Annual Meeting of the American Society of Hematology (ASH) 2024
Akute myeloische Leukämie: Aktuelle Ergebnisse zur zielgerichteten Therapie
Die biologische Charakterisierung einer akuten myeloischen Leukämie (AML) ist für die Risikoabschätzung und Therapiewahl unerlässlich. Anlässlich des Annual Meeting and Exposition of the American Society of Hematology (ASH) in San Diego, CA/USA, im Dezember 2024 wurden Langzeitdaten und neue Ansätze zur zielgerichteten Therapie der AML vorgestellt.
Schlüsselwörter: akute myeloische Leukämie (AML), zielgerichtete Therapie, Next Generation Sequencing, FLT3 („fms-related tyrosine kinase 3“), Midostaurin, Lysinmethyltransferase 2A (KMT2A), Revumenib
Eine AML wird in der Routine häufig als Notfall behandelt. Dennoch: Ein umfassendes Next Generation Sequencing (NGS) dauert laut Prof. Samuel J. Yates, Chicago, IL/USA, oft zehn bis 14 Tage. Die retrospektive Auswertung des US-amerikanischen Consortium on Myeloid Malignancies and Neoplastic Diseases (COMMAND) belegt, dass bei älteren oder weniger fitten Patienten das NGS-Ergebnis abgewartet werden kann, ohne dass es dadurch unbedingt zu einem schlechteren Behandlungsergebnis kommt als bei einem früheren Behandlungsbeginn [1]. Analysiert wurden Daten von Personen mit neu diagnostizierter AML im Alter von im Median 76 Jahren, die im Rahmen verschiedener Studien oder im klinischen Alltag mit einer hypomethylierenden Substanz (HMA) plus Venetoclax behandelt worden waren. Das mediane Gesamtüberleben (OS) betrug in der Kohorte 10,4 Monate. Die 30-Tage-Mortalitätsrate lag bei 3,7 %, die 60-Tage-Mortalitätsrate bei 11,0 %.
Unterschieden wurden vier Subgruppen mit einer Zeit zwischen Diagnose und Therapiestart (TDT) von weniger als zehn Tagen, zehn bis 14 Tagen, 15 bis 20 Tagen und mehr als 20 Tagen. Im Median lag die TDT bei neun Tagen, war aber bei einem ECOG-PS (Eastern Cooperative Oncology Group Performance Status) von 3–4, einer IDH1/2-Mutation und bei hohen Leukozytenzahlen (≥ 25.000/µl) deutlich kürzer. Die Gruppen mit einer TDT von fünf bis zehn und von zehn bis 15 Tagen wiesen keine OS-Unterschiede auf. Signifikant schlechter war das OS allerdings bei denjenigen mit einer TDT von weniger als fünf Tagen im Vergleich zu denjenigen mit einer TDT von zehn bis 15 Tagen (p = 0,01).
Yates geht davon aus, dass Patienten mit einem schlechten ECOG-Performance-Status und einem aggressiven Phänotyp besonders rasch behandelt werden, dass sie als prognostisch ungünstige Gruppe jedoch auch das höchste Risiko haben. Die Daten bestätigen insgesamt aber für die Gesamtkohorte, dass bei neu diagnostizierter AML vor der Therapie mit einer HMA plus Venetoclax eine umfassende Abklärung der Krankheitsbiologie inklusive NGS erfolgen sollte, um die individuell bestmögliche Therapie zu identifizieren. Yates regte an, die Zeit für eine Prähabilitation vor Therapiebeginn bis in die Induktion hinein zu nutzen.
