Infektionen der ableitenden Harnwege - Von UTI, CAUTI und HAUTI

Infektionen der ableitenden Harnwege gehören zu den häufigsten nosokomialen Infektionen und ihr Nachweis zieht nicht selten die Verschreibung von Antibiotika nach sich. Allerdings ist nicht jeder Keimnachweis behandlungsbedürftig, und viele klassische Harnwegsantibiotika sollten aufgrund der problematischen Resistenzsituation nicht mehr für die Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt werden.

Schlüsselwörter: asymptomatische Bakteriurie, Leitlinien, MIQ2, Enterobacterales, Koagulase-negative Staphylokokken

Jährlich sterben ca. 59 Millionen Menschen weltweit an Infektionserkrankungen – dies entspricht etwa 24 % aller Todesfälle. Am häufigsten enden Lungenentzündung, Pocken, Durchfallerkrankungen, Malaria und die Tuberkulose letal. Infektionen der ableitenden Harnwege (urinary tract infections: UTI) führen (meist) nicht zum Tode, gehören aber in den westlichen Ländern epidemiologisch und sozioökonomisch betrachtet zu den „Bürden der Menschheit“: In den USA verursachen sie sieben Millionen Arztbesuche pro Jahr mit Kosten von etwa einer Milliarde US-Dollar; in der BRD gehören sie mit einem Anteil von 23 % zu den häufigsten nosokomialen Infektionen und haben eine Prävalenz von bis zu 4 %. Zudem sind sie Grund für 15 % aller Antibiotikaverschreibungen.

CAUTI und HAUTI

Bei den Infektionen der ableitenden Harnwege handelt es sich im Regelfall um Schleimhautinfektionen im Bereich Harnleiter, Harnröhre und Harnblase (Zystitis). Die Infektionen können verkomplizieren und Richtung Niere/Nierenbecken aufsteigen (Pyelonephritis) und Anschluss an den Blutkreislauf finden (Urosepsis) bzw. auf Prostata (Prostatitis) und Nebenhoden (Epididymitis) übergreifen. UTI lassen sich weiterhin klassifizieren in ambulant erworben (community acquired urinary tract infections: CAUTI) und im Krankenhaus erworben (hospital acquired UTI: HAUTI). Diese Unterscheidung ist in Bezug auf Ursache und Erregerspektrum sinnvoll. Damit eine UTI diagnostiziert und die Behandlungsbedürftigkeit festgestellt werden kann, müssen per definitionem stets auch klinische Symptome vorhanden sein: Schmerzen beim Wasserlassen ggf. mit Nachweis von signifikanten Erregern im Mittelstrahlurin. Hiervon abzugrenzen ist die asymptomatische Bakteriurie (Nachweis von signifikanten Erregern im Mittelstrahlurin), die ohne klinisches Bild einhergeht.

Asymptomatische Bakteriurie

Die asymptomatische Bakteriurie findet man bei gesunden Frauen und – geschlechtsunabhängig – bei Personen mit Abnormalitäten der ableitenden Harnwege: Bei Frauen kann die Diagnose gestellt werden, wenn in zwei unabhängigen, aufeinanderfolgenden Urinproben Uropathogene in einer Keimzahl von mindestens 105 KBE/ml ohne entsprechende Symptome nachweisbar sind; bei Patienten männlichen Geschlechts reicht der einmalige Nachweis. Die meisten Studien zur asymptomatischen Bakteriurie liegen für Schwangere vor: In entwickelten Ländern scheinen ca. 2–7 % aller Frauen betroffen zu sein, in Entwicklungsländern hingegen bis zu 40 % [1, 2]. Im Rahmen einer Studie wurden Schulkinder in Indien untersucht.  Hier zeigten 16,5 % aller Untersuchten eine Bakteriurie, in einem Vergleichskollektiv aus Industrienationen waren es 1 % aller Jungen und 2–5 % aller Mädchen [3]. Die asymptomatische Bakteriurie verdient besonderes Interesse, da sie oftmals zum unnötigen Einsatz von Antibiotika führt: In manchen orthopädischen Kliniken gilt es als Standard,  Patienten vor Endoprotheseneingriffen auf eine Bakteriurie zu screenen und zu behandeln; diese Maßnahme soll postoperative Infektionen des Implantates verhindern. Eine Metaanalyse aus acht Studien hat nun gezeigt, dass diese Indikation für eine Antibiotikatherapie nicht sinnvoll ist [4].
Als behandlungsbedürftig galt ebenfalls die asymptomatische Bakteriurie bei Schwangeren zur Verhütung von Frühgeburtlichkeit. Auch diese Feststellung hat nur eingeschränkten Bestand: Lediglich der Nachweis von Streptokokken der Gruppe B im Urin bei Schwangeren bzw. hohe Keimzahlen von Uropathogenen von ≥ 105 KBE/ml im ersten Trimenon gelten als therapiebedürftig [1, 5].

Risikofaktoren

Die häufigsten Risikofaktoren für die CAUTI sind das Alter, sexuelle Aktivität, Diabetes mellitus und eine UTI-Anamnese. Im Hinblick auf das Alter existieren jedoch Geschlechterunterschiede: Während das Risiko für UTI bei Männern mit dem Alter zunimmt, reduziert sich bei Frauen im mittleren Alter (35–65) das Risiko für Harnwegsinfektionen. Erst im höheren Alter gleichen sich die Risiken an, wobei bei Männern das Risiko bei 10,9 %, bei Frauen bei 14 % liegt (Abb. 1) [6].


