AML: Neue Therapieoptionen und die Rolle der minimalen Resterkrankung
ASH 2017, Atlanta
Die Forschung zur akuten myeloischen Leukämie (AML) stellt zurzeit eines der spannendsten Gebiete der Hämatologie dar. Die molekulargenetischen Analysen der vergangenen Jahre haben immer tiefere Einblicke in die genetische Heterogenität dieser Erkrankung gebracht und vor allem zahlreiche Mutationen identifiziert, die einerseits pathogenetisch relevant sind und sich andererseits als Angriffspunkte für innovative Therapien eignen. Darüber hinaus kristallisiert sich zunehmend deutlicher heraus, dass der Nachweis der minimalen Resterkrankung mit hochsensitiven Methoden auch bei der AML immer wichtiger für die Prognose und künftig wohl auch für die Therapiesteuerung wird. Bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2017 in Atlanta wurde zu diesen Themen eine Fülle neuer Daten präsentiert, von denen hier nur eine kleine Auswahl referiert werden kann.
FLT3-mutierte AML: Nutzen einer Midostaurin-Erhaltungstherapie?
In der Phase-III-Studie RATIFY hatte die Behandlung mit dem niedermolekularen FLT3-Inibitor Midostaurin zusätzlich zur Induktions- und Konsolidierungstherapie sowie als einjährige Erhaltungstherapie bei Patienten mit neu diagnostizierter akuter myeloischer Leukämie (AML) und Mutationen im Gen für den FLT3-Rezeptor signifikant progressionsfreies und Gesamtüberleben gegenüber Placebo verlängert [1]. Nur die Patienten, die nach der Induktionstherapie in kompletter Remission waren, hatten die Erhaltungstherapie mit Midostaurin bekommen; in einer separaten Analyse, die Richard Larson, Chicago, in Atlanta präsentierte, wurde die Rolle der Erhaltung beleuchtet [2].
Dazu wurden zwei Landmark-Analysen zum krankheitsfreien Überleben durchgeführt: einmal ab dem Beginn und einmal ab dem Ende der Erhaltungstherapie. In der ersten Analyse mit insgesamt 174 Patienten war ein leichter numerischer, aber nicht signifikanter Vorteil zugunsten des Midostaurin-Arms zu sehen (Hazard Ratio 0,83; p = 0,49). Während der Erhaltungstherapie traten im Midostaurin-Arm 31 Ereignisse auf (30 Rezidive, ein Todesfall), im Placeboarm 22 (alles Rezidive). In der zweiten Analyse zum krankheitsfreien Überleben ab dem Ende der Erhaltungstherapie war ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Armen zu erkennen (HR 1,4; p = 0,38; im Midostaurin-Arm 16 Rezidive, im Plazeboarm sieben Rezidive und zwei Todesfälle). Auch beim Gesamtüberleben ab dem Beginn der Erhaltungstherapie gab es keinen signifikanten Unterschied (HR 0,96 zugunsten von Midostaurin; p = 0,86).
Anhand der Resultate dieser ungeplanten Post-hoc-Subgruppenanalysen lässt sich der Nutzen einer Erhaltungstherapie mit Midostaurin nicht bewerten. Dazu, so Larson, wäre eine Randomisierung speziell für die Erhaltungstherapie erforderlich.