Zehn Jahre RATIFY-Studie
Im Jahr 2017 belegte die Studie CALGB 10603/RATIFY erstmals einen Vorteil einer zielgerichteten Therapie bei einem genetisch definierten Subtyp der AML. Midostaurin zusätzlich zur Chemotherapie verbesserte das mediane OS bei AML mit FLT3(„fms-related tyrosine kinase 3“)-Mutation nach median vier Jahren Beobachtung im Vergleich zu Placebo plus Chemotherapie signifikant (74,7 vs. 25,6 Monate; p = 0,009) [2]. Jetzt stellte Studienleiter Prof. Richard M. Stone, Boston, MA/USA, die 10-Jahres-Ergebnisse der Studie vor [3]. Das mediane ereignisfreie Überleben (EFS) betrug in der Midostaurin-Gruppe in dieser Auswertung 8,2 Monate und in der Placebogruppe 3,0 Monate (Hazard Ratio [HR] 0,79; 95 %-Konfidenzintervall [95 %-KI] 0,67–0,94; p = 0,0067). Das OS war mit Midostaurin immer noch etwas besser als in der Placebogruppe (Abb. 1), obwohl die Kohorte gealtert war und damit konkurrierende Todesursachen häufiger wurden, wie Stone betonte. Die geschätzte 10-Jahres-OS-Rate betrug in der Midostaurin-Gruppe 43,6 % und in der Placebogruppe 38,6 % (p = 0,0487).
Ein vergleichbarer Trend zeigte sich in allen biologischen Subgruppen (interne Tandemduplikation [ITD] von FLT3 mit niedriger und hoher Allellast sowie eine Mutation der Tyrosinkinasedomäne [TKD] von FLT3). Eine allogene Stammzelltransplantation in erster Komplettremission (CR1) führte im Vergleich zu keiner Transplantation in CR1 unabhängig von der Behandlungsgruppe zu deutlich besseren 10-Jahres-OS-Raten (56 vs. 36 %; p < 0,0001). Allerdings profitierten insgesamt scheinbar nur männliche Patienten (p = 0,005), Frauen jedoch nicht (p = 0,9).
Triple-Therapie für ältere Patienten mit FLT3-mutierter AML
Bei älteren oder weniger fitten Betroffenen mehren sich Hinweise, dass ein FLT3-Inhibitor zusätzlich zu HMA plus Venetoclax das Ansprechen und das OS der Patienten verbessern kann [4]. Prof. Nicholas J. Short, Houston, TX/USA, stellte dazu eine retrospektive Auswertung von 88 im MD Anderson Cancer Center der Universität von Texas mit einem solchen Triplett-Regime behandelten Erwachsenen mit neu diagnostizierter AML mit FLT3-Mutation vor [5]. Als FLT3-Inhibitor wurde in 69 % der Fälle Gilteritinib, bei 21 % Quizartinib, bei 8 % Sorafenib und bei 2 % Midostaurin eingesetzt.
Nach 25,5 Monaten betrug das mediane OS mit der Triple-Therapie 28,1 Monate, und die geschätzte 3-Jahres-OS-Rate lag bei 46 %. Das nannte Short im Vergleich zu Ergebnissen der Therapie mit Azacitidin und Venetoclax ohne FLT3-Inhibitor in der VIALE-A-Studie [6] bemerkenswert. Für Patienten mit FLT3-ITD betrug das mediane OS bei Triple-Therapie 28,1 Monate, und das 2-Jahres-OS lag bei 57 % (VIALE-A 9,9 Monate und 20 %); Patienten mit Nicht-ITD-Mutationen von FLT3 erreichten ein medianes OS unter der Triple-Therapie von 39,3 Monaten und ein 2-Jahres-OS von 76 % (VIALE-A 19,2 Monate und 43 %). Waren zu Studienbeginn RAS-Mutationen nachgewiesen worden, war die Prognose allerdings deutlich schlechter.
24 Patienten entwickelten ein Rezidiv. 65 % der Rezidive waren durch FLT3-negative Klone ausgelöst worden. Die Prognose nach einem Rezidiv war schlecht (medianes OS 4,5 Monate), wobei ein FLT3-positiver Rückfall mit einem noch kürzeren medianen OS einherging als ein FLT3-negativer Rückfall (medianes OS 1,6 vs. 10,1 Monate).
