzahl der behandelten Kinder und Jugendlichen konnte die Schädelbestrahlung durch intrathekale Chemotherapie mit neun bis zwölf Gaben von Methotrexat und die systemische Gabe von hochdosiertem Methotrexat ersetzt werden. Kinder mit nachweisbarer ZNS-Beteiligung bei Erstdiagnose ihrer Leukämie erhalten weiterhin nach Abschluss der intensiven Therapiephase eine Schädelbestrahlung mit 18–24 Gy, allerdings wird bei sehr kleinen Kindern (< 2 Jahre) die Dosis altersabhängig reduziert, um das Risiko von Spätfolgen zu senken. Das Auftreten von ZNS-Rezidiven konnte mit diesem Vorgehen auf unter 3% gesenkt werden.
4.4. Remissions-Erhaltungstherapie (Dauertherapie)
Im Anschluss an die intensive Polychemotherapie folgt eine ambulante medikamentöse Remissions-Erhaltungstherapie (Dauertherapie) mit täglichen oralen Gaben von 6-Mercaptopurin und einmal wöchentlich oralem Methotrexat bis zu einer Gesamt-Therapiedauer von 24 Monaten. Die individuelle Dosierung wird nach der peripheren Leukozytenzahl gesteuert, sodass die Patienten weiterhin wöchentlich zu Blutbildkontrollen an ihrem Behandlungszentrum vorgestellt werden. Die hohe Bedeutung der Erhaltungstherapie für den Behandlungserfolg wurde deutlich, als sich der Versuch einer Verkürzung der Gesamttherapiedauer von 24 auf 18 Monaten als prognostisch nachteilig erwiesen hat [13].
4.5. Allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT)
Die Indikation für eine allogene Stammzelltransplantation bei Kindern und Jugendlichen mit ALL in erster Remission beschränkt sich auf wenige Patienten mit Hochrisiko-Subtypen der ALL und/oder ungenügendem Ansprechen auf die intensive Therapie, z. B. Non-Response an Tag 33 oder eine hohe MRD-Last im weiteren Verlauf.
Für Säuglinge der höchsten Risikogruppe mit schlechtem Ansprechen auf die durchgeführte Therapie wird ebenfalls eine allogene Stammzelltransplantation in erster Remission empfohlen.
Bei Patienten mit der seltenen Sonderform einer Philadelphia-Chromosom-positiven ALL konnte durch Einführung des Tyrosinkinase-Inhibitors Imatinib das rezidivfreie Überleben deutlich erhöht werden, und der Stellenwert der allogenen Stammzelltransplantation bei dieser Form der ALL wird ebenso wie bei Erwachsenen mit dieser Erkrankung aktuell neu diskutiert
Bei einigen Patienten mit Rezidiv einer akuten lymphoblastischen Leukämie (s. 4.6.) kann eine Transplantation nach Erreichen einer zweiten Remission wesentlich zur Remissionserhaltung beitragen; aber auch im Rezidiv ist eine Maximierung der Therapieintensität mittels Transplantation nicht bei jedem Patienten erforderlich.
Eine wirksame Konditionierungstherapie vor HSCT ist bei der ALL die Ganzkörperbestrahlung mit 12 Gy in Kombination mit hochdosiertem Etoposid oder Cyclophosphamid. Allerdings ist insbesondere die Ganzkörperbestrahlung im Kindesalter mit einer hohen Rate schwerer Spätfolgen assoziiert. Entscheidend für den Erfolg der Transplantation ist die Verfügbarkeit eines geeigneten, möglichst HLA-identen oder –kompatiblen Familien- oder Fremdspenders. Im deutschsprachigen Raum erfolgt die Transplantation von Kindern und Jugendlichen mit ALL innerhalb eines zentralen Registers (ALL-SZT BFM). Neben der Vereinheitlichung des Vorgehens, die erheblich zu einer Verringerung der Komplikationsrate beigetragen hat [14], sind zukünftig randomisierte Vergleichsstudien verschiedener Konditionierungsschemata und Transplantationsverfahren geplant.
4.6. Rezidivtherapie
Rückfälle der Erkrankung sind bei etwa 50% der Kinder und Jugendlichen heilbar. Die Prognose nach einem Rückfall ist abhängig vom Zeitpunkt, dem ALL-Subtyp und dem Manifestationsort in ZNS, Hoden und/oder Knochenmark [15]. Während ein T-Zell-Phänotyp im Rezidiv ein ungünstiger prognostischer Faktor ist, hat insbesondere das späte isolierte extramedulläre Rezidiv in ZNS oder Hoden eine günstige Prognose. Auch im Rezidiv ist der MRD-Verlauf maßgeblich für die Risikoeinschätzung und Therapiestratifizierung sowie für die Indikationsstellung zur Stammzelltransplantation in zweiter Remission. Patienten mit ALL-Rezidiv werden zunächst erneut mit einer intensiven Induktionschemotherapie behandelt. Hochrisikopatienten erhalten anschließend eine allogene Stammzelltransplantation, während bei Patienten mit günstigerem Risikoprofil die Chemotherapie fortgeführt wird. ALL-Rezidive werden innerhalb prospektiver Therapiestudien der ALL-REZ-BFM Studie behandelt bzw. im Intervall in einem entsprechenden Register erfasst (http://paedonko.charite.de/forschung/all_und_all_rezidiv/all_rez_bfm_studie).