NPM1/FLT3-ITD-Genotyp bestimmt Prognose
Die Prognose von AML-Patienten mit FLT3-ITD-Mutationen ist schlecht, hängt aber auch vom Verhältnis zwischen mutierten und Wildtyp-Allelen ab und ist außerdem im Kontext anderer Mutationen – wie solcher des NPM1-Gens – zu sehen, die sich prognostisch eher günstig auswirken. Das schlägt sich in den aktuellen Empfehlungen des European LeukemiaNet nieder, wo je nach Vorliegen einer NPM1-Mutation bzw. einer hohen (≥ 0,5) oder niedrigen FLT3-ITD- versus -Wildtyp-Allel-Ratio (< 0,5) vier Subgruppen unterschieden werden [3]. In der RATIFY-Studie ergaben sich für 428 Patienten, bei denen diese Merkmale auswertbar waren, nach median etwa fünf Jahren Nachbeobachtung Hinweise auf eine prognostische Rolle insbesondere des FLT3-ITD- zu -Wildtyp-Allel-Verhältnisses, so Konstanze Döhner, Ulm [4]: Auch wenn die Studie nicht gepowert war, um in den relativ kleinen Subgruppen einen Nutzen von Midostaurin nachzuweisen, ergab sich ein positiver Effekt des Kinase-Inhibitors vor allem bei den Patienten mit NPM1-Wildtyp und einer hohen FLT3-ITD- zu -Wildtyp-Allel-Ratio – sowohl beim Gesamtüberleben (median 26 vs. 14 Monate; p = 0,025) als auch beim ereignisfreien Überleben (Median 8 vs. 3 Monate; p = 0,016).
In einer multivariaten Analyse erwiesen sich drei Variable als unabhängige signifikante Prognosefaktoren sowohl für Gesamt- als auch ereignisfreies Überleben, so Frau Döhner: der NPM1/FLT3-ITD-Genotyp (Gesamtüberleben p < 0,0001 bzw. ereignisfreies Überleben p = 0,002), Therapiearm Midostaurin versus Plazebo (p = 0,011 bzw. p = 0,003) und Leukozytenzahlen (p = 0,015 bzw. p < 0,0001). Hingegen wirkte sich eine allogene Stammzelltransplantation nur beim Gesamt- (p < 0,0001) und das Geschlecht nur beim ereignisfreien Überleben aus (p = 0,017).
Gilteritinib verbessert 7 + 3 vor allem bei FLT3-mutierten Patienten
Gilteritinib ist ein potenter neuer Inhibitor, der selektiver als Midostaurin ist und lediglich die FLT3- sowie die ASXL1-Tyrosinkinase hemmt. Bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML mit aktivierenden ITD- oder TKD-Mutationen von FLT3 hatte Gilteritinib als Monotherapie in Dosen von 80 mg/d oder mehr Ansprechraten von 52% und mediane Überlebenszeiten von 31 Wochen zur Folge gehabt [5]. In einer US-amerikanischen Phase-I-Studie wurden nun Sicherheit und Wirksamkeit des Inhibitors in Kombination mit einer intensiven Erstlinien-Chemotherapie (7 + 3 mit Cytarabin/Idarubicin) bei Patienten mit neu diagnostizierter AML untersucht [6].
Wie Keith Pratz, Baltimore, berichtete, kam es während der Dosiseskalations-Phase lediglich bei einer Dosierung von 40 mg/d in den ersten zwei Wochen zu zwei dosislimitierenden Toxizitäten (Neutropenie, Thrombozytopenie, verminderte Auswurffraktion). Nach Modifikation des Dosierungsschemas (nicht von Tag 1–14, sondern von Tag 4–17 eines Induktionszyklus) konnte Gilteritinib auf bis zu 120 mg/d erhöht werden, die auch als Dosierung für eine Expansionskohorte gewählt wurden. Auch während der bis zu drei Zyklen einer hochdosierten Cytarabin-Konsolidierung wurde der Inhibitor 14 Tage lang gegeben, anschließend erhielten die Patienten ihn täglich für bis zu zwei Jahre.

Damit kamen nach Ende der Konsolidierung 71,4% der insgesamt 49 auswertbaren Patienten in eine Remission, die bei 57,1% komplett war (Tab. 1). Aus der Tabelle ist auch zu ersehen, dass Patienten mit FLT3-Mutationen (47,9%, davon wiederum etwa zwei Drittel mit ITD-Mutation) deutlich besser abschnitten als jene mit Wildtyp. Beim Gesamtüberleben sind noch keine Aussagen möglich, aber die ereignisfreie Überlebensdauer war bei den Patienten mit FLT3-Mutation gegenüber denen mit Wildtyp vervierfacht (median 327 vs. 80 Tage). Da Gilteritinib zusätzlich zur intensiven Induktions-Chemotherapie gut verträglich war, so Pratz, wird derzeit in einer weiteren Eskalations-Kohorte noch eine Dosierung von 200 mg/d untersucht.

