Bakterielle Sepsis: SIRS, SOFA und qSOFA

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.04.06

Eine Sepsis ist auch heutzutage eine lebensbedrohliche Erkrankung. Es existieren verschiedene Screening-Methoden mit jeweils unterschiedlicher Sensitivität und Spezifität. Für den Erregernachweis ist die Präanalytik von großer Bedeutung, um Kontaminationen zu vermeiden.

Schlüsselwörter: Systemic Inflammatory Response Syndrome, Laktat, Blutkultur, Therapie

Definition und Screening

Die Sepsis ist eine Organfehlfunktion, wobei der Auslöser dieser Organschädigung eine Immunreaktion des Körpers als Antwort auf eine Infektion ist [1]. Das Auftreten eines Organversagens ist hier charakteristisch: Es unterscheidet eine Sepsis von einer unkomplizierten Infektion und ist nicht immer bereits zu Beginn einer lokalisierten Infektion vorhanden.

Die „Systemic Inflammatory Response Syndrome“(SIRS)-Kriterien weisen eine geringe Spezifität für Sepsis auf: 47 % aller hospitalisierten Patient:innen auf Normalstation erfüllten während ihres Krankenhausaufenthalts mindestens einmal zwei Kriterien, was zur Diagnose des SIRS ausreicht [2]. Eine Veränderung des „Sequential Organ Failure Assessment“(SOFA)-Scores um mindestens zwei Punkte weist hingegen auf eine Sepsis hin und ist eine gute Ergänzung zu den SIRS-Kriterien für das Screening. Der SOFA-Score zeigte sich den SIRS-Kriterien in der Prognosegenauigkeit einer Sepsis-assoziierten Organdysfunktion und Mortalität bei Patient:innen auf Intensivstationen überlegen [3, 4]. Während die Spezifität für eine durch eine Infektion hervorgerufene Störung des quickSOFA(qSOFA)-Score bei Patient:innen in der Notaufnahme höher ist, ist die Sensitivität der SIRS-Kriterien im Vergleich besser [5, 6]. In der Notaufnahme eignete sich der qSOFA-Score insbesondere zur Einschätzung einer möglichen Mortalität [7], sodass dieser mittlerweile auch im Rettungsdienst verankert wurde (Tab. 1).

Tab. 1: Kriterien SIRS vs. qSOFA vs. SOFA. 

PaO2 = arterieller Sauerstoffpartialdruck, FiO2 = inspiratorische Sauerstofffraktion, MAD = mittlerer arterieller Druck, SIRS = systemic inflammatory response syndrome, SOFA = sequential organ failure, qSOFA = quick SOFA

 

 

SIRS

qSOFA

SOFA

Lunge

PaO2/FiO2

 

 

X

Atemfrequenz

X

X

 

ZNS

Glasgow Coma Scale

 

X

X

Herz/Kreislauf

Systolischer Blutdruck

 

X

 

MAD bzw. Katecholaminbedarf

 

 

X

Herzfrequenz

X

 

 

Blutbild

Leukozyten

X

 

 

Thrombozyten

 

 

X

Leber

Bilirubin

 

 

X

Niere

Kreatinin oder Urinproduktion

 

 

X

Temperatur

 

X

 

 

Da die Sepsis ein sehr variables und dynamisches Krankheitsbild ist, wird im Verlauf einer Infektion empfohlen, wiederholt auf Organdysfunktionen zu achten.

„Ein septischer Schock ist definiert als eine trotz adäquater Volumentherapie persistierende arterielle Hypotension mit der Notwendigkeit einer Therapie mit Vasopressoren, um einen mittleren arteriellen Blutdruck von ≥ 65 mmHg zu erreichen. Gleichzeitig muss der Laktatwert im Serum > 2 mmol/l betragen“ [8, S. 39] (Normalwert: 0,5–2,2 mmol/l).

Laktat ist als ein Screening-Parameter für Patient:innen im septischen Schock mit erhöhtem Risiko für Organversagen oder Tod etabliert [9]. Je länger Laktat als Marker einer ungenügenden Gewebeperfusion erhöht bleibt, umso schlechter ist die Prognose der Patient:innen und der Organfunktion. Idealerweise sinken die Laktatspiegel unter der Therapie innerhalb der ersten Stunden rasch ab. Intoxikationen, Medikamente, Krampfanfälle oder maligne Erkrankungen können jedoch unabhängig von einer Sepsis den Laktatspiegel erhöhen, sodass eine alleinige Ausrichtung der Therapie auf eine Normalisierung des Laktats nicht ausreichend ist.

Diagnostik und Therapie

Sepsis und septischer Schock sind medizinische Notfälle, daher sollte mit der Behandlung und der hämodynamischen Stabilisierung unmittelbar bei der Diagnosestellung begonnen werden [9].

Um Patient:innen effektiv gegen die ursächliche Infektion therapieren zu können, müssen ohne zeitliche Latenz [10] und ohne wesentliche Verzögerung einer stabilisierenden Therapie noch vor dem Beginn einer antiinfektiven Therapie die erforderlichen mikrobiologischen Kulturen entnommen werden. Dies führt zu einem besseren Überleben der Patient:innen [10].

Insbesondere bei schwerer Sepsis und septischem Schock ist immer die Abnahme von mindestens zwei Sets an Blutkulturen für eine aerobe und anaerobe Kultur mit jeweils mindestens 10 ml Blut erforderlich. Die Entnahme darf nicht aus bereits liegenden Kathetern erfolgen und muss mit ausreichenden aseptischen Maßnahmen durchgeführt werden. Der Zeitpunkt der Entnahme sollte sich nicht nach der Körpertemperatur der Patient:innen richten, da Erkrankte mit Hypothermie einen schlechteren Verlauf haben oder bei immungeschwächten und älteren Personen möglicherweise auch bei einer schweren Infektion kein Fieber auftritt.

Neben den Blutkulturen sollte immer versucht werden, eine spezifische bakterielle Probe vom Ort der vermuteten Infektion für die Kultur zu entnehmen. Die Qualität der entnommenen Proben ist für die Wertigkeit der Ergebnisse entscheidend. Daher kann z. B. ein Sputum ohne Leukozyten in der Mikroskopie nicht als repräsentativ angesehen werden. Fehler bei der Gewinnung von Urin-Kulturen sind die Entnahme aus einem liegenden Dauerkatheter oder aus einer suprapubischen Blasenfistel („Pufi“).

Welches Antibiotikum sofort nach der Entnahme der Kulturen [10] verabreicht wird, hängt von der vermuteten Infek­tionsquelle, den zu erwartenden Erregern und deren Resistenzspektrum ab. Daher ist es sinnvoll, ein Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programm zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus und evtl. in Zukunft auch im ambulanten Setting zu etablieren und sich über das Risiko in der Behandlungseinheit für resistente Keime der Patient:innen im Klaren zu sein.

Idealerweise muss innerhalb der ersten Stunde nach der Diagnosestellung neben der hämodynamischen Stabilisierung der Patient:innen auch mit der spezifischen anti-infektiven Therapie begonnen werden [10]. Diese soll primär ein breites Keimspektrum umfassen, muss nach den Ergebnissen der mikrobiologischen Untersuchung aber dann rasch deeskaliert werden. Auf eine kalkulierte Kombinationstherapie sollte bis auf Ausnahmefälle verzichtet werden. Auch beim fehlenden Nachweis eines Erregers in den Kulturen soll bei klinischer Besserung 48 bis 72 Stunden nach Beginn einer Therapie diese auf den hochwahrscheinlichen Erreger eingegrenzt werden.

Insgesamt besteht die Tendenz, die Therapiedauer eher zu lange zu gestalten. Eine kürzere Therapiedauer ist aber sogar mit einem besseren Überleben assoziiert [11]. Nur in Ausnahmefällen ist eine anti-infektive Therapie länger als sieben bis zehn Tage erforderlich. Dies ist beispielsweise bei einer durch Staphylococcus aureus verursachten Bakteriämie der Fall, die je nach klinischer Situation zwei oder vier bis sechs Wochen lang mit einem als empfindlich getesteten, für Staphylokokken geeigneten Antibiotikum behandelt wird. Die Therapie lässt sich durch den Verlauf der klinischen und hämatologisch-laborchemischen Parameter sehr gut begrenzen (Abb. 1).

Erreger

Klassischerweise zeigen die steril entnommenen Kulturen nur einen Erreger. Je mehr Erreger nachgewiesen werden, des­to unwahrscheinlicher ist – bis auf seltene Ausnahmen – eine Relevanz des Befundes.

Die Erreger einer Sepsis variieren je nach Fokus erheblich. In etwa 70 % der Fälle sind Bakterien, in bis zu 30 % auch Viren und seltener Pilze oder Parasiten verantwortlich für die primäre Infek­tion, die zu einem Organversagen führen kann. Die häufigsten zugrunde liegenden Infektionen sind Pneumonien, gefolgt von Infektionen des Urogenitaltrakts, des Gastrointestinaltrakts und von Knochen oder Weichteilgewebe [12, 13].

Die am häufigsten nachgewiesenen Bakterienarten bei Erwachsenen sind Escherichia coli, Streptococcus spp., Staphylococcus aureus, Koagulase-negativen Staphylococcus spp. und Klebsiella pneumoniae [12, 13].  Die nachgewiesenen Erreger sind nicht immer ursächlich an der Infektion beteiligt, z. B. spielen bei einer ambulant erworbenen Pneumonie vergrünende Streptokokken, Koagulase-negative Staphylokokken, Enterokokken oder Neisserien keine relevante Rolle als Auslöser. Ein Erregernachweis gelang bei bis zu 31% der Patient:innen mit diagnostizierter Sepsis nicht [12, 13].

Die mikrobiologische Diagnostik basierend auf dem Erregernachweis nach Erregeranzucht aus der Blutkultur ist zeitintensiv. Außerdem erschweren eine antibiotische Therapie vor Abnahme der Kulturen oder nicht ausreichende Blutvolumina genauso wie Kontaminationen die Erregeridentifikation und gezielte Therapie. Auch im Zuge der zunehmenden Antibiotikaresistenzen wären schnelle und zuverlässige Methoden, die die klinisch schwierige Differenzierung zwischen infektiöser und nicht-infektiöser Organdysfunktion ergänzen, für eine Reduktion übermäßigen Antibiotikaeinsatzes hilfreich.

Prävention

Insbesondere Impfungen können vor den Folgen einer sekundären bakteriellen Infektion und der Entwicklung einer Sepsis schützen. Die Ständige Impfkommission empfiehlt daher Risikogruppen unter anderem die Impfungen gegen bakterielle Erkrankungen durch Pneumokokken oder Meningokokken. Auch die Impfungen gegen SARS-CoV-2 oder die jährliche Influenza-Impfung tragen dazu bei, dass die Inzidenz der Sepsis und des septischen Schocks abnehmen. Zusätzlich kann die jährliche Impfung von medizinischem Personal gegen Influenza Patient:innen vor nosokomialer Influenza schützen.

Autoren
Svenja Feldmann
Prof. Dr. med. Johannes Bogner
PD Dr. med. Matthias Angstwurm
LMU Klinikum, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Sektion Klinische Infektiologie
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