International Symposium ACUTE LEUKEMIAS XIX 2025
Therapie der akuten myeloischen Leukämie: Die Reise hat erst begonnen
Anlässlich des International Symposium ACUTE LEUKEMIAS XIX in München zeigte sich die ganze Bandbreite der Forschung zur Entwicklung neuer Ansätze für Therapien der akuten myeloischen Leukämie (AML). Erfolge und Misserfolge liegen hier oft nah beieinander.
Schlüsselwörter: akute myeloische Leukämie (AML), „fms like tyrosine kinase 3“ (FLT3), Venetoclax, hypomethylierende Substanzen, TP53, Risikoklassifikation, akute Promyelozytenleukämie
Mit der RATIFY-Studie gelang der Startschuss für die zielgerichtete Therapie der AML [1]. Midostaurin wurde die erste zugelassene Option in Kombination mit einer Chemotherapie bei FLT3(„fms like tyrosine kinase 3“)-mutierter AML. Es folgten weitere FLT3-Inhibitoren, und die FLT3-gerichtete Therapie wurde zur Blaupause für weitere zielgerichtete Therapien: Inhibitoren, die bei Alterationen von Isocitratdehydrogenase 1 (IDH1), IDH2 und Nucleophosmin 1 (NPM1)/Histon-Lysin-N-Methyltransferase 2A (KMT2A) in Kombination mit der Chemotherapie eingesetzt werden können.
Neue Chancen trotz eingeschränkter Fitness
Die Entwicklung neuer Therapien sei allerdings mit Rückschlägen verlaufen, insbesondere bei Betroffenen, die älter und nicht fit genug für eine allogene Stammzelltransplantation (alloSCT) gewesen waren, erinnerte Prof. Andrew Wei, Melbourne, Australien, in seiner Thomas-Büchner-Lecture am 17.03.2025. So zeigte sich, dass eine Verdoppelung der Rate von Komplettremissionen (CR) bei älteren Patienten mit AML nicht bedeutet, dass das Gesamtüberleben (OS) verbessert ist [2]. Der wichtigste Surrogatparameter für den Behandlungserfolg war damit gefallen. Und trotz hochgesteckter Erwartungen konnte der FLT3-Inhibitor Gilteritinib plus Azacitidin (Aza) bei Älteren mit FLT3-mutierter AML nicht das OS gegenüber einer Aza-Monotherapie verbessern [3].
Daneben schien die BCL2(„B-cell lymphoma 2“)-gerichtete Behandlung als neue Monotherapieoption zunächst nur mäßig wirksam zu sein. Der Durchbruch bei älteren Personen mit AML gelang erst mit der Kombination von Venetoclax (Ven) mit hypomethylierenden Substanzen (HMAs) in der Studie VIALE A [4, 5].
Klone eliminieren muss das Ziel sein
Entscheidend ist laut Wei, dass Leukämieklone wirklich ausgelöscht werden. Ein ausgeprägtes und anhaltendes Ansprechen auf Ven-Aza finde sich vor allem bei IDH2- und NPM1-mutierten Klonen [6]. Eine Negativität der minimalen Resterkrankung (MRD) lasse sich in dieser Gruppe mit Ven-Aza bei fast der Hälfte der Älteren erreichen – das sei zuvor noch nie gesehen worden, betonte Wei. Es sei inzwischen klar, dass diese Alterationen eine Kohorte mit einer günstigen Prognose charakterisieren.
Kommt es zum Rezidiv, sind Klone mit TP53-Mutationen oder Deletion 17p und mit aktivierten Kinasen (z. B. einer FLT3-Alteration) häufig. In diesem Fall könne Ven den Krankheitsverlauf trotz guter Ansprechraten nicht verändern, erklärte Wei. Für diese Alterationen bestehe weiter ein großer Bedarf an neuen Therapieoptionen. Untersucht werden derzeit Triplettkombinationen.
