Immuntherapie bei Non-Hodgkin-Lymphomen: vom Antikörper bis zur „maßgeschneiderten“ Gentherapie

ASH 2017, Atlanta

Die Lymphom-Therapie stellt seit etwa zwei Jahrzehnten – seit mit Rituximab der erste therapeutische Antikörper eingeführt wurde – eines der produktivsten Gebiete der Onkologie dar, und die Entwicklung neuer Medikamente wurde in den letzten Jahren eher noch beschleunigt. Antikörper, zielgerichtete Therapien, Antikörper-Toxin-Konjugate und zuletzt autologe T-Zellen mit maßgeschneiderten Antigen-Rezeptoren, die sich vielleicht einmal als Konkurrenz zur allogenen Stammzelltransplantation erweisen könnten: Zu all diesen Ansätzen wurden beim weltgrößten Hämatologen-Treffen, der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) in Atlanta Anfang Dezember 2017 wieder viele spannende Neuigkeiten präsentiert. Wir stellen eine Auswahl interessanter Studienergebnisse zu Non-Hodgkin-Lymphomen vor.

 

Indolente Lymphome

 

Rituximab-Erhaltung auch nach zehn Jahren noch vorteilhaft

Das follikuläre Lymphom gilt als Prototyp des indolenten Non-Hodgkin-Lymphoms, das zwar durch relativ lange Überlebenszeiten charakterisiert, aber nach wie vor nicht heilbar ist. Als Erstlinientherapie wird bei hoher Tumorlast standardmäßig ein CD20-Antikörper mit einer Chemotherapie (Bendamustin, CHOP oder CVP) gegeben. In den meisten Zentren schließt sich daran bei Patienten, die auf die Induktion angesprochen haben, eine zweijährige Erhaltungstherapie mit Rituximab an. Das basiert auf den Ergebnissen der von der französischen Lymphom-Studiengruppe koordinierten, internationalen PRIMA-Studie: In deren Erstauswertung hatte sich ein Vorteil der Erhaltung gegenüber alleiniger Beobachtung beim progressionsfreien (Hazard Ratio 0,55; p < 0,0001), nicht aber beim Gesamtüberleben (HR 0,87; p = 0,60) ergeben [1]. In Atlanta konnte Gilles Salles, Lyon, nun die 10-Jahres-Daten der Studie vorstellen [2]:

Dabei zeigte sich ein weiterhin paralleler Verlauf der Kurven für das progressionsfreie Überleben ab dem Zeitpunkt der Randomisierung, mit einer medianen Dauer im Rituximab-Arm von 10,5 Jahren gegenüber lediglich 4,1 Jahren im Kontrollarm. Daraus ergibt sich eine Reduktion des Risikos für Progression oder Tod um rund 40% (HR 0,61; p < 0,0001; Abb. 1). Rund die Hälfte der Patienten (51%) ist nach zehn Jahren im Verumarm noch progressionsfrei am Leben, im Kontrollarm nur etwa jeder dritte (35%). Dieser Vorteil der Erhaltungstherapie erstreckt sich auf alle untersuchten Subgruppen, unabhängig von Alter, Geschlecht, FLIPI-Index, Art der Induktions-Chemotherapie oder Tiefe des Ansprechens. Etwa genauso groß ist er bei einem Parameter, der für die Patienten besonders wichtig ist, nämlich der Zeit bis zur nächsten Therapie: Hier ist im Erhaltungstherapie-Arm der Medianwert nach über zehn Jahren noch nicht erreicht, während er im Kontrollarm nur 6,6 Jahre beträgt (HR 0,66; p < 0,0001). Nach wie vor kein Unterschied ist hingegen beim Gesamtüberleben zu erkennen: Die Schätzwerte für die Überlebensraten betragen in beiden Armen nach zehn Jahren 80% (HR 1,04; p = 0,795).
Im Langzeitverlauf traten keine neuen Sicherheitssignale auf. Man kann also konstatieren, dass der Vorteil der Rituximab-Erhaltungstherapie bezüglich des progressionsfreien Überlebens und der Therapiefreiheit auch langfristig anhält und unabhängig von diversen Charakteristika der Patienten ist. Eine 80%ige Überlebenschance nach zehn Jahren war zwar durch die Erhaltungstherapie nicht beeinflusst, aber diese ermöglicht es immerhin etwa der Hälfte der Patienten, bis zu diesem Zeitpunkt ohne Progression zu sein und keine erneute Lymphom-Therapie zu benötigen. Angesichts dieser Zahlen stellt sich außerdem die Frage, so Salles, ob das follikuläre Lymphom wirklich noch die unheilbare Erkrankung ist, als die wir es bislang betrachtet haben.

