Interview zum San Antonio Breast Cancer Symposium 2024: Studiendaten für den ­klinischen Alltag ­bewertet: „Es besteht die klare Rationale, zu deeskalieren“

Auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) im Dezember 2024 wurden unter anderem Studiendaten präsentiert, die die Versorgung von Menschen insbesondere mit einem frühen Mammakarzinom (EBC) beeinflussen. Für ganz entscheidend hält Prof. Achim Wöckel, Direktor der Universitätsfrauenklinik Würzburg mit zertifiziertem Brustzentrum des Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCCM), die Ergebnisse der deutschen INSEMA-Studie. Denn ihr Ansatz folge dem Ziel, bei möglichst maximaler Sicherheit und möglichst geringer Radikalität gute Ergebnisse zu erzielen. Dieser Intention der Deeskalation sind auch andere Studien gefolgt, deren Studiendaten Wöckel im Gespräch mit Trillium Krebsmedizin erläutert.

Herr Professor Wöckel, gab es für Sie ein persönliches Highlight auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 2024?
 

Wöckel: Eine der wichtigsten Studien, die in San Antonio, TX/USA, vorgestellt wurde, ist die INSEMA-Studie aus Deutschland. Das ist auch mein persönliches Highlight, weil ihr Ansatz unserem therapeutischen Ziel in der Onkologie folgt, bei möglichst maximaler Sicherheit und möglichst geringer Radikalität gute Ergebnisse für unsere Patientinnen und Patienten zu erzielen. Das ist gelungen mit dem Nachweis, dass bei bestimmten Erkrankten mit einem frühen Mammakarzinom (EBC) und klinisch unauffälligen axillären Lymphknoten (cN0) auf die Sentinellymphknotenbiopsie (SLNB) verzichtet werden kann – und dies bei einer Nachbeobachtungszeit von median gut sechs Jahren.

Die Teilnehmenden mit SLNB hatten in der INSEMA-Studie keinen prognostischen Vorteil gegenüber jenen ohne SLNB. Vor Ort wurde von praxisverändernden Daten gesprochen. Bei wem werden Sie zukünftig auf die SLNB verzichten?

Wöckel: Die Daten werden eine Veränderung in der Versorgungsroutine bringen und sind in der Tat „practice changing“. Es wurde eine klare Nichtunterlegenheit der Erkrankten ohne SLNB gezeigt und damit der Studienendpunkt erreicht. Die ­INSEMA-Studie wurde aktuell publiziert [1]. Die Daten sind konsistent mit den Ergebnissen früherer Studien, zum Beispiel der allerdings deutlich kleineren SOUND-Studie [2]. Mit zwei voll publizierten Studien sollte eine ausreichende Evidenz vorliegen, um kurz- und mittelfristig nicht nur in Deutschland, sondern auch international die Leitlinien entsprechend anzupassen.

Das Deeskalationskonzept der INSEMA-Studie eignet sich aus meiner Sicht für Erkrankte mit HR+/HER2– EBC ab dem 50. Lebensjahr, einer präoperativen Tumorgröße von maximal 2 cm und einem G1/2-Karzinom. Das waren diejenigen, die mehrheitlich in die INSEMA-Studie randomisiert wurden.  

Die 10-Jahres-Daten der SUPREMO-Studie [3] zeigen bei Personen mit EBC und intermediärem Risiko, dass eine Eskalation der Therapie durch eine Postmastektomie-Bestrahlung die Überlebenschance gegenüber jenen ohne Brustwandbestrahlung nicht substanziell verbesserte. Wie wichtig sind die Daten für den klinischen Alltag?

