LTX, Lab-MELD, AMR, DSA & Co

Labordiagnostik bei Lebertransplantationen

Die Labordiagnostik spielt vor und nach einer Lebertransplantation eine bedeutsame Rolle. So dient der Lab-MELD-Score der fairen Allokation der wertvollen Spenderorgane, und das Monitoring von Leberwerten, Medikamentenspiegeln, HLA-Antikörpern u. v. m. verbessert die Überlebenschancen des Transplantats. Neue Biomarker und Methoden sollen in Zukunft helfen, die Zahl der Leberbiopsien bei der Verlaufskontrolle zu vermindern.
Schlüsselwörter:  Lebertransplantation, MELD-Score, Immunsuppression, LCT, AMR, DSA, HLA

1969 führte Prof. Jong-Soo Lee in Bonn unter A. Gütgemann die erste Lebertransplantation in Europa durch. Der Empfänger überlebte diesen Eingriff allerdings nur sieben Monate, da die heute übliche Immunsuppression damals noch nicht zur Verfügung stand. Erst Ende der 1970er-Jahre wurde Ciclosporin nach einer Transplantation erfolgreich zur Hemmung des Enzyms Calcineurin im Rahmen der Immunsuppression eingesetzt. Das Zentrum der deutschen Lebertransplantation verlagerte sich später nach Hannover. Dort gelang 1988 unter Prof. Rudolph Pichlmayr die erste Transplan­tation einer Leber auf zwei Empfänger (Splitting-Transplantation).
Nach den Richtlinien zur Organverpflanzung (TX, das X steht für exchange) erfolgt eine Lebertransplantation (LTX) heute in der Regel bei terminalen Leberzirrhosen aufgrund von metabolischer Inflammation, angeborenen Stoffwechselkrankheiten, Virusinfektionen, Autoimmunität, vaskulären Schäden oder Alkoholkonsum. Bis zu 5% aller Organverpflanzungen erfolgen bei einem akuten Leberversagen – oftmals als letzte und einzige kurative Behandlungsoption.
2017 gab es in Deutschland 823 Lebertransplantationen, davon 61 nach einer Lebendspende. Der große Mangel an Spenderorganen in Deutschland erzwingt die Zuteilung (Allokation) nach Dringlichkeit. Dafür werden derzeit in Deutschland nur Parameter benutzt, welche das Kurzzeit­überleben auf der Warteliste abschätzen; die Gesamterfolgschance der Transplantation bleibt unberücksichtigt.

Von CTG zu MELD

Um eine faire Organzuteilung zu gewährleisten, muss die Labordiagnostik zwischen den Transplantationszentren vergleichbar sein. Der bis etwa 2006 übliche Child-Turcotte-Pugh-Score (CTG) beinhaltete Albumin, Bilirubin, Quickwert sowie subjektive Aussagen über das Ausmaß von Enzephalopathie und Aszites [1]. 2000 zeigte das Mayo-TIPS-Modell (transjugulär-intrahepatisch-portosystemischer Shunt), dass die Kombination aus Bilirubin, Kreatinin und INR besser geeignet war, Patienten mit weniger als drei Monaten Überlebenschance zu identifizieren [2]. Dieses Modell wurde zur Grundlage des Lab-MELD-Scores (laboratory model of end-stage liver disease), aufgrund dessen die Leberallokation seit Ende 2006 erfolgt. Wegen des Organmangels werden in Deutschland überwiegend schwerkranke Patienten transplantiert, was die Ein-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit im internationalen Vergleich deutlich verringert.
Der Lab-MELD-Score (siehe nächste Seite) basiert auf einem logistischen Regressionsmodell, das zur automatischen Berechnung der Werte im Laborinformationssystem hinterlegt werden soll. Die Werteskala reicht von 6 (weniger krank) bis 40 (schwer erkrankt) und drückt eine Wahrscheinlichkeitsspanne von 1% bis 98% aus, den Zeitraum der nächsten drei Monate als Kandidat auf der Warteliste nicht zu überleben. In Abhängigkeit von der Höhe des MELD-Scores erfolgt eine Reevaluation in Abständen von sieben Tagen bis zu zwölf Monaten. Multicenter-Studien zeigten, dass die methodenabhängige Variabilität beim Kreatinin (Jaffe vs. enzymatisch) und der INR zu Unterschieden bei der Festlegung eines aktuellen MELD-Scores zwischen einzelnen Transplantationszentren führen kann [3, 4].
Für Transplantationskandidaten ab 12 Jahren wird der Lab-MELD-Score (Abb. 2) in vielen Ländern der Welt zur Leberallokation verwendet. Für jüngere Patienten gibt es den PELD-Score (pädia­trische Lebererkrankung im Endstadium), in den zusätzlich zu den genannten Parametern auch Alter, Gewicht und Körpergröße eingehen [5]. Bei Harnstoffzyklus­störungen, organischer Azidämie und Hepatoblastom wird der Score automatisch auf 30 gesetzt.