Erhaltungstherapie – wie lange?

Über die optimale Dauer der Rituximab-Erhaltungstherapie wird seit Jahren diskutiert. Die deutsche Studiengruppe indolente Lymphome (StiL) hat deshalb eine Phase-III-Studie aufgelegt (StiL NHL7-2008 oder MAINTAIN), in der randomisiert die zweijährige mit einer vierjährigen Rituximab-Behandlung verglichen wurde. Die 3-Jahres-Ergebnisse wurden in Atlanta von Mathias Rummel, Gießen, vorgestellt [3]: 497 Patienten mit neu diagnostiziertem follikulärem Lymphom, die auf die Induktion mit Bendamustin-Rituximab angesprochen hatten (181 mit einer Komplettremission), hatten zunächst eine zweijährige Erhaltungstherapie mit Rituximab bekommen. Die 351 Patienten, die danach noch in Remission waren, wurden randomisiert, entweder Rituximab für zwei weitere Jahre zu erhalten oder lediglich beobachtet zu werden.
In der Auswertung, so Rummel, war ein Unterschied beim progressionsfreien Überleben zwischen zwei und vier Jahren Erhaltungstherapie erkennbar, der allerdings statistisch nicht signifikant ausfiel (HR 0,73; p = 0,1125). Beim Gesamtüberleben war nicht einmal eine Tendenz sichtbar (HR 0,91; p = 0,8036). Während sich die vierjährige Erhaltungstherapie vermutlich kaum durchsetzen wird, konnte Rummel ein zusätzliches Argument für die zweijährige Erhaltung präsentieren: In einem Vergleich der vorliegenden Studie mit der ersten StiL-Studie (StiL NHL1-2003), die Bendamustin-Rituximab mit R-CHOP verglichen und noch keine Erhaltungstherapie gegeben hatte [4], ergab sich ein deutlicher Vorteil für die Erhaltung (HR 0,68; p = 0,0074) – auch wenn hier natürlich alle Vorbehalte geltend gemacht werden müssen, die man gegen einen Vergleich zweier verschiedener Studien vorbringen kann.
Insgesamt 17 Patienten (2,8%) verstarben an Infektionen, die meisten davon noch während der Induktionstherapie. Das korreliert insbesondere mit einem Abfall der CD4-Lymphozyten unter der Behandlung, die wohl eine Nebenwirkung von Bendamustin ist und die man etwa auch in Studien zum Mantelzell-Lymphom unter einer Therapie mit Fludarabin sehen kann.