Wöckel: Das Besondere an der ­Studie SUPREMO ist aus deutscher Sicht, dass die adjuvante Brustwandbestrahlung bei Patientinnen und Patienten ohne Lymphknotenbefall (pN0) mit erhöhtem Risiko oder mit nur ein bis drei positiven Lymphknoten in der Axilla (N1) durchgeführt wurde. In Deutschland empfehlen wir die adjuvante Brustwandbestrahlung, insbesondere bei Betroffenen mit vier und mehr befallenen Lymphknoten. Die 10-Jahres-Daten der SUPREMO-Studie zeigen, dass die Behandelten mit ein bis drei befallenen Lymphknoten sowie jene ohne Lymphknotenbefall mit zusätzlichen Risikofaktoren bei adjuvanter Brustwandbestrahlung keinen Überlebensvorteil hatten. Brustwandrezidive waren zwar etwas seltener mit einem absoluten Unterschied von unter 2 %, was aber klinisch nicht statistisch signifikant war. Für mich ergibt sich aus den Daten, dass die Brustwandbestrahlung bei den meisten Erkrankten, welche die Einschlusskriterien der ­SUPREMO-Studie erfüllt haben, nicht durchgeführt werden muss, inklusive der meisten Patientinnen und Patienten mit pT1N1M0, pT2N1M0 und/oder pT3N0M0. Auch für diese Personen besteht die klare Rationale, zu deeskalieren.

 

Die einarmige TRAIN3-Studie verfolgte beim HER2-positiven EBC ein Konzept zur Deeskalation der neoadjuvanten Chemotherapie (NACT). Die 3-Jahres-Daten zum ereignisfreien Überleben (EFS) deuten darauf hin, dass bei dem Nachweis einer radiologischen Komplettremission nach drei oder sechs Monaten die NACT beendet werden kann, ohne dass eine erhöhte Ereignisrate auftritt [4]. Ist dies ein therapeutisches Zukunftsmodell?

Wöckel: TRAIN-3 ist eine kleine, aber wichtige Studie, die leider ohne randomisierten Vergleich durchgeführt wurde. Sie ist primär hypothesengenerierend, liefert aber einige wichtige Informationen. Zum einen hatte jede dritte Patientin mit ne­gativem Hormonrezeptor(HR)-Status (HR–/HER2+) und jede sechste Patientin mit positivem HR-Status (HR+/HER2+) EBC mit nur drei Zyklen einer NACT plus anti-HER2-gerichteter Therapie eine pathologische Komplettremission (pCR) erzielt.

Die pCR ging mit sehr guten Überlebensdaten einher und ist demnach nicht nur ein reiner Surrogatmarker, sondern ein Prädiktor für ein gutes Gesamtüberleben. Zudem zeigte sich, dass die Biologie des Tumors eine wichtige Grundsäule für die Bildgebung ist: So konnte eine pCR bei HR-negativem Status zuverlässiger mittels der Magnetresonanztomografie detektiert werden als bei positivem HR-Status. Die Deeskalation der NACT hatte dazu geführt, dass deutlich weniger Toxizität beobachtet wurde. Das Konzept der TRAIN-3-Studie sollte unter randomisierten Bedingungen erneut geprüft beziehungsweise durch weitere Daten ergänzt werden.

Die Langzeitergebnisse der Studie OlympiA haben die Wirksamkeit und Sicherheit von Olaparib beim HER2– Hochrisiko-EBC mit gBRCA1/2-Mutationsnachweis – unabhängig vom HR-Status – bestätigt [5]. Was sind für Sie die wichtigsten Konsequenzen aus diesen Daten?

Wöckel: Die vorgestellten Daten basieren auf einem medianen Follow-up von gut sechs Jahren und bestätigen die Wirksamkeitsvorteile zugunsten der zusätzlichen adjuvanten Olaparib-Gabe, inklusive eines anhaltenden Gesamtüberlebensvorteils, bei besagten Patientinnen und Patienten. Wichtig ist, dass sich dies auch sehr deutlich für die HR-positive Gruppe bestätigt und dass Olaparib zudem die Anzahl neu diagnostizierter primärer Malignome reduziert hat. Des Weiteren konnte die Sorge, dass im Langzeitverlauf ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines myelodysplastischen Syndroms und/oder von Sekundärleukämien wie der akuten lymphatischen Leukämie AML besteht, entkräftet werden. Die finalen Daten werden im Jahr 2029 erwartet, und sie werden dies hoffentlich ebenfalls bestätigen.