5. Therapietoxizität und Spätfolgen
Die Intensität der Kombinationschemotherapie beinhaltet ein erhebliches Morbiditäts- und Letalitätsrisiko, insbesondere durch die wiederholten Phasen ausgeprägter Granulozytopenien und der langanhaltenden Abwehrschwäche. Strikte Richtlinien supportiver Überwachung und Therapie müssen eingehalten werden, um therapieassoziierte Todesfälle zu vermeiden [16].
Aufgrund der hohen Chancen des langfristigen krankheitsfreien Überlebens treten mögliche Spätfolgen der Therapie zunehmend in den Vordergrund. Gefürchtet sind insbesondere Zweitmalignome nach Chemotherapie bzw. Schädelbestrahlung (Abb. 7). Die hochdosierte Steroidtherapie im Pubertätsalter begünstigt das Auftreten aseptischer Knochennekrosen bis hin zur Zerstörung mehrerer Gelenke und erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität. Anthrazykline können bei hohen kumulativen Gesamtdosen Kardiomyopathien induzieren. Die Ganzkörperbestrahlung im Rahmen der allogenen Stammzelltransplantation führt zu Infertilität und endokrinologischen Defiziten. Weitere gravierende Risiken der Transplantation sind ausgedehnte chronische Spender-gegen-Wirt-(Graft-versus-Host)-Reaktionen, die Haut, Schleimhäute, Darm, Leber und Lunge betreffen und sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung erheblich einschränken können. Kinder, die eine ALL überlebt haben, benötigen lebenslang Nachsorgeuntersuchungen für eine frühzeitige Erkennung behandelbarer Spätfolgen. Mit zunehmendem Alter der Patienten erfordert die Nachsorge eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen pädiatrischen und internistischen Hämatologen/Onkologen (Transition).
6. Ausblick
Wesentliche Ziele aktueller Entwicklungen sind die Verringerung der gravierenden Akuttoxizitäten und insbesondere der Spätfolgen der intensiven Chemotherapie und der allogenen Stammzelltransplantation. Bei der Weiterentwicklung von Therapiestrategien bei der ALL des Kindes- und Jugendalters gilt auch zu bedenken, dass optimale Therapien nur einem sehr geringen Anteil der Weltbevölkerung zur Verfügung stehen. Aufgrund der hohen Akuttoxizität mit dem Risiko schwerer, auch fataler infektionsbedingter Komplikationen sind effektive Therapien selbst bei Verfügbarkeit der erforderlichen Medikamente in vielen Ländern bis heute nicht durchführbar. Wie beispielhaft bereits gezeigt werden konnte [17], birgt die Entwicklung vereinfachter Therapieverfahren unter Berücksichtigung der lokalen Infrastruktur und mit entsprechender Schulung des Personals ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Heilungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Leukämien unter ökonomisch limitierten Bedingungen.
Für bisher unheilbare Hochrisiko-Leukämien werden neue Therapiemodalitäten benötigt. Mit dem Ziel, die Qualität der Remission zu verbessern und damit die Wirksamkeit einer nachfolgenden Transplantation zu erhöhen, befinden sich einige neuere Zytostatika in der klinischen Prüfung, darunter Clofarabin und Nelarabin. Insgesamt ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass sich durch weitere Intensivierung der Chemotherapie eine entscheidende weitere Verbesserung der Prognose erreichen lassen wird. Stattdessen werden neue Therapieprinzipien mit unterschiedlichem Toxizitätsprofil und Wirkmechanismus benötigt.
Einen möglichen Angriffspunkt bei B-lymphoblastischen Leukämien stellen Marker der B-Zellentwicklung dar, wie CD19 und CD22. Eine erfolgreiche Eliminierung von Zellen, die diese Merkmale auf ihrer Oberfläche exprimieren, schließt zwar auch gesunde heranreifende B-Zellen ein, ein vorübergehender B-Zell-Defekt kann jedoch durch intravenöse Immunglobulin-Gaben überbrückt werden. Verschiedene Antikörperkonstrukte gegen B-Zell-Marker befinden sich in der frühen klinischen Entwicklung. Insbesondere der bispezifische Antikörper Blinatumomab und eine adoptive Therapie mit genetisch modifizierten CD19-spezifischen T-Zellen (CAR-T-Zellen) haben in frühen klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt [18, 19]. Problematisch bleibt dabei die Entstehung von Rezidiven aus CD19-negativen leukämischen Subklonen. Auch sind diese Therapieverfahren nicht auf T-Zell-Leukämien übertragbar, da selbst eine vorübergehende Eliminierung gesunder T-Zellen mit erheblichen Infektionsrisiken einhergehen würde. Innovative Therapieansätze werden benötigt, um das Überleben pädiatrischer Patienten mit ALL über die bereits erreichten Erfolge hinaus zu verbessern und therapiebedingte Spätfolgen so gering wie nötig zu halten.
Summary
Acute lymphoblastic leukemia in children and young adults
Acute lymphoblastic leukemia (ALL) is the most common malignancy in children and young adults. The age zenith of its occurrence is between 2 and 5 years. Several successive therapy optimization studies have helped to implement intensive polychemotherapy regimens which, depending on the response to therapy, can achieve a cure rate of almost 85%. ALL therapy is guided by the response to therapy as reflected in the past by morphological criteria and nowadays by molecular genetic or immunophenotypic investigations of minimal residual disease (MRD) in blood and bone marrow. In a certain percentage of patients treated, secondary tumors can occur following ALL therapy, with the incidence being higher in those subject to radiation of the skull. ALL shares with all other oncology conditions the paradigm: “As much therapy as necessary, but as little as possible”.
Keywords: Acute lymphoblastic leukemia, ALL, children and young adults, minimal residual disease, MRD, polychemotherapy, late effects after ALL therapy.