Rezidiviertes follikuläres Lymphom: neuer PI3K-Inhibitor

In der rezidivierten Situation unterscheidet man beim follikulären Lymphom hinsichtlich der zu wählenden Therapieoptionen frühe und späte Rezidive. War das Ansprechen auf die Primärtherapie lang, so kann ein erneuter Versuch mit einer Immunchemotherapie gemacht werden – einschließlich einer Rituximab-Erhaltung (sofern diese in der Erstlinie noch nicht gegeben wurde). Bei frühen Rezidiven steht für fitte Patienten eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation zur Diskussion, außerdem eine Radioimmuntherapie oder eine Rituximab-Monotherapie sowie in Fällen von doppelt refraktärer Erkrankung die Monotherapie mit Idelalisib [5]. Idelalisib hemmt den δ-Subtyp der Phosphoinositol-3-Kinase (PI3Kδ), die ebenso wie Btk eine wichtige Rolle im B-Zell-Rezeptor-Signalweg spielt. Wegen Komplikationen, zum Beispiel noch spät während der Therapie auftretender schwerer Diarrhöen, wird Idelalisib nicht häufig gegeben, und es werden als Alternativen Zweitgenerations-PI3K-Inhibitoren wie zum Beispiel Copanlisib entwickelt.
Diese haben wir in der Phase-II-Studie CHRONOS-1 bei Patienten mit indolenten Lymphomen (follikuläres Lymphom, Marginalzonen-Lymphom, small lymphocytic lymphoma, lymphoplasmazyoides Lymphom/Waldenström-Ma­kroglobulinämie) getestet, die nach mindestens zwei vorangegangenen Therapien (darunter Rituximab und ein Alkylans) rezidiviert oder dagegen refraktär waren [6]. Copanlisib wurde in vierwöchigen Zyklen (jeweils an den Tagen 1, 8 und 15) i. v. in einer Dosierung von 60 mg bis zur Progression oder bis zum Auftreten inakzeptabler Toxizitäten gegeben.
Ein Ansprechen war bei 83 der insgesamt 142 Patienten (58,5%) zu sehen, davon 20 Komplettremissionen (14,1%). Die mediane Dauer des Ansprechens lag bei 12,2 Monaten, das mediane progressionsfreie Überleben bei 11,3 Monaten; beim Gesamtüberleben ist der Medianwert noch nicht erreicht. Als häufigste Nebenwirkungen traten bei etwa der Hälfte der Patienten eine transiente Hyperglykämie und bei einem guten Viertel ein transienter Hypertonus auf. Diarrhöen wurden bei jedem dritten Patienten registriert, mit neun Grad-3-, aber keinen Grad-4-Ereignissen. Wahrscheinlich ist diese gute Verträglichkeit durch die intermittierende Gabe des Inhibitors mit einer zweiwöchigen Pause pro 4-Wochen-Zyklus bedingt.
Zu den 23 Patienten mit Marginalzonen-Lymphom (zwei Drittel davon nodal) konnten wir in Atlanta eine separate Analyse präsentieren [7]. 16 von ihnen erzielten unter Copanlisib eine Remission (70%), davon waren drei Komplettremissionen (13%); bei diesen drei Erkrankungen handelte es sich ausnahmslos um einen Milzbefall. Nach neun Monaten waren noch 85% der Responder in Remission – das übertrifft alles, was beim Marginalzonen-Lymphom bisher gesehen wurde, sodass die weitere Untersuchung von Copanlisib in dieser Indikation dringend geraten erscheint.

Mantelzell-Lymphom

Erstlinie: Rituximab-Erhaltung verlängert Überleben

Mit der Phase-III-Studie MCL Elderly, die 2004 begann, konnte das European MCL Network für ältere, nicht für eine autologe Stammzelltransplantation geeignete Patienten mit neu diagnostiziertem Mantelzell-Lymphom die Immunchemotherapie mit R-CHOP (Rituximab, Cyclo­phosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison) als Standard-Induktionstherapie etablieren. Die Studie enthielt eine zweite Randomisierung, in der Patienten, die sich nach der Induktion in Remission befanden, eine Erhaltungstherapie entweder mit Rituximab oder mit Interferon α bekamen. In Atlanta konnte Eva Hoster, München, aus unserer Studiengruppe die 5-Jahres-Daten für die Erhaltungstherapie nach einer medianen Beobachtungszeit von 6,7 Jahren vorstellen [8].
Die Rituximab-Erhaltung war hier deutlich überlegen, mit mehr als einer Verdoppelung der 5-Jahres-Raten für progressionsfreies Überleben auf 53% (gegenüber 23% mit Interferon) und einer Halbierung des Risikos für Progression oder Tod (Hazard Ratio 0,48; p = 0,0109). Das Gesamtüberleben war mit der Rituximab-Erhaltung ebenfalls verlängert, aber nur für die Patienten, die zur Induktion R-CHOP erhalten hatten (79% vs. 59%; p = 0,0026), nicht hingegen für diejenigen, die mit Rituximab und Fludarabin-Cyclophosphamid induziert worden waren: Diese Kombination erwies sich als zwar wirksam, aber zu toxisch – sie war mit einer hohen Rate an Todesfällen assoziiert, die nicht mit einem Therapieversagen einhergingen.
Der derzeitige Erstlinien-Standard für Patienten mit MCL, die sich nicht für eine Transplantation eignen, ist damit eine Immunchemotherapie mit R-CHOP, gefolgt von einer Rituximab-Erhaltungstherapie bis zur Progression.

