Typ-1-Interferonopathien

Die Typ-1-Interferonopathien stellen eine Gruppe genetisch bedingter seltener Erkrankungen dar, die durch eine Fehlfunktion des angeborenen Immunsystems hervorgerufen werden. Ihr klinisches Spektrum ist sehr breit und sowohl durch Autoinflammation als auch durch Autoimmunität charakterisiert. Gemeinsames Kennzeichen ist eine Dysregulation der antiviralen Typ-1-Interferon (IFN)-Achse, die zu einer konstitutiven Typ-1-IFN-Aktivierung führt. Pathogenetisch liegen den Typ-1-Interferonopathien Störungen im Metabolismus und im Sensing von intrazellulären Nukleinsäuren zugrunde. Unser derzeitiges Wissen über die Entstehung der Typ-1-Interferonopathien weist darauf hin, dass eine Hemmung der pathogenen Typ-1-IFN-Aktvierung therapeutisch wirksam sein könnte. 

Schlüsselwörter: Typ-1-Interferon, Autoinflammation, Autoimmunität, angeborene Immunität, Genetik, Pathogenese

Typ-1-Interferone, IFN-α und IFN-β, fungieren als wesentliche Effektorzytokine der Immunantwort auf Viren und andere intrazelluläre Erreger. Die Produktion von Typ-1-IFN, zu der fast alle Körperzellen befähigt sind, erfolgt normalerweise nicht konstitutiv, sondern wird durch Rezeptoren des angeborenen Immunsystems induziert, welche Gefahrensignale ausgehend von pathogenen Erregern detektieren. Die Aktivierung der Typ-1-IFN-Signalkaskade resultiert in der transkriptionellen Induktion hunderter IFN-stimulierter Gene, deren Zusammenspiel den Wirtsorganismus in einen antiviralen Zustand versetzt, mit dem Ziel, infizierte Zellen zu eliminieren und die Verbreitung einer Infektion zu limitieren (Abb. 1). Eine unkontrollierte Aktivierung von Typ-1-IFN kann jedoch schädliche Folgen für den Wirtsorganismus haben, da dies inadäquate Entzündungsprozesse sowie den Verlust der immunologischen Toleranz begünstigt. Die Aufklärung der genetischen Ursachen seltener monogener Krankheitsbilder, die mit einer chronischen Typ-1-IFN-Aktivierung einhergehen, hat zur Identifizierung neuer Krankheitsmechanismen beigetragen, die zu Autoinflammation und Autoimmunität führen. 

Nukleinsäure-Sensing und Typ-1-Interferon

Die Wahrnehmung einer viralen Infektion durch den Wirtsorganismus erfolgt primär über die Detektion viraler Nukleinsäuren, die als fremde mikrobielle Strukturen (Pathogen-associated molecular pattern) von Mustererkennungsrezeptoren (Pattern recognition receptor) erkannt werden. Im Endosom dendritischer Zellen werden RNA und DNA, welche aus phagozytierten viralen Partikeln stammen, durch Toll-like Rezeptoren TLR3, TLR7 und TLR9 registriert. Die TLR-Aktivierung führt vermittelt über die Transkriptionsfaktoren IRF3, IRF7 und NK-κB zur Induktion von Typ-1-IFN und pro-inflammatorischer Zytokine [1]. Im Zytosol hingegen erfolgt die Erkennung von Nukleinsäuren TLR-unabhängig (Abb. 1). So wird zytosolische RNA durch zwei ubiquitär exprimierte Rezeptoren, RIG-I und MDA5, erkannt. Während RIG-I kurze dsRNA mit einem Triphosphat am 5´-Ende bindet, stellen lange dsRNA-Moleküle die Liganden von MDA5 dar. Beide RNA-Sensoren aktivieren NK-κB und IRF3/IRF7 nach Rekrutierung an das MAVS-Adapterprotein [2]. Das Sensing von zytosolischer DNA erfolgt im Wesentlichen durch die Nukleotidyltransferase cGAS, die nach Bindung von DNA die Synthese des Second Messengers cGAMP katalysiert. Die Rekrutierung von cGAMP an das Adaptermolekül STING aktiviert IRF3, welches in den Kern transloziert und die Transkription des IFNB-Gens induziert [2]. 

Die biologischen Funktionen von Typ-1-IFN werden über den Typ-1-IFN-Rezeptor vermittelt, einem Oberflächenrezeptor bestehend aus den zwei Untereinheiten IFNAR1 und IFNAR2 [3]. Die Bindung von Typ-1-IFN an seinen Rezeptor setzt eine Signalkaskade in Gang, die mit der Phosphorylierung der Rezeptor-assoziierten Janus-Kinasen JAK1 und Tyrosinkinase 2 initiiert wird. Dies ermöglicht die Bindung der Transkriptionsfaktoren Signal transducers and activators of transcription 1 (STAT1) und STAT2 an den Rezeptor. Die nachfolgende Phosphorylierung von STAT1 und STAT2 induziert deren Dimerisierung und Translokation in den Zellkern, wo sie die Expression von IFNB sowie zahlreicher IFN-stimulierter Gene aktvieren [3]. Auf diese Weise beeinflussen Typ-1-IFN im Rahmen der antiviralen Immunantwort verschiedenste zelluläre Prozesse, die einerseits pro-apoptotische, andererseits auch immunostimulatorische und pro-inflammatorische Effekte ausüben.