IDH-mutierte AML: IDH1-Inhibitor in Phase I wirksam
Mutationen in den Genen für die Isocitrat-Dehydrogenase 1 und 2 (IDH1/2) sind bei AML seltener als FLT3-Mutationen – sie treten bei 6–10% (IDH1) bzw. 9–13% (IDH2) aller Patienten auf. Die mutierten Proteine sind für die vermehrte Produktion des Onkometaboliten 2-Hydroxyglutarat verantwortlich, der epigenetische Veränderungen wie eine Hypermethylierung von DNA und Histonen verursacht und die Differenzierung der betroffenen Zellen blockiert. Seit einigen Jahren werden daher mehrere IDH-Inhibitoren entwickelt und in der Klinik getestet, darunter Ivosidenib (AG-120), das IDH1 hemmt und in einer Phase-I-Studie bei Patienten mit fortgeschrittenen hämatologischen Erkrankungen und mutiertem IDH1 getestet wurde [7].
In der Dosiseskalations-Phase wurde keine maximale tolerierte Dosis erreicht, und 500 mg/d wurden als Dosierung für die weitere Testung in vier Expansionskohorten bestimmt, darunter 144 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML, 25 mit neu diagnostizierter AML, die nicht für eine Standardtherapie infrage kamen sowie elf Patienten mit anderen hämatologischen Erkrankungen einschließlich myelodysplastischer Syndrome (MDS). Primärer Endpunkt, so Courtney DiNardo, Houston, war der Anteil von Patienten mit kompletter Remission (CR) nach den IWG-Kriterien von 2013 ([8]; < 5% Knochenmark-Blasten, > 1.000 Neutrophile/µl, > 100.000 Thrombozyten/µl) oder einer CR mit nur partieller hämatologischer Erholung (CRh: > 500 Neutrophile/µl, > 50.000 Thrombozyten/µl).
Ivosidenib war gut verträglich mit Nebenwirkungen größtenteils vom Grad 1 oder 2. Bei den Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML lag die Gesamtansprechrate bei 41,6%, mit einer Rate für CR und CRh von 30,4%. Die mediane Dauer der Komplettremissionen betrug 8,2 Monate, außerdem wurde bei den guten Respondern häufig eine Unabhängigkeit von Transfusionen sowie eine Reduktion von febrilen Neutropenien und Infektionen erreicht. Bei den Patienten mit neu diagnostizierter AML lag die Gesamtansprechrate bei 55,9% (mediane Dauer 9,2 Monate) und die Komplettremissionsrate bei 20,6% (mediane Dauer nicht erreicht).
In weiteren derzeit laufenden Studien wird Ivosidenib vor allem in Kombination mit anderen Therapien getestet, etwa in der globalen Phase-III-Studie AGILE, in der Patienten mit neu diagnostizierter AML, die keine intensive Chemotherapie bekommen können, mit Azacitidin und dazu randomisiert entweder mit Ivosidenib oder Plazebo behandelt werden.
IDH1-Inhibitoren mit intensiver Chemotherapie
In eine weitere Phase-I-Studie, die Eytan Stein, New York, vorstellte, wurden neu diagnostizierte AML-Patienten mit Mutationen von entweder IDH1 oder IDH2 eingeschlossen [9]. Ein Drittel der Patienten mit mutiertem IDH1 und die Hälfte derer mit Mutationen von IDH2 litten an einer sekundären AML und hatten zuvor bereits eine hypomethylierende Substanz erhalten. In der vorliegenden Studie bekamen sie eine intensive Standard-Induktionstherapie mit Idarubicin oder Daunorubicin und Cytarabin sowie bis zu vier Konsolidierungszyklen mit hochdosiertem Cytarabin; zusätzlich wurde bei Vorliegen einer IDH1-Mutation Ivosidenib (500 mg/d), bei Vorliegen einer IDH2-Mutation der IDH2-Inhibitor Enasidenib (AG-221, 100 mg/d) gegeben.
