Annual Meeting of the American Society of Hematology (ASH) 2024
Chronische myeloische Leukämie: Neue Ansätze zur Optimierung der Therapie
Bei der chronischen myeloischen Leukämie in der chronischen Phase (CML-CP) wird mit der Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) ein schnelles und anhaltendes tiefes molekulares Ansprechen angestrebt. Für einen Teil der Betroffenen sind ein Absetzen und eine therapiefreie Remission (TFR) nach einem anhaltenden tiefen molekularen Ansprechen ein realistisches Ziel. Anlässlich des Annual Meeting and Exposition of the American Society of Hematology (ASH) 2024 wurden Ansätze diskutiert, wie die Therapie weiter optimiert werden könne. Dabei wurde auch der Frage nachgegangen, wie sich das Ansprechen von Patienten entwickelt, bei denen zunächst kein optimales Ansprechen erreicht wird.
Schlüsselwörter: chronische myeloische Leukämie (CML), Tyrosinkinase-Inhibition, therapiefreie Remission
Der STAMP(„specifically targeting the ABL myristoyl pocket“)-Inhibitor Asciminib (ASC) ist bisher als Folgetherapie bei CML-CP zugelassen. In der ASC4FIRST-Studie hatte ASC in der Erstlinientherapie zu höheren Raten eines majoren molekularen Ansprechens (MMR, BCR::ABL1IS < 0,1 %) geführt als die Therapie mit einem anderen TKI nach Wahl des Prüfarztes [1]. In den USA hat ASC bereits die Erstlinienzulassung erreicht. Prof. Jorge E. Cortes, Augusta, GA/USA, präsentierte in San Diego, CA/USA, die 96-Wochen-Ergebnisse der ASC4FIRST-Studie und betonte dabei das günstigere Nutzen-Risiko-Profil von ASC im Vergleich zu den an der ATP(Adeosintriphosphat)-Bindungsstelle von der Tyrosinkinase ABL1 bindenden Standard-TKI (S-TKI) [2]. In der Studie hatten Prüfärzte vor der Randomisierung für jeden einzelnen Patienten die im S-TKI-Arm zu verabreichende TKI-Therapie festlegen müssen. Daraufhin erfolgte die Randomisierung in den ASC- und S-TKI-Arm stratifiziert für diese vorab festgelegte Therapie. So war ein Vergleich der ASC- und S-TKI-Gruppe insgesamt möglich, aber auch der Vergleich der Strata, die vor der Randomisierung für Imatinib oder ein Zweitgenerations-TKI vorgesehen waren.
Der bereits nach 48 Wochen gezeigte MMR-Vorteil von ASC gegenüber S-TKI insgesamt wurde nach 96 Wochen bestätigt (74,1 vs. 52,0 %; p < 0,001). Auch der MMR-Unterschied der Imatinib-Strata fiel signifikant zugunsten von ASC aus (76,2 vs. 47,1 %; p < 0,001) (Tab. 1).
Tab. 1 Ansprechen nach der 96-Wochen-Auswertung der ASC4FIRST-Studie (nach [1]).
ASC | IS-TKI | ASCIMA | IS-TKIIMA | ASC2G | TKI2G | |
---|---|---|---|---|---|---|
MMR (Anteil in %) | 74,1 % | 52,0 % | 76,2 % | 47,1 % | 72,0 % | 56,9 % |
p < 0,001 | p < 0,001 | nicht signifikant | ||||
MR4 (Anteil in %) | 48,8 % | 27,5 % | 52,5 % | 23,5 % | 45,0% | 31,4% |
MR4,5 (Anteil in %) | 30,9 % | 17,7 % | 35,6 % | 11,8 % | 26,0% | 23,5% |
ASC = Asciminib; IMA = Imatinib; IS = vom Prüfarzt ausgewählt („investigator-selected”); TKI = Tyrosinkinase-Inhibitor; 2G = zweite Generation |
Der Vergleich von Substanzen der zweiten Generation (2G) ASC2G und S-TKI2G ergab wie in der 48-Wochen-Analyse nur einen numerischen Unterschied (72,0 vs. 56,9 %). Der Anteil der Patienten mit einem tieferen Ansprechen (MR4 BCR::ABLIS ≤ 0,01 %; MR4,5 BCR::ABLIS ≤ 0,0032 %) war nach 96 Wochen in der ASC-Gruppe durchweg höher als in der S-TKI-Gruppe. Der Unterschied fiel auch hier in den Imatinib-Strata ausgeprägter aus als in den Zweitgenerations-TKI-Strata beider Gruppen.
Im ASC-Arm waren weniger unerwünschte Ereignisse (UE) vom Grad ≥ 3 aufgetreten als bei S-TKI (44,5 vs. 49,5 % unter Imatinib und 59,8 % unter S-TKI2G). Im ASC-Arm wurde die Studienmedikation seltener wegen UE abgebrochen (2,0 vs. 13,1 % mit Imatinib und 12,7 % mit S-TKI2G) oder die Dosis angepasst beziehungsweise unterbrochen (33,0 vs. 41,4 % mit Imatinib und 57,8 % mit S-TKI2G). Arterielle Verschlussereignisse traten im ASC-Arm bei vier Behandelten auf und erreichten einmal einen Grad ≥ 3. Unter Imatinib wurden solche Ereignisse nicht berichtet, unter S-TKI2G jedoch bei drei Patienten, ebenfalls einmal mit einem Grad ≥ 3.