Unterscheidung zwischen Selbst und Nicht-Selbst

Im Gegensatz zum adaptiven Immunsystem, das mithilfe der somatischen Rekombination antigenspezifische Effektorzellen mit hoher Diversität bildet, beruht die Erkennung von mikrobiellen Strukturen durch das angeborene Immunsystem auf unveränderlichen, keimbahnkodierten Rezeptoren. Für die Erkennung der gesamten Erregervielfalt mithilfe einer relativ geringen Anzahl von Rezeptoren eignen sich folglich nur Strukturen, die hoch konservierte invariable Merkmale aufweisen. Mit den Nukleinsäure-Sensoren wie RIG-I, MDA5 und cGAS verfügt das angeborene Immunsystem über Rezeptoren, die einen integralen Bestandteil aller Viren erkennen, nämlich das aus DNA oder RNA bestehende Genom [2]. Da diese Nukleinsäure-Sensoren jedoch nur begrenzt in der Lage sind, zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ zu unterscheiden, kann eine antivirale Typ-1-IFN-Antwort prinzipiell auch durch körpereigene Nukleinsäuren des Wirtsorganismus ausgelöst werden. In der Tat spielt die immunologische Erkennung von „Selbst“-Nukleinsäuren eine zentrale Rolle in der Pathogenese des SLE [4]. So kann viral induziertes IFN-α eine Fehlregulation der Immunantwort in Gang setzen, die einerseits über die Reifung und Proliferation myeloider dendritischer Zellen die Antigenpräsentation fördert und andererseits über die Aktivierung autoreaktiver B-Zellen zur Entstehung von Autoantikörpern führt. Diese beim SLE typischerweise gegen Nukleinsäuren gerichteten Autoantikörper bilden mit „Selbst“-Nukleinsäuren aus Zelldebris Immunkomplexe. Die Ablagerung dieser Immunkomplexe in den Gefäßen setzt einerseits Entzündungsprozesse in Gang, andererseits stimuliert die Aufnahme der Immunkomplexe durch plasmazytoide dendritische Zellen über TLR-Signalkaskaden die weitere IFN-α-Produktion [4]. Auf diese Weise entsteht ein Circulus vitiosus, der zum Zusammenbruch der immunologischen Toleranz und damit zu Autoimmunität führt. Demzufolge muss der Organismus über geeignete Mechanismen verfügen, die einerseits eine prompte und effiziente Immunantwort gegenüber viralen Nukleinsäuren gewährleisten, andererseits jedoch vor einer inadäquaten Aktivierung des Immunsystems durch körpereigene Nukleinsäuren schützen.

Typ-1-Interferonopathien

Die Typ-1-Interferonopathien umfassen eine Gruppe genetisch und phänotypisch heterogener Krankheitsbilder, die durch eine Fehlfunktion des angeborenen Immunsystems bedingt sind (Tab. 1) [5–8]. Obwohl ihr klinisches Spektrum sehr breit ist, sind alle Typ-1-Interferonopathien durch eine chronische Aktivierung der Typ-1-IFN-Achse sowie die klinische Ausprägung von Autoinflammation und Autoimmunität gekennzeichnet. Mit Ausnahme des multifaktoriellen SLE handelt sich hierbei um sehr seltene Erkrankungen. Die molekularen Ursachen, die der pathogenen Aktivierung von Typ-1-IFN zugrunde liegen, sind vielfältig und beruhen entweder auf (1) einer unphysiologischen Akkumulation oder chemischen Modifikation von endogenen Nukleinsäuren, (2) einer erhöhten oder veränderten Sensitivität von Nukleinsäure-Sensoren, (3) einer Liganden-unabhängigen Aktivierung von Komponenten der den Nukleinsäure-Sensoren nachgeschalteten Signalkaskaden oder (4) einer gestörten negativen Regulation von Typ-1-IFN-Signalwegen (Abb. 1) [5].

Die prototypische Typ-1-Interferonopathie ist das Aicardi-Goutières-Syndrom (AGS), eine systemisch entzündliche Erkrankung, die sich im Säuglingsalter subakut als Enzephalopathie mit Irritabilität, Dystonie und Krämpfen manifestiert und von Fieberschüben begleitet werden kann. Das AGS ähnelt klinisch einer konnatalen viralen Infektion, ohne dass ein entsprechender Erreger nachweisbar wäre. Die Erkrankung kann sich bereits intrauterin mit zerebralen Verkalkungen oder im Neugeborenenalter mit Enzephalopathie, Hepatopathie und Thrombozytopenie manifestieren. Pathognomonisch sind Kälte-induzierte kutane entzündliche Läsionen der Akren, sogenannte Chilblain-Läsionen, die jedoch nur bei etwa 20% der Patienten beobachtet werden, sowie weitere Lupus-typische Symptome wie Arthritis, antinukleäre Antikörper oder Lymphopenie [9]. Das AGS kann durch Mutationen in mindestens sieben Genen verursacht werden (Tab. 1). 