Insgesamt waren die Kombinationen aus Chemotherapie und IDH-Inhibitoren gut verträglich. Als einzige dosislimitierende Toxizität wurde bei einem Patienten, der Daunorubicin und Enasidenib erhalten hatte, eine persistierende Thrombozytopenie vom Grad 4 ohne Leukämie an Tag 42 beobachtet. Die häufigste Nebenwirkung vom Grad ≥ 3 war bei beiden Substanzen eine febrile Neutropenie (Ivosidenib 56%, Enasidenib 63%), ansonsten traten v. a. Leberwert-Erhöhungen und Kolitiden auf. Bei den mit Enasidenib behandelten Patienten mit sekundärer AML war eine verzögerte Erholung der Thrombozytenzahlen zu beobachten (median ca. 50 Tage) – Stein zufolge wohl Ausdruck der bei diesen Patienten reduzierten hämatopoetischen Reserve. Um die Proliferation von Thrombozyten möglicherweise zu begünstigen, werden alternative Dosierungsschemata für diesen Inhibitor bei Kombination mit Chemotherapie untersucht.
Der Anteil von Patienten mit kompletter Remission (mit oder ohne vollständige Erholung der Hämatopoese oder der Thrombozyten) lag unter Ivosidenib bei neu diagnostizierter AML bei 91%, bei sekundärer AML bei 44%; unter Enasidenib betrugen die entsprechenden Werte 67% bzw. 57%. Im Ivosidenib-Arm erhielten sechs, im Enasidenib-Arm acht Patienten eine allogene Stammzelltransplantation. Analysen der minimalen Resterkrankung sollen weitere Aufschlüsse über die Qualität dieser Remissionen geben, so Stein.
PD-1-Inhibitor mit Chemotherapie
Immuncheckpoint-Inhibitoren haben bei vielen soliden Tumoren eine rasante Entwicklung genommen, in der Hämatoonkologie verläuft die Einführung – abgesehen vom Hodgkin-Lymphom – verhaltener. In einer Phase-II-Studie kombinierten Kollegen am M. D. Anderson Cancer Center in Houston bei Patienten mit neu diagnostizierter AML den PD-1-Inhibitor Nivolumab mit einer Idarubicin-Cytarabin-Chemotherapie. Wie Farhad Ravandi, Houston, berichtete, sprachen von 35 Patienten 26 (76%) mit einer kompletten Remission an, davon fünf mit unvollständiger hämatologischer Erholung [10].
Interessant waren hier vor allem immunphänotypische Untersuchungen am Knochenmark, wo sich vor Therapiebeginn bei den späteren Respondern höhere Konzentrationen an CD3-positiven
T-Lymphozyten fanden als bei den Non-Respondern. Umgekehrt wiesen die Non-Responder signifikant mehr CD4-positive Effektorzellen mit Expression der Immuncheckpoint-Moleküle PD-1 und TIM3 sowie einen Trend zu mehr Zellen mit PD-1 und LAG3 auf. Offenbar, so Ravandi, entsprechen diese Zellen einem „erschöpften Phänotyp“, der möglicherweise reversibel ist.
Ein weiteres interessantes Ergebnis: Bei den neun Patienten, die sich einer allogenen Stammzelltransplantation unterzogen, war keine Tendenz zu vermehrten Graft-versus-Host-Reaktionen auszumachen – was man bei einer Immuntherapie ja zunächst nicht ganz ausschließen kann.
Azacitidin als Post-Remissions-Therapie bei älteren Patienten mit refraktärer Anämie?