INTERVENE-Studie: Midostaurin plus gering dosiertes Cytarabin und Venetoclax
In der Phase-I/II-Studie INTERVENE wurde Midostaurin bei Patienten mit neu diagnostizierter AML eingesetzt, die nicht fit für eine intensive Therapie waren und keine ungünstigen Prognosefaktoren aufwiesen [7]. Dabei wurde Venetoclax dauerhaft gegeben, während gering dosiertes Cytarabin („low-dose cytarabine“; LDAC) und Midostaurin abgewechselt wurden, um die Myelosuppression durch die Therapie zu begrenzen. In der randomisierten Phase-II-Studie erfolgte die Behandlung in der Kontrollgruppe mit LDAC und Venetoclax. Da ursprünglich ein Effekt von Midostaurin auf eine AML auch ohne FLT3-Mutation vermutet wurde, wurden Patienten unabhängig von dieser Alteration in die Studie eingeschlossen. Nur etwa ein Viertel wies eine FLT3-Mutation (alle FLT3-ITD) auf. Wie Prof. Chong Chyn Chua, Melbourne, Australien, berichtete, profitierten auch nur diese Betroffenen von Midostaurin zusätzlich zu LDAC und Venetoclax.
Das mediane OS betrug in dieser Gruppe mit der Triple-Therapie 16,6 Monate, mit LDAC plus Venetoclax allein 8,8 Monate (HR 0,25).
Therapie bei Alteration des Gens der Lysinmethyltransferase 2A (KMT2A)
Alterationen im Lysinmethyltransferase 2A(KMT2A)-Gen bedeuten bei akuten Leukämien eine ungünstige Prognose. Treiber der Leukämie ist dabei die Menin-KMT2A-Fusionsprotein-Interaktion. Menin-Inhibitoren wie Revumenib sollen die Zelldifferenzierung wieder anstoßen. In der Phase-II-Studie AUGMENT-101 wird Revumenib bei Kindern und Erwachsenen mit verschiedenen rezidivierten/refraktären (r/r) akuten Leukämien mit Rearrangements des KMT2A-Gens (KMT2Ar) eingesetzt [8]. Ein eigener Studienarm prüft Revumenib auch bei AML mit einer Mutation im Nucleophosmin-Gen (NPM1m). Prof. Ibrahim T. Aldoss, Duarte, CA/USA, stellte anlässlich des ASH Annual Meeting 2024 die Ergebnisse der Kohorte von 97 Patienten mit KMT2Ar (80 % mit AML) vor. Jeder fünfte Betroffene (19,6 %) wies eine primär refraktäre Erkrankung auf. 42,3 % hatten bereits drei und mehr Therapielinien erhalten, 63,9 % waren zuvor schon mit Venetoclax behandelt worden, und 47,4 % waren stammzelltransplantiert.
Mit Revumenib wurde eine Gesamtansprechrate von 63,9 % erreicht. Eine Komplettremission mit vollständiger oder teilweiser hämatologischer Erholung (CR/CRh) erreichten 23 % der Behandelten (n = 22; 15,5 % CR; 7,2 % CRh). Wurde ein CR/CRh erzielt, hielt es im Median 6,4 Monate an. Acht der Patienten mit einem so guten Ansprechen überlebten bislang ohne ein Rezidiv, betonte Aldoss. Die Art der KMT2A-Translokation spielte meist keine Rolle für das Ansprechen auf Revumenib; nur zwei Patienten mit einer t(1;11) sprachen nicht auf Revumenib an. Von den 21 Patienten mit CR/CRh, die transplantiert wurden und für die MRD-Ergebnisse vorlagen, waren 66,7 % nach der Transplantation MRD-negativ.
Unter der Therapie mit Revumenib waren die häufigsten unerwünschten Ereignisse vom Grad ≥ 3 febrile Neutropenie (38,8 %), Anämie (19,8 %), erniedrigte Thrombozytenzahlen (1,4 %), Differenzierungssyndrom (14,7 %), erniedrigte Neutrophilenzahlen (14,7 %), verringerte Leukozytenzahlen (14,7 %), Sepsis (13,8 %) und QTc-Verlängerung (12,9 %).
In den USA ist Revumenib bereits zur Behandlung von Patienten im Alter ab einem Jahr zugelassen, die an einer r/r akuten Leukämie mit KMT2A-Translokation leiden.
Bericht vom 66th Annual Meeting and Exposition of the American Society of Hematology (ASH) vom 7. bis 10.12.2024 in San Diego, CA/USA.