Die zytosolische DNase TREX1 baut ssDNA ab, die im Rahmen der DNA-Reparatur oder des Lebenszyklus von Retroelementen entstehen [10, 11]. In TREX1-defizienten Zellen akkumuliert die nicht metabolisierte DNA und induziert über den cGAS/IRF3-Signalweg eine Typ-1–IFN-Aktivierung. Die Ribonuklease H2 entfernt misinkorporierte Ribonukleotide aus genomischer DNA [12]. Eine unvollständige Ribonukleotid-Exzisionsreparatur erhöht die Brüchigkeit genomischer DNA. Bei AGS-Patienten führen biallele Mutationen in den RNASEH2-Genen zur Akkumulation von DNA-Metaboliten aus DNA-Reparaturvorgängen, die für die konstitutive Typ-1-IFN-Aktivierung verantwortlich gemacht werden [13]. SAMHD1 kodiert eine Triphosphohydrolase, welche dNTPs, die Bausteine der DNA-Synthese, abbaut. Eine SAMHD1-Defizienz führt über eine gestörte dNTP-Homöostase zu Genominstabilität [14]. Zudem besitzt SAMHD1 auch RNase-Aktivität, wobei seine physiologischen RNA-Substrate unbekannt sind. Die Deaminierung von Adenosin zu Inosin in dsRNA durch die RNA-spezifische Adenosin-Deaminase verhindert die Erkennung körpereigener RNA durch den dsRNA-Sensor MDA5 [15]. Aktivierende Mutationen in IFIH1, das MDA5 kodiert, erhöhen die Affinität des Rezeptors für dsRNA und bedingen auf diese Weise eine inadäquate Typ-1-IFN-Aktivierung [16].

Translationale Aspekte

Die den Typ-1-Interferonopathien zugrunde liegenden molekularen Ursachen machen deutlich, dass das angeborene Immunsystem über komplexe regulatorische Mechanismen verfügt, die inadäquate Typ-1-IFN-abhängige Entzündungsprozesse durch körpereigene Nu­kleinsäuren verhindern und damit auch an der Aufrechterhaltung von Immuntoleranz beteiligt sind. Diese Erkenntnisse erweitern somit auch das Konzept der Autoinflammation, das sich in seiner klassischen Definition von Autoimmunität abgrenzt. Die entzündliche Ätiologie der Typ-1-Interferonopathien legt nahe, dass eine Hemmung der konstitutiven Typ-1-IFN-Aktivierung therapeutisch wirksam sein könnte. So ist es möglich, dass insbesondere bei Kindern mit AGS eine frühe Intervention irreversible neurologische Folgen mildern oder gar verhindern könnte. Derzeit stehen bereits potenziell wirksame Medikamente zur Verfügung, mit denen der Typ-1-IFN-Signalweg gehemmt werden kann. Hierzu zählen IFN-α-blockierende Antikörper, IFNAR-Rezeptorblocker oder Janus-Kinasen (JAK)-Inhibitoren, deren Wirksamkeit bei Patienten mit SLE oder rheumatoider Arthritis bereits demonstriert werden konnte. In der Tat zeigen erste Fallberichte, dass eine JAK-Inhibition bei Patienten mit Typ-1-Interferonopathien therapeutisch effektiv ist [17–21]. Zudem wird die Entwicklung neuer therapeutischer Moleküle, die Komponenten des Typ-1-IFN-Signalwegs wie cGAS und STING spezifisch hemmen können, neue therapeutische Perspektiven eröffnen. Für die Erfassung des gesamten klinischen Spektrums und des Verlaufs der Typ-1-Interferonopathien insbesondere im Rahmen von therapeutischen Interventionen sind jedoch noch umfassendere Kenntnisse erforderlich. 

Fazit für die Praxis

Typ-1-Interferonopathien umfassen eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen des angeborenen Immunsystems, die durch eine konstitutive Typ-1-IFN-Aktvierung gekennzeichnet sind. Da es erste Hinweise dafür gibt, dass die Hemmung der pathogenen Typ-1-IFN-Aktivierung durch JAK-Inhibition therapeutisch wirksam ist, sollten Patienten mit unklarer Autoinflammation hinsichtlich einer Typ-1-Interferonopathie abgeklärt werden. Differenzialdiagnostisch hinweisend ist der Nachweis einer Interferon-Signatur im Blut. Dieser diagnostische Test wird im Labor der Arbeitsgruppe Lee-Kirsch, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, angeboten. Die Sicherung der Diagnose kann durch eine weiterführende molekulargenetische Untersuchung erfolgen.

Autor
Prof. Dr. Med. Min Ae Lee-Kirsch
Molekulare Pädiatrie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden
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