Bei älteren Patienten mit AML, die sich noch einer intensiven Chemotherapie unterziehen können und damit in eine komplette Remission kommen, ist die Verhinderung eines Rezidivs das Hauptziel. Außer einer allogenen Stammzelltransplantation, die hier dann oft doch nicht mehr möglich ist, gibt es keine etablierten Post-Remissions-Strategien für diese Patienten. Die niederländisch-belgische HOVON-Studiengruppe testete in einer Phase-III-Studie die Gabe der hypomethylierenden Substanz Azacitidin bei über 60-jährigen Patienten mit AML oder einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) und refraktärer Anämie mit Blastenüberschuss (RAEB), die unter mindestens zwei Zyklen einer intensiven Chemotherapie eine komplette Remission mit oder ohne vollständige hämatologische Restitution erreicht hatten [11].
Von 117 Patienten, die auf Azacitidin (50 mg/m2 an den Tagen 1–5 eines 4-Wochen-Zyklus für maximal zwölf Zyklen) oder reine Beobachtung randomisiert wurden, erhielten 52 wenigstens einen Zyklus der hypomethylierenden Substanz. In der präfinalen Analyse, die Geert Huls, Groningen, vorstellte, waren die krankheitsfreien Überlebensraten nach zwölf Monaten (primärer Endpunkt) mit 63% versus 39% signifikant unterschiedlich (p = 0,005; Abb. 3). Beim Gesamtüberleben ist in der Gesamtkohorte bisher kein signifikanter Unterschied zu erkennen (p = 0,35), wohl aber nach Zensierung der Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten hatten (n = 9 im Kontroll- und n = 1 im Azacitidin-Arm: 83% vs. 64%; p = 0,04). In einer vorab geplanten Subgruppenanalyse wirkten sich Thrombozytenzahlen von mindestens 100 x 109/l signifikant positiv auf das Überleben mit Azacitidin aus (p = 0,01).

LDAC + Venetoclax bei älteren Patienten mit AML
Ältere Patienten mit neu diagnostizierter AML, die für keine intensive Chemotherapie mehr infrage kommen, erhalten häufig niedrig-dosiertes Cytarabin (LDAC) als Monotherapie, ohne dass man dadurch Überlebenszeiten von mehr als median etwa einem halben Jahr erreichen würde. In einer multizentrischen Phase-I-Studie hatte eine Kombination aus LDAC und dem Bcl2-Inhibitor Venetoclax zu Ansprechraten von über 60% geführt. Ergebnisse aus der Phase II, in die die Studie daraufhin überführt worden war, präsentierte in Atlanta Andrew Wei, Melbourne [12]: Von den 71 auswertbaren Patienten hatten zehn Venetoclax (nach einer einwöchigen Einschleich-Phase) in einer Dosierung von 800 mg/d erhalten, die übrigen 61 mit der eigentlichen Zieldosis von 600 mg/d. Von diesen letzteren erzielten 38 (62%) unter der Therapie eine komplette Remission mit oder ohne hämatologische Erholung, die im Median 14,9 Monate dauerte. Das mediane Gesamtüberleben für alle Patienten lag bei 11,4 Monaten und war damit etwa doppelt so lange wie in historischen Vergleichskollektiven unter einer LDAC-Monotherapie.

In einer explorativen Subgruppenanalyse wurden die Patienten insbesondere anhand der zytogenetischen und molekularbiologischen Marker ihrer AML ausgewertet (Tab. 3): Alle sieben Patienten mit NPM1-Mutationen (darunter drei mit gleichzeitiger FLT3-ITD-Mutation) erreichten eine Komplettremission, bei denen mit DNMT3A-, FLT3-ITD- und SRSF2-Mutation waren es mindestens drei Viertel, von den neun Patienten mit TP53-Mutationen hingegen nur vier (44%). Diese Ergebnisse bedürfen angesichts der relativ geringen Patientenzahlen der Überprüfung in weiteren Studien.