Immunsuppression

Nach erfolgreicher Lebertransplantation muss das Immunsystem durch Medikamentengabe supprimiert werden. Dies geschieht mithilfe hoher Kortikosteroid-Dosen in Kombination mit Antikörpern zur Induktionstherapie. Um die Immunsuppression langfristig aufrechtzuerhalten, setzt man sehr patientenindividuell Calcineurininhibitoren (Ciclosporin, Tacrolimus) und mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Sirolimus) ein; dabei werden Immunsuppressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen kombiniert.
Ein therapeutisches Monitoring ist durch die geringe therapeutische Breite,  pharmakokinetische Schwankungen sowie dosisabhängige Nebenwirkungen wie zum Beispiel  Blutbildungsveränderungen, Nierenfunktionsstörungen, Infekte, Hyperlipid­ämie oder psychische Symptome immer indiziert.
Die Kontrollmessungen beginnen mit dem Krankenhausaufenthalt zur Transplantation und werden später in der regelmäßig erforderlichen ambulanten Nachsorge fortgesetzt. Für die Analytik kommt in den meisten Zentren ein massenspektrometrisches Verfahren (LC-MS/MS) zum Einsatz. Aufgrund mangelnder Standardisierung dieser aufwendigen Technik sind die Werte zwischen verschiedenen Zentren nicht unbedingt vergleichbar; folglich sollte die Verlaufsbeobachtung immer im selben Labor erfolgen.

Erfolgskontrolle

Der Einsatz moderner Immunsuppressiva führt zur Reduzierung zellvermittelter Abstoßungsreaktionen und verlängert so das durchschnittliche Transplantatüberleben erheblich. Dennoch entwickeln etwa 10 bis 20% der Empfänger ein irreversibles Transplantatversagen [6].
Das Monitoring einer Abstoßung nach Lebertransplantation erfolgt im Wesentlichen über das Bilirubin und die Enzyme ALT, AST, GLDH, ALP und γGT, kommt aber bislang nicht ohne zusätzliche Biopsien aus. Um deren Zahl in Zukunft zu reduzieren, wird nach spezifischeren Laborparametern gesucht. Aktuell getestet werden zum Beispiel zellfreie Spender-DNA oder der Apoptosemarker M30 im Rahmen von Forschungsarbeiten. In der Routinediagnostik haben sie sich noch nicht etabliert. Als vielversprechend erweisen sich eigene Arbeiten, in denen wir serologische Marker der Fibrogenese als Korrelat eines chronischen Organschadens untersuchen.

Akute Abstoßungsreaktion

Die Leber scheint im Vergleich zu anderen soliden Organen gegenüber der lymphozytären Immunabwehr privilegiert zu sein. Aktuelle Untersuchungen zeigen aber, dass humoral vermittelte Abstoßungsreaktionen (AMR, antibody-mediated rejection) zur Langzeitschädigung des Transplantats und somit zum Transplantatversagen führen können [7].
Das Ziel der AMR-Diagnostik ist der Nachweis von Donor-spezifischen Antikörpern (DSA). Diese sind vornehmlich gegen humane Leukozytenantigene (HLA) des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC, major histocompatibility complex) gerichtet.
Hierbei spielen insbesondere Antikörper gegen die transplantationsrelevanten HLA-Genorte A, B und C aus der Gruppe der HLA-Klasse I Antigene sowie DRB1 und DQB1 aus der Gruppe der HLA-Klasse II Antigene eine wichtige Rolle. Kontroll­studien an anderen soliden Organtransplantaten – insbesondere der Niere – legen die Vermutung nahe, dass noch weitere HLA-Antigene  wie etwa DPB1, DQA1 und  DPA1), aber auch eine ganze Reihe von Non-HLA-Antigenen (MICA, AT1R, ETAR usw.)  im Rahmen der AMR bedeutsam sind.
Da allerdings viele DSA-positive Patienten nach Lebertransplantation keine Abstoßungen entwickeln, ist die DSA-Diagnostik derzeit nur im Zusammenhang mit einer Histologie aussagekräftig. Es bleibt nach Lebertransplantation unklar, ob DSAs nur einen Marker allogener Immunaktivierung darstellen oder auch wie bei der Niere eine pathoyphysiologische Bedeutung haben.