 

Ein Höhepunkt beim metastasierten Mammakarzinom (mBC) war die PATINA-Studie. Die um den CDK4/6-Inhibitor Palbociclib erweiterte Erhaltungstherapie mit Trastuzumab/Pertuzumab plus endokrine Therapie verlängerte beim triple-positiven mBC das progressionsfreie Überleben (PFS)statistisch hochsignifikant [6]. Wie bedeutend sind diese Ergebnisse, und wird das ein neuer Behandlungsstandard beim HR+/HER2+ mBC?

Wöckel: Die Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse für die klinische Routine: Der deutliche PFS-Vorteil deutet darauf hin, dass sich mit der Hinzunahme des CDK4/6-Inhibitors, hier Palbociclib, sowohl eine endokrine Resistenz als auch eine anti-HER2-gerichtete Resistenz überwinden lassen. Neue Sicherheits­signale wurden nicht beobachtet. Die Kombination aus endokrinbasierter Therapie plus anti-HER2-gerichteter Therapie könnte also bei Zulassung eine interessante Therapieoption beim triple-positiven mBC sein, speziell für die Erhaltungstherapie. Grundsätzlich gehe ich aber davon aus, dass sich die Evidenz im Laufe der Zeit durch den Einzug der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) in die vorderen Therapielinien überholen wird.

 

Fehlt der Studie ein chemotherapiefreier Arm, und ist es denkbar, zukünftig beim triple-positiven mBC in bestimmten Situationen auf eine Chemotherapie zu verzichten?

Wöckel: Das ist die Kernfrage schlechthin beim triple-positiven Mammakarzinom, da wir hier die Möglichkeit haben, therapeutisch mindestens zwei Rezeptoren und bei Einsatz der doppelten Antikörperblockade sogar drei Rezeptoren zu binden. Der chemotherapiefreie Arm fehlt in der Studie. Aber es gibt auch andere Studien, unter anderem die deutsche DETECT-V-Studie, die untersuchen, ob beim triple-positiven mBC auf eine Chemotherapie verzichtet werden kann.

 

In der EMBER-3-Studie wurde der orale Östrogen-Rezeptor-Degrader (SERD) Imlunestrant als Monotherapie und in Kombination mit Abemaciclib beim metastasierten HR+/HER2– Mammakarzinom mit und ohne Nachweis einer ESR1-Mutation eingesetzt [7]. Anders als die Monotherapie war die Kombination unabhängig vom ESR1-Mutationsnachweis effektiv. Welche Perspektiven bietet die Kombination aus oralem SERD plus CDK4/6-Inhibitor?

Wöckel: Mit Imlunestrant wurde ein neuer oraler SERD eingesetzt, der derzeit nicht zugelassen ist.

Die Daten zur Monotherapie sind konsistent mit den Monotherapiedaten zu Elacestrant. Sie untermauern damit die Bedeutung der frühzeitigen ESR1-Testung, um gegebenenfalls Elacestrant einsetzen zu können. Die ESR1-Testung sollte im Krankheitsverlauf wiederholt werden, da sich der ESR1-Status ändern kann.

Neu ist in der EMBER-3-Studie, dass die Kombination Imlunestrant/Abemaciclib unabhängig vom ESR1-Status das mediane PFS deutlich verbessert hat. Der PFS-Vorteil zeigte sich konsistent in allen relevanten Subgruppen. Das sind wichtige Daten, weil wir – so sich dies bestätigt und entsprechende Zulassungen vorliegen – auf eine Mutationstestung verzichten könnten beziehungsweise auch für die nicht ESR1-mutierten Erkrankten eine zusätzliche Therapieoption hätten. Die Kombinationstherapie aus oralem SERD und CDK4/6-Inhibitor muss weiter validiert werden. Das gilt auch für potenzielle Nebenwirkungen. Auffällig war in der EMBER-3-Studie die vergleichsweise ­hohe Diarrhö-Rate.