Die Patienten, die eine komplette Remission mit oder ohne vollständige hämatologische Wiederherstellung erzielten, überlebten median 18,4 Monate lang; die 1-Jahres-Überlebensrate lag bei denen in der 600-mg-Venetoclax-Kohorte bei 70,4%. Von 19 Patienten, die die Therapie mindestens zwölf Monate lang erhalten konnten, waren 17 zum Zeitpunkt der Auswertung noch am Leben; die längste therapie- und krankheitsfreie Überlebensdauer liegt derzeit bei einem Jahr. Diese vielversprechenden Ergebnisse in einem Kollektiv von älteren Patienten mit traditionell schlechter Prognose rechtfertigen die Überprüfung dieses Protokolls in einer globalen Phase-III-Studie mit der 600-mg-Dosierung von Venetoclax, so Wei, die zur Zulassung dieser Therapie führen soll [13].
APL: ATO-ATRA als Erstlinien-Standard und als Rezidivtherapie bestätigt
Die Kombination aus Arsentrioxid (ATO) und All-Trans-Retinsäure (ATRA) ist mittlerweile Standard in der Erstlinientherapie von Patienten mit neu diagnostizierter akuter Promyelozyten-Leukämie (APL) mit niedrigem oder intermediärem Risiko. Basis dafür ist die randomisierte, kontrollierte Phase-III-Studie APL0406, in der dieses Regime der Therapie mit ATRA plus Anthrazyklin-basierter Chemotherapie hinsichtlich des rezidivfreien und Gesamtüberlebens signifikant überlegen war [17, 18]. Daten aus klinischen Registern, die in Atlanta präsentiert wurden, bestätigen die Behandlungserfolge mit dem Chemotherapie-freien Protokoll. Mit der wachsenden klinischen Erfahrung kann zudem das Risiko für frühe Todesfälle bei der APL weiter minimiert werden. Außerdem stellt ATO-ATRA bei späten Rezidiven nach einer länger zurückliegenden Therapie mit ATRA und Chemotherapie eine wirksame Rezidivtherapie dar.
Das APL-Register NAPOLEON bestätigt die sehr gute antileukämische Wirksamkeit des Chemotherapie-freien Regimes im klinischen Alltag in Deutschland, so Uwe Platzbecker, Dresden [19], der in Atlanta eine Analyse der Daten von 76 erwachsenen Patienten mit neu diagnostizierter APL und niedrigem oder intermediärem Risiko nach Sanz [20] vorstellte, die ATO plus ATRA als Primärtherapie erhalten hatten. 75 von ihnen (99%) erreichten dabei eine Komplettremission, nur einer verstarb innerhalb der ersten 30 Tage. Nach median 14 Monaten hatte sich ein Rezidiv ereignet, d. h. ereignisfreie und Gesamtüberlebensrate lagen beide bei 97%. Die Therapie war gut verträglich, neue Sicherheitssignale gegenüber bisherigen Studiendaten wurden nicht beobachtet.
Normale Lebenserwartung nach erfolgreicher Induktion
Im dänischen AML-Register, das 99% aller Patienten mit akuten myeloischen Leukämien des Landes erfasst, haben APL-Patienten, die die ersten 90 Tage überleben, eine Lebenserwartung, die vergleichbar ist mit der der Normalbevölkerung gleichen Alters und Geschlechts [21]. Mit einer schlechten Prognose waren hingegen ein Alter von über 60 Jahren, ein hohes Risiko nach Sanz (d. h. > 10 × 106 Leukozyten/ml) und ein deutlich beeinträchtigter Allgemeinzustand assoziiert (WHO-Performance-Status ≥ 2).
Die Heilungsrate der APL mit dem ATO-ATRA-Regime ist hoch; eine wesentliche Herausforderung bleibt die Vermeidung früher Todesfälle in den ersten Wochen nach Diagnose. Ein wesentlicher unabhängiger Risikofaktor für ein schlechteres Gesamtüberleben war in einer chinesischen Studie, in der mit verschiedenen ATO-ATRA-Regimen ebenfalls hohe Raten an Komplettremissionen und Gesamtüberleben erreicht wurden, eine sehr hohe Leukozytenzahl in den ersten 30 Tagen nach Diagnose (> 10 × 106/ml; [22]).
Wirksame Therapie später Rezidive nach ATRA plus Chemotherapie
Das für die Erstlinientherapie zugelassene ATO-ATRA-Regime wurde auch als Rezidivtherapie überprüft. In einer italienischen Studie wurden Daten von 18 Patienten im ersten, drei im zweiten und von einem Patienten im dritten Rezidiv nach allogener Stammzelltransplantation ausgewertet, die als Erstlinientherapie noch mit dem AIDA-Protokoll (ATRA plus Idarubicin) behandelt worden waren [23]. Wie Laura Cicconi, Rom, berichtete, könnte demnach für einen Teil der Patienten, die eine Komplettremission erreicht haben, eine Verlängerung der ATO-ATRA-Therapie eine wirksame Alternative zur allogenen Stammzelltransplantation sein – insbesondere, wenn die erste Komplettremission nach Primärtherapie mehr als 18 Monate lang war. Lässt sich nach zwei Zyklen ATO plus ATRA noch eine minimale Resterkrankung nachweisen, sollte allerdings die Transplantation in Erwägung gezogen werden. 91% der 22 untersuchten Patienten hatten zu diesem Zeitpunkt aber bereits eine Komplettremission erreicht, die bei 14 von ihnen auch nach 58 Monaten noch anhielt; drei Patienten mit Rezidiv kamen mittels allogener Transplantation oder einer anderen Therapie wieder in eine Komplettremission. Diese retrospektiv gewonnenen Ergebnisse zum potenziell kurativen Effekt einer verlängerten ATO-ATRA-Therapie ohne allogene Transplantation bei APL-Patienten im Rezidiv sollten in einer prospektiven Studie überprüft werden, so Cicconi.
Intensive Induktion bei weniger fitten Patienten mit liposomaler Kombination?
Bei allen vielversprechenden Ergebnissen mit neuen Substanzen wird die Chemotherapie bei der Behandlung der AML bis auf Weiteres doch unverzichtbar bleiben. Mit neuen Galeniken lässt sich eine intensive Induktionstherapie künftig womöglich auch bei Patienten durchführen, die bisher dafür nicht infrage kamen: CPX-351 ist ein Präparat, das in einer liposomalen Verpackung eine Kombination aus Cytarabin und Daunorubicin im molaren Verhältnis von 5 : 1 enthält und das in einer Phase-III-Studie bei 60–75-jährigen Patienten mit Hochrisiko-AML im Vergleich zu einer klassischen 7+3-Therapie signifikant Ansprechen sowie ereignisfreies und Gesamtüberleben verbessern konnte [14]. Weil CPX-351 auch bei geringerer als der maximal tolerierten Dosis wirksam zu sein scheint, wurden in einer Phase-II-Studie am M. D. Anderson Cancer Center in Houston Hochrisiko-AML, die eine normale Induktionstherapie nicht vertragen würden, mit 50 (n = 15) bzw. 75 U/m2 CPX-351 (n = 24) behandelt [15]. Da diese beiden Dosierungen sich als sicher erwiesen, so Gautam Borthakur, Houston, erhielten 15 Patienten in einer dritten Kohorte 100 U/m2. Das Präparat wurde jeweils an den Tagen 1, 3 und 5 eines Induktionszyklus gegeben. Im Median wurden zwei Zyklen verabreicht (maximal fünf).
20 der 54 Patienten sprachen an, davon 15 mit einer CR, drei mit einer CRi und zwei mit einer CRp; von den 15 Patienten mit CR wurden sechs sogar MRD-negativ. Patienten mit TP53-Mutationen, therapiebedingter AML und solche, die jünger als 65 Jahre waren, sprachen schlechter an. Bei Abwägung der Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten, so Borthakur, bietet sich die Dosierung mit 75 U/m2 an den Tagen 1, 3 und 5 als Induktions-Protokoll an, mit dem das Präparat weiterentwickelt werden sollte.