SARS-CoV-2-Antikörperdiagnostik: Daten & Fakten zur Impfbegleitung und Immunität

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.02.03

Aus Messungen von SARS-CoV-2-Antikörpern geht hervor, dass Geimpfte wesentlich höhere Titer entwickeln als Patienten mit leichten Infektionsverläufen. Verminderte Reaktionen sieht man bei Immunsuppression, Tumoren und Hämodialyse. Zur Dauer der Immunität bei Genesenen und Geimpften lassen sich auf Basis von Antikörpertitern nur bedingt Aussagen machen; wahrscheinlich ist diese jedoch aufgrund des immunologischen T- und B-Zellgedächtnisses länger, als es bisherige Spiegelbestimmungen nahelegen.

Schlüsselwörter: COVID-19, Anti-Spike-Titer, Immunseneszenz, Organtransplantation, Infektionsrisiko, Reinfektion

Bislang fehlen Daten für eine sichere Aussage darüber, ob die Höhe von Anti-SARS-CoV-2-Antikörpertitern mit einem erneuten Infektionsrisiko einhergeht und ab welchem Titer eine Booster-Impfung sinnvoll ist. Von Bedeutung ist jedoch die Tatsache, dass hämatologisch-onkologische Patienten, die in der STIKO-Empfehlung in der höchsten Impfpriorisierung zu finden sind, unter Umständen auf eine Impfung nicht mit einer Immunantwort reagieren; ähnlich sieht es bei Organtransplantierten und Dialysepatienten aus. Zu Patienten mit rheumatoider Arthritis, die mit Anti-CD20-Antikörpern behandelt werden, existieren bislang keine Daten. Es ist also sicherlich ratsam, zumindest bei diesen Risikokonstellationen Antikörpertiter nach Impfung zu bestimmen und sich alternative Impfkonzepte zu überlegen (> 2 Impfdosen/höhere Dosierungen) bzw. ggf. gefährdete Patienten durch passive Immunisierung zu schützen. In anderen Ländern wird dies bereits offen diskutiert.
Aus technischer Sicht ist die SARS-CoV-2-Antikörperdiagnostik inzwischen gut etabliert1, aber viele medizinische und epidemiologische Fragen bleiben offen: Wie können die Messwerte der verschiedenen Antikörperklassen und Assay-Typen interpretiert werden? Erlaubt die aktuelle Datenlage Aussagen über den Infektionsstatus in der Bevölkerung? Und vor allem: Kann man aufgrund von Antikörperbestimmungen die Immunität nach einer Infektion oder Impfung beurteilen – insbesondere auch bei Risikogruppen wie z. B. Immunsupprimierten oder Krebspatienten?

1 Siehe Übersicht unter www.trillium.de/marktuebersichten/mikrobiologievirologie/nachweissysteme-sars-cov-2.html

Immunität nach Impfung/Infektion unbestritten

Die Zulassungsstudien der Impfhersteller und mehrere klinische Studien haben gezeigt, dass eine überstandene COVID-19-Erkrankung ebenso wie die Impfung vor einer (erneuten) Infektion schützt oder zumindest schwere Infektionsverläufe verhindert. Zur Immunität nach Infektion seien beispielhaft die Studien von Harvey et al aus den USA [1] und eine Studie aus Großbritannien genannt [2], bei denen die Häufigkeit eines positiven PCR-Nachweises in Abhängigkeit eines SARS-CoV-2-Antikörpertiters bzw. die erneute Infektion (bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen) betrachtet wurden. In beiden Studien reduzierte sich das Infektionsrisiko um über 90 %, wobei die Reinfektionen im Regelfall asymptomatisch verliefen oder einen leichten Verlauf nahmen.
Eindrucksvoll im Hinblick auf den Schutz vor Infektion nach der Impfung sind hierzu auch Daten aus Deutschland: Die Altersverteilung der Infizierten während der zweiten und dritten Welle veränderte sich dramatisch; während weiterhin ein hoher Anteil von 50- bis 60-Jährigen in der dritten Welle infiziert wurden, fiel der Anteil der Personen über 80 auf nahezu Null ab (Abb. 1).

Erfreuliche Impf-Effekte sehen auch wir bei priorisierten Mitarbeitern unserer Klinik, wo sich die Anzahl der Infektion zwischen zweiter und dritter Welle bei unverändertem Hygienekonzept und hohem Infektionsdruck reduzieren ließ.

Impfantwort und Immunkompetenz

Obwohl die Anti-Spike-Antikörpertiter nach der zweiten Impfung bei den meis­ten Betroffenen deutlich ausgeprägt sind, werden immer wieder Fälle in der Klinik aufgenommen, bei denen trotz zweiter Impfung eine Infektion aufgetreten war. So wurde in unserem Haus kürzlich eine 80-jährige Patientin mit einer SARS-CoV-2-Infektion trotz zweimaliger Impfung stationär aufgenommen. Der CT-Wert von 20,3 (E-Gen) sprach für eine hohe Viruslast im Untersuchungsmaterial, doch die Bestimmung der Anti-Spike-Titer ergab einen nicht messbaren Wert von < 0,4 IU/ml. Lag hier ein Impfversagen vor?
Mehrere Gründe kommen in Betracht. So ist in solchen Fällen immer ein nicht adäquater Umgang mit den empfindlichen Impfstoffen zu diskutieren. Es gibt jedenfalls Berichte aus Heimen, in denen trotz Durchimpfung aller Insassen plötzlich mehrere Infektionen gemeldet wurden.
Wesentlich häufiger ist aber sicherlich eine nicht adäquate Immunkompetenz alter Menschen. Man spricht hier von Immunseneszenz, die zu einer nachlassenden Immunantwort führt. Ebenso wichtig sind Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem alterieren (Abb. 2). Hierzu erschienen mehrere interessante Publikationen über die Impfantwort bei Immunsuppression, Malignomen und Hämodialyse.

 

In einer Kohorte von über 600 Organtransplantierten wurde eine Immunisierung nach RNA-Impfstoffgabe von weniger als 50 % erreicht, und diejenigen, die messbare Antikörpertiter aufwiesen, hatten deutlich niedrigere Antikörpertiter als Immunkompetente [4].
Bei Patienten mit soliden Tumoren führte die erste Verabreichung von RNA-Impfstoffen zu einer verminderten Impfantwort von < 40 %, doch dieser Wert stieg nach der zweiten Vakzination auf 95 %. Die Impftiter lagen allerdings auch nach kompletter Impfung deutlich unter denen von Immunkompetenten [5], was wir in eigenen Untersuchungen bestätigen konnten (Abb. 2).
Bei Patienten mit chronisch lymphatischer Anämie (CLL) wurden in Abhängigkeit von Therapie und Krankheitsstadium nach Gabe eines RNA-Impfstoffs sehr unterschiedliche, aber durchwegs eher niedrige Immunantworten von 15 bis 75 % erreicht (in unserem Patientengut 50 % Non-Responder). Am niedrigsten war die Immunresponse unter Therapie mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab (< 15 %). Weiterhin wurde die Immunantwort durch die IgG-/IgM-Titer determiniert [6].
Diese Beobachtung wurde auch bei Patienten mit Multiplem Myelom berichtet: In einer noch laufenden Studie aus Griechenland beschreiben die Autoren eine deutlich niedrigere Immunantwort nach erster Impfung mit RNA-Impfstoff bei Multiplem Myelom, wobei die Antikörperantwort u. a. durch die Anwesenheit von natürlichen Immunglobulin-Titern determiniert wurde [7].
Schließlich entwickelten nur 35 % der Hämodialyse-Patienten einer Studie aus Frankreich nach der ersten Impfung mit einem RNA-Impfstoff einen – in der Mehrzahl sehr niedrigen – Titer. Der Nachweis von Antikörpern korrelierte invers mit einem Co-Morbiditätsindex und dem Alter [8].

Interpretation von Impftitern

Die Höhe der gemessenen Anti-Spike-Impftiter hängt zunächst vom eingesetzten Assay ab, da es bislang keinen internationalen Standard gibt. Praktisch und theoretisch können jedoch hohe Titer von neutralisierenden Antikörpern rascher zu einer Virus-Elimination führen. Daraus resultiert als Vorteil eine niedrigere Replikationsrate, sodass die Bildung gefährlicher Varianten vermindert wird.
Im Mittel liegen Impftiter nach vollständiger Immunisierung mit RNA-Impfstoffen deutlich über 1.000 IU/ml (nach Immunisierung mit Moderna höher im Vergleich zu BioNTech) [9] und damit etwa um den Faktor 4 höher als nach schwerer Infektion und 25-fach höher als nach leichter Infektion (Abb. 2).
Nach eigenen Beobachtungen scheint auch die Immun­antwort bei heterologer Impfung – Erstimpfung Vektor-basiert, Zweitimpfung RNA-basiert – sehr gut zu sein. Titer im fünfstelligen Bereich oder hohe Titer unmittelbar nach der ersten Impfung mit heftigen Nebenwirkungen legen den Verdacht nahe, dass vorher bereits eine stille Infektion vorgelegen hat. Dies kann durch Bestimmung von Anti-Nucleokapsid-AK relativ schnell ausgeschlossen werden, da nach einer Impfung nur Anti-Spike-AK entstehen. Kann man Nucleokapsid-AK nach Erstimpfung nachweisen, erspart man dem Impfling somit die Zweitimpfung [10]. Die Impf­titer, die sich bei einer Booster-Impfung (eine Impfung nach durchgemachter Infektion vor mehr als sechs Monaten) ergeben, liegen um mehr als den Faktor 10 über denen nach einer Zweifach-Impfung mit einem RNA-Impfstoff.

Dauer der Immunität

Von großem Interesse ist sicherlich die Frage, wie lange man nach Impfung bzw. Infektion immun ist. In einer sehr aufwendig durchgeführten Studie von Jennifer Dan (LJI, USA) an 188 COVID-Rekonvaleszenten konnte gezeigt werden, dass das immunologische Gedächtnis der T- und B-Zell-Antwort in der Lage war, acht Monate nach der Infektion spezifisch und adäquat auf einen erneuten Antigen-Kontakt zu reagieren [11]. In einer Arbeit aus Singapore [12] wurde die Dynamik von neutralisierenden Antikörpertitern nach Infektion untersucht; anhand der Steilheit des Titerabfalls nach 90 und 180 Tagen ließen sich fünf unterschiedliche Immunresponse-Typen differenzieren. In einem mathematischen Modell wurde berechnet, dass die Antikörpertiter bei langsamem Abfall noch nach bis zu zehn Jahren für ausreichenden Schutz sorgen könnten.

Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Ambrosch
Mitglied der Redaktion
Prof. Dr. med. Jan Braess
Klinik für Hämatologie und Onkologie
KH Barmherzige Brüder Regensburg