Bei Älteren mit AML mit interner Tandemduplikation (ITD) von FLT3 führte der FLT3-Inhibitor Gilteritinib mit Ven-Aza zu sehr hohen Ansprechraten (CR/CRi 93 %), und das OS lag im Median bei 28,1 Monaten, wobei 41 % der Behandelten eine Transplantation erhalten hatten [7]. Das Problem der Tripletttherapie war die Myelosuppression. Wei schlug daher einen sequenziellen Ansatz vor: Zyklen mit Ven kombiniert zunächst mit niedrigdosiertem Cytarabin (LDAC) und dann mit Midostaurin. Das resultierte in einer Studie ebenfalls in zu hohe Ansprechraten (CR/CRi 82 %) bei einem medianen OS von 16,8 Monaten – bei einer sehr geringen Transplantationsrate von 3 % [8]. Die Tolerabilität der Sequenz bezeichnete Wei als gut, und es zeigte sich nach vier Zyklen eine Clearance der FLT3-ITD-MRD bei über 60 % der Behandelten, während in der Kontrollgruppe mit Ven-LDAC keinerlei MRD-Negativität erzielt wurde. „Es braucht Zeit, bis Patienten MRD-negativ werden“, betonte Wei. Das könnte auch die Planung einer SCT beeinflussen: Wenn die Behandelten früher als nach vier Zyklen transplantiert werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer MRD-Negativität gering.
Stop and Go bei TP53-mutierter AML
BCL2 ist Teil der TP53-nachgeordneten Signalkette. Bei einer Venetoclax-Therapie nehme die TP53-Expression aufgrund eines Rückkoppelungsmechanismus zu, erläuterte Wei. Mitochondriale DNA wird ins Zytosol freigesetzt und erzeugt über das Protein STING („stimulator of interferon genes activation“) eine Rückkoppelung, die zur Hochregulation von TP53 führt. AML-Zellen haben die höchste STING-Expression aller bisher daraufhin untersuchten Malignome. Kommerzielle Entwicklungsprogramme von STING-Agonisten liefen allerdings primär für solide Tumoren und wurden beendet, nachdem die Effekte hier nicht vielversprechend waren. Wei nannte es eine Herausforderung, die forschende Industrie davon zu überzeugen, den Einsatz von STING-Agonisten bei AML weiter zu untersuchen. Eine solche Substanz wurde präklinisch zur Augmentierung der CAR(Chimärer Antigenrezeptor)-T-Zell-Therapie eingesetzt [9]. Ein anderer experimenteller Ansatz belegte das Potenzial der Kombination eines STING-Agonisten mit einem bispezifischen T-Zell-Engager (BiTE®) zur Eradikation von AML-Zellen [10].
Nach dem Erfolg von Ven bei älteren Patienten mit AML wurden und werden Strategien untersucht, mit denen Ven auch bei jüngeren, fitten Betroffenen eingesetzt werden kann. Rezidive bei NPM1-AML treten meist aufgrund anderer Klone auf, sind selten aber auch NPM1-positiv. Dann werden Blasten mit Ähnlichkeit zu hämatopoetischen Stammzellen (HSC-like) oder monozytische Zellen beobachtet. Diese Phänotypen gehen mit einer erhöhten MCL1-Expression einher. Vielversprechend erschien daher die Kombination von BCL2-Inhibition und MCL1-Inhibiton; viele pharmazeutische Unternehmen haben sich mit diesem Ansatz beschäftigt. Die Kombination wirkte in vitro effektiv gegen AML-Blasten. In der Klinik trat als ein Klasseneffekt dieser Substanzen allerdings ein kardialer Troponin-T-Anstieg auf [11]. „Ein Schaden des kardialen Gewebes ist für die FDA ein großes Red-Flag-Signal“, betonte Wei. Alle MCL1-Inhibitor-Studien weltweit wurden daraufhin geschlossen. Ganz verloren ist dieser Therapieansatz aber noch nicht: Untersucht wird aktuell ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) mit CD74 als Antigen, das von kardialen Geweben kaum, aber von primitiven Leukämiezellen ausgeprägt exprimiert wird. Ein MCL-1-Inhibitor ist der Payload. Kombiniert mit Ven wirkt das ADC präklinisch synergistisch zytotoxisch auf AML-Zellen vom monozytischen Phänotyp [12]. 2025 solle die klinische Prüfung starten, kündigte Wei an.
Fortschritt braucht vereinte Kräfte
Die Beispiele von Positiv- und Negativstudien zu neuen Therapien der AML zeigen, dass es enorme Anstrengungen braucht, um die Prognose von Betroffenen zu verbessern. Wei plädierte dafür, in Plattformstudien verschiedene Kombinationsansätze parallel zu prüfen und so die Entwicklung neuer klinisch relevanter Therapien zu beschleunigen. Wichtig seien globale akademische Strukturen, betonte er. Die therapeutische Reise habe gerade erst begonnen, ist Wei überzeugt.
Bericht vom International Symposium ACUTE LEUKEMIAS XIX (ISALXIX) vom 16. bis 19.03.2025 in München.