Btk-Inhibitor im Rezidiv des Mantel­zell-Lymphoms hochwirksam

Das Mantelzell-Lymphom (MCL) kann ganz unterschiedlich aggressiv verlaufen; gemeinsam ist allen Subtypen, dass sie letztlich nicht heilbar sind und dass mit jedem Rezidiv die Remissionsdauer nach der folgenden Therapie kürzer wird. Um die Prognose wesentlich zu verbessern, benötigen wir daher dringend wirksamere Rezidivtherapien mit einer längeren Dauer des Ansprechens. Der Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase Ibrutinib wurde als erste Substanz dieser Klasse zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären MCL zugelassen. Zu dieser Indikation wurden drei Studien mit insgesamt 370 Patienten durchgeführt (SPARK, RAY und PCYC-1104); 87 dieser Patienten nahmen im Anschluss daran an einer Langzeit-Studie teil, in der sie Ibrutinib bis zum Auftreten einer Progression einnahmen.
Das MCL zählt zu den B-Zell-Lymphomen; der B-Zell-Rezeptor (BCR), den bei diesen Erkrankungen alle Zellen auf ihrer Oberfläche tragen, stimuliert, wenn er Antigene bindet, die Proliferation der Zellen. Ibrutinib hemmt die Bruton-Tyrosinkinase, eine zentrale Schaltstelle des vom BCR ausgehenden Signalwegs, und wirkt dadurch anti-proliferativ. Die Patienten in den drei genannten Studien hatten die Substanz in einer Dosierung von 560 mg/d erhalten und sollten sie bis zum Auftreten einer Progression oder von inakzeptablen Toxizitäten einnehmen. Die mediane Behandlungsdauer mit dem Inhibitor betrug 11,1 Monate, die mediane Nachbeobachtungszeit für die gepoolte Analyse, die Simon Rule, Plymouth, in Atlanta vorstellte, lag bei 41,1 Monaten [9].

Die Rate an Komplettremissionen betrug im Gesamtkollektiv 26,5%, die mediane progressionsfreie Überlebenszeit 13 Monate. Stratifizierte man die Patienten nach der Tiefe des Ansprechens und nach der Zahl der Vortherapien, so bot sich ein deutlich differenzierteres Bild: Patienten, die vor der Ibrutinib-Behandlung lediglich eine Therapielinie erhalten hatten, überlebten median 33,6 Monate progressionsfrei, diejenigen mit mehr Therapielinien hingegen lediglich 8,4 Monate (Tab. 1, Abb. 2a). Auch Patienten, die mit Ibrutinib eine Komplettremission erzielt hatten, hatten einen Vorteil: Sie überlebten median 46,2 Monate progressionsfrei, die mit einem schlechteren Ansprechen fielen demgegenüber deutlich ab (Tab. 1). Beim Gesamtüberleben ergab sich insgesamt eine mediane Dauer von 26,7 Monaten, und auch hier scheinen eine frühe Aufnahme der Ibrutinib-Therapie und ein tiefes Ansprechen darauf vorteilhaft zu wirken (Tab. 1, Abb. 2b).
Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher wurden bei 79,7% der Patienten registriert, und die kumulative Inzidenz schwerer Blutungen, die ein Hauptpro­blem bei diesem Medikament darstellen, bei 7,3%. Beides, sowohl Toxizitäten insgesamt als auch Blutungen, waren am häufigsten im ersten Jahr der Therapie, und ein Neuauftreten wurde in der Folge immer seltener.
Diese Ergebnisse sprechen dafür, Ibrutinib beim rezidivierten MCL früher, d. h. durchaus auch im ersten Rezidiv einzusetzen. In dieser großen Kohorte von Patienten war nur etwas mehr als jeder Vierte in dieser Situation (Tab. 1), was die relativ kurze progressionsfreie Überlebensdauer von 13 Monaten im Gesamtkollektiv erklärt.

Potenter Zweitgenerations-Btk-Inhibitor

Ibrutinib ist der erste und bisher einzige zugelassene Btk-Inhibitor, aber mittlerweile befinden sich auch Substanzen der zweiten Generation in der klinischen Prüfung. Acalabrutinib zeichnet sich durch eine ähnliche Wirksamkeit gegenüber Btk, aber viel höhere Selektivität für diese Kinase und daher mutmaßlich bessere Verträglichkeit aus. In der globalen Phase-II-Studie ACE-LY-004 wurde es bei 124 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem MCL aus neun verschiedenen Ländern getestet [10]. Sie hatten im Median zwei Vortherapien erhalten, so Michael Wang, Houston, darunter keine Btk- und Bcl2-Inhibitoren, und etwa ein Viertel von ihnen war gegenüber der letzten Therapie refraktär.