TIPI-Studie prüft Induktionsstrategie
Einen anderen Ansatz zur Optimierung der CML-Erstlinientherapie verfolgt die französische TIPI-Studie. Patienten mit CML-CP erhalten zunächst ein halbes Jahr lang das hochpotente, aber nicht sehr gut verträgliche Ponatinib (30 mg/Tag) zur Induktion; dann wird die Therapie zur Konsolidierung mit Imatinib (400 mg/Tag) fortgesetzt. Eingeschlossen wurden Patienten mit neu diagnostizierter CML im Alter von < 65 Jahren und ohne kardiovaskuläre Erkrankungen – außer einem kontrollierten Blutdruck, berichtete Prof. Delphine Rea, Paris, Frankreich [3, 4]. Nach median 18 Monaten Beobachtungsdauer hatten 89 % der Behandelten die Ponatinib-Therapie abgeschlossen, und 81,5 % hatten im Anschluss bereits über 18 Monate Imatinib erhalten. Wie Rea erläuterte, betrug in Monat 12 die ereignisfreie Überlebensrate (EFS) 86 %. In der Induktionsphase mit Ponatinib traten mehr auf den Wirkstoff zurückgeführte UE vom Grad 3–5 auf als in der Konsolidierungsphase mit Imatinib (81 vs. 68 %). Unter Imatinib wurden nur drei kardiovaskuläre UE vom Grad 3 (Hypertonie) festgestellt, zu arteriellen Verschlüssen oder Thrombosen kam es nicht.
Nach sechs Monaten Ponatinib hatten 57 % der Behandelten eine MMR erreicht. Die Ansprechrate stieg mit Imatinib langsam weiter an bis auf eine MMR-Rate von 72,5 % nach einem Jahr Imatinib-Therapie. Eine MR4 hatten nach sechs Monaten 30 % der mit Ponatinib Behandelten erreicht und 45 % nach 18 Monaten und einem Jahr Imatinib . Eine MR4,5 trat nach sechs Monaten Ponatinib bei 11 % der Patienten ein, in Monat 18 war der Anteil auf 21 % angewachsen. Ob sich dieser Trend in hohe TFR-Raten übersetzen wird, bleibt abzuwarten. Bei einer mindestens zwei Jahre anhaltenden MR4,5 (BCR::ABL1IS < 0,0032 %) nach mindestens 36 Monaten Studiendauer ist in der Studie eine Randomisierung vorgesehen, bei der in einem Arm die Therapie abgesetzt, im anderen die Imatinib-Therapie fortgeführt wird.
Das Schicksal der „anderen“
Nicht alle mit TKI behandelten Patienten mit CML-CP erreichen die Meilensteine für das molekulare Ansprechen in der in Leitlinien geforderten Zeit [5, 6]. Das GIMEMA LabNet-Netzwerk in Italien prüfte anhand des eigenen Registers, wie das molekulare Ansprechen in diesen Fällen verläuft.
Wie Prof. Fabio Stagno, Messina, Italien, berichtete, wurden Daten von 585 Patienten untersucht, die unter einer Erstlinientherapie mit Imatinib, Dasatinib oder Nilotinib nach sechs Monaten eine stabile majore Remission (MR3; BCR-ABL1-Ratio < 0,1 %) oder eine stabile MR2 (BCR/ABL1-Ratio ≤ 1,0 %) erreicht hatten und für die Ergebnisse zum molekularen Ansprechen nach mindestens 48 Monaten seit dem erstmaligen Erreichen einer MR3 oder MR2 vorlagen [7]. Nach 24 Monaten hatten 64 % der Patienten mit initial mäßigem molekularem Ansprechen mindestens eine MR4 erreicht; 32 % wiesen weiter eine stabile MR3/MR2 auf, 3,9 % eine nicht stabile MR2. Ein Unterschied der Ansprechtiefe je nach eingesetztem TKI fand sich nicht. Nach 48 Monaten hatten zwei Drittel derjenigen mit stabiler MR3/MR2 in der 24-Monats-Analyse doch noch mindestens eine MR4 geschafft; 32 % waren auf dem bisherigen Niveau weiter stabil und 2,6 % nicht stabil. Laut Stagno ist eine stabile MR3/MR2 über 24 Monate ein Prädiktor für ein längerfristig gutes molekulares Ansprechen, da 66 % dieser Patienten nach weiteren 24 Monaten noch eine tiefe molekulare Remission erreichten. Das Auftreten einer instabilen MR2 nach einer zunächst stabilen MR3 sei dagegen ein Warnzeichen für einen ungünstigen Verlauf.
Bericht vom 66th Annual Meeting and Exposition of the American Society of Hematology (ASH) vom 7. bis 10.12.2024 in San Diego, CA/USA.