HLA-Diagnostik

Die grundlegenden Methoden der HLA-Antikörperdiagnostik sind der Lymphozytotoxizitätstest (LCT) sowie der Festphasenassay (SPA, solid phase assay). Beim LCT handelt es sich um einen Komplement-basierten zytotoxischen Zelltest, der bereits 1964 von Terasaki eingeführt wurde, um die Organverträglichkeit zwischen Empfänger und Spender zu testen [8]. Durch den Einsatz nativer Lymphozyten simuliert diese Methode die In-vivo-Situa­tion und stellt somit ein ideales In-vitro-Testsystem dar. Aus diesem Grund gilt der LCT noch heute als Goldstandard für Verträglichkeitsunter­suchungen vor einer Organtransplantation.
Der Einsatz von Lymphozyten macht den Test allerdings gegenüber mechanischen und thermischen Einflussfaktoren empfindlich. Darüber hinaus weist der LCT eine eher geringe Spezifität auf, da Autoantikörper und andere Antikörper ohne Transplantationsrelevanz sowie bestimmte Medikamente (z. B. Rituximab) Komplementfaktoren aktivieren und zytotoxisch wirken können.
Diese Einschränkungen führten zur Entwicklung von Festphasenassays in der HLA-Antikörperdiagnostik. Hierbei werden die Antigene aus Lymphozyten isoliert und an einer Oberfläche fixiert. Die daran bindenden Antikörper werden in einem Sandwich-Assay mithilfe von markierten sekundären Antikörpern detektiert.
Zu Beginn der Entwicklung kamen ELISA-Techniken zum Einsatz, die heute aber nahezu vollständig durch Bead-basierte Techniken (Luminex xMap) mit verbesserter Sensitivität und Präzision abgelöst wurden. Der wesentliche Vorteil all dieser SPAs ist ihre verbesserte Spezifität für  transplantationsrelevante Antikörper.

Single-Antigen-Testsysteme

Ein entscheidender Vorteil Festphasen-basierter Testsysteme ist die Möglichkeit, einzelne HLA-Antigene (Single Antigens) zu detektieren. Lymphozyten tragen naturgemäß mehrere HLA-Antigene (Multiple Antigens). Somit gibt eine positiv getestete Testzelle nur einen Hinweis darauf, dass ein Antikörper gegen mindestens ein auf dem Lymphozyten präsentiertes HLA-Antigen vorhanden ist. Die Spezifität eines Antikörpers kann folglich nur als Wahrscheinlichkeit angegeben werden.
Gegenwärtig sind über 13.300 HLA-Allele der Klasse I sowie fast 5.000 der Klasse II bekannt (www.alleles.org). Allein diese Zahlen machen deutlich, dass die Single-Antigen-Testsysteme für die Antikörperspezifizierung insbesondere bei  hoch-immunisierten Patienten mit einem PRA-Wert von über 85% (panel reactive antibodies) unverzichtbar sind.
Im Gegensatz zu Herz, Lunge und Niere besteht für die Leber bislang kein Konsens über die Indikation einer DSA-Diagnostik. Aktuelle Forschungen zeigen, dass neben der isolierten akuten AMR humorale Mechanismen auch an der Pathogenese anderer Transplantatkomplikationen beteiligt sind [9]. Somit besteht hoher Bedarf an weiteren prospektiven Studien.

Infektionsdiagnostik

Patienten unter chronischer Immunsuppression sind vor allem für Infek­tionen mit Viren empfänglich. Deshalb erfolgt routinemäßig ein Screening auf Reinfektion nach chronischer Hepatitis B (HBsAg, anti-HBs, HBV-DNA), Hepatitis C (HCV-RNA) und Hepatitis D (HDV-PCR). Die Reinfektionprophylaxe nach HBV oder HBV/HDV Infektion wird anhand der Anti-HBs-Titer gesteuert.
Auch z. T. chronisch verlaufende HEV-Infektionen können unter Immunsuppression mittels PCR nachgewiesen werden. Und schließlich gehört das PCR-Screening auf CMV- und EBV-Infektionen insbesondere in der frühen Phase nach Lebertransplantation ebenfalls zu den Routineverlaufskontrollen.    

Autoren
Prof. Dr. Ralf Lichtinghagen
Institut für Klinische Chemie
Dr. med. Michael Hallensleben
Institut für Transfusionmedizin
Dr. med. Elmar Jäckel
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie
Medizinische Hochschule Hannover
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