Die Ansprechrate war mit 81% und 40% Komplettremissionen bemerkenswert hoch (Tab. 2), die Wirksamkeit bei verschiedenen Subgruppen (Alter, Tumorlast, Anzahl und Art der vorangegangenen Therapien) vergleichbar. 72% der Patienten waren noch nach einem Jahr in Remission, und die Dauer der Remission korrelierte auch hier mit der Tiefe des Ansprechens (Abb. 3). Die 12-Monats-Raten für progressionsfreies und Gesamtüberleben betragen 67% bzw. 87%.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren vom Grad 1/2, mit Grad 3 oder 4 traten Neutropenien (10%), Anämien (9%) und Pneumonien (5%) auf. Blutungsereignisse waren fast ausnahmslos vom Grad 1 oder 2, mit Ausnahme einer gastrointestinalen Grad-3-Blutung bei einem Patienten mit Magenulzera in der Anamnese. Die insgesamt gute Verträglichkeit von Acalabrutinib spiegelt sich auch in der medianen Dosisintensität von 99% wider. Zum Analysezeitpunkt erhielten noch 56% der Patienten das Medikament.
Die Monotherapie mit Acalabrutinib bei Patienten mit rezidiviertem/refraktärem MCL ist also hochwirksam und gut verträglich. Bei aller Vorsicht, die bei solchen Vergleichen zwischen verschiedenen Studien geboten ist, scheinen die Ansprechraten zumindest mit Ibrutinib vergleichbar zu sein.


Aggressive Lymphome: neue Ansätze in der Rezidivtherapie

Das diffuse-großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) gehört eigentlich zu den heilbaren Non-Hodgkin-Lymphomen, aber wenn ein Patient nach der Primärtherapie (die standardmäßig aus R-CHOP besteht) rezidiviert oder gar refraktär wird, ist die Prognose schlecht: Lediglich etwa jeder zehnte dieser Patienten kann durch eine Stammzelltransplantation geheilt werden, die übrigen sind dafür entweder nicht geeignet oder sie rezidivieren erneut. In einer jüngst publizierten gepoolten Analyse von 636 Patienten mit refraktärer Erkrankung waren Gesamtansprechrate (26%, mit 7% Komplettremissionen) und Überlebenszeit (median 6,3 Monate) enttäuschend [11]. Für diese Patienten stellt eine neu entwickelte Technologie, bei der autologe T-Lymphozyten auf gentechnischem Weg mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) versehen werden, eine wichtige neue Option dar.

 

