Unabhängige Qualitätskontrolle und ihre Bedeutung: Sind Sie etwa abhängig?

Die ISO 15189 weist auf die unabhängige Qualitätskontrolle hin. Auch die IVDR setzt neue Maßstäbe in Bezug auf unabhängiges Kontrollmaterial. Reagenz, Gerät, Kalibratoren und Qualitätskontrollmaterial vom gleichen Hersteller sind ein geschlossenes System, dem in Deutschland nur der Ringversuch Paroli bieten kann. Reicht dies wirklich aus?Dieser Beitrag zeigt anhand einer realen Laborsituation und dreier Beispiele aus der Literatur die dringende Notwendigkeit zur Verwendung von unabhängigem Kontrollmaterial auf.

Schlüsselwörter: Qualitätssicherung, Rili-BÄK, Reagenzcharge, Chargenwechsel

Der Fall

Stellen Sie sich das folgende Szenario im Labor vor: Das Telefon klingelt und Sie nehmen den Hörer ab. Der Kliniker oder der Einsender teilt Ihnen mit, er hätte den Eindruck, dass die bei Ihnen gemessenen Natriumwerte seit etwa einer Woche höher sind. Welche Schritte werden Sie jetzt unternehmen, um die Reklamation zu bearbeiten?
Üblicherweise werden die Qualitätskontrolldaten für die Beurteilung der Leistung Ihres Analysensystems herangezogen. Ein Blick in die Daten zeigt Ihnen, dass die eingesetzten Kontrollen keine Auffälligkeiten anzeigen – Ihr Gerätesystem liegt innerhalb der Grenzen, die die Rili-BÄK erlaubt.

Was nun?

Sie könnten sich die Natriumwerte aller Patienten der letzten Woche anschauen, daraus z. B. einen täglichen Mittel- oder besser Medianwert bilden, und Sie stellen tatsächlich fest, dass die Werte insgesamt höher sind als im Vormonat.

Was war geschehen?

Sie haben eine neue Elektroden- und Kalibratorcharge bekommen und diese auf Ihrem Analysensystem verwendet. 

Natürlich wurde die neue Elektrode mittels einer neuen Kalibration und anschließender Qualitätskontrolle (zwei Kontrollen, eine im klinischen Entscheidungsbereich, die andere in einem höheren Konzentrationsbereich) gemessen. Die Kontrollen zeigten keine Abweichung von den angegebenen Zielwerten und lagen innerhalb der zulässigen Grenzen der Rili-BÄK.

Hintergrund

Nach der Produktion einer neuen Reagenzcharge (im o. g. Fall Elektrodencharge) erfolgt die Prüfung der Qualität beim Hersteller. Man prüft, ob die Leistung der neuen Reagenzcharge den Vorgaben genügt, und wenn dies der Fall ist, erfolgt die finale Freigabe zum Verkauf. Anschließend werden das Gerätesystem, die neue Reagenzcharge, der dazugehörige Kalibrator und das Qualitätskontrollmaterial aufeinander abgestimmt. Dies bedeutet, dass für das Kontrollmaterial ein entsprechender Zielwert ermittelt werden muss. Dieser Zielwert ist dann aber abhängig vom Gerätesystem, von neuen Elektroden sowie der neuen Reagenz- und Kalibratorcharge. Dies wiederum bedeutet, dass eine Veränderung von  Reagenzcharge zu Reagenzcharge nicht detektiert werden kann. Zwischen einzelnen Reagenzchargen kann es deutliche Unterschiede geben. Genau an dieser Stelle ist das Kontrollmaterial, welches nicht auf die einzelne Reagenzcharge optimiert wurde, als unabhängige Überprüfung des analytischen Prozesses gefordert.

Ermittelte Ursache

Die Kontrollen waren auf die neuen Elektroden- und Kalibratorchargen abgestimmt und somit nicht in der Lage, Abweichungen bei Patientenproben zu erkennen.

Lösung

Zukünftig werden im Labor unabhängige Kontrollmaterialien verwendet. Die aktuelle Rili-BÄK sieht zurzeit noch nicht vor, eine unabhängige Kontrolle vorzuschreiben [1]. In der ISO 15189 [2] wird hingegen dazu geraten, ein unabhängiges Kontrollmaterial zu verwenden. Auch in der neuen IVDR [3] wird der Reagenzhersteller in die Pflicht genommen und muss auf Wunsch den Anwendern Details zu den einzelnen Reagenzchargen bekannt geben.

Die Überwachung der Leistungen der einzelnen Chargen kann nur über ein unabhängiges Kontrollmaterial oder eingeschränkt über die Berechnung des Mittelwertes der Patientenresultate des jeweiligen Analyten erfolgen. Die Berechnung der Patientenmittelwerte ist jedoch von vielen Variablen abhängig und deshalb nicht immer die optimale Lösung.
Ringversuchs-Kontrollproben sind auch unabhängige Kontrollmaterialien. Die Messung erfolgt jedoch nicht täglich, sondern in weiten zeitlichen Abständen, so wie in der Rili-BÄK beschrieben. Dies reicht bei Weitem nicht aus, um Situationen, wie am Anfang des Textes beschrieben, zu vermeiden. Hier ist die Verwendung von unabhängigem Kontrollmaterial die Lösung. Idealerweise sollte das Kontrollmaterial gebrauchsfertig sein, also flüssig, damit Auflösefehler gar nicht erst auftreten können.

Aus der Literatur

Miller et al. [4] berichten, dass eine Überprüfung von 1.483 Reagenzchargenwechseln im Mittel bei über 40,9 % (14,3–83,3 %) der Fälle Abweichungen zeigte, die sowohl auf die Qualität, als auch auf die Patientenresultate Einfluss hatten.
Eine weitere Publikation [5] beschrieb die Chargenwechsel in einer Studie, die über sieben Jahre an einem Kollektiv von vermeintlich Gesunden und Diabetikern verlief. Auch hier wurde, allerdings nach sieben Jahren am Ende der Studie, der Schluss gezogen, dass die entdeckten Drifteffekte dem Chargenwechsel zuzuschreiben sind und dadurch falsche klinische Schlüsse gezogen wurden.
Ein dritter Fall über einen Reagenzrückruf bei PTH (intact) wird aus Italien berichtet [6]. Das zum Reagenz gehörende Kontrollmaterial zeigte die vorliegende Abweichung von ca. 13–45 % nicht an. Es waren ca. 40.000 Resultate in 18 italienischen Laboren betroffen.