 

Die ersten Ergebnisse der deutschen PADMA-Studie bestätigen nach median knapp 37 Monaten die hohe Wirksamkeit der endokrinbasierten Erstlinienbehandlung mit einem CDK4/6-Inhibitor auch beim HR+/HER2– Hochrisiko-mBC und Chemotherapieindikation [8]. Welche dieser Betroffenen sollten first-line noch eine Chemotherapie bekommen?

Wöckel: Die PADMA-Studie ist trotz einer vergleichsweise geringen Fallzahl eine exzellente und wichtige Studie, die den hohen Stellenwert der endokrin­basierten Erstlinienbehandlung beim HR+/HER2– mBC untermauert. Sie zeigt noch einmal, wie wichtig es ist, genau hinzuschauen, welche dieser Patientinnen und Patienten first-line noch eine Chemotherapie benötigen. Lange Zeit galt, dass erkrankte Personen mit drohendem Leberversagen, sprich einem relevanten Bilirubin-Anstieg, beziehungsweise jene, die ein schnelles Ansprechen benötigen, first-line mit einer Chemotherapie am besten behandelt sind. Hier müssen wir umdenken, denn PADMA hatte einen hohen Anteil von viszeral und hepatisch metas­tasierten Teilnehmenden. Es gibt nur noch sehr wenige Betroffene, die first-line eine Chemotherapie brauchen. Dazu mögen beispielsweise Erkrankte mit Einflussstauungen und starker Ergussbildung gehören, die ein sehr intensives Ansprechen benötigen, und natürlich solche mit endokriner Resistenz beziehungsweise einer hohen Wahrscheinlichkeit, nicht auf eine endokrinbasierte Therapie anzusprechen.

 

Die randomisierte PRO-B-Studie der Charité in Berlin hat ergeben, dass metastasierte Brustkrebserkrankte, die wöchentlich über ihr Smartphone gefragt wurden, wie es ihnen geht, und bei Bedarf innerhalb von 48 Stunden Hilfe bekamen, nicht nur signifikant weniger Fatigue-Beschwerden hatten (primärer Studienendpunkt), sondern auch signifikant länger überlebten im Vergleich zur dreimonatlichen Nachsorge [9]. Was lässt sich aus diesen Daten ableiten?

Wöckel: Das ist eine großartige Studie, die aus dem Innovationsfonds kommt und damit nicht nur per se eine hohe Relevanz hat, sondern auch die Chance bietet, die Regelversorgung in Zukunft zu verändern. Die Studiendaten zeigen, dass sich durch ein engmaschiges Monitoring mit Rufbereitschaft sowie gegebenenfalls durch eine zeitnahe Kommunikation und Intervention die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und die Überlebenszeit deutlich verlängern lässt.

Das sind zwei sehr bemerkenswerte Ergebnisse, wie wir mit einfachen Mitteln – der zwischenmenschlichen Kommunikation und dem Sich-Kümmern – die Situation unserer Patientinnen und Patienten verbessern können. Personal und gute Kommunikation sind die Kernsäulen unserer Onkologie. Leider tritt die notwendige Patientenzentriertheit in unserem Gesundheitswesen im Rahmen der Ökonomisierung zunehmend in den Hintergrund. Das müssen wir ändern, denn wir induzieren damit negative Effekte an anderer Stelle. Auch das verursacht Kosten, die wir besser in neue Strukturen investieren sollten, welche unseren Patientinnen und Patienten zugutekommen. Dafür spricht auch, dass in der PRO-B-Studie die „Alarmmeldungen“ der erkrankten Personen am Lebensende deutlich zugenommen haben. Diese Menschen waren also im häuslichen Umfeld nicht adäquat versorgt.

 

Herr Professor Wöckel, vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

Das Interview führte Birgit-Kristin Pohlmann.