Am weitesten entwickelt und in den USA bereits zugelassen ist dieser Ansatz bei der akuten lymphatischen Leukämie vom B-Zell-Typ, wo insbesondere bei Kindern auch in verzweifelten Fällen Langzeitremissionen erreicht werden konnten (z. B. [12, 13]). Die dort verwendeten chimären Antigenrezeptoren richten sich gegen das CD19-Antigen. Da auch das DLBCL wie die meisten lymphatischen B-Zell-Tumoren dieses Antigen trägt, lag es nahe, das gleiche Verfahren hier anzuwenden. In Atlanta wurden Studienergebnisse mit drei verschiedenen CD19-CAR-Präparaten vorgestellt:
• In der einarmigen globalen Phase-II-Studie JULIET wurde ein an der University of Pennsylvania in Philadelphia entwickeltes Präparat (CTL019, Tisagen Lecleucel) verwendet, um in 27 Zentren in zehn Ländern bislang 99 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL zu behandeln [14]. Die Herstellung der Zellen erfolgte zentral in einer von zwei Einrichtungen (in den USA bzw. in Deutschland). Bei bislang 81 auswertbaren Patienten mit mindestens dreimonatigem Follow-up lag die beste Gesamtansprechrate bei 53% mit 40% Komplettremissionen. Nach drei Monaten betrugen die Werte noch 38% bzw. 32%, nach sechs Monaten 37% bzw. 30%. Das Ansprechen war in allen untersuchten Subgruppen vergleichbar und scheint dauerhaft zu sein: Der Medianwert der Remissionsdauer ist noch nicht erreicht, sechs Monate nach dem ersten Auftreten einer Remission sind noch 74% der Patienten rezidivfrei, und fast alle Patienten, die nach drei Monaten in Komplettremission waren, konnten diese anschließend halten.
Die Behandlung mit CAR-T-Zellen wird sicherlich auch in Zukunft nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden, weil es einige nicht ganz leicht zu handhabende Toxizitäten gibt: Bei 58% der Patienten in der JULIET-
Studie zeigte sich ein Zytokin-Release-Syndrom (CRS), das bei 15% vom Grad 3 und bei 8% vom Grad 4 war. 15% der Patienten mussten deswegen mit dem gegen Interleukin 6 gerichteten Antikörper Tocilizumab behandelt werden. Neurologische Toxizitäten sind die zweite Klasse von Nebenwirkungen, die besonderer Aufmerksamkeit bedarf; sie traten bei 21% der Patienten auf, bei 8% bzw. 4% vom Grad 3 bzw. 4. Alle Toxizitäten waren aber durch das speziell geschulte Personal handhabbar, und es gab keine Todesfälle durch Tisagen Lecleucel, CRS oder Hirn­ödeme. Ein Viertel der Patienten konnte die Zellen sogar ambulant erhalten, und etwa drei Viertel von diesen mussten auch in der Folge nicht stationär aufgenommen werden.
Diese Daten sind mittlerweile auch voll publiziert [15]. Sie belegen, dass sich der dauerhafte Nutzen dieser Therapie, wie er in einer vorhergehenden, monozentrisch in Philadelphia durchgeführten Studie zu sehen war, auch in einem globalen Setting mit zentraler Herstellung der Zellen erreichen lässt.
• Ein weiteres CD19-CAR-T-Zell-Präparat (Axicabtagene Ciloleucel, Axi-cel, KTE-C19) ist in den USA bereits zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären DLBCL zugelassen. Grundlage dafür war die Studie
ZUMA-1, zu der Sattva Neelapu, Houston, beim ASH-Kongress eine aktualisierte Auswertung vorstellte [16]: Von insgesamt 108 Patienten hatten 82% zu irgendeinem Zeitpunkt ein Ansprechen gezeigt, das bei 58% komplett war; dauerhaft sind diese Remissionen bisher bei 42% bzw. 40% (Komplettremissionen). Bei einer ganzen Reihe von Patienten war zunächst eine partielle Remission oder eine Krankheitsstabilisierung diagnostiziert worden, die nach median 64 (maximal 424) Tagen in eine Komplettremission überging, ohne dass eine zusätzliche Therapie erfolgt wäre. Auch hier war das Ansprechen in allen untersuchten Subgruppen gleich gut.
Wer ein komplettes Ansprechen erreichte, hatte eine über 60%ige Chance, es auch langfristig über mehr als ein Jahr zu halten. Nach median 15,4 Monaten, so Neelapu, waren von allen 108 Patienten 42% progressionsfrei und 56% insgesamt am Leben.
Die Toxizität ist vergleichbar mit der in der JULIET-Studie. CRS vom Grad 3 oder höher traten bei 12% und neurologische Nebenwirkungen dieser Schweregrade bei 31% der Patienten auf. Seit der ersten Analyse nach einem guten halben Jahr Nachbeobachtung wurden aber keine neuen Ereignisse dieser Art beobachtet. Späte Nebenwirkungen bestanden in erster Linie aus gut handhabbaren Infektionen, bedingt wahrscheinlich durch die B-Zell-Aplasie, die bei den meisten Patienten auftritt und in einigen Fällen auch mit intravenösen Immunglobulinen behandelt wurde. Auch diese Ergebnisse sind mittlerweile voll publiziert [17].
In einer eigenen Analyse [18] verglich Neelapu die 1-Jahres-Ergebnisse der ZUMA-1-Studie mit denen von SCHOLAR-1 [11]: Um das Fehlen eines randomisierten Vergleichs zumindest teilweise zu kompensieren, wurde zum statistischen Mittel einer Propensity-Score-Analyse gegriffen. Dabei zeigte sich, dass die CAR-T-Zellen im Vergleich zur konventionellen Behandlung des rezidivierten oder refraktären DLBCL die Komplettremissionsrate etwa verfünffachten, das Mortalitätsrisiko um 72% reduzierten und die 1-Jahres-Überlebensrate verdreifachten. Diese Unterschiede sind so groß, dass sich der Vorteil der neuen Technologie auch in einem Vergleich zweier unterschiedlicher Studien erschließt.
• Ein drittes, am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle entwickeltes Produkt mit Anti-CD19-CAR-T-Zellen (Lisocabtagene Maraleucel, Liso-cel, JCAR017) zeichnet sich dadurch aus, dass es T4- und T8-Lymphozyten in einem fixen Verhältnis enthält. In der TRASCEND-NHL001-Studie wurden damit insgesamt 91 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL behandelt, so Tanya Siddiqui, Duarte [19]. 74% von ihnen zeigten ein Ansprechen, das bei 68% nach drei und bei 50% noch nach sechs Monaten komplett war. 92% der Patienten, die nach einem halben Jahr in Komplettremission waren, scheinen ihr Ansprechen auch weiterhin zu halten. Die Behandlung war gut verträglich, schwere CRS-Ereignisse traten nur bei 1% und schwere Neurotoxizitäten bei 15% der Patienten auf. Dieses günstige Nebenwirkungsprofil, so Siddiqui, könnte eine ambulante Durchführung dieser Therapie bei vielen Patienten gestatten; derzeit wird das in einer Zulassungsstudie getestet.
Drei verschiedene Studien mit dem gleichen Ansatz, aber drei unterschiedlichen Präparaten und relativ kleinen Patientenkollektiven: Ein Vergleich mag hier gewagt erscheinen. Ganz grob scheint es aber dennoch weder bei der Wirksamkeit noch bei der Toxizität dramatische Unterschiede zu geben. Dieses Jahr werden mehrere Studien an ausgewählten, deutschen Zentren geöffnet, so dass diese Therapieoption bald auch hier zur Verfügung stehen wird.

Immunkonjugat beim refraktären DLBCL ebenfalls hochwirksam

Auch mit etwas weniger „Hightech“ kann man beim rezidivierten oder refraktären DLBCL punkten: Immunkonjugate, bei denen ein starkes Toxin an einen monoklonalen Antikörper gegen ein auf den Krebszellen exprimiertes Antigen gekoppelt ist, spielen in der Onkologie eine immer wichtigere Rolle. Polatuzumab Vedotin besteht aus dem humanisierten Anti-CD79b-Antikörper Polatuzumab und dem Spindelgift Mono­methyl-Auristatin E. Nach Bindung an die Lymphomzellen, die auf ihrer Oberfläche das CD79b-Antigen tragen, wird der Komplex internalisiert, und erst im sauren Milieu der Lysosomen wird das Toxin abgespalten. Dieses kann dadurch nur in den Tumorzellen wirken, während eine systemische Toxizität minimiert wird.

In einer randomisierten Phase-II-Studie, die Laurie Sehn, Vancouver, präsentierte [20], erhielten 80 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL sechs Zyklen einer Immunchemotherapie aus Bendamustin und Rituximab, wobei die Hälfte von ihnen randomisiert zusätzlich Polatuzumab Vedotin bekam. Die Therapie mit dem Immuntoxin war in jeder Hinsicht überlegen (Tab. 3, Abb. 4): Die Gesamtansprechrate lag in diesem Arm bei 70% und damit mehr als doppelt so hoch wie im Kontrollarm (33%), Komplettremissionen waren sogar fast dreimal so hoch (58% vs. 20%). Auch die mediane Dauer des Ansprechens war mit 8,8 versus 3,7 Monaten durch das Antikörper-Konjugat fast verdoppelt, das progressionsfreie Überleben mit median 6,7 versus 2,0 Monaten sogar mehr als verdreifacht (HR 0,31; p < 0,0001), und das Gesamtüberleben war mit median 11,8 versus 4,7 Monaten ebenfalls stark verlängert (HR 0,35; p = 0,0008).
Von nicht-hämatologischen Toxizitäten war vor allem eine Diarrhö erwähnenswert, die mit 41% unter Polatuzumab Vedotin ungefähr doppelt so häufig war wie unter BR (21%). Eine periphere Neuropathie trat mit 39% versus 3% unter dem Immuntoxin sehr viel öfter auf, war aber ausschließlich vom Grad 1 oder 2. Bei einem Patienten musste das Präparat deshalb abgesetzt und bei zweien in der Dosierung reduziert werden.
Die akute Wirksamkeit dieser neuen Therapieoption ist beeindruckend. Abzuwarten bleibt, wie sich die Überlebenskurven längerfristig entwickeln.
Insgesamt stehen damit auch bei den malignen Lymphomen immuntherapeutische Ansätze klar im Fokus der Forschung, und mit den CAR T-Zellen ist die erste gentherapeutische Therapieoption verfügbar.

Prof. Dr. med. Martin Dreyling
Klinikum der Universität München
Medizinische Klinik und Poliklinik III
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Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung
 von Josef Gulden