Sexuelle Aktivität innerhalb der letzten 48 Stunden ist ein unabhängiger Risikofaktor für CAUTI – sowohl bei jungen als auch postmenopausalen Frauen. Einer der stärksten Risikofaktoren ist jedoch eine CAUTI-Anamnese: In einer Studie an postmenopausalen Frauen betrug die Odds Ratio (OR) für die Entstehung einer erneuten CAUTI 6,9 (95-%-KI 3,5–13,6) [7, 8].
Harnwegsinfektionen im klinischen Setting gehören zu den häufigsten nosokomialen Infektionsarten. Die Prävalenz von HAUTI in den USA beträgt ca. 4 %, in Europa sind es ca. 6 % [9, 10]. Das Risiko steigt mit der Länge des Krankenhausaufenthalts und ist in erster Linie mit dem Legen von Harnwegskathetern assoziiert [11, 12]. Die einzige wirksame Präventionsstrategie gegen Katheter-assoziierte HAUTIS ist die tägliche Überprüfung der Indikation [13].

Diagnostische und therapeutische Aspekte

Das überwiegende Keimspektrum bei HAUTI und CAUTI unterscheidet sich nicht wesentlich: Die Erreger stammen meist aus dem gramnegativen Bereich (Enterobacterales wie E. coli, Klebsiella spp., Proteus spp., Enterobacter spp.). Im ambulanten Setting findet man häufiger Koagulase-negative Staphylokokken (KNS) – dann meist S. saprophyticus. Der Nachweis von KNS im Urin bei stationären Patienten kann im Zusammenhang mit Fremdkörperimplantaten (Harnleiterschienen/Stents) von Bedeutung sein: Dort können Hautkeime wie S. epidermidis und S. schleiferi behandlungsbedürftige Infektionen hervorrufen. Des Weiteren finden sich bei hospitalisierten Patienten – insbesondere bei Dauerkatheterträgern und Immundefizienten – Harnwegsinfektionen durch Pseudomonaden und Sprosspilze. Nachweise von S. haemolyticus und S. hominis hingegen müssen als Kontaminationen gewertet werden, da hierzu bislang keine Evidenz als Verursacher von UTI bestehen.
Eine interessante Studie zur unkomplizierten Zystitis bei prämenopausalen Frauen hat die Signifikanz von Enterokokken und B-Streptokokken im Mittelstrahlurin im Vergleich zum Blasenurin untersucht: Sie kommt zu der Erkenntnis, dass der Nachweis beider Erregerentitäten als Kontamination zu werten ist und nicht behandelt werden sollte, da beide Erregerspezies bei den untersuchten Patientinnen jeweils nur im Mittelstrahlurin,  aber nicht im Blasenurin nachweisbar waren [14].
Die immer noch gültigen Richtlinien für die Diagnostik von Harnwegsinfektionen (MIQ2) fokussieren sehr stark auf die Keimzahl als Kriterium für die Wahrscheinlichkeit einer UTI (≥ 105KBE/ml pathogene Spezies) und einer weiteren Diagnostik inklusive Resistenztestung (Abb. 2) [15].

 In den aktuellen Leitlinien für die unkomplizierte Zystitis wird jedoch angegeben, dass bei entsprechender klinischer Symptomatik bereits Keimzahlen von 103KBE/ml  im Mittelstrahlurin und Nachweis eines Pathogens behandlungsbedürftig sein können [16]. Hier kann also eine effiziente und zielführende Diagnostik nur in enger Absprache mit dem Kliniker erfolgen.
Bei unkomplizierter Zystitis (der Frau) empfehlen die Leitlinien u. a. die kalkulierte Einmalgabe von Fosfomycin-Trometamol oder die drei- bis fünftägige Gabe von Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam. Für Nitrofurantoin finden sich traditionell sehr niedrige Resistenzraten und eine erst kürzlich publizierte deutliche Überlegenheit der Effektivität im Vergleich zum Fosfomycin (30-Tage-Beschwerdefreiheit nach Therapiebeginn: 70 vs. 58 %) [17]. Nichtsdestotrotz bewertet die KBV in ihren Empfehlungen Nitrofurantoin aufgrund des Nebenwirkungsprofils lediglich als Reserveantibiotikum [18]. Die Resistenzraten bei E.-coli-Nachweisen für klassische Harnwegsantibiotika wie Ciprofloxacin, Cefuroxime und Aminopenicilline plus β-Laktam-Inhibitor liegen global betrachtet (Europa, Asien, USA) inzwischen jeweils bei 45, 33 und 50 %, was einen kalkulierten Einsatz dieser Antibiotika verbietet [19]. Auch kann der kalkulierte Einsatz vom „Harnwegsantibiotikum Nr. 1“ Trimethoprim-Sulfamethoxazol (Cotrim) aufgrund der problematischen Resistenzsituation nicht mehr empfohlen werden.

Ausblick

In 2017 wurde das Studienprotokoll der ersten randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie zur Effektivität von Bakteriophagen bei UTI nach transurethraler Prostataektomie (TUR) publiziert [20]. Als Kontrollarme zum Phagen-Cocktail (fünf Komponenten gerichtet gegen Enterococcus spp., E. coli, Proteus mirabilis, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus spp., Streptococcus spp.) dienen Placebos und eine Resistenz-gerechte Antibiose. Die Studieninitiatoren rechnen mit einer um 40 % besseren Wirksamkeit der Phagentherapie gegenüber der Antibiotikagaben. Ein solches Ergebnis würde die Behandelbarkeit von HAUTI und CAUTI im Zeitalter steigender Resistenzen insbesondere von Uropathogenen deutlich verbessern. Auf die tatsächlichen Ergebnisse darf man gespannt sein … 

Autor
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Ambrosch
Mitglied der